das Verhängniß eines untergehenden Staats.*) Nunmehr war aus der älteren Linie der Zähringer nur noch ein Erbe am Leben, der unverhei- rathete Oheim des Großherzogs, Markgraf Ludwig; starb auch dieser, so kam die Krone an den Grafen Leopold von Hochberg, dem der Münchener Hof die Thronfolge bestritt.
Nur der Schutz der großen Mächte vermochte die Dynastie vor dem Untergange zu bewahren; gleichwohl konnte der Großherzog sich nicht zur Entlassung des elenden Ministers entschließen, der an der verzweifelten Lage des Landes die Hauptschuld trug und bei allen Höfen im schlech- testen Rufe stand. Freiherr von Hacke, ein roher, frivoler Schlemmer aus der Schule des alten Mannheimer Hofs, war dem Imperator ein williger Scherge gewesen und trieb auch jetzt noch, soweit seine unver- besserliche Trägheit dies vermochte, rheinbündische Politik: schon auf dem Pariser Friedenscongresse hatte er versucht einen Sonderbund der Mittel- staaten zu stiften, dem Bundestage gegenüber verfuhr er als verstockter Partikularist. Die bairischen Ansprüche behandelte er mit unverantwort- lichem Leichtsinn, selbst die Abtretung der Pfalz gegen ein Stück Geldes schien ihm nicht unannehmbar, und der preußische Geschäftsträger Varn- hagen schrieb dem Staatskanzler: "soll das Großherzogthum Baden be- stehen, so muß es gleichsam dazu gezwungen werden."**)
Auch die Verfassungsangelegenheit rückte nicht von der Stelle. Auf die dringenden Vorstellungen Steins und des Czaren Alexander hatte der Großherzog noch von Wien aus eine Commission zur Berathung des neuen Grundgesetzes einberufen, und diese brachte im Frühjahr 1815 eine Verfassung zu Stande, auf Grund eines Entwurfes, den ihr der Freiherr v. Marschall, ein wackerer Patriot aus Karl Friedrichs guter Zeit, vorgelegt. Aber der Kriegslärm des folgenden Sommers warf Alles wieder über den Haufen. Darauf regte sich der Adel des Unterlandes und forderte in wiederholten drohenden Eingaben die Erfüllung des Art. 13, ganz so trutzig wie einst die Landschaden von Steinach und die anderen ritterlichen Genossen des Sickingers zu ihren Nachbarfürsten geredet hatten; Massenbach und Graf Waldeck, die ständischen Demagogen aus Württemberg, halfen eifrig mit; auch aus bürgerlichen Kreisen liefen mahnende Bittschriften ein. Die Regierung aber suchte, nach altem Rhein- bundsbrauche, die klagenden Ritter mit harten Strafen heim, und der Heidelberger Strafrechtslehrer Martin mußte seinen Lehrstuhl verlassen. Indeß kam die Verfassungsarbeit doch wieder in Gang; im März 1816 verhieß der Großherzog seinem Volke feierlich die Einberufung einer Ständeversammlung auf den 1. August, und im Laufe des Sommers wurde in der That ein dritter und ein vierter Entwurf ausgearbeitet.
*) Varnhagens Bericht, Karlsruhe 11. Mai 1817.
**) Varnhagens Bericht 4. Januar 1817.
II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
das Verhängniß eines untergehenden Staats.*) Nunmehr war aus der älteren Linie der Zähringer nur noch ein Erbe am Leben, der unverhei- rathete Oheim des Großherzogs, Markgraf Ludwig; ſtarb auch dieſer, ſo kam die Krone an den Grafen Leopold von Hochberg, dem der Münchener Hof die Thronfolge beſtritt.
Nur der Schutz der großen Mächte vermochte die Dynaſtie vor dem Untergange zu bewahren; gleichwohl konnte der Großherzog ſich nicht zur Entlaſſung des elenden Miniſters entſchließen, der an der verzweifelten Lage des Landes die Hauptſchuld trug und bei allen Höfen im ſchlech- teſten Rufe ſtand. Freiherr von Hacke, ein roher, frivoler Schlemmer aus der Schule des alten Mannheimer Hofs, war dem Imperator ein williger Scherge geweſen und trieb auch jetzt noch, ſoweit ſeine unver- beſſerliche Trägheit dies vermochte, rheinbündiſche Politik: ſchon auf dem Pariſer Friedenscongreſſe hatte er verſucht einen Sonderbund der Mittel- ſtaaten zu ſtiften, dem Bundestage gegenüber verfuhr er als verſtockter Partikulariſt. Die bairiſchen Anſprüche behandelte er mit unverantwort- lichem Leichtſinn, ſelbſt die Abtretung der Pfalz gegen ein Stück Geldes ſchien ihm nicht unannehmbar, und der preußiſche Geſchäftsträger Varn- hagen ſchrieb dem Staatskanzler: „ſoll das Großherzogthum Baden be- ſtehen, ſo muß es gleichſam dazu gezwungen werden.“**)
Auch die Verfaſſungsangelegenheit rückte nicht von der Stelle. Auf die dringenden Vorſtellungen Steins und des Czaren Alexander hatte der Großherzog noch von Wien aus eine Commiſſion zur Berathung des neuen Grundgeſetzes einberufen, und dieſe brachte im Frühjahr 1815 eine Verfaſſung zu Stande, auf Grund eines Entwurfes, den ihr der Freiherr v. Marſchall, ein wackerer Patriot aus Karl Friedrichs guter Zeit, vorgelegt. Aber der Kriegslärm des folgenden Sommers warf Alles wieder über den Haufen. Darauf regte ſich der Adel des Unterlandes und forderte in wiederholten drohenden Eingaben die Erfüllung des Art. 13, ganz ſo trutzig wie einſt die Landſchaden von Steinach und die anderen ritterlichen Genoſſen des Sickingers zu ihren Nachbarfürſten geredet hatten; Maſſenbach und Graf Waldeck, die ſtändiſchen Demagogen aus Württemberg, halfen eifrig mit; auch aus bürgerlichen Kreiſen liefen mahnende Bittſchriften ein. Die Regierung aber ſuchte, nach altem Rhein- bundsbrauche, die klagenden Ritter mit harten Strafen heim, und der Heidelberger Strafrechtslehrer Martin mußte ſeinen Lehrſtuhl verlaſſen. Indeß kam die Verfaſſungsarbeit doch wieder in Gang; im März 1816 verhieß der Großherzog ſeinem Volke feierlich die Einberufung einer Ständeverſammlung auf den 1. Auguſt, und im Laufe des Sommers wurde in der That ein dritter und ein vierter Entwurf ausgearbeitet.
