Auf die Stimmung der Studenten wirkte die Aengstlichkeit der Ca- binette sehr schädlich ein: die Burschen meinten auf der Höhe der Weltgeschichte zu stehen, seit alle Großmächte des Festlandes wider sie auf- traten. Die demokratischen Ideen, die bisher unter der Decke der christ- lich-germanischen Phantasterei geschlummert hatten, traten jetzt keck hervor; neben Körners Liedern ward schon die vom alten Voß verdeutschte Mar- seillaise häufig gesungen:
Wir nah'n, wir nah'n! Beb', Miethlingsschwarm, Entfliehe oder stirb! --
und Niemand fragte mehr, welchem Volke denn dieser "Miethlingsschwarm" Rouget de Lisle's angehört hatte. Die radikale Partei der "Altdeutschen" sonderte sich allmählich schärfer von der unschuldigen Masse der Burschen ab. Während diese, des ewigen politischen Geschwätzes müde, sich in Lichten- hain ein lustiges Bierherzogthum einrichtete, saßen jene "ruhigen republi- kanischen Staatsmänner", wie Arnold Ruge sie nennt, in ihrer Republik Ziegenhain feierlich beisammen und untersuchten in pathetischen Reden, ob die Einheit Deutschlands besser durch Ermordung oder durch friedliche Mediatisirung der Fürsten zu erreichen sei. Ein neues Lied "Dreißig oder dreiunddreißig, gleichviel!" -- sprach sich sehr aufrichtig für den ersteren Weg aus, doch gab es auch noch einzelne sanfte Naturen, welche dem König von Preußen ein Gnadengeld von 300 Thlr. jährlich vergönnen wollten. Die Thorheit begann doch recht zuchtlos zu werden; und wie die Umgangsformen dieser turnenden Jugend sich verfeinerten, das bekam der unschuldige Fries einst zu spüren, als ihm einer seiner Studenten schrieb: "Ich denke, ich schreibe künftig nicht mehr an den Hofrath Fries, sondern ich schreibe an Dich meinen älteren Freund Fries, und Du schreibst an Deinen treuen Schüler D ... Nun sieh, Du alter braver Kerl, wir sind jüngere Leute, und uns ist ein besseres Leben aufgegangen als Dir in Deiner Jugend."
Bald nach dem Wartburgfeste goß ein häßlicher literarischer Zank abermals Oel ins Feuer. Seit Langem war Kotzebue den Burschen ein Dorn im Auge; sie haßten die weichliche Lüsternheit seiner Dramen und fürchteten ihn als einen gewandten Widersacher. In seinem Literarischen Wochenblatte, das sich der besonderen Gunst Metternichs erfreute, vertrat er die Anschauungen des aufgeklärten Absolutismus, feierte Rußlands Ruhm mit unterthäniger Schmeichelei und bekämpfte den Idealismus der Jugend, wie Alles was über den platten Verstand hinausging, so hämisch und boshaft, daß selbst Goethe ihm das Feuergericht auf der Wartburg von Herzen gönnte und ihm zurief:
Du hast es lange genug getrieben, Niederträchtig vom Hohen geschrieben. Daß Du Dein eigenes Volk gescholten, Die Jugend hat es Dir vergolten.
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 28
Luden und Kotzebue.
Auf die Stimmung der Studenten wirkte die Aengſtlichkeit der Ca- binette ſehr ſchädlich ein: die Burſchen meinten auf der Höhe der Weltgeſchichte zu ſtehen, ſeit alle Großmächte des Feſtlandes wider ſie auf- traten. Die demokratiſchen Ideen, die bisher unter der Decke der chriſt- lich-germaniſchen Phantaſterei geſchlummert hatten, traten jetzt keck hervor; neben Körners Liedern ward ſchon die vom alten Voß verdeutſchte Mar- ſeillaiſe häufig geſungen:
Wir nah’n, wir nah’n! Beb’, Miethlingsſchwarm, Entfliehe oder ſtirb! —
und Niemand fragte mehr, welchem Volke denn dieſer „Miethlingsſchwarm“ Rouget de Lisle’s angehört hatte. Die radikale Partei der „Altdeutſchen“ ſonderte ſich allmählich ſchärfer von der unſchuldigen Maſſe der Burſchen ab. Während dieſe, des ewigen politiſchen Geſchwätzes müde, ſich in Lichten- hain ein luſtiges Bierherzogthum einrichtete, ſaßen jene „ruhigen republi- kaniſchen Staatsmänner“, wie Arnold Ruge ſie nennt, in ihrer Republik Ziegenhain feierlich beiſammen und unterſuchten in pathetiſchen Reden, ob die Einheit Deutſchlands beſſer durch Ermordung oder durch friedliche Mediatiſirung der Fürſten zu erreichen ſei. Ein neues Lied „Dreißig oder dreiunddreißig, gleichviel!“ — ſprach ſich ſehr aufrichtig für den erſteren Weg aus, doch gab es auch noch einzelne ſanfte Naturen, welche dem König von Preußen ein Gnadengeld von 300 Thlr. jährlich vergönnen wollten. Die Thorheit begann doch recht zuchtlos zu werden; und wie die Umgangsformen dieſer turnenden Jugend ſich verfeinerten, das bekam der unſchuldige Fries einſt zu ſpüren, als ihm einer ſeiner Studenten ſchrieb: „Ich denke, ich ſchreibe künftig nicht mehr an den Hofrath Fries, ſondern ich ſchreibe an Dich meinen älteren Freund Fries, und Du ſchreibſt an Deinen treuen Schüler D … Nun ſieh, Du alter braver Kerl, wir ſind jüngere Leute, und uns iſt ein beſſeres Leben aufgegangen als Dir in Deiner Jugend.“
