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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die Kattenkrone.

Unter den mannichfachen Streitfragen, welche der Congreß in wenigen
Wochen angestrengter Arbeit entschied, befanden sich natürlich auch viele
deutsche Angelegenheiten. Manche dieser deutschen Händel gehörten von
Rechtswegen vor das Tribunal des Vierbundes, weil sie in den europäischen
Verträgen der Kriegsjahre ihren Ursprung hatten, manche andere wurden
nur durch die unausrottbare vaterlandslose Gesinnung deutscher Klein-
fürsten vor den Congreß gebracht. Preußen aber und, durch dies Vor-
gehen gezwungen, auch Oesterreich wahrten ehrenhaft die Unabhängig-
keit des Deutschen Bundes; sie gestatteten dem Vierbunde eine Einmischung
in deutsche Streitigkeiten nur dann, wenn sie auf Grund der Verträge
rechtlich unabweisbar war. Gleich zum Beginn erschien ein kurhessischer
Agent um den drei Monarchen eigenhändige Briefe des Kurfürsten zu
überreichen und den Ministern der beiden anderen Großmächte mündlich
mitzutheilen: sein Souverän denke den Namen eines Königs der Katten
anzunehmen, er erbitte sich in Demuth die Anerkennung Europas. Der Kur-
fürst hatte bereits in Kassel den Bau einer Kattenburg begonnen, welche der
neuen Kattenkrone zum Herrschersitze dienen sollte, und hielt die Kosten
dieses riesigen, nie vollendeten Bauwerks vor seinem unglücklichen Länd-
chen sorgfältig geheim. Doch gleichzeitig traf ein geharnischter Protest aus
Darmstadt ein: sollte der Kurfürst den Königstitel erlangen, dann bean-
spruchte sein Vetter für sich die gleiche Würde. Die Mächte wiesen das
Ansinnen kurz und scharf zurück, "da die Bitte S. K. Hoheit durch keinen
irgend genügenden Grund gerechtfertigt sei". Der tief gekränkte Hesse
aber hielt es für schimpflich, dem Vorbilde des verständigen Karl Friedrich
von Baden zu folgen, den jetzt völlig sinnlosen Kurfürstentitel gegen den
großherzoglichen Titel zu vertauschen; er behielt den alten Namen bei und
weil die Deutschen über die verunglückte Kattenkrone nichts erfuhren, so
fanden sich der guten Seelen genug, welche den Kurfürsten darum be-
wunderten, daß er eine so rührende Pietät für die ehrwürdigen Erinne-
rungen des heiligen Reichs zeigte.*)

Die schroffe Form der Abfertigung war durch Preußen veranlaßt,
da König Friedrich Wilhelm sich durch die Mißregierung des Kurfürsten
in seiner persönlichen Ehre verletzt fühlte. Der Kurfürst hatte während
des Krieges sein Land durch einen Vertrag mit den vier Mächten wieder-
geschenkt erhalten, die Verbündeten hatten ihm dabei leider keine förmliche
Verpflichtung auferlegt, aber allesammt als selbstverständlich angenommen,
daß er die Grundsätze des Völkerrechts nicht gradezu mit Füßen treten
würde. Und nun die schändliche Betrügerei gegen die westphälischen Do-
mänenkäufer! Dem Könige war zu Muthe, als ob er für einen Gauner
eine Bürgschaft übernommen hätte; schon unterwegs in Kassel war er von

*) Separat-Protokoll über Kurhessen, 11. Okt. Hardenbergs Weisung an den
Gesandten v. Hänlein in Kassel, 14. Okt. 1818.
Die Kattenkrone.

Unter den mannichfachen Streitfragen, welche der Congreß in wenigen
Wochen angeſtrengter Arbeit entſchied, befanden ſich natürlich auch viele
deutſche Angelegenheiten. Manche dieſer deutſchen Händel gehörten von
Rechtswegen vor das Tribunal des Vierbundes, weil ſie in den europäiſchen
Verträgen der Kriegsjahre ihren Urſprung hatten, manche andere wurden
nur durch die unausrottbare vaterlandsloſe Geſinnung deutſcher Klein-
fürſten vor den Congreß gebracht. Preußen aber und, durch dies Vor-
gehen gezwungen, auch Oeſterreich wahrten ehrenhaft die Unabhängig-
keit des Deutſchen Bundes; ſie geſtatteten dem Vierbunde eine Einmiſchung
in deutſche Streitigkeiten nur dann, wenn ſie auf Grund der Verträge
rechtlich unabweisbar war. Gleich zum Beginn erſchien ein kurheſſiſcher
Agent um den drei Monarchen eigenhändige Briefe des Kurfürſten zu
überreichen und den Miniſtern der beiden anderen Großmächte mündlich
mitzutheilen: ſein Souverän denke den Namen eines Königs der Katten
anzunehmen, er erbitte ſich in Demuth die Anerkennung Europas. Der Kur-
fürſt hatte bereits in Kaſſel den Bau einer Kattenburg begonnen, welche der
neuen Kattenkrone zum Herrſcherſitze dienen ſollte, und hielt die Koſten
dieſes rieſigen, nie vollendeten Bauwerks vor ſeinem unglücklichen Länd-
chen ſorgfältig geheim. Doch gleichzeitig traf ein geharniſchter Proteſt aus
Darmſtadt ein: ſollte der Kurfürſt den Königstitel erlangen, dann bean-
ſpruchte ſein Vetter für ſich die gleiche Würde. Die Mächte wieſen das
Anſinnen kurz und ſcharf zurück, „da die Bitte S. K. Hoheit durch keinen
irgend genügenden Grund gerechtfertigt ſei“. Der tief gekränkte Heſſe
aber hielt es für ſchimpflich, dem Vorbilde des verſtändigen Karl Friedrich
von Baden zu folgen, den jetzt völlig ſinnloſen Kurfürſtentitel gegen den
großherzoglichen Titel zu vertauſchen; er behielt den alten Namen bei und
weil die Deutſchen über die verunglückte Kattenkrone nichts erfuhren, ſo
fanden ſich der guten Seelen genug, welche den Kurfürſten darum be-
wunderten, daß er eine ſo rührende Pietät für die ehrwürdigen Erinne-
rungen des heiligen Reichs zeigte.*)

