In ihrem Bundesvertrage vom 20. Nov. 1815 hatten die vier Mächte sich verabredet, von Zeit zu Zeit in persönlichen Zusammenkünften über die Sicherung der Ruhe Europas zu verhandeln, und schon im Frühjahr 1817 schien dem Wiener Hofe der rechte Augenblick für eine solche gemein- same Berathung gekommen zu sein. König Friedrich Wilhelm wider- sprach; er sah voraus, daß eine feierliche Versammlung des Vierbundes alle die Höfe, die an ihr nicht theilnahmen, ebenso lebhaft beunruhigen mußte wie die mißtrauische öffentliche Meinung; wie viel einfacher, wenn er selbst und Kaiser Franz ihren längst versprochenen Besuch in Peters- burg gemeinsam ausführten und dort mit dem Czaren ohne Aufsehen das Nöthige besprächen.*) Metternich aber verblieb bei seiner Meinung, Czar Alexander pflichtete ihm bei, und mittlerweile vollzog sich in Frank- reich ein Umschwung der Meinungen, der eine neue Verständigung der vier Mächte allerdings rathsam machte.
Was die Staatsmänner Preußens auf dem Pariser Congresse vor- ausgesagt, ging in Erfüllung: die Besetzung Frankreichs durch die Truppen der Verbündeten erwies sich mehr und mehr als eine Gefahr für den europäischen Frieden, den sie doch sichern sollte. Wohl war das Besatzungs- heer bereits um ein Fünftel vermindert; die Haltung der Truppen ent- sprach durchgängig dem aufrichtigen Wohlwollen, das die vier Mächte für die hergestellte alte Dynastie hegten; die Preußen bei Bar-le-Duc und Sedan lebten mit ihren Quartierwirthen wie die Kinder vom Hause. Als der Befehlshaber des preußischen Corps, General Zieten sich über die saumselige Verproviantirung der Festungen beschwerte, ermahnte ihn Har- denberg dringend zur Nachsicht: jeder Streit der Verbündeten mit den französischen Behörden komme nur den Ultras zu gute und könne leicht den Bestand der Regierung gefährden.**) Gleichwohl blieb schon die An- wesenheit der fremden Fahnen auf dem heimischen Boden eine schwere Krän-
*) Cabinetsrath Albrecht an Hardenberg, 13. Mai 1817.
**) Hardenberg an Zieten, 22. März 1816.
Achter Abſchnitt. Der Aachener Congreß.
In ihrem Bundesvertrage vom 20. Nov. 1815 hatten die vier Mächte ſich verabredet, von Zeit zu Zeit in perſönlichen Zuſammenkünften über die Sicherung der Ruhe Europas zu verhandeln, und ſchon im Frühjahr 1817 ſchien dem Wiener Hofe der rechte Augenblick für eine ſolche gemein- ſame Berathung gekommen zu ſein. König Friedrich Wilhelm wider- ſprach; er ſah voraus, daß eine feierliche Verſammlung des Vierbundes alle die Höfe, die an ihr nicht theilnahmen, ebenſo lebhaft beunruhigen mußte wie die mißtrauiſche öffentliche Meinung; wie viel einfacher, wenn er ſelbſt und Kaiſer Franz ihren längſt verſprochenen Beſuch in Peters- burg gemeinſam ausführten und dort mit dem Czaren ohne Aufſehen das Nöthige beſprächen.*) Metternich aber verblieb bei ſeiner Meinung, Czar Alexander pflichtete ihm bei, und mittlerweile vollzog ſich in Frank- reich ein Umſchwung der Meinungen, der eine neue Verſtändigung der vier Mächte allerdings rathſam machte.
