kung für den französischen Stolz. Alle Parteien der Opposition lärmten gegen dies Königthum, das sich auf die Bajonette des Auslands stützte; auch die Ultras entsannen sich nicht mehr, wie beweglich sie im Jahre 1815 die verbündeten Monarchen beschworen hatten: "Ihr wollt doch nicht den König allein in der Hand dieser Mörder lassen?" -- und wett- eiferten mit den anderen Parteien in zornigen Klagen wider die Herr- schaft der Fremden.
Ohne die Befreiung des vaterländischen Bodens konnte Richelieu die Politik der Versöhnung, die er mit so viel Klugheit und Selbstver- leugnung begonnen hatte, nicht durchführen; diesen letzten Dienst wollte er seinem Lande noch leisten um dann, des endlosen Parteikampfes müde, zurückzutreten. Wieder und wieder bestürmte er die Gesandtenconferenz der Vier mit seinen Bitten und erinnerte sie daran, daß die Sieger selbst in dem Pariser Vertrage sich die Verkürzung der Besetzungsfrist, falls Frankreich ruhig bliebe, vorbehalten hatten. Im November 1817 ging er noch einen Schritt weiter und verkündete den Kammern bei ihrer Wiedereröffnung, daß bereits Unterhandlungen wegen der Räumung des Gebietes eingeleitet seien. Sämmtliche Parteien empfingen die Nachricht mit einem Sturm patriotischer Freude, und Jedermann fühlte: wenn Richelieu die Erwartungen, die er geweckt, nicht zu befriedigen vermochte, dann war seine gemäßigte Regierung, deren Fortdauer die vier Mächte ebenso lebhaft wünschten wie König Ludwig selber, unrettbar verloren. In der Gesandtenconferenz fanden Richelieus Bitten zunächst nur bei Pozzo di Borgo Gehör; der Corse blieb noch immer der vertraute Rathgeber der Bourbonen und hatte sich in die Anschauungen seines Geburtslandes so gänzlich wieder eingelebt, daß man jetzt zum zweiten male ernstlich daran dachte ihm einen französischen Ministerposten anzubieten. Es fiel ihm nicht schwer, seinen Kaiser, der so gern den hochherzigen Beschützer Frank- reichs spielte, für seine Ansicht zu gewinnen. Unbekümmert um seine Verbündeten ließ der Czar in Paris ermuthigende Zusicherungen geben, und Metternich, der anfangs jede Verkürzung der Besetzungsfrist weit von sich gewiesen hatte, kam schon im Frühjahr 1818 zu der Einsicht, daß alles Widerstreben vergeblich sei. Am 9. April gestand er dem preußi- schen Gesandten, er sehe "den Tod im Herzen" voraus, daß nach den Kammerreden in Paris und dem einseitigen Vorgehen Alexanders die vor- zeitige Räumung doch erfolgen werde.*)
Der Anblick der inneren Zustände Frankreichs konnte den ängstlichen Staatsmann freilich nicht beruhigen. Wenngleich die Herrschaft der Ultras endlich gebrochen war, so währte doch der Kampf der Parteien noch mit der alten maßlosen Gehässigkeit fort, und noch immer hatte nur eine kleine Minderheit der Franzosen den Rechtsboden des neuen constitu-
*) Krusemarks Bericht, 9. April 1818.
Die Räumung Frankreichs.
kung für den franzöſiſchen Stolz. Alle Parteien der Oppoſition lärmten gegen dies Königthum, das ſich auf die Bajonette des Auslands ſtützte; auch die Ultras entſannen ſich nicht mehr, wie beweglich ſie im Jahre 1815 die verbündeten Monarchen beſchworen hatten: „Ihr wollt doch nicht den König allein in der Hand dieſer Mörder laſſen?“ — und wett- eiferten mit den anderen Parteien in zornigen Klagen wider die Herr- ſchaft der Fremden.
