den Mißhandelten mit Bitten bestürmt worden, in Aachen liefen noch andere Beschwerden ein. Bernstorff erstattete dem Congresse Bericht; er nannte den schmutzigen Handel einen europäischen Skandal; er verlangte, daß Kurhessen "nach Preußens gutem Beispiel" die gesetzmäßigen Hand- lungen der westphälischen Regierung als rechtsgiltig anerkennen müsse. Er beantragte endlich, zunächst sollten die vier Monarchen dem Kurfürsten seinen Vertragsbruch vorhalten; sei dies vergeblich, dann müßten Preußen und Oesterreich am Bundestage gemeinsam einschreiten. Da England und Rußland beistimmten, so durfte Oesterreich nicht widersprechen. Nun sendete König Friedrich Wilhelm ein scharfes Handschreiben an den Kurfürsten: "wir handeln, sagte er darin, nur kraft einer Pflicht, welche unserem Ge- wissen als gebieterisch erscheint." Aehnlich schrieb Kaiser Franz. Trotz- dem blieb es noch sehr zweifelhaft, ob Oesterreich am Bundestage endlich Ernst zeigen würde, und ganz sicher, daß dieser Kurfürst nur durch Zwang zur Vernunft gebracht werden konnte.*)
Von der unglaublichen Anmaßung der deutschen Kleinfürsten sollte Preußen eben jetzt einen neuen Beweis erhalten. Durch die Wiener Verträge war die Krone Preußen verpflichtet worden, 69,000 "Seelen" von dem vormaligen Saardepartement an Oldenburg, Strelitz, Coburg, Homburg und Pappenheim abzugeben; zugleich hatten die vier Mächte diesen fünf Dynasten ihre guten Dienste zugesagt, um einen Austausch des linksrheinischen Landstrichs oder irgend eine andere Entschädigung, wenn die Umstände es erlaubten, zu ermöglichen. Strelitz und Pappen- heim waren verständig genug gewesen, sich von Preußen mit Geld und Domänen abfinden zu lassen; Oldenburg aber, Coburg und Homburg hatten auf die Vergrößerung ihrer Reiche nicht verzichten wollen und in der That drei Fetzen des Saarlandes mit der vertragsmäßigen Seelen- zahl zugewiesen erhalten. So prangten denn in der reichhaltigen politi- schen Curiositätenkammer des Deutschen Bundes auch die Doppelreiche Oldenburg-Birkenfeld, Coburg-Lichtenberg und Homburg-Meisenheim, drei Staatsgebilde, wie sie die Phantasie eines Tollhäuslers nicht wundersamer ersinnen konnte. Aber der Vertrag war gewissenhaft erfüllt und ein Aus- tausch nicht mehr möglich, weil in ganz Deutschland nirgends mehr ein herrenloser Brocken Landes übrig blieb. Nichtsdestoweniger stellten die Drei an den Aachener Congreß das Ansinnen: die Quadrupelallianz solle den König von Preußen bewegen, daß er ihnen ihre entlegenen Saar- landschaften wieder abnehme und dafür einige bequemer gelegene preußische Gebiete ausliefere. Oldenburg verlangte ein gutes Stück vom preußi- schen Westphalen, Homburg einen Landstrich bei Wetzlar, Coburg einen Theil der Grafschaft Henneberg, und der Wittwer der englischen Kron-
*) Protokoll der 32. Sitzung vom 14. Nov. König Friedrich Wilhelm an Kur- fürst Wilhelm, 14. Nov. Weisung an Hänlein, 20. Nov.
II. 8. Der Aachener Congreß.
den Mißhandelten mit Bitten beſtürmt worden, in Aachen liefen noch andere Beſchwerden ein. Bernſtorff erſtattete dem Congreſſe Bericht; er nannte den ſchmutzigen Handel einen europäiſchen Skandal; er verlangte, daß Kurheſſen „nach Preußens gutem Beiſpiel“ die geſetzmäßigen Hand- lungen der weſtphäliſchen Regierung als rechtsgiltig anerkennen müſſe. Er beantragte endlich, zunächſt ſollten die vier Monarchen dem Kurfürſten ſeinen Vertragsbruch vorhalten; ſei dies vergeblich, dann müßten Preußen und Oeſterreich am Bundestage gemeinſam einſchreiten. Da England und Rußland beiſtimmten, ſo durfte Oeſterreich nicht widerſprechen. Nun ſendete König Friedrich Wilhelm ein ſcharfes Handſchreiben an den Kurfürſten: „wir handeln, ſagte er darin, nur kraft einer Pflicht, welche unſerem Ge- wiſſen als gebieteriſch erſcheint.“ Aehnlich ſchrieb Kaiſer Franz. Trotz- dem blieb es noch ſehr zweifelhaft, ob Oeſterreich am Bundestage endlich Ernſt zeigen würde, und ganz ſicher, daß dieſer Kurfürſt nur durch Zwang zur Vernunft gebracht werden konnte.*)
