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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Metternich gegen die preußische Verfassung.
Aachen, sagte der österreichische Staatsmann späterhin, wird man dereinst
die Rettung der preußischen Monarchie datiren!

Unter Allem was aus Metternichs Feder floß beweist die Denk-
schrift über die preußische Verfassung wohl am deutlichsten die klägliche
Gedankenarmuth dieses Kopfes, der nur durch seine diplomatische Schlau-
heit, durch die Gunst des Glücks und durch die Aengstlichkeit der anderen
Höfe dahin gelangen konnte, die Welt während eines Menschenalters
über seine Nichtigkeit zu täuschen. Von der fundamentalen Verschiedenheit
der politischen Aufgaben eines nationalen Staates wie Preußen und eines
Völkergemisches wie Oesterreich begriff er nicht das Mindeste. Mit der
Treuherzigkeit eines besorgten Freundes, der sein Schicksal nimmermehr
von dem Loose Preußens trennen wollte, setzte er dem Könige ausein-
ander, daß die innere Lage der beiden deutschen Großmächte im Wesent-
lichen dieselbe sei; beide Monarchien beständen aus "unter sich getrennten
Provinzen". Daß dem nicht so war, daß Preußen schon längst eine
centralisirte Verwaltung besaß, war der Hofburg ganz unbekannt; sie
konnte sich einen kräftigen Staat nur in der Form lose verbundener
Erblande vorstellen, und Kaiser Franz wiederholte gern seinen Kern-
satz: "der Bestand einer Monarchie aus verschiedenen Körpern macht sie
eben stark."

Metternich fand "das österreichische Reich selbst noch mehr als das
preußische zu einem rein repräsentativen System geeignet -- wenn nicht
die Verschiedenheit unter den Völkern in Rücksicht auf Sprache und
Sitte zu bedeutend wäre. Wie könnte das, wozu es in Oesterreich
dennoch an der Möglichkeit der Ausführung fehlt, in Preußen gedeihen?"
Die Einführung einer "Central-Repräsentation" in Preußen wäre dem-
nach die "reine Revolution"; sie müßte die militärische Kraft des Staates
zerstören und den Zerfall des Reichs herbeiführen; sei doch bereits zwi-
schen Belgien und Holland, die so viel besser zusammenpaßten als die
preußischen Provinzen, in Folge des Repräsentativsystems ein gefährliches
Zerwürfniß entstanden! Darum möge sich der König mit Provinzial-
ständen begnügen -- ein Rathschlag, der unzweifelhaft im Voraus mit
Wittgenstein verabredet war -- und diesen Ständen lediglich das Recht
der Bitten, der Beschwerden, der Repartition der direkten Steuern ein-
räumen. Nur im äußersten Falle, weil es einmal öffentlich versprochen
sei, könne in der Zukunft vielleicht noch eine Centraldeputation aus diesen
Provinzialständen einberufen werden, je drei Vertreter aus jeder Provinz
-- also ein Vereinigter Landtag von einundzwanzig Köpfen, ein würdiges
Seitenstück zu jenem winzigen Reichsrathe, welchen Metternich kurz zuvor
für sein Oesterreich vorgeschlagen hatte. Aber, so fügte er bedeutsam hinzu,
und hierin lag unzweifelhaft seine wahre Meinung -- "führt diese be-
schränktere Idee nicht auch zur Revolution? Diese Frage erwäge der König
tief bevor er sich entscheidet!"

Metternich gegen die preußiſche Verfaſſung.
Aachen, ſagte der öſterreichiſche Staatsmann ſpäterhin, wird man dereinſt
die Rettung der preußiſchen Monarchie datiren!

Unter Allem was aus Metternichs Feder floß beweiſt die Denk-
ſchrift über die preußiſche Verfaſſung wohl am deutlichſten die klägliche
Gedankenarmuth dieſes Kopfes, der nur durch ſeine diplomatiſche Schlau-
heit, durch die Gunſt des Glücks und durch die Aengſtlichkeit der anderen
Höfe dahin gelangen konnte, die Welt während eines Menſchenalters
über ſeine Nichtigkeit zu täuſchen. Von der fundamentalen Verſchiedenheit
der politiſchen Aufgaben eines nationalen Staates wie Preußen und eines
Völkergemiſches wie Oeſterreich begriff er nicht das Mindeſte. Mit der
Treuherzigkeit eines beſorgten Freundes, der ſein Schickſal nimmermehr
von dem Looſe Preußens trennen wollte, ſetzte er dem Könige ausein-
ander, daß die innere Lage der beiden deutſchen Großmächte im Weſent-
lichen dieſelbe ſei; beide Monarchien beſtänden aus „unter ſich getrennten
Provinzen“. Daß dem nicht ſo war, daß Preußen ſchon längſt eine
centraliſirte Verwaltung beſaß, war der Hofburg ganz unbekannt; ſie
konnte ſich einen kräftigen Staat nur in der Form loſe verbundener
Erblande vorſtellen, und Kaiſer Franz wiederholte gern ſeinen Kern-
ſatz: „der Beſtand einer Monarchie aus verſchiedenen Körpern macht ſie
eben ſtark.“

