Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Die Saarlande. Kniphausen. prinzessin, Prinz Leopold von Coburg, einer jener geistreichen Deutschen,welche ihr Volksthum wie einen Mantel zu wechseln verstehen, richtete an Lord Castlereagh die Aufforderung, daß England sich der gerechten Sache "seines armen Bruders" annehmen möge. Diese Zumuthung war doch selbst der Langmuth Hardenbergs zu arg. In einer zornigen Denkschrift sprach er sein Befremden aus: Preußen sei wahrlich schon zerstückelt genug und keineswegs in der Lage, "sich seine Grenzen nach dem Belieben und der Bequemlichkeit seiner Nachbarn verändern und zernagen zu lassen"; seinem Könige errege jede Trennung von treuen Unterthanen, wie den Verbündeten wohl bekannt sei, "religiöse Gewissensbedenken." Selbstver- ständlich wurden die Drei abgewiesen, und das Haus Coburg sollte an den 10,000 Seelen seines Saarlandes Lichtenberg noch viel Herzeleid erleben.*) Inzwischen waren auch dringende Beschwerden der Mediatisirten ein- Nun kam noch jener unglückliche Dynast, welchen der Wiener Congreß *) Hardenbergs Denkschrift über den Art. 50 der Wiener Schlußakte. Protokoll der 27. Sitzung vom 9. Nov. 1818. **) Weisung an die preußischen Gesandten in Stuttgart, Karlsruhe u. s. w., 21. Nov.; Hardenberg an die Fürstin von Taxis, 15. Nov. 1818. Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 31
Die Saarlande. Kniphauſen. prinzeſſin, Prinz Leopold von Coburg, einer jener geiſtreichen Deutſchen,welche ihr Volksthum wie einen Mantel zu wechſeln verſtehen, richtete an Lord Caſtlereagh die Aufforderung, daß England ſich der gerechten Sache „ſeines armen Bruders“ annehmen möge. Dieſe Zumuthung war doch ſelbſt der Langmuth Hardenbergs zu arg. In einer zornigen Denkſchrift ſprach er ſein Befremden aus: Preußen ſei wahrlich ſchon zerſtückelt genug und keineswegs in der Lage, „ſich ſeine Grenzen nach dem Belieben und der Bequemlichkeit ſeiner Nachbarn verändern und zernagen zu laſſen“; ſeinem Könige errege jede Trennung von treuen Unterthanen, wie den Verbündeten wohl bekannt ſei, „religiöſe Gewiſſensbedenken.“ Selbſtver- ſtändlich wurden die Drei abgewieſen, und das Haus Coburg ſollte an den 10,000 Seelen ſeines Saarlandes Lichtenberg noch viel Herzeleid erleben.*) Inzwiſchen waren auch dringende Beſchwerden der Mediatiſirten ein- Nun kam noch jener unglückliche Dynaſt, welchen der Wiener Congreß *) Hardenbergs Denkſchrift über den Art. 50 der Wiener Schlußakte. Protokoll der 27. Sitzung vom 9. Nov. 1818. **) Weiſung an die preußiſchen Geſandten in Stuttgart, Karlsruhe u. ſ. w., 21. Nov.; Hardenberg an die Fürſtin von Taxis, 15. Nov. 1818. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 31
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Die Saarlande. Kniphauſen.
prinzeſſin, Prinz Leopold von Coburg, einer jener geiſtreichen Deutſchen,
welche ihr Volksthum wie einen Mantel zu wechſeln verſtehen, richtete an
Lord Caſtlereagh die Aufforderung, daß England ſich der gerechten Sache
„ſeines armen Bruders“ annehmen möge. Dieſe Zumuthung war doch
ſelbſt der Langmuth Hardenbergs zu arg. In einer zornigen Denkſchrift
ſprach er ſein Befremden aus: Preußen ſei wahrlich ſchon zerſtückelt genug
und keineswegs in der Lage, „ſich ſeine Grenzen nach dem Belieben und
der Bequemlichkeit ſeiner Nachbarn verändern und zernagen zu laſſen“;
ſeinem Könige errege jede Trennung von treuen Unterthanen, wie den
Verbündeten wohl bekannt ſei, „religiöſe Gewiſſensbedenken.“ Selbſtver-
ſtändlich wurden die Drei abgewieſen, und das Haus Coburg ſollte an den
10,000 Seelen ſeines Saarlandes Lichtenberg noch viel Herzeleid erleben. *)
Inzwiſchen waren auch dringende Beſchwerden der Mediatiſirten ein-
gelaufen und Bernſtorff erfuhr jetzt, was es bedeutete, daß Metternich
die Hauptartikel der Deutſchen Bundesakte in die Wiener Schlußakte hatte
einrücken laſſen. Die beiden deutſchen Großmächte konnten dem Vier-
bunde die Einmiſchung in dieſen deutſchen Streit, der mit den europäi-
ſchen Verträgen eng zuſammenhing, nicht gänzlich verbieten, indeß wußten
ſie dieſelbe auf das geringſte Maß zu beſchränken. Man beſchloß, daß
der Vierbund zunächſt die Höfe von Württemberg, Baden und beiden
Heſſen, die ſich beſonders ungerecht betragen hatten, zu einem ehrenhaften
Verhalten gegen die Mediatiſirten ermahnen, das Weitere dem Bundes-
tage überlaſſen ſolle. Auch das Haus Thurn und Taxis, das durchaus
noch ſouverän werden wollte, vertröſtete man auf den Bundestag. **)
Nun kam noch jener unglückliche Dynaſt, welchen der Wiener Congreß
gleich dem Landgrafen von Homburg ſträflich vergeſſen hatte, der Graf von
Bentinck, Herr der freien Herrſchaft Kniphauſen. Homburg hatte ſoeben
durch die Gunſt der beiden Großmächte noch nachträglich das Stimmrecht am
Bundestage erlangt, dem Kniphauſener war es übler ergangen. Er mußte
erleben, daß Oldenburg ſein Land widerrechtlich beſetzte, verbarrikadirte
ſein Schloß, erließ einen wüthenden Proteſt nach dem anderen als im-
mediatus Imperii dynasta und erregte einen Lärm, der einer größeren
Sache würdig war. Unbeſtreitbar lag hier eine europäiſche Frage vor,
da über die Zugehörigkeit Kniphauſens zum Deutſchen Bunde noch nichts
entſchieden war. Die freie Herrſchaft war Jahrhunderte lang reichs-
unmittelbar, wenngleich ohne Reichsſtandſchaft, und ihre Schiffe ſegelten
unter eigener Flagge; ſie war dann eine Zeit lang dem napoleoniſchen Kaiſer-
reiche einverleibt, doch niemals einem deutſchen Staate untergeordnet wor-
den, und der ſtreitluſtige kleine Herr verdiente einige Rückſicht, weil er ſeinen
*) Hardenbergs Denkſchrift über den Art. 50 der Wiener Schlußakte. Protokoll der
27. Sitzung vom 9. Nov. 1818.
**) Weiſung an die preußiſchen Geſandten in Stuttgart, Karlsruhe u. ſ. w.,
21. Nov.; Hardenberg an die Fürſtin von Taxis, 15. Nov. 1818.
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