Was die Staatsmänner Preußens auf dem Pariſer Congreſſe vor- ausgeſagt, ging in Erfüllung: die Beſetzung Frankreichs durch die Truppen der Verbündeten erwies ſich mehr und mehr als eine Gefahr für den europäiſchen Frieden, den ſie doch ſichern ſollte. Wohl war das Beſatzungs- heer bereits um ein Fünftel vermindert; die Haltung der Truppen ent- ſprach durchgängig dem aufrichtigen Wohlwollen, das die vier Mächte für die hergeſtellte alte Dynaſtie hegten; die Preußen bei Bar-le-Duc und Sedan lebten mit ihren Quartierwirthen wie die Kinder vom Hauſe. Als der Befehlshaber des preußiſchen Corps, General Zieten ſich über die ſaumſelige Verproviantirung der Feſtungen beſchwerte, ermahnte ihn Har- denberg dringend zur Nachſicht: jeder Streit der Verbündeten mit den franzöſiſchen Behörden komme nur den Ultras zu gute und könne leicht den Beſtand der Regierung gefährden.**) Gleichwohl blieb ſchon die An- weſenheit der fremden Fahnen auf dem heimiſchen Boden eine ſchwere Krän-
*) Cabinetsrath Albrecht an Hardenberg, 13. Mai 1817.
**) Hardenberg an Zieten, 22. März 1816.
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Achter Abſchnitt.
Der Aachener Congreß.
In ihrem Bundesvertrage vom 20. Nov. 1815 hatten die vier Mächte
ſich verabredet, von Zeit zu Zeit in perſönlichen Zuſammenkünften über
die Sicherung der Ruhe Europas zu verhandeln, und ſchon im Frühjahr
1817 ſchien dem Wiener Hofe der rechte Augenblick für eine ſolche gemein-
ſame Berathung gekommen zu ſein. König Friedrich Wilhelm wider-
ſprach; er ſah voraus, daß eine feierliche Verſammlung des Vierbundes
alle die Höfe, die an ihr nicht theilnahmen, ebenſo lebhaft beunruhigen
mußte wie die mißtrauiſche öffentliche Meinung; wie viel einfacher, wenn
er ſelbſt und Kaiſer Franz ihren längſt verſprochenen Beſuch in Peters-
burg gemeinſam ausführten und dort mit dem Czaren ohne Aufſehen
das Nöthige beſprächen. *) Metternich aber verblieb bei ſeiner Meinung,
Czar Alexander pflichtete ihm bei, und mittlerweile vollzog ſich in Frank-
reich ein Umſchwung der Meinungen, der eine neue Verſtändigung der
vier Mächte allerdings rathſam machte.
Was die Staatsmänner Preußens auf dem Pariſer Congreſſe vor-
ausgeſagt, ging in Erfüllung: die Beſetzung Frankreichs durch die Truppen
der Verbündeten erwies ſich mehr und mehr als eine Gefahr für den
europäiſchen Frieden, den ſie doch ſichern ſollte. Wohl war das Beſatzungs-
heer bereits um ein Fünftel vermindert; die Haltung der Truppen ent-
ſprach durchgängig dem aufrichtigen Wohlwollen, das die vier Mächte für
die hergeſtellte alte Dynaſtie hegten; die Preußen bei Bar-le-Duc und
Sedan lebten mit ihren Quartierwirthen wie die Kinder vom Hauſe. Als
der Befehlshaber des preußiſchen Corps, General Zieten ſich über die
ſaumſelige Verproviantirung der Feſtungen beſchwerte, ermahnte ihn Har-
denberg dringend zur Nachſicht: jeder Streit der Verbündeten mit den
franzöſiſchen Behörden komme nur den Ultras zu gute und könne leicht
den Beſtand der Regierung gefährden. **) Gleichwohl blieb ſchon die An-
weſenheit der fremden Fahnen auf dem heimiſchen Boden eine ſchwere Krän-
*) Cabinetsrath Albrecht an Hardenberg, 13. Mai 1817.
**) Hardenberg an Zieten, 22. März 1816.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. [444]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/458>, abgerufen am 22.11.2024.
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