Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
das Verhängniß eines untergehenden Staats.*) Nunmehr war aus der
älteren Linie der Zähringer nur noch ein Erbe am Leben, der unverhei-
rathete Oheim des Großherzogs, Markgraf Ludwig; starb auch dieser, so
kam die Krone an den Grafen Leopold von Hochberg, dem der Münchener
Hof die Thronfolge bestritt.

Nur der Schutz der großen Mächte vermochte die Dynastie vor dem
Untergange zu bewahren; gleichwohl konnte der Großherzog sich nicht zur
Entlassung des elenden Ministers entschließen, der an der verzweifelten
Lage des Landes die Hauptschuld trug und bei allen Höfen im schlech-
testen Rufe stand. Freiherr von Hacke, ein roher, frivoler Schlemmer
aus der Schule des alten Mannheimer Hofs, war dem Imperator ein
williger Scherge gewesen und trieb auch jetzt noch, soweit seine unver-
besserliche Trägheit dies vermochte, rheinbündische Politik: schon auf dem
Pariser Friedenscongresse hatte er versucht einen Sonderbund der Mittel-
staaten zu stiften, dem Bundestage gegenüber verfuhr er als verstockter
Partikularist. Die bairischen Ansprüche behandelte er mit unverantwort-
lichem Leichtsinn, selbst die Abtretung der Pfalz gegen ein Stück Geldes
schien ihm nicht unannehmbar, und der preußische Geschäftsträger Varn-
hagen schrieb dem Staatskanzler: "soll das Großherzogthum Baden be-
stehen, so muß es gleichsam dazu gezwungen werden."**)

Auch die Verfassungsangelegenheit rückte nicht von der Stelle. Auf
die dringenden Vorstellungen Steins und des Czaren Alexander hatte
der Großherzog noch von Wien aus eine Commission zur Berathung des
neuen Grundgesetzes einberufen, und diese brachte im Frühjahr 1815
eine Verfassung zu Stande, auf Grund eines Entwurfes, den ihr der
Freiherr v. Marschall, ein wackerer Patriot aus Karl Friedrichs guter
Zeit, vorgelegt. Aber der Kriegslärm des folgenden Sommers warf Alles
wieder über den Haufen. Darauf regte sich der Adel des Unterlandes
und forderte in wiederholten drohenden Eingaben die Erfüllung des Art. 13,
ganz so trutzig wie einst die Landschaden von Steinach und die anderen
ritterlichen Genossen des Sickingers zu ihren Nachbarfürsten geredet
hatten; Massenbach und Graf Waldeck, die ständischen Demagogen aus
Württemberg, halfen eifrig mit; auch aus bürgerlichen Kreisen liefen
mahnende Bittschriften ein. Die Regierung aber suchte, nach altem Rhein-
bundsbrauche, die klagenden Ritter mit harten Strafen heim, und der
Heidelberger Strafrechtslehrer Martin mußte seinen Lehrstuhl verlassen.
Indeß kam die Verfassungsarbeit doch wieder in Gang; im März 1816
verhieß der Großherzog seinem Volke feierlich die Einberufung einer
Ständeversammlung auf den 1. August, und im Laufe des Sommers
wurde in der That ein dritter und ein vierter Entwurf ausgearbeitet.

*) Varnhagens Bericht, Karlsruhe 11. Mai 1817.
**) Varnhagens Bericht 4. Januar 1817.

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
das Verhängniß eines untergehenden Staats.*) Nunmehr war aus der
älteren Linie der Zähringer nur noch ein Erbe am Leben, der unverhei-
rathete Oheim des Großherzogs, Markgraf Ludwig; ſtarb auch dieſer, ſo
kam die Krone an den Grafen Leopold von Hochberg, dem der Münchener
Hof die Thronfolge beſtritt.

