Gedanken auf, und die ehrwürdige Albertina blieb erhalten, eine be- scheidene aber fruchtbare Bildungsstätte für das Oberland, noch immer ein Brunnen des Lebens, wie es ihr Stifter Erzherzog Albrecht ihr einst gewünscht hatte. --
Mittlerweile ward das geplagte Land auch durch kirchliche Wirren heimgesucht: durch einen Streit mit der Curie, der für die deutsche Kirchen- politik fast ebenso folgenreich werden sollte wie der Kampf um das bairische Concordat, denn er vollendete die Niederlage der nationalkirchlichen Bestre- bungen. Seit Jahren verwaltete Heinrich von Wessenberg als Generalvicar das Bisthum Constanz. Geistliche und Laien rühmten seine Milde, seine ge- wissenhafte Thätigkeit, die apostolische Reinheit seines Wandels und nahmen aus der Hand des allbeliebten Oberhirten willig einige Neuerungen hin, welche der josephinischen Aufklärung des Oberlandes entsprachen, aber mit der strengen Einheit der römischen Kirche sich kaum noch vertrugen. Wessen- berg führte deutsche Andachtsbücher in den Gemeinden ein, ließ die Bibel, die er gern das Buch der befreiten Menschheit nannte, in deutscher Ueber- setzung unter seiner Heerde verbreiten; er verminderte die Ueberzahl der Feiertage und gestattete die Einsegnung gemischter Ehen, wenn nur die Kinder nach dem Geschlechte zwischen beiden Bekenntnissen getheilt würden. Beim Gottesdienst suchte er die Formenschönheit des katholischen Cultus mit der eindringlichen Lehre der Protestanten zu verbinden; noch heute erzählen die alten Leute am Bodensee gern, wie erbaulich es damals in der Kirche gewesen, da die Predigt noch neben dem Meßopfer zur vollen Geltung kam. Sein Meersburger Priesterseminar gab den jungen Geist- lichen tüchtigen wissenschaftlichen Unterricht und erzog sie in den Grund- sätzen einer friedfertigen, weitherzigen Duldung, welche freilich zuweilen zu unkirchlicher Verschwommenheit führte. Nicht lange, so begann die kleine clericale Partei des Bisthums sich über den ketzerischen Neuerer in Rom zu beschweren; die Curie sprach ihm mehrmals ihr Mißfallen aus, der Nuntius in Luzern lebte mit ihm in offener Fehde.
Er aber ahnte nicht, daß die grandiose Consequenz der römischen Kirche dem Christen nur die Wahl läßt zwischen der Unterwerfung und dem Abfall; er wähnte den Mahnungen des Papstes widerstehen und doch ein katholischer Kirchenfürst bleiben zu können. Dieser frommen, liebreichen Natur war es nicht gegeben, die großen Gegensätze des kirchlichen Lebens in ihrer unerbittlichen Schärfe zu erkennen. Durch eifriges Lesen und im Verkehre mit den gelehrten Prälaten der alten Zeit erwarb er sich eine Fülle mannichfaltiger Kenntnisse und gelangte doch nicht über den wissenschaftlichen Dilettantismus hinaus. Die zahlreichen poetischen, philo- sophischen, politischen und kirchengeschichtlichen Schriften, die er zur Er- bauung "christlich gesinnter Menschenfreunde" herausgab, verliefen zuletzt allesammt in wohlgemeinten moralischen Betrachtungen; ganz flach wurden sie niemals, aber auch niemals tief, mächtig, eigenthümlich; keines seiner
II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
Gedanken auf, und die ehrwürdige Albertina blieb erhalten, eine be- ſcheidene aber fruchtbare Bildungsſtätte für das Oberland, noch immer ein Brunnen des Lebens, wie es ihr Stifter Erzherzog Albrecht ihr einſt gewünſcht hatte. —