Die ſchroffe Form der Abfertigung war durch Preußen veranlaßt,
da König Friedrich Wilhelm ſich durch die Mißregierung des Kurfürſten
in ſeiner perſönlichen Ehre verletzt fühlte. Der Kurfürſt hatte während
des Krieges ſein Land durch einen Vertrag mit den vier Mächten wieder-
geſchenkt erhalten, die Verbündeten hatten ihm dabei leider keine förmliche
Verpflichtung auferlegt, aber alleſammt als ſelbſtverſtändlich angenommen,
daß er die Grundſätze des Völkerrechts nicht gradezu mit Füßen treten
würde. Und nun die ſchändliche Betrügerei gegen die weſtphäliſchen Do-
mänenkäufer! Dem Könige war zu Muthe, als ob er für einen Gauner
eine Bürgſchaft übernommen hätte; ſchon unterwegs in Kaſſel war er von

*) Separat-Protokoll über Kurheſſen, 11. Okt. Hardenbergs Weiſung an den
Geſandten v. Hänlein in Kaſſel, 14. Okt. 1818.
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[479/0493] Die Kattenkrone. Unter den mannichfachen Streitfragen, welche der Congreß in wenigen Wochen angeſtrengter Arbeit entſchied, befanden ſich natürlich auch viele deutſche Angelegenheiten. Manche dieſer deutſchen Händel gehörten von Rechtswegen vor das Tribunal des Vierbundes, weil ſie in den europäiſchen Verträgen der Kriegsjahre ihren Urſprung hatten, manche andere wurden nur durch die unausrottbare vaterlandsloſe Geſinnung deutſcher Klein- fürſten vor den Congreß gebracht. Preußen aber und, durch dies Vor- gehen gezwungen, auch Oeſterreich wahrten ehrenhaft die Unabhängig- keit des Deutſchen Bundes; ſie geſtatteten dem Vierbunde eine Einmiſchung in deutſche Streitigkeiten nur dann, wenn ſie auf Grund der Verträge rechtlich unabweisbar war. Gleich zum Beginn erſchien ein kurheſſiſcher Agent um den drei Monarchen eigenhändige Briefe des Kurfürſten zu überreichen und den Miniſtern der beiden anderen Großmächte mündlich mitzutheilen: ſein Souverän denke den Namen eines Königs der Katten anzunehmen, er erbitte ſich in Demuth die Anerkennung Europas. Der Kur- fürſt hatte bereits in Kaſſel den Bau einer Kattenburg begonnen, welche der neuen Kattenkrone zum Herrſcherſitze dienen ſollte, und hielt die Koſten dieſes rieſigen, nie vollendeten Bauwerks vor ſeinem unglücklichen Länd- chen ſorgfältig geheim. Doch gleichzeitig traf ein geharniſchter Proteſt aus Darmſtadt ein: ſollte der Kurfürſt den Königstitel erlangen, dann bean- ſpruchte ſein Vetter für ſich die gleiche Würde. Die Mächte wieſen das Anſinnen kurz und ſcharf zurück, „da die Bitte S. K. Hoheit durch keinen irgend genügenden Grund gerechtfertigt ſei“. Der tief gekränkte Heſſe aber hielt es für ſchimpflich, dem Vorbilde des verſtändigen Karl Friedrich von Baden zu folgen, den jetzt völlig ſinnloſen Kurfürſtentitel gegen den großherzoglichen Titel zu vertauſchen; er behielt den alten Namen bei und weil die Deutſchen über die verunglückte Kattenkrone nichts erfuhren, ſo fanden ſich der guten Seelen genug, welche den Kurfürſten darum be- wunderten, daß er eine ſo rührende Pietät für die ehrwürdigen Erinne- rungen des heiligen Reichs zeigte. *) Die ſchroffe Form der Abfertigung war durch Preußen veranlaßt, da König Friedrich Wilhelm ſich durch die Mißregierung des Kurfürſten in ſeiner perſönlichen Ehre verletzt fühlte. Der Kurfürſt hatte während des Krieges ſein Land durch einen Vertrag mit den vier Mächten wieder- geſchenkt erhalten, die Verbündeten hatten ihm dabei leider keine förmliche Verpflichtung auferlegt, aber alleſammt als ſelbſtverſtändlich angenommen, daß er die Grundſätze des Völkerrechts nicht gradezu mit Füßen treten würde. Und nun die ſchändliche Betrügerei gegen die weſtphäliſchen Do- mänenkäufer! Dem Könige war zu Muthe, als ob er für einen Gauner eine Bürgſchaft übernommen hätte; ſchon unterwegs in Kaſſel war er von *) Separat-Protokoll über Kurheſſen, 11. Okt. Hardenbergs Weiſung an den Geſandten v. Hänlein in Kaſſel, 14. Okt. 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/493>, abgerufen am 22.11.2024.