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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 8. Der Aachener Congreß.
war, diese menschenfreundlichen Grundsätze in seinem Reiche zu verwirk-
lichen, so kam kein Beschluß zu Stande.

Alles in Allem durfte Metternich diesen Congreß als einen großen
Erfolg betrachten. Kein Zweifel mehr, der Czar war bekehrt, und wenn
er noch zuweilen seines eigenen Weges ging, liberale Anwandlungen zeigte
er nicht mehr. Nur Kapodistrias blieb der Hofburg noch verdächtig und
wurde, als er nach dem Congresse Italien bereiste, auf Schritt und Tritt
von der k. k. Polizei bewacht. Auch Richelieu hatte zum Abschied tröst-
liche Zusicherungen gegeben und sogar eine Veränderung des Wahlgesetzes
versprochen; Metternich hoffte das Beste, da er, gleich den meisten der
Zeitgenossen, die Bedeutung der Wahlgesetze weit überschätzte. Aber der
französische Minister konnte sein Wort nicht einlösen. Sein eigener Amts-
genosse Decazes trat ihm entgegen. Es kam zum Bruche. Gegen Weih-
nachten, wenige Wochen nach seinen Aachener Erfolgen, trat Richelieu zurück
und Herzog Decazes bildete ein neues Cabinet, das sich mit den liberalen
Parteien freundlicher zu stellen suchte. Nachdem der erste Schrecken ver-
flogen war, fand sich Metternich rasch in die veränderte Lage, denn auch
der neue Minister mußte wissen, daß er unter dem Schwerte der Quadrupel-
allianz stand und den Independenten nicht zu weit entgegenkommen
durfte. Der Vierbund aber ward durch die Nachrichten aus Paris nur
von Neuem gekräftigt. Czar Alexander, der die erste Kunde auf der
Heimreise in Wien erhielt, eilte sofort zornglühend zu Kaiser Franz, ver-
sprach augenblicklich seine Regimenter auf den Kriegsfuß zu setzen, ließ sich
nur mit Mühe beschwichtigen.*) Die vier Mächte einigten sich, auf Har-
denbergs Rath, zu dem Beschlusse, zwar jede mittelbare oder unmittel-
bare Einmischung in Frankreichs innere Angelegenheiten zu vermeiden,
aber ihren engeren Bund nur um so fester zu schließen; dies sei der
einzige Damm gegen den wüthenden Strom, welcher die Geister in
Frankreich von Neuem fortreiße.**) In solcher Lage war eine revolutio-
näre Schilderhebung nicht wahrscheinlich. Frohlockend verkündete Gentz
seinen Freunden: "die Ruhe der Welt ist auf lange, lange Zeit hinaus
gesichert." Mit übermüthigem Hohne zermalmte er im Oesterreichischen
Beobachter die Schrift des Erzbischofs de Pradt über den Aachener Con-
greß, allerdings ein sehr seichtes Machwerk des schreibseligen Liberalen;
und als die Independenten der Pariser Minerva über die Uneinigkeit der
großen Mächte spotteten, erwiderte er ihnen (Jan. 1819) drohend -- was
dem großen Publikum wie ein Blitz aus heiterem Himmel kam: sie mögen
sich's gesagt sein lassen, die Quadrupelallianz, sofern sie gegen die Revo-
lution gerichtet ist, besteht noch heute!


*) Krusemarks Bericht, Wien 26. Dec. 1818.
**) Ministeralschreiben an Krusemark, 6. März 1819.

II. 8. Der Aachener Congreß.
war, dieſe menſchenfreundlichen Grundſätze in ſeinem Reiche zu verwirk-
lichen, ſo kam kein Beſchluß zu Stande.

Alles in Allem durfte Metternich dieſen Congreß als einen großen
Erfolg betrachten. Kein Zweifel mehr, der Czar war bekehrt, und wenn
er noch zuweilen ſeines eigenen Weges ging, liberale Anwandlungen zeigte
er nicht mehr. Nur Kapodiſtrias blieb der Hofburg noch verdächtig und
wurde, als er nach dem Congreſſe Italien bereiſte, auf Schritt und Tritt
von der k. k. Polizei bewacht. Auch Richelieu hatte zum Abſchied tröſt-
liche Zuſicherungen gegeben und ſogar eine Veränderung des Wahlgeſetzes
verſprochen; Metternich hoffte das Beſte, da er, gleich den meiſten der
Zeitgenoſſen, die Bedeutung der Wahlgeſetze weit überſchätzte. Aber der
franzöſiſche Miniſter konnte ſein Wort nicht einlöſen. Sein eigener Amts-
genoſſe Decazes trat ihm entgegen. Es kam zum Bruche. Gegen Weih-
nachten, wenige Wochen nach ſeinen Aachener Erfolgen, trat Richelieu zurück
und Herzog Decazes bildete ein neues Cabinet, das ſich mit den liberalen
Parteien freundlicher zu ſtellen ſuchte. Nachdem der erſte Schrecken ver-
flogen war, fand ſich Metternich raſch in die veränderte Lage, denn auch
der neue Miniſter mußte wiſſen, daß er unter dem Schwerte der Quadrupel-
allianz ſtand und den Independenten nicht zu weit entgegenkommen
durfte. Der Vierbund aber ward durch die Nachrichten aus Paris nur
von Neuem gekräftigt. Czar Alexander, der die erſte Kunde auf der
Heimreiſe in Wien erhielt, eilte ſofort zornglühend zu Kaiſer Franz, ver-
ſprach augenblicklich ſeine Regimenter auf den Kriegsfuß zu ſetzen, ließ ſich
nur mit Mühe beſchwichtigen.*) Die vier Mächte einigten ſich, auf Har-
denbergs Rath, zu dem Beſchluſſe, zwar jede mittelbare oder unmittel-
bare Einmiſchung in Frankreichs innere Angelegenheiten zu vermeiden,
aber ihren engeren Bund nur um ſo feſter zu ſchließen; dies ſei der
einzige Damm gegen den wüthenden Strom, welcher die Geiſter in
Frankreich von Neuem fortreiße.**) In ſolcher Lage war eine revolutio-
näre Schilderhebung nicht wahrſcheinlich. Frohlockend verkündete Gentz
ſeinen Freunden: „die Ruhe der Welt iſt auf lange, lange Zeit hinaus
geſichert.“ Mit übermüthigem Hohne zermalmte er im Oeſterreichiſchen
Beobachter die Schrift des Erzbiſchofs de Pradt über den Aachener Con-
greß, allerdings ein ſehr ſeichtes Machwerk des ſchreibſeligen Liberalen;
und als die Independenten der Pariſer Minerva über die Uneinigkeit der
großen Mächte ſpotteten, erwiderte er ihnen (Jan. 1819) drohend — was
dem großen Publikum wie ein Blitz aus heiterem Himmel kam: ſie mögen
ſich’s geſagt ſein laſſen, die Quadrupelallianz, ſofern ſie gegen die Revo-
lution gerichtet iſt, beſteht noch heute!


