Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Dictatur des Vierbunds. der Schulden des früheren dänischen Gesammtstaates übernahm. Hartgenug kam ihm das freilich an. Einmal versuchte er sogar gegen die Tyrannei des Vierbundes zu protestiren und schrieb an Kaiser Franz (7. Jan. 1819) mit gascognischem Wortschwall: "Wahrlich, Sire, müßte man nicht den Abgrund des Unglücks beklagen, in welchen die Völker und die Regierungen zweiten und dritten Ranges stürzen würden, wenn die Macht sich über die geheiligten Grundsätze der Vernunft und der Ge- rechtigkeit erheben und sich befugt glauben wollte an die Stelle des Völkerrechts zu treten, ja sogar nach Belieben einen Gerichtshof für die Streitigkeiten der Nationen zu schaffen, und wenn also ein System ent- stände, so wenig übereinstimmend mit jenen Grundsätzen politischen Frei- sinns, für welche so viel Blut vergossen worden ist, und welche uns vor sechs Jahren gegen den Eroberer vereinigten, der den Plan gefaßt hatte eine souveräne Obermacht über einer allgemeinen und vollständigen Knecht- schaft aufzurichten?!" Metternich aber meinte trocken, das seien müssige Discussionen; und da die vier Mächte als Garanten des Kieler Friedens nur verlangten was Rechtens war, so mußte der Schwede sich beugen.*) Mit dem Fürsten von Monaco machte man noch weniger Umstände; Richelieu erhielt den Auftrag, im Namen der großen Allianz diesen nichtsnutzigen kleinen Despoten nachdrücklich zu christlichem Wandel zu vermahnen.**) So schaltete überall die Dictatur der großen Mächte, schonend in der *) König Friedrich Wilhelm an den König von Schweden, 14. Nov. 1818; König Karl XIV. Johann an Kaiser Franz, 7. Jan. 1819; Krusemarks Bericht, Wien Febr. 1819. **) Protokoll der 42. Sitzung vom 21. Nov. 1818. ***) Russische Denkschrift über Buonaparte (Protokoll d. 31. Sitzung v. 13. Nov. 1818).
Dictatur des Vierbunds. der Schulden des früheren däniſchen Geſammtſtaates übernahm. Hartgenug kam ihm das freilich an. Einmal verſuchte er ſogar gegen die Tyrannei des Vierbundes zu proteſtiren und ſchrieb an Kaiſer Franz (7. Jan. 1819) mit gascogniſchem Wortſchwall: „Wahrlich, Sire, müßte man nicht den Abgrund des Unglücks beklagen, in welchen die Völker und die Regierungen zweiten und dritten Ranges ſtürzen würden, wenn die Macht ſich über die geheiligten Grundſätze der Vernunft und der Ge- rechtigkeit erheben und ſich befugt glauben wollte an die Stelle des Völkerrechts zu treten, ja ſogar nach Belieben einen Gerichtshof für die Streitigkeiten der Nationen zu ſchaffen, und wenn alſo ein Syſtem ent- ſtände, ſo wenig übereinſtimmend mit jenen Grundſätzen politiſchen Frei- ſinns, für welche ſo viel Blut vergoſſen worden iſt, und welche uns vor ſechs Jahren gegen den Eroberer vereinigten, der den Plan gefaßt hatte eine ſouveräne Obermacht über einer allgemeinen und vollſtändigen Knecht- ſchaft aufzurichten?!“ Metternich aber meinte trocken, das ſeien müſſige Discuſſionen; und da die vier Mächte als Garanten des Kieler Friedens nur verlangten was Rechtens war, ſo mußte der Schwede ſich beugen.*) Mit dem Fürſten von Monaco machte man noch weniger Umſtände; Richelieu erhielt den Auftrag, im Namen der großen Allianz dieſen nichtsnutzigen kleinen Despoten nachdrücklich zu chriſtlichem Wandel zu vermahnen.**) So ſchaltete überall die Dictatur der großen Mächte, ſchonend in der *) König Friedrich Wilhelm an den König von Schweden, 14. Nov. 1818; König Karl XIV. Johann an Kaiſer Franz, 7. Jan. 1819; Kruſemarks Bericht, Wien Febr. 1819. **) Protokoll der 42. Sitzung vom 21. Nov. 1818. ***) Ruſſiſche Denkſchrift über Buonaparte (Protokoll d. 31. Sitzung v. 13. Nov. 1818).