Mittlerweile ward das geplagte Land auch durch kirchliche Wirren heimgeſucht: durch einen Streit mit der Curie, der für die deutſche Kirchen- politik faſt ebenſo folgenreich werden ſollte wie der Kampf um das bairiſche Concordat, denn er vollendete die Niederlage der nationalkirchlichen Beſtre- bungen. Seit Jahren verwaltete Heinrich von Weſſenberg als Generalvicar das Bisthum Conſtanz. Geiſtliche und Laien rühmten ſeine Milde, ſeine ge- wiſſenhafte Thätigkeit, die apoſtoliſche Reinheit ſeines Wandels und nahmen aus der Hand des allbeliebten Oberhirten willig einige Neuerungen hin, welche der joſephiniſchen Aufklärung des Oberlandes entſprachen, aber mit der ſtrengen Einheit der römiſchen Kirche ſich kaum noch vertrugen. Weſſen- berg führte deutſche Andachtsbücher in den Gemeinden ein, ließ die Bibel, die er gern das Buch der befreiten Menſchheit nannte, in deutſcher Ueber- ſetzung unter ſeiner Heerde verbreiten; er verminderte die Ueberzahl der Feiertage und geſtattete die Einſegnung gemiſchter Ehen, wenn nur die Kinder nach dem Geſchlechte zwiſchen beiden Bekenntniſſen getheilt würden. Beim Gottesdienſt ſuchte er die Formenſchönheit des katholiſchen Cultus mit der eindringlichen Lehre der Proteſtanten zu verbinden; noch heute erzählen die alten Leute am Bodenſee gern, wie erbaulich es damals in der Kirche geweſen, da die Predigt noch neben dem Meßopfer zur vollen Geltung kam. Sein Meersburger Prieſterſeminar gab den jungen Geiſt- lichen tüchtigen wiſſenſchaftlichen Unterricht und erzog ſie in den Grund- ſätzen einer friedfertigen, weitherzigen Duldung, welche freilich zuweilen zu unkirchlicher Verſchwommenheit führte. Nicht lange, ſo begann die kleine clericale Partei des Bisthums ſich über den ketzeriſchen Neuerer in Rom zu beſchweren; die Curie ſprach ihm mehrmals ihr Mißfallen aus, der Nuntius in Luzern lebte mit ihm in offener Fehde.
Er aber ahnte nicht, daß die grandioſe Conſequenz der römiſchen Kirche dem Chriſten nur die Wahl läßt zwiſchen der Unterwerfung und dem Abfall; er wähnte den Mahnungen des Papſtes widerſtehen und doch ein katholiſcher Kirchenfürſt bleiben zu können. Dieſer frommen, liebreichen Natur war es nicht gegeben, die großen Gegenſätze des kirchlichen Lebens in ihrer unerbittlichen Schärfe zu erkennen. Durch eifriges Leſen und im Verkehre mit den gelehrten Prälaten der alten Zeit erwarb er ſich eine Fülle mannichfaltiger Kenntniſſe und gelangte doch nicht über den wiſſenſchaftlichen Dilettantismus hinaus. Die zahlreichen poetiſchen, philo- ſophiſchen, politiſchen und kirchengeſchichtlichen Schriften, die er zur Er- bauung „chriſtlich geſinnter Menſchenfreunde“ herausgab, verliefen zuletzt alleſammt in wohlgemeinten moraliſchen Betrachtungen; ganz flach wurden ſie niemals, aber auch niemals tief, mächtig, eigenthümlich; keines ſeiner
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0378"n="364"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">II.</hi> 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.</fw><lb/>
Gedanken auf, und die ehrwürdige Albertina blieb erhalten, eine be-<lb/>ſcheidene aber fruchtbare Bildungsſtätte für das Oberland, noch immer<lb/>