Ohne die Befreiung des vaterländiſchen Bodens konnte Richelieu die Politik der Verſöhnung, die er mit ſo viel Klugheit und Selbſtver- leugnung begonnen hatte, nicht durchführen; dieſen letzten Dienſt wollte er ſeinem Lande noch leiſten um dann, des endloſen Parteikampfes müde, zurückzutreten. Wieder und wieder beſtürmte er die Geſandtenconferenz der Vier mit ſeinen Bitten und erinnerte ſie daran, daß die Sieger ſelbſt in dem Pariſer Vertrage ſich die Verkürzung der Beſetzungsfriſt, falls Frankreich ruhig bliebe, vorbehalten hatten. Im November 1817 ging er noch einen Schritt weiter und verkündete den Kammern bei ihrer Wiedereröffnung, daß bereits Unterhandlungen wegen der Räumung des Gebietes eingeleitet ſeien. Sämmtliche Parteien empfingen die Nachricht mit einem Sturm patriotiſcher Freude, und Jedermann fühlte: wenn Richelieu die Erwartungen, die er geweckt, nicht zu befriedigen vermochte, dann war ſeine gemäßigte Regierung, deren Fortdauer die vier Mächte ebenſo lebhaft wünſchten wie König Ludwig ſelber, unrettbar verloren. In der Geſandtenconferenz fanden Richelieus Bitten zunächſt nur bei Pozzo di Borgo Gehör; der Corſe blieb noch immer der vertraute Rathgeber der Bourbonen und hatte ſich in die Anſchauungen ſeines Geburtslandes ſo gänzlich wieder eingelebt, daß man jetzt zum zweiten male ernſtlich daran dachte ihm einen franzöſiſchen Miniſterpoſten anzubieten. Es fiel ihm nicht ſchwer, ſeinen Kaiſer, der ſo gern den hochherzigen Beſchützer Frank- reichs ſpielte, für ſeine Anſicht zu gewinnen. Unbekümmert um ſeine Verbündeten ließ der Czar in Paris ermuthigende Zuſicherungen geben, und Metternich, der anfangs jede Verkürzung der Beſetzungsfriſt weit von ſich gewieſen hatte, kam ſchon im Frühjahr 1818 zu der Einſicht, daß alles Widerſtreben vergeblich ſei. Am 9. April geſtand er dem preußi- ſchen Geſandten, er ſehe „den Tod im Herzen“ voraus, daß nach den Kammerreden in Paris und dem einſeitigen Vorgehen Alexanders die vor- zeitige Räumung doch erfolgen werde.*)
Der Anblick der inneren Zuſtände Frankreichs konnte den ängſtlichen Staatsmann freilich nicht beruhigen. Wenngleich die Herrſchaft der Ultras endlich gebrochen war, ſo währte doch der Kampf der Parteien noch mit der alten maßloſen Gehäſſigkeit fort, und noch immer hatte nur eine kleine Minderheit der Franzoſen den Rechtsboden des neuen conſtitu-
*) Kruſemarks Bericht, 9. April 1818.
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Die Räumung Frankreichs.
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gegen dies Königthum, das ſich auf die Bajonette des Auslands ſtützte;
auch die Ultras entſannen ſich nicht mehr, wie beweglich ſie im Jahre
1815 die verbündeten Monarchen beſchworen hatten: „Ihr wollt doch nicht
den König allein in der Hand dieſer Mörder laſſen?“ — und wett-
eiferten mit den anderen Parteien in zornigen Klagen wider die Herr-
ſchaft der Fremden.
Ohne die Befreiung des vaterländiſchen Bodens konnte Richelieu
die Politik der Verſöhnung, die er mit ſo viel Klugheit und Selbſtver-
leugnung begonnen hatte, nicht durchführen; dieſen letzten Dienſt wollte
er ſeinem Lande noch leiſten um dann, des endloſen Parteikampfes müde,
zurückzutreten. Wieder und wieder beſtürmte er die Geſandtenconferenz
der Vier mit ſeinen Bitten und erinnerte ſie daran, daß die Sieger
ſelbſt in dem Pariſer Vertrage ſich die Verkürzung der Beſetzungsfriſt,
falls Frankreich ruhig bliebe, vorbehalten hatten. Im November 1817
ging er noch einen Schritt weiter und verkündete den Kammern bei ihrer
Wiedereröffnung, daß bereits Unterhandlungen wegen der Räumung des
Gebietes eingeleitet ſeien. Sämmtliche Parteien empfingen die Nachricht mit
einem Sturm patriotiſcher Freude, und Jedermann fühlte: wenn Richelieu
die Erwartungen, die er geweckt, nicht zu befriedigen vermochte, dann
war ſeine gemäßigte Regierung, deren Fortdauer die vier Mächte ebenſo
lebhaft wünſchten wie König Ludwig ſelber, unrettbar verloren. In der
Geſandtenconferenz fanden Richelieus Bitten zunächſt nur bei Pozzo di
Borgo Gehör; der Corſe blieb noch immer der vertraute Rathgeber der
Bourbonen und hatte ſich in die Anſchauungen ſeines Geburtslandes ſo
gänzlich wieder eingelebt, daß man jetzt zum zweiten male ernſtlich daran
dachte ihm einen franzöſiſchen Miniſterpoſten anzubieten. Es fiel ihm
nicht ſchwer, ſeinen Kaiſer, der ſo gern den hochherzigen Beſchützer Frank-
reichs ſpielte, für ſeine Anſicht zu gewinnen. Unbekümmert um ſeine
Verbündeten ließ der Czar in Paris ermuthigende Zuſicherungen geben,
und Metternich, der anfangs jede Verkürzung der Beſetzungsfriſt weit
von ſich gewieſen hatte, kam ſchon im Frühjahr 1818 zu der Einſicht, daß
alles Widerſtreben vergeblich ſei. Am 9. April geſtand er dem preußi-
ſchen Geſandten, er ſehe „den Tod im Herzen“ voraus, daß nach den
Kammerreden in Paris und dem einſeitigen Vorgehen Alexanders die vor-
zeitige Räumung doch erfolgen werde. *)
Der Anblick der inneren Zuſtände Frankreichs konnte den ängſtlichen
Staatsmann freilich nicht beruhigen. Wenngleich die Herrſchaft der Ultras
endlich gebrochen war, ſo währte doch der Kampf der Parteien noch mit
der alten maßloſen Gehäſſigkeit fort, und noch immer hatte nur eine
kleine Minderheit der Franzoſen den Rechtsboden des neuen conſtitu-
*) Kruſemarks Bericht, 9. April 1818.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/459>, abgerufen am 22.11.2024.
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