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Dictatur des Vierbunds.
der Schulden des früheren däniſchen Geſammtſtaates übernahm. Hart
genug kam ihm das freilich an. Einmal verſuchte er ſogar gegen die
Tyrannei des Vierbundes zu proteſtiren und ſchrieb an Kaiſer Franz
(7. Jan. 1819) mit gascogniſchem Wortſchwall: „Wahrlich, Sire, müßte
man nicht den Abgrund des Unglücks beklagen, in welchen die Völker und
die Regierungen zweiten und dritten Ranges ſtürzen würden, wenn die
Macht ſich über die geheiligten Grundſätze der Vernunft und der Ge-
rechtigkeit erheben und ſich befugt glauben wollte an die Stelle des
Völkerrechts zu treten, ja ſogar nach Belieben einen Gerichtshof für die
Streitigkeiten der Nationen zu ſchaffen, und wenn alſo ein Syſtem ent-
ſtände, ſo wenig übereinſtimmend mit jenen Grundſätzen politiſchen Frei-
ſinns, für welche ſo viel Blut vergoſſen worden iſt, und welche uns vor
ſechs Jahren gegen den Eroberer vereinigten, der den Plan gefaßt hatte
eine ſouveräne Obermacht über einer allgemeinen und vollſtändigen Knecht-
ſchaft aufzurichten?!“ Metternich aber meinte trocken, das ſeien müſſige
Discuſſionen; und da die vier Mächte als Garanten des Kieler Friedens nur
verlangten was Rechtens war, ſo mußte der Schwede ſich beugen. *) Mit
dem Fürſten von Monaco machte man noch weniger Umſtände; Richelieu
erhielt den Auftrag, im Namen der großen Allianz dieſen nichtsnutzigen
kleinen Despoten nachdrücklich zu chriſtlichem Wandel zu vermahnen. **)
So ſchaltete überall die Dictatur der großen Mächte, ſchonend in der
Form und für jetzt noch gerecht und friedfertig in ihren Abſichten, doch
immerhin eine Dictatur, die allen Nichtgenoſſen läſtig ward. Ohne die
kleinen Cabinette einer Anfrage zu würdigen, beſchloß der Congreß eine
neue Rangordnung für die Diplomatie — Botſchafter, Geſandte, Miniſter-
reſidenten, Geſchäftsträger — und die Vorſchrift ward ohne Weiteres von
allen Höfen befolgt. Auch über den gefangenen Imperator ward ver-
handelt, und hierbei zeigten ſich die Miniſter des Czaren unter Allen am
ſchroffſten. Sie verwarfen jede Schonung gegen „das Individuum, in
dem ſich die Macht der Revolution verkörpert habe“, erklärten die Be-
ſchwerden des Gefangenen für „ebenſo falſch als kindiſch“ — was in der
That zutraf —, billigten unbedingt alle Maßregeln Hudſon Lowes und
verlangten die Ausweiſung der Napoleoniden aus gefährlichen Orten,
vornehmlich aus Rom, wo „dieſe Individuen“ nur Unheil ſtifteten. ***) So
weit wollten die anderen Mächte nicht gehen; man erneuerte nur die alte
Abrede ſtrenger polizeilicher Aufſicht gegen die gefährliche Familie. Zu-
letzt traten auch die unvermeidlichen Juden auf den Plan. Rußland
empfahl eine Denkſchrift eines chriſtlichen Geiſtlichen, welche ſich für die
vollſtändige Emancipation ausſprach; doch da der Czar mit nichten geneigt
*) König Friedrich Wilhelm an den König von Schweden, 14. Nov. 1818; König
Karl XIV. Johann an Kaiſer Franz, 7. Jan. 1819; Kruſemarks Bericht, Wien Febr. 1819.
**) Protokoll der 42. Sitzung vom 21. Nov. 1818.
***) Ruſſiſche Denkſchrift über Buonaparte (Protokoll d. 31. Sitzung v. 13. Nov. 1818).
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