*) Kruſemarks Bericht, Wien 26. Dec. 1818.
**) Miniſteralſchreiben an Kruſemark, 6. März 1819.
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[478/0492] II. 8. Der Aachener Congreß. war, dieſe menſchenfreundlichen Grundſätze in ſeinem Reiche zu verwirk- lichen, ſo kam kein Beſchluß zu Stande. Alles in Allem durfte Metternich dieſen Congreß als einen großen Erfolg betrachten. Kein Zweifel mehr, der Czar war bekehrt, und wenn er noch zuweilen ſeines eigenen Weges ging, liberale Anwandlungen zeigte er nicht mehr. Nur Kapodiſtrias blieb der Hofburg noch verdächtig und wurde, als er nach dem Congreſſe Italien bereiſte, auf Schritt und Tritt von der k. k. Polizei bewacht. Auch Richelieu hatte zum Abſchied tröſt- liche Zuſicherungen gegeben und ſogar eine Veränderung des Wahlgeſetzes verſprochen; Metternich hoffte das Beſte, da er, gleich den meiſten der Zeitgenoſſen, die Bedeutung der Wahlgeſetze weit überſchätzte. Aber der franzöſiſche Miniſter konnte ſein Wort nicht einlöſen. Sein eigener Amts- genoſſe Decazes trat ihm entgegen. Es kam zum Bruche. Gegen Weih- nachten, wenige Wochen nach ſeinen Aachener Erfolgen, trat Richelieu zurück und Herzog Decazes bildete ein neues Cabinet, das ſich mit den liberalen Parteien freundlicher zu ſtellen ſuchte. Nachdem der erſte Schrecken ver- flogen war, fand ſich Metternich raſch in die veränderte Lage, denn auch der neue Miniſter mußte wiſſen, daß er unter dem Schwerte der Quadrupel- allianz ſtand und den Independenten nicht zu weit entgegenkommen durfte. Der Vierbund aber ward durch die Nachrichten aus Paris nur von Neuem gekräftigt. Czar Alexander, der die erſte Kunde auf der Heimreiſe in Wien erhielt, eilte ſofort zornglühend zu Kaiſer Franz, ver- ſprach augenblicklich ſeine Regimenter auf den Kriegsfuß zu ſetzen, ließ ſich nur mit Mühe beſchwichtigen. *) Die vier Mächte einigten ſich, auf Har- denbergs Rath, zu dem Beſchluſſe, zwar jede mittelbare oder unmittel- bare Einmiſchung in Frankreichs innere Angelegenheiten zu vermeiden, aber ihren engeren Bund nur um ſo feſter zu ſchließen; dies ſei der einzige Damm gegen den wüthenden Strom, welcher die Geiſter in Frankreich von Neuem fortreiße. **) In ſolcher Lage war eine revolutio- näre Schilderhebung nicht wahrſcheinlich. Frohlockend verkündete Gentz ſeinen Freunden: „die Ruhe der Welt iſt auf lange, lange Zeit hinaus geſichert.“ Mit übermüthigem Hohne zermalmte er im Oeſterreichiſchen Beobachter die Schrift des Erzbiſchofs de Pradt über den Aachener Con- greß, allerdings ein ſehr ſeichtes Machwerk des ſchreibſeligen Liberalen; und als die Independenten der Pariſer Minerva über die Uneinigkeit der großen Mächte ſpotteten, erwiderte er ihnen (Jan. 1819) drohend — was dem großen Publikum wie ein Blitz aus heiterem Himmel kam: ſie mögen ſich’s geſagt ſein laſſen, die Quadrupelallianz, ſofern ſie gegen die Revo- lution gerichtet iſt, beſteht noch heute! *) Kruſemarks Bericht, Wien 26. Dec. 1818. **) Miniſteralſchreiben an Kruſemark, 6. März 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/492>, abgerufen am 22.11.2024.