ein Brunnen des Lebens, wie es ihr Stifter Erzherzog Albrecht ihr einſt<lb/>
gewünſcht hatte. —</p><lb/><p>Mittlerweile ward das geplagte Land auch durch kirchliche Wirren<lb/>
heimgeſucht: durch einen Streit mit der Curie, der für die deutſche Kirchen-<lb/>
politik faſt ebenſo folgenreich werden ſollte wie der Kampf um das bairiſche<lb/>
Concordat, denn er vollendete die Niederlage der nationalkirchlichen Beſtre-<lb/>
bungen. Seit Jahren verwaltete Heinrich von Weſſenberg als Generalvicar<lb/>
das Bisthum Conſtanz. Geiſtliche und Laien rühmten ſeine Milde, ſeine ge-<lb/>
wiſſenhafte Thätigkeit, die apoſtoliſche Reinheit ſeines Wandels und nahmen<lb/>
aus der Hand des allbeliebten Oberhirten willig einige Neuerungen hin,<lb/>
welche der joſephiniſchen Aufklärung des Oberlandes entſprachen, aber mit<lb/>
der ſtrengen Einheit der römiſchen Kirche ſich kaum noch vertrugen. Weſſen-<lb/>
berg führte deutſche Andachtsbücher in den Gemeinden ein, ließ die Bibel,<lb/>
die er gern das Buch der befreiten Menſchheit nannte, in deutſcher Ueber-<lb/>ſetzung unter ſeiner Heerde verbreiten; er verminderte die Ueberzahl der<lb/>
Feiertage und geſtattete die Einſegnung gemiſchter Ehen, wenn nur die<lb/>
Kinder nach dem Geſchlechte zwiſchen beiden Bekenntniſſen getheilt würden.<lb/>
Beim Gottesdienſt ſuchte er die Formenſchönheit des katholiſchen Cultus<lb/>
mit der eindringlichen Lehre der Proteſtanten zu verbinden; noch heute<lb/>
erzählen die alten Leute am Bodenſee gern, wie erbaulich es damals in<lb/>
der Kirche geweſen, da die Predigt noch neben dem Meßopfer zur vollen<lb/>
Geltung kam. Sein Meersburger Prieſterſeminar gab den jungen Geiſt-<lb/>
lichen tüchtigen wiſſenſchaftlichen Unterricht und erzog ſie in den Grund-<lb/>ſätzen einer friedfertigen, weitherzigen Duldung, welche freilich zuweilen<lb/>
zu unkirchlicher Verſchwommenheit führte. Nicht lange, ſo begann die<lb/>
kleine clericale Partei des Bisthums ſich über den ketzeriſchen Neuerer in<lb/>
Rom zu beſchweren; die Curie ſprach ihm mehrmals ihr Mißfallen aus,<lb/>
der Nuntius in Luzern lebte mit ihm in offener Fehde.</p><lb/><p>Er aber ahnte nicht, daß die grandioſe Conſequenz der römiſchen<lb/>
Kirche dem Chriſten nur die Wahl läßt zwiſchen der Unterwerfung und<lb/>
dem Abfall; er wähnte den Mahnungen des Papſtes widerſtehen und doch<lb/>
ein katholiſcher Kirchenfürſt bleiben zu können. Dieſer frommen, liebreichen<lb/>
Natur war es nicht gegeben, die großen Gegenſätze des kirchlichen Lebens<lb/>
in ihrer unerbittlichen Schärfe zu erkennen. Durch eifriges Leſen und<lb/>
im Verkehre mit den gelehrten Prälaten der alten Zeit erwarb er ſich<lb/>
eine Fülle mannichfaltiger Kenntniſſe und gelangte doch nicht über den<lb/>
wiſſenſchaftlichen Dilettantismus hinaus. Die zahlreichen poetiſchen, philo-<lb/>ſophiſchen, politiſchen und kirchengeſchichtlichen Schriften, die er zur Er-<lb/>
bauung „chriſtlich geſinnter Menſchenfreunde“ herausgab, verliefen zuletzt<lb/>
alleſammt in wohlgemeinten moraliſchen Betrachtungen; ganz flach wurden<lb/>ſie niemals, aber auch niemals tief, mächtig, eigenthümlich; keines ſeiner<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[364/0378]