Nur der Schutz der großen Mächte vermochte die Dynaſtie vor dem
Untergange zu bewahren; gleichwohl konnte der Großherzog ſich nicht zur
Entlaſſung des elenden Miniſters entſchließen, der an der verzweifelten
Lage des Landes die Hauptſchuld trug und bei allen Höfen im ſchlech-
teſten Rufe ſtand. Freiherr von Hacke, ein roher, frivoler Schlemmer
aus der Schule des alten Mannheimer Hofs, war dem Imperator ein
williger Scherge geweſen und trieb auch jetzt noch, ſoweit ſeine unver-
beſſerliche Trägheit dies vermochte, rheinbündiſche Politik: ſchon auf dem
Pariſer Friedenscongreſſe hatte er verſucht einen Sonderbund der Mittel-
ſtaaten zu ſtiften, dem Bundestage gegenüber verfuhr er als verſtockter
Partikulariſt. Die bairiſchen Anſprüche behandelte er mit unverantwort-
lichem Leichtſinn, ſelbſt die Abtretung der Pfalz gegen ein Stück Geldes
ſchien ihm nicht unannehmbar, und der preußiſche Geſchäftsträger Varn-
hagen ſchrieb dem Staatskanzler: „ſoll das Großherzogthum Baden be-
ſtehen, ſo muß es gleichſam dazu gezwungen werden.“**)

Auch die Verfaſſungsangelegenheit rückte nicht von der Stelle. Auf
die dringenden Vorſtellungen Steins und des Czaren Alexander hatte
der Großherzog noch von Wien aus eine Commiſſion zur Berathung des
neuen Grundgeſetzes einberufen, und dieſe brachte im Frühjahr 1815
eine Verfaſſung zu Stande, auf Grund eines Entwurfes, den ihr der
Freiherr v. Marſchall, ein wackerer Patriot aus Karl Friedrichs guter
Zeit, vorgelegt. Aber der Kriegslärm des folgenden Sommers warf Alles
wieder über den Haufen. Darauf regte ſich der Adel des Unterlandes
und forderte in wiederholten drohenden Eingaben die Erfüllung des Art. 13,
ganz ſo trutzig wie einſt die Landſchaden von Steinach und die anderen
ritterlichen Genoſſen des Sickingers zu ihren Nachbarfürſten geredet
hatten; Maſſenbach und Graf Waldeck, die ſtändiſchen Demagogen aus
Württemberg, halfen eifrig mit; auch aus bürgerlichen Kreiſen liefen
mahnende Bittſchriften ein. Die Regierung aber ſuchte, nach altem Rhein-
bundsbrauche, die klagenden Ritter mit harten Strafen heim, und der
Heidelberger Strafrechtslehrer Martin mußte ſeinen Lehrſtuhl verlaſſen.
Indeß kam die Verfaſſungsarbeit doch wieder in Gang; im März 1816
verhieß der Großherzog ſeinem Volke feierlich die Einberufung einer
Ständeverſammlung auf den 1. Auguſt, und im Laufe des Sommers
wurde in der That ein dritter und ein vierter Entwurf ausgearbeitet.