Metternich fand „das öſterreichiſche Reich ſelbſt noch mehr als das
preußiſche zu einem rein repräſentativen Syſtem geeignet — wenn nicht
die Verſchiedenheit unter den Völkern in Rückſicht auf Sprache und
Sitte zu bedeutend wäre. Wie könnte das, wozu es in Oeſterreich
dennoch an der Möglichkeit der Ausführung fehlt, in Preußen gedeihen?“
Die Einführung einer „Central-Repräſentation“ in Preußen wäre dem-
nach die „reine Revolution“; ſie müßte die militäriſche Kraft des Staates
zerſtören und den Zerfall des Reichs herbeiführen; ſei doch bereits zwi-
ſchen Belgien und Holland, die ſo viel beſſer zuſammenpaßten als die
preußiſchen Provinzen, in Folge des Repräſentativſyſtems ein gefährliches
Zerwürfniß entſtanden! Darum möge ſich der König mit Provinzial-
ſtänden begnügen — ein Rathſchlag, der unzweifelhaft im Voraus mit
Wittgenſtein verabredet war — und dieſen Ständen lediglich das Recht
der Bitten, der Beſchwerden, der Repartition der direkten Steuern ein-
räumen. Nur im äußerſten Falle, weil es einmal öffentlich verſprochen
ſei, könne in der Zukunft vielleicht noch eine Centraldeputation aus dieſen
Provinzialſtänden einberufen werden, je drei Vertreter aus jeder Provinz
— alſo ein Vereinigter Landtag von einundzwanzig Köpfen, ein würdiges
Seitenſtück zu jenem winzigen Reichsrathe, welchen Metternich kurz zuvor
für ſein Oeſterreich vorgeſchlagen hatte. Aber, ſo fügte er bedeutſam hinzu,
und hierin lag unzweifelhaft ſeine wahre Meinung — „führt dieſe be-
ſchränktere Idee nicht auch zur Revolution? Dieſe Frage erwäge der König
tief bevor er ſich entſcheidet!“

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[489/0503] Metternich gegen die preußiſche Verfaſſung. Aachen, ſagte der öſterreichiſche Staatsmann ſpäterhin, wird man dereinſt die Rettung der preußiſchen Monarchie datiren! Unter Allem was aus Metternichs Feder floß beweiſt die Denk- ſchrift über die preußiſche Verfaſſung wohl am deutlichſten die klägliche Gedankenarmuth dieſes Kopfes, der nur durch ſeine diplomatiſche Schlau- heit, durch die Gunſt des Glücks und durch die Aengſtlichkeit der anderen Höfe dahin gelangen konnte, die Welt während eines Menſchenalters über ſeine Nichtigkeit zu täuſchen. Von der fundamentalen Verſchiedenheit der politiſchen Aufgaben eines nationalen Staates wie Preußen und eines Völkergemiſches wie Oeſterreich begriff er nicht das Mindeſte. Mit der Treuherzigkeit eines beſorgten Freundes, der ſein Schickſal nimmermehr von dem Looſe Preußens trennen wollte, ſetzte er dem Könige ausein- ander, daß die innere Lage der beiden deutſchen Großmächte im Weſent- lichen dieſelbe ſei; beide Monarchien beſtänden aus „unter ſich getrennten Provinzen“. Daß dem nicht ſo war, daß Preußen ſchon längſt eine centraliſirte Verwaltung beſaß, war der Hofburg ganz unbekannt; ſie konnte ſich einen kräftigen Staat nur in der Form loſe verbundener Erblande vorſtellen, und Kaiſer Franz wiederholte gern ſeinen Kern- ſatz: „der Beſtand einer Monarchie aus verſchiedenen Körpern macht ſie eben ſtark.“ Metternich fand „das öſterreichiſche Reich ſelbſt noch mehr als das preußiſche zu einem rein repräſentativen Syſtem geeignet — wenn nicht die Verſchiedenheit unter den Völkern in Rückſicht auf Sprache und Sitte zu bedeutend wäre. Wie könnte das, wozu es in Oeſterreich dennoch an der Möglichkeit der Ausführung fehlt, in Preußen gedeihen?“ Die Einführung einer „Central-Repräſentation“ in Preußen wäre dem- nach die „reine Revolution“; ſie müßte die militäriſche Kraft des Staates zerſtören und den Zerfall des Reichs herbeiführen; ſei doch bereits zwi- ſchen Belgien und Holland, die ſo viel beſſer zuſammenpaßten als die preußiſchen Provinzen, in Folge des Repräſentativſyſtems ein gefährliches Zerwürfniß entſtanden! Darum möge ſich der König mit Provinzial- ſtänden begnügen — ein Rathſchlag, der unzweifelhaft im Voraus mit Wittgenſtein verabredet war — und dieſen Ständen lediglich das Recht der Bitten, der Beſchwerden, der Repartition der direkten Steuern ein- räumen. Nur im äußerſten Falle, weil es einmal öffentlich verſprochen ſei, könne in der Zukunft vielleicht noch eine Centraldeputation aus dieſen Provinzialſtänden einberufen werden, je drei Vertreter aus jeder Provinz — alſo ein Vereinigter Landtag von einundzwanzig Köpfen, ein würdiges Seitenſtück zu jenem winzigen Reichsrathe, welchen Metternich kurz zuvor für ſein Oeſterreich vorgeſchlagen hatte. Aber, ſo fügte er bedeutſam hinzu, und hierin lag unzweifelhaft ſeine wahre Meinung — „führt dieſe be- ſchränktere Idee nicht auch zur Revolution? Dieſe Frage erwäge der König tief bevor er ſich entſcheidet!“

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/503>, abgerufen am 22.11.2024.