*) Varnhagens Bericht, Karlsruhe 11. Mai 1817.
**) Varnhagens Bericht 4. Januar 1817.
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II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
das Verhängniß eines untergehenden Staats. *) Nunmehr war aus der
älteren Linie der Zähringer nur noch ein Erbe am Leben, der unverhei-
rathete Oheim des Großherzogs, Markgraf Ludwig; ſtarb auch dieſer, ſo
kam die Krone an den Grafen Leopold von Hochberg, dem der Münchener
Hof die Thronfolge beſtritt.
Nur der Schutz der großen Mächte vermochte die Dynaſtie vor dem
Untergange zu bewahren; gleichwohl konnte der Großherzog ſich nicht zur
Entlaſſung des elenden Miniſters entſchließen, der an der verzweifelten
Lage des Landes die Hauptſchuld trug und bei allen Höfen im ſchlech-
teſten Rufe ſtand. Freiherr von Hacke, ein roher, frivoler Schlemmer
aus der Schule des alten Mannheimer Hofs, war dem Imperator ein
williger Scherge geweſen und trieb auch jetzt noch, ſoweit ſeine unver-
beſſerliche Trägheit dies vermochte, rheinbündiſche Politik: ſchon auf dem
Pariſer Friedenscongreſſe hatte er verſucht einen Sonderbund der Mittel-
ſtaaten zu ſtiften, dem Bundestage gegenüber verfuhr er als verſtockter
Partikulariſt. Die bairiſchen Anſprüche behandelte er mit unverantwort-
lichem Leichtſinn, ſelbſt die Abtretung der Pfalz gegen ein Stück Geldes
ſchien ihm nicht unannehmbar, und der preußiſche Geſchäftsträger Varn-
hagen ſchrieb dem Staatskanzler: „ſoll das Großherzogthum Baden be-
ſtehen, ſo muß es gleichſam dazu gezwungen werden.“ **)
Auch die Verfaſſungsangelegenheit rückte nicht von der Stelle. Auf
die dringenden Vorſtellungen Steins und des Czaren Alexander hatte
der Großherzog noch von Wien aus eine Commiſſion zur Berathung des
neuen Grundgeſetzes einberufen, und dieſe brachte im Frühjahr 1815
eine Verfaſſung zu Stande, auf Grund eines Entwurfes, den ihr der
Freiherr v. Marſchall, ein wackerer Patriot aus Karl Friedrichs guter
Zeit, vorgelegt. Aber der Kriegslärm des folgenden Sommers warf Alles
wieder über den Haufen. Darauf regte ſich der Adel des Unterlandes
und forderte in wiederholten drohenden Eingaben die Erfüllung des Art. 13,
ganz ſo trutzig wie einſt die Landſchaden von Steinach und die anderen
ritterlichen Genoſſen des Sickingers zu ihren Nachbarfürſten geredet
hatten; Maſſenbach und Graf Waldeck, die ſtändiſchen Demagogen aus
Württemberg, halfen eifrig mit; auch aus bürgerlichen Kreiſen liefen
mahnende Bittſchriften ein. Die Regierung aber ſuchte, nach altem Rhein-
bundsbrauche, die klagenden Ritter mit harten Strafen heim, und der
Heidelberger Strafrechtslehrer Martin mußte ſeinen Lehrſtuhl verlaſſen.
Indeß kam die Verfaſſungsarbeit doch wieder in Gang; im März 1816
verhieß der Großherzog ſeinem Volke feierlich die Einberufung einer
Ständeverſammlung auf den 1. Auguſt, und im Laufe des Sommers
wurde in der That ein dritter und ein vierter Entwurf ausgearbeitet.
*) Varnhagens Bericht, Karlsruhe 11. Mai 1817.
**) Varnhagens Bericht 4. Januar 1817.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/376>, abgerufen am 25.11.2024.
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