*) Varnhagens Bericht, Karlsruhe 11. Mai 1817.
**) Varnhagens Bericht 4. Januar 1817.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0376" n="362"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 6. Süddeut&#x017F;che Verfa&#x017F;&#x017F;ungskämpfe.</fw><lb/>
das Verhängniß eines untergehenden Staats.<note place="foot" n="*)">Varnhagens Bericht, Karlsruhe 11. Mai 1817.</note> Nunmehr war aus der<lb/>
älteren Linie der Zähringer nur noch ein Erbe am Leben, der unverhei-<lb/>
rathete Oheim des Großherzogs, Markgraf Ludwig; &#x017F;tarb auch die&#x017F;er, &#x017F;o<lb/>
kam die Krone an den Grafen Leopold von Hochberg, dem der Münchener<lb/>
Hof die Thronfolge be&#x017F;tritt.</p><lb/>
          <p>Nur der Schutz der großen Mächte vermochte die Dyna&#x017F;tie vor dem<lb/>
Untergange zu bewahren; gleichwohl konnte der Großherzog &#x017F;ich nicht zur<lb/>
Entla&#x017F;&#x017F;ung des elenden Mini&#x017F;ters ent&#x017F;chließen, der an der verzweifelten<lb/>
Lage des Landes die Haupt&#x017F;chuld trug und bei allen Höfen im &#x017F;chlech-<lb/>
te&#x017F;ten Rufe &#x017F;tand. Freiherr von Hacke, ein roher, frivoler Schlemmer<lb/>
aus der Schule des alten Mannheimer Hofs, war dem Imperator ein<lb/>
williger Scherge gewe&#x017F;en und trieb auch jetzt noch, &#x017F;oweit &#x017F;eine unver-<lb/>
be&#x017F;&#x017F;erliche Trägheit dies vermochte, rheinbündi&#x017F;che Politik: &#x017F;chon auf dem<lb/>
Pari&#x017F;er Friedenscongre&#x017F;&#x017F;e hatte er ver&#x017F;ucht einen Sonderbund der Mittel-<lb/>
&#x017F;taaten zu &#x017F;tiften, dem Bundestage gegenüber verfuhr er als ver&#x017F;tockter<lb/>
Partikulari&#x017F;t. Die bairi&#x017F;chen An&#x017F;prüche behandelte er mit unverantwort-<lb/>
lichem Leicht&#x017F;inn, &#x017F;elb&#x017F;t die Abtretung der Pfalz gegen ein Stück Geldes<lb/>
&#x017F;chien ihm nicht unannehmbar, und der preußi&#x017F;che Ge&#x017F;chäftsträger Varn-<lb/>
hagen &#x017F;chrieb dem Staatskanzler: &#x201E;&#x017F;oll das Großherzogthum Baden be-<lb/>
&#x017F;tehen, &#x017F;o muß es gleich&#x017F;am dazu gezwungen werden.&#x201C;<note place="foot" n="**)">Varnhagens Bericht 4. Januar 1817.</note></p><lb/>
          <p>Auch die Verfa&#x017F;&#x017F;ungsangelegenheit rückte nicht von der Stelle. Auf<lb/>
die dringenden Vor&#x017F;tellungen Steins und des Czaren Alexander hatte<lb/>
der Großherzog noch von Wien aus eine Commi&#x017F;&#x017F;ion zur Berathung des<lb/>
neuen Grundge&#x017F;etzes einberufen, und die&#x017F;e brachte im Frühjahr 1815<lb/>
eine Verfa&#x017F;&#x017F;ung zu Stande, auf Grund eines Entwurfes, den ihr der<lb/>
Freiherr v. Mar&#x017F;chall, ein wackerer Patriot aus Karl Friedrichs guter<lb/>
Zeit, vorgelegt. Aber der Kriegslärm des folgenden Sommers warf Alles<lb/>
wieder über den Haufen. Darauf regte &#x017F;ich der Adel des Unterlandes<lb/>
und forderte in wiederholten drohenden Eingaben die Erfüllung des Art. 13,<lb/>
ganz &#x017F;o trutzig wie ein&#x017F;t die Land&#x017F;chaden von Steinach und die anderen<lb/>
ritterlichen Geno&#x017F;&#x017F;en des Sickingers zu ihren Nachbarfür&#x017F;ten geredet<lb/>
hatten; Ma&#x017F;&#x017F;enbach und Graf Waldeck, die &#x017F;tändi&#x017F;chen Demagogen aus<lb/>
Württemberg, halfen eifrig mit; auch aus bürgerlichen Krei&#x017F;en liefen<lb/>
mahnende Bitt&#x017F;chriften ein. Die Regierung aber &#x017F;uchte, nach altem Rhein-<lb/>
bundsbrauche, die klagenden Ritter mit harten Strafen heim, und der<lb/>