II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
Gedanken auf, und die ehrwürdige Albertina blieb erhalten, eine be-
ſcheidene aber fruchtbare Bildungsſtätte für das Oberland, noch immer
ein Brunnen des Lebens, wie es ihr Stifter Erzherzog Albrecht ihr einſt
gewünſcht hatte. —
Mittlerweile ward das geplagte Land auch durch kirchliche Wirren
heimgeſucht: durch einen Streit mit der Curie, der für die deutſche Kirchen-
politik faſt ebenſo folgenreich werden ſollte wie der Kampf um das bairiſche
Concordat, denn er vollendete die Niederlage der nationalkirchlichen Beſtre-
bungen. Seit Jahren verwaltete Heinrich von Weſſenberg als Generalvicar
das Bisthum Conſtanz. Geiſtliche und Laien rühmten ſeine Milde, ſeine ge-
wiſſenhafte Thätigkeit, die apoſtoliſche Reinheit ſeines Wandels und nahmen
aus der Hand des allbeliebten Oberhirten willig einige Neuerungen hin,
welche der joſephiniſchen Aufklärung des Oberlandes entſprachen, aber mit
der ſtrengen Einheit der römiſchen Kirche ſich kaum noch vertrugen. Weſſen-
berg führte deutſche Andachtsbücher in den Gemeinden ein, ließ die Bibel,
die er gern das Buch der befreiten Menſchheit nannte, in deutſcher Ueber-
ſetzung unter ſeiner Heerde verbreiten; er verminderte die Ueberzahl der
Feiertage und geſtattete die Einſegnung gemiſchter Ehen, wenn nur die
Kinder nach dem Geſchlechte zwiſchen beiden Bekenntniſſen getheilt würden.
Beim Gottesdienſt ſuchte er die Formenſchönheit des katholiſchen Cultus
mit der eindringlichen Lehre der Proteſtanten zu verbinden; noch heute
erzählen die alten Leute am Bodenſee gern, wie erbaulich es damals in
der Kirche geweſen, da die Predigt noch neben dem Meßopfer zur vollen
Geltung kam. Sein Meersburger Prieſterſeminar gab den jungen Geiſt-
lichen tüchtigen wiſſenſchaftlichen Unterricht und erzog ſie in den Grund-
ſätzen einer friedfertigen, weitherzigen Duldung, welche freilich zuweilen
zu unkirchlicher Verſchwommenheit führte. Nicht lange, ſo begann die
kleine clericale Partei des Bisthums ſich über den ketzeriſchen Neuerer in
Rom zu beſchweren; die Curie ſprach ihm mehrmals ihr Mißfallen aus,
der Nuntius in Luzern lebte mit ihm in offener Fehde.
Er aber ahnte nicht, daß die grandioſe Conſequenz der römiſchen
Kirche dem Chriſten nur die Wahl läßt zwiſchen der Unterwerfung und
dem Abfall; er wähnte den Mahnungen des Papſtes widerſtehen und doch
ein katholiſcher Kirchenfürſt bleiben zu können. Dieſer frommen, liebreichen
Natur war es nicht gegeben, die großen Gegenſätze des kirchlichen Lebens
in ihrer unerbittlichen Schärfe zu erkennen. Durch eifriges Leſen und
im Verkehre mit den gelehrten Prälaten der alten Zeit erwarb er ſich
eine Fülle mannichfaltiger Kenntniſſe und gelangte doch nicht über den
wiſſenſchaftlichen Dilettantismus hinaus. Die zahlreichen poetiſchen, philo-
ſophiſchen, politiſchen und kirchengeſchichtlichen Schriften, die er zur Er-
bauung „chriſtlich geſinnter Menſchenfreunde“ herausgab, verliefen zuletzt
alleſammt in wohlgemeinten moraliſchen Betrachtungen; ganz flach wurden
ſie niemals, aber auch niemals tief, mächtig, eigenthümlich; keines ſeiner
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/378>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.