Von der unglaublichen Anmaßung der deutſchen Kleinfürſten ſollte Preußen eben jetzt einen neuen Beweis erhalten. Durch die Wiener Verträge war die Krone Preußen verpflichtet worden, 69,000 „Seelen“ von dem vormaligen Saardepartement an Oldenburg, Strelitz, Coburg, Homburg und Pappenheim abzugeben; zugleich hatten die vier Mächte dieſen fünf Dynaſten ihre guten Dienſte zugeſagt, um einen Austauſch des linksrheiniſchen Landſtrichs oder irgend eine andere Entſchädigung, wenn die Umſtände es erlaubten, zu ermöglichen. Strelitz und Pappen- heim waren verſtändig genug geweſen, ſich von Preußen mit Geld und Domänen abfinden zu laſſen; Oldenburg aber, Coburg und Homburg hatten auf die Vergrößerung ihrer Reiche nicht verzichten wollen und in der That drei Fetzen des Saarlandes mit der vertragsmäßigen Seelen- zahl zugewieſen erhalten. So prangten denn in der reichhaltigen politi- ſchen Curioſitätenkammer des Deutſchen Bundes auch die Doppelreiche Oldenburg-Birkenfeld, Coburg-Lichtenberg und Homburg-Meiſenheim, drei Staatsgebilde, wie ſie die Phantaſie eines Tollhäuslers nicht wunderſamer erſinnen konnte. Aber der Vertrag war gewiſſenhaft erfüllt und ein Aus- tauſch nicht mehr möglich, weil in ganz Deutſchland nirgends mehr ein herrenloſer Brocken Landes übrig blieb. Nichtsdeſtoweniger ſtellten die Drei an den Aachener Congreß das Anſinnen: die Quadrupelallianz ſolle den König von Preußen bewegen, daß er ihnen ihre entlegenen Saar- landſchaften wieder abnehme und dafür einige bequemer gelegene preußiſche Gebiete ausliefere. Oldenburg verlangte ein gutes Stück vom preußi- ſchen Weſtphalen, Homburg einen Landſtrich bei Wetzlar, Coburg einen Theil der Grafſchaft Henneberg, und der Wittwer der engliſchen Kron-
*) Protokoll der 32. Sitzung vom 14. Nov. König Friedrich Wilhelm an Kur- fürſt Wilhelm, 14. Nov. Weiſung an Hänlein, 20. Nov.
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den Mißhandelten mit Bitten beſtürmt worden, in Aachen liefen noch
andere Beſchwerden ein. Bernſtorff erſtattete dem Congreſſe Bericht; er
nannte den ſchmutzigen Handel einen europäiſchen Skandal; er verlangte,
daß Kurheſſen „nach Preußens gutem Beiſpiel“ die geſetzmäßigen Hand-
lungen der weſtphäliſchen Regierung als rechtsgiltig anerkennen müſſe.
Er beantragte endlich, zunächſt ſollten die vier Monarchen dem Kurfürſten
ſeinen Vertragsbruch vorhalten; ſei dies vergeblich, dann müßten Preußen
und Oeſterreich am Bundestage gemeinſam einſchreiten. Da England und
Rußland beiſtimmten, ſo durfte Oeſterreich nicht widerſprechen. Nun ſendete
König Friedrich Wilhelm ein ſcharfes Handſchreiben an den Kurfürſten:
„wir handeln, ſagte er darin, nur kraft einer Pflicht, welche unſerem Ge-
wiſſen als gebieteriſch erſcheint.“ Aehnlich ſchrieb Kaiſer Franz. Trotz-
dem blieb es noch ſehr zweifelhaft, ob Oeſterreich am Bundestage endlich
Ernſt zeigen würde, und ganz ſicher, daß dieſer Kurfürſt nur durch Zwang
zur Vernunft gebracht werden konnte. *)
Von der unglaublichen Anmaßung der deutſchen Kleinfürſten ſollte
Preußen eben jetzt einen neuen Beweis erhalten. Durch die Wiener
Verträge war die Krone Preußen verpflichtet worden, 69,000 „Seelen“
von dem vormaligen Saardepartement an Oldenburg, Strelitz, Coburg,
Homburg und Pappenheim abzugeben; zugleich hatten die vier Mächte
dieſen fünf Dynaſten ihre guten Dienſte zugeſagt, um einen Austauſch
des linksrheiniſchen Landſtrichs oder irgend eine andere Entſchädigung,
wenn die Umſtände es erlaubten, zu ermöglichen. Strelitz und Pappen-
heim waren verſtändig genug geweſen, ſich von Preußen mit Geld und
Domänen abfinden zu laſſen; Oldenburg aber, Coburg und Homburg
hatten auf die Vergrößerung ihrer Reiche nicht verzichten wollen und in
der That drei Fetzen des Saarlandes mit der vertragsmäßigen Seelen-
zahl zugewieſen erhalten. So prangten denn in der reichhaltigen politi-
ſchen Curioſitätenkammer des Deutſchen Bundes auch die Doppelreiche
Oldenburg-Birkenfeld, Coburg-Lichtenberg und Homburg-Meiſenheim, drei
Staatsgebilde, wie ſie die Phantaſie eines Tollhäuslers nicht wunderſamer
erſinnen konnte. Aber der Vertrag war gewiſſenhaft erfüllt und ein Aus-
tauſch nicht mehr möglich, weil in ganz Deutſchland nirgends mehr ein
herrenloſer Brocken Landes übrig blieb. Nichtsdeſtoweniger ſtellten die
Drei an den Aachener Congreß das Anſinnen: die Quadrupelallianz ſolle
den König von Preußen bewegen, daß er ihnen ihre entlegenen Saar-
landſchaften wieder abnehme und dafür einige bequemer gelegene preußiſche
Gebiete ausliefere. Oldenburg verlangte ein gutes Stück vom preußi-
ſchen Weſtphalen, Homburg einen Landſtrich bei Wetzlar, Coburg einen
Theil der Grafſchaft Henneberg, und der Wittwer der engliſchen Kron-
*) Protokoll der 32. Sitzung vom 14. Nov. König Friedrich Wilhelm an Kur-
fürſt Wilhelm, 14. Nov. Weiſung an Hänlein, 20. Nov.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/494>, abgerufen am 16.07.2024.
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