Heidelberger Strafrechtslehrer Martin mußte &#x017F;einen Lehr&#x017F;tuhl verla&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Indeß kam die Verfa&#x017F;&#x017F;ungsarbeit doch wieder in Gang; im März 1816<lb/>
verhieß der Großherzog &#x017F;einem Volke feierlich die Einberufung einer<lb/>
Ständever&#x017F;ammlung auf den 1. Augu&#x017F;t, und im Laufe des Sommers<lb/>
wurde in der That ein dritter und ein vierter Entwurf ausgearbeitet.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[362/0376] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. das Verhängniß eines untergehenden Staats. *) Nunmehr war aus der älteren Linie der Zähringer nur noch ein Erbe am Leben, der unverhei- rathete Oheim des Großherzogs, Markgraf Ludwig; ſtarb auch dieſer, ſo kam die Krone an den Grafen Leopold von Hochberg, dem der Münchener Hof die Thronfolge beſtritt. Nur der Schutz der großen Mächte vermochte die Dynaſtie vor dem Untergange zu bewahren; gleichwohl konnte der Großherzog ſich nicht zur Entlaſſung des elenden Miniſters entſchließen, der an der verzweifelten Lage des Landes die Hauptſchuld trug und bei allen Höfen im ſchlech- teſten Rufe ſtand. Freiherr von Hacke, ein roher, frivoler Schlemmer aus der Schule des alten Mannheimer Hofs, war dem Imperator ein williger Scherge geweſen und trieb auch jetzt noch, ſoweit ſeine unver- beſſerliche Trägheit dies vermochte, rheinbündiſche Politik: ſchon auf dem Pariſer Friedenscongreſſe hatte er verſucht einen Sonderbund der Mittel- ſtaaten zu ſtiften, dem Bundestage gegenüber verfuhr er als verſtockter Partikulariſt. Die bairiſchen Anſprüche behandelte er mit unverantwort- lichem Leichtſinn, ſelbſt die Abtretung der Pfalz gegen ein Stück Geldes ſchien ihm nicht unannehmbar, und der preußiſche Geſchäftsträger Varn- hagen ſchrieb dem Staatskanzler: „ſoll das Großherzogthum Baden be- ſtehen, ſo muß es gleichſam dazu gezwungen werden.“ **) Auch die Verfaſſungsangelegenheit rückte nicht von der Stelle. Auf die dringenden Vorſtellungen Steins und des Czaren Alexander hatte der Großherzog noch von Wien aus eine Commiſſion zur Berathung des neuen Grundgeſetzes einberufen, und dieſe brachte im Frühjahr 1815 eine Verfaſſung zu Stande, auf Grund eines Entwurfes, den ihr der Freiherr v. Marſchall, ein wackerer Patriot aus Karl Friedrichs guter Zeit, vorgelegt. Aber der Kriegslärm des folgenden Sommers warf Alles wieder über den Haufen. Darauf regte ſich der Adel des Unterlandes und forderte in wiederholten drohenden Eingaben die Erfüllung des Art. 13, ganz ſo trutzig wie einſt die Landſchaden von Steinach und die anderen ritterlichen Genoſſen des Sickingers zu ihren Nachbarfürſten geredet hatten; Maſſenbach und Graf Waldeck, die ſtändiſchen Demagogen aus Württemberg, halfen eifrig mit; auch aus bürgerlichen Kreiſen liefen mahnende Bittſchriften ein. Die Regierung aber ſuchte, nach altem Rhein- bundsbrauche, die klagenden Ritter mit harten Strafen heim, und der Heidelberger Strafrechtslehrer Martin mußte ſeinen Lehrſtuhl verlaſſen. Indeß kam die Verfaſſungsarbeit doch wieder in Gang; im März 1816 verhieß der Großherzog ſeinem Volke feierlich die Einberufung einer Ständeverſammlung auf den 1. Auguſt, und im Laufe des Sommers wurde in der That ein dritter und ein vierter Entwurf ausgearbeitet. *) Varnhagens Bericht, Karlsruhe 11. Mai 1817. **) Varnhagens Bericht 4. Januar 1817.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/376
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/376>, abgerufen am 25.11.2024.