Bald nach dem Wartburgfeſte goß ein häßlicher literariſcher Zank abermals Oel ins Feuer. Seit Langem war Kotzebue den Burſchen ein Dorn im Auge; ſie haßten die weichliche Lüſternheit ſeiner Dramen und fürchteten ihn als einen gewandten Widerſacher. In ſeinem Literariſchen Wochenblatte, das ſich der beſonderen Gunſt Metternichs erfreute, vertrat er die Anſchauungen des aufgeklärten Abſolutismus, feierte Rußlands Ruhm mit unterthäniger Schmeichelei und bekämpfte den Idealismus der Jugend, wie Alles was über den platten Verſtand hinausging, ſo hämiſch und boshaft, daß ſelbſt Goethe ihm das Feuergericht auf der Wartburg von Herzen gönnte und ihm zurief:
Du haſt es lange genug getrieben, Niederträchtig vom Hohen geſchrieben. Daß Du Dein eigenes Volk geſcholten, Die Jugend hat es Dir vergolten.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 28
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Luden und Kotzebue.
Auf die Stimmung der Studenten wirkte die Aengſtlichkeit der Ca-
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Weltgeſchichte zu ſtehen, ſeit alle Großmächte des Feſtlandes wider ſie auf-
traten. Die demokratiſchen Ideen, die bisher unter der Decke der chriſt-
lich-germaniſchen Phantaſterei geſchlummert hatten, traten jetzt keck hervor;
neben Körners Liedern ward ſchon die vom alten Voß verdeutſchte Mar-
ſeillaiſe häufig geſungen:
Wir nah’n, wir nah’n! Beb’, Miethlingsſchwarm,
Entfliehe oder ſtirb! —
und Niemand fragte mehr, welchem Volke denn dieſer „Miethlingsſchwarm“
Rouget de Lisle’s angehört hatte. Die radikale Partei der „Altdeutſchen“
ſonderte ſich allmählich ſchärfer von der unſchuldigen Maſſe der Burſchen
ab. Während dieſe, des ewigen politiſchen Geſchwätzes müde, ſich in Lichten-
hain ein luſtiges Bierherzogthum einrichtete, ſaßen jene „ruhigen republi-
kaniſchen Staatsmänner“, wie Arnold Ruge ſie nennt, in ihrer Republik
Ziegenhain feierlich beiſammen und unterſuchten in pathetiſchen Reden,
ob die Einheit Deutſchlands beſſer durch Ermordung oder durch friedliche
Mediatiſirung der Fürſten zu erreichen ſei. Ein neues Lied „Dreißig oder
dreiunddreißig, gleichviel!“ — ſprach ſich ſehr aufrichtig für den erſteren
Weg aus, doch gab es auch noch einzelne ſanfte Naturen, welche dem
König von Preußen ein Gnadengeld von 300 Thlr. jährlich vergönnen
wollten. Die Thorheit begann doch recht zuchtlos zu werden; und wie die
Umgangsformen dieſer turnenden Jugend ſich verfeinerten, das bekam der
unſchuldige Fries einſt zu ſpüren, als ihm einer ſeiner Studenten ſchrieb:
„Ich denke, ich ſchreibe künftig nicht mehr an den Hofrath Fries, ſondern
ich ſchreibe an Dich meinen älteren Freund Fries, und Du ſchreibſt an
Deinen treuen Schüler D … Nun ſieh, Du alter braver Kerl, wir
ſind jüngere Leute, und uns iſt ein beſſeres Leben aufgegangen als Dir
in Deiner Jugend.“
Bald nach dem Wartburgfeſte goß ein häßlicher literariſcher Zank
abermals Oel ins Feuer. Seit Langem war Kotzebue den Burſchen ein
Dorn im Auge; ſie haßten die weichliche Lüſternheit ſeiner Dramen und
fürchteten ihn als einen gewandten Widerſacher. In ſeinem Literariſchen
Wochenblatte, das ſich der beſonderen Gunſt Metternichs erfreute, vertrat
er die Anſchauungen des aufgeklärten Abſolutismus, feierte Rußlands
Ruhm mit unterthäniger Schmeichelei und bekämpfte den Idealismus der
Jugend, wie Alles was über den platten Verſtand hinausging, ſo hämiſch
und boshaft, daß ſelbſt Goethe ihm das Feuergericht auf der Wartburg
von Herzen gönnte und ihm zurief:
Du haſt es lange genug getrieben,
Niederträchtig vom Hohen geſchrieben.
Daß Du Dein eigenes Volk geſcholten,
Die Jugend hat es Dir vergolten.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 28
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/447>, abgerufen am 25.11.2024.
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