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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 8. Der Aachener Congreß.
tionellen Königthums ehrlich anerkannt. Ja wohl, sagte ein Heißsporn
der Ultras, Matthieu de Montmorency zu einem Liberalen, Ihr liebt
die Legitimität ebenso wie wir die Charte lieben! Mit jeder Waffe be-
kämpfte Graf Artois die besonnene Politik seines königlichen Bruders;
Vitrolles, einer der Vertrauten des Pavillon Marsan, sendete im Mai
1818 zum dritten male eine geheime Denkschrift an die vier Mächte und
beschwor sie, durch den Sturz des Ministeriums Richelieu die Revolution
abzuwenden. Voll blinden Hasses gegen die gemäßigte Regierung trugen
die Ultras kein Bedenken, sich gelegentlich selbst mit den Bonapartisten und
den Radikalen zu verbinden. An der Mittelpartei der Doktrinäre fand das
Cabinet auch keine Stütze, obwohl sie die Versöhnung von "Erblichkeit
und Freiheit" auf ihr Banner geschrieben hatte; nach der unfehlbaren
Theorie der Nachfolger Montesquieus sollte ja das Mißtrauen gegen die
Regierung die belebende Kraft jedes freien Staates sein, und nichts er-
schien schimpflicher als der Name einer ministeriellen Partei. Im Volke
wurden unheimliche Gerüchte von der bevorstehenden Herstellung der
Zünfte, der Zehnten und Frohnden umhergetragen; die Käufer der Natio-
nalgüter fühlten sich ihrer Habe nicht sicher, da die Emigranten stürmisch
ihren Familienbesitz zurückforderten und über ihre Entschädigung noch nichts
beschlossen war. Dazu das unterirdische Treiben der geheimen Gesellschaften
und der täglich wachsende Zauber der napoleonischen Legende. Rasch nach
einander kehrten drei der Getreuen von St. Helena, O'Meara, Las Cases
und Gourgaud nach Europa zurück. Las Cases verweilte lange in Deutsch-
land und begann mit den Beauharnais einen verdächtigen Verkehr, der
für Jedermann offenkundig war, nur nicht für die bonapartistische Mün-
chener Polizei. Dann erschienen die ersten Bände jener Memoirenliteratur,
welche die Rückkehr der Napoleons vorbereiten sollte, ungeheuerliche Lügen,
gigantisch wie der Mann, dem sie galten; und mit Entsetzen vernahm
Frankreich die Schauergeschichten von den namenlosen Leiden des Ge-
fangenen, dem in Wahrheit nichts fehlte als die Freiheit, von der teuf-
lischen Grausamkeit seines Wächters, des Gouverneurs Hudson Lowe, der
in Wahrheit nur etwas pedantisch, aber ehrenhaft seine Soldatenpflicht
erfüllte.

Seit Handel und Wandel sich wieder erholten, waren die Opfer
und die Gräuel der Kriegszeit bald vergessen; der Anblick der fremden
Bajonette rief die Erinnerung an die Glorie der kaiserlichen Adler wach.
Neben der thörichten Hoffart des heimgekehrten alten Adels erschien der
gekrönte Plebejer wie ein demokratischer Held, und jetzt erfuhr man aus
den rührenden Gesprächen von der Felseninsel, wie inbrünstig er sein
Frankreich geliebt und wie er der Nation auch die Freiheit hatte schenken
wollen, wenn nur nicht die Feindseligkeit boshafter Nachbarn dem Fried-
fertigen immer wieder das Schwert in die Hand gezwungen hätte. Unter-
dessen warf Beranger seine feurigen Kaiserlieder unter das Volk, und es

II. 8. Der Aachener Congreß.
tionellen Königthums ehrlich anerkannt. Ja wohl, ſagte ein Heißſporn
der Ultras, Matthieu de Montmorency zu einem Liberalen, Ihr liebt
die Legitimität ebenſo wie wir die Charte lieben! Mit jeder Waffe be-
kämpfte Graf Artois die beſonnene Politik ſeines königlichen Bruders;
Vitrolles, einer der Vertrauten des Pavillon Marſan, ſendete im Mai
1818 zum dritten male eine geheime Denkſchrift an die vier Mächte und
beſchwor ſie, durch den Sturz des Miniſteriums Richelieu die Revolution
abzuwenden. Voll blinden Haſſes gegen die gemäßigte Regierung trugen
die Ultras kein Bedenken, ſich gelegentlich ſelbſt mit den Bonapartiſten und
den Radikalen zu verbinden. An der Mittelpartei der Doktrinäre fand das
Cabinet auch keine Stütze, obwohl ſie die Verſöhnung von „Erblichkeit
und Freiheit“ auf ihr Banner geſchrieben hatte; nach der unfehlbaren
Theorie der Nachfolger Montesquieus ſollte ja das Mißtrauen gegen die
Regierung die belebende Kraft jedes freien Staates ſein, und nichts er-
ſchien ſchimpflicher als der Name einer miniſteriellen Partei. Im Volke
wurden unheimliche Gerüchte von der bevorſtehenden Herſtellung der
Zünfte, der Zehnten und Frohnden umhergetragen; die Käufer der Natio-
nalgüter fühlten ſich ihrer Habe nicht ſicher, da die Emigranten ſtürmiſch
ihren Familienbeſitz zurückforderten und über ihre Entſchädigung noch nichts
beſchloſſen war. Dazu das unterirdiſche Treiben der geheimen Geſellſchaften
und der täglich wachſende Zauber der napoleoniſchen Legende. Raſch nach
einander kehrten drei der Getreuen von St. Helena, O’Meara, Las Caſes
und Gourgaud nach Europa zurück. Las Caſes verweilte lange in Deutſch-
land und begann mit den Beauharnais einen verdächtigen Verkehr, der
für Jedermann offenkundig war, nur nicht für die bonapartiſtiſche Mün-
chener Polizei. Dann erſchienen die erſten Bände jener Memoirenliteratur,
welche die Rückkehr der Napoleons vorbereiten ſollte, ungeheuerliche Lügen,
gigantiſch wie der Mann, dem ſie galten; und mit Entſetzen vernahm
Frankreich die Schauergeſchichten von den namenloſen Leiden des Ge-
fangenen, dem in Wahrheit nichts fehlte als die Freiheit, von der teuf-
liſchen Grauſamkeit ſeines Wächters, des Gouverneurs Hudſon Lowe, der
in Wahrheit nur etwas pedantiſch, aber ehrenhaft ſeine Soldatenpflicht
erfüllte.

