deutsche Fürstenrecht so reich ist; die Thronbesteigung des Sohnes einer unebenbürtigen Mutter war in den größeren deutschen Fürstenhäusern immer nur als ein seltener Ausnahmefall vorgekommen, und obgleich sowohl die Zähringer als die Wittelsbacher selbst Frauen vom niederen Adel zu ihren Stammmüttern zählten, so ergriff doch das bairische Cabinet begierig den willkommenen Vorwand und ließ an allen Höfen versichern, von einem Erbfolgerechte der Hochberge könne nicht die Rede sein. Die Hofburg schenkte der dreisten Betheuerung willig Glauben; alle die ge- heimen Verträge über den Rückfall der Pfalz beruhten auf der Voraus- setzung des bevorstehenden Aussterbens der Zähringer.
Für diesen Fall hielten die bairischen Kronjuristen noch einen zweiten, ebenso erstaunlichen Rechtsanspruch bereit. Die Grafschaft Sponheim an der Nahe hatte einst durch vier Jahrhunderte den Häusern Pfalz und Baden gemeinsam gehört, und nach dem Beinheimer Entscheide vom Jahre 1425 sollte beim Erlöschen des einen Hauses die gesammte Grafschaft an das überlebende Geschlecht fallen. Unzweifelhaft war der alte Erbvertrag längst erloschen, da beide Besitzer die Grafschaft im Luneviller Frieden an Frankreich abgetreten und für ihren Verlust fünffache Entschädigung er- halten hatten. Gleichwohl verlangte Baiern jetzt nochmals Entschädigung für den Fall, daß der letzte Nachkomme aus der ersten Ehe Karl Friedrichs stürbe. Der erloschene Erbanspruch auf Sponheim sollte dem bairischen