Seit Handel und Wandel ſich wieder erholten, waren die Opfer
und die Gräuel der Kriegszeit bald vergeſſen; der Anblick der fremden
Bajonette rief die Erinnerung an die Glorie der kaiſerlichen Adler wach.
Neben der thörichten Hoffart des heimgekehrten alten Adels erſchien der
gekrönte Plebejer wie ein demokratiſcher Held, und jetzt erfuhr man aus
den rührenden Geſprächen von der Felſeninſel, wie inbrünſtig er ſein
Frankreich geliebt und wie er der Nation auch die Freiheit hatte ſchenken
wollen, wenn nur nicht die Feindſeligkeit boshafter Nachbarn dem Fried-
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deſſen warf Beranger ſeine feurigen Kaiſerlieder unter das Volk, und es

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[446/0460] II. 8. Der Aachener Congreß. tionellen Königthums ehrlich anerkannt. Ja wohl, ſagte ein Heißſporn der Ultras, Matthieu de Montmorency zu einem Liberalen, Ihr liebt die Legitimität ebenſo wie wir die Charte lieben! Mit jeder Waffe be- kämpfte Graf Artois die beſonnene Politik ſeines königlichen Bruders; Vitrolles, einer der Vertrauten des Pavillon Marſan, ſendete im Mai 1818 zum dritten male eine geheime Denkſchrift an die vier Mächte und beſchwor ſie, durch den Sturz des Miniſteriums Richelieu die Revolution abzuwenden. Voll blinden Haſſes gegen die gemäßigte Regierung trugen die Ultras kein Bedenken, ſich gelegentlich ſelbſt mit den Bonapartiſten und den Radikalen zu verbinden. An der Mittelpartei der Doktrinäre fand das Cabinet auch keine Stütze, obwohl ſie die Verſöhnung von „Erblichkeit und Freiheit“ auf ihr Banner geſchrieben hatte; nach der unfehlbaren Theorie der Nachfolger Montesquieus ſollte ja das Mißtrauen gegen die Regierung die belebende Kraft jedes freien Staates ſein, und nichts er- ſchien ſchimpflicher als der Name einer miniſteriellen Partei. Im Volke wurden unheimliche Gerüchte von der bevorſtehenden Herſtellung der Zünfte, der Zehnten und Frohnden umhergetragen; die Käufer der Natio- nalgüter fühlten ſich ihrer Habe nicht ſicher, da die Emigranten ſtürmiſch ihren Familienbeſitz zurückforderten und über ihre Entſchädigung noch nichts beſchloſſen war. Dazu das unterirdiſche Treiben der geheimen Geſellſchaften und der täglich wachſende Zauber der napoleoniſchen Legende. Raſch nach einander kehrten drei der Getreuen von St. Helena, O’Meara, Las Caſes und Gourgaud nach Europa zurück. Las Caſes verweilte lange in Deutſch- land und begann mit den Beauharnais einen verdächtigen Verkehr, der für Jedermann offenkundig war, nur nicht für die bonapartiſtiſche Mün- chener Polizei. Dann erſchienen die erſten Bände jener Memoirenliteratur, welche die Rückkehr der Napoleons vorbereiten ſollte, ungeheuerliche Lügen, gigantiſch wie der Mann, dem ſie galten; und mit Entſetzen vernahm Frankreich die Schauergeſchichten von den namenloſen Leiden des Ge- fangenen, dem in Wahrheit nichts fehlte als die Freiheit, von der teuf- liſchen Grauſamkeit ſeines Wächters, des Gouverneurs Hudſon Lowe, der in Wahrheit nur etwas pedantiſch, aber ehrenhaft ſeine Soldatenpflicht erfüllte. Seit Handel und Wandel ſich wieder erholten, waren die Opfer und die Gräuel der Kriegszeit bald vergeſſen; der Anblick der fremden Bajonette rief die Erinnerung an die Glorie der kaiſerlichen Adler wach. Neben der thörichten Hoffart des heimgekehrten alten Adels erſchien der gekrönte Plebejer wie ein demokratiſcher Held, und jetzt erfuhr man aus den rührenden Geſprächen von der Felſeninſel, wie inbrünſtig er ſein Frankreich geliebt und wie er der Nation auch die Freiheit hatte ſchenken wollen, wenn nur nicht die Feindſeligkeit boshafter Nachbarn dem Fried- fertigen immer wieder das Schwert in die Hand gezwungen hätte. Unter- deſſen warf Beranger ſeine feurigen Kaiſerlieder unter das Volk, und es

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/460>, abgerufen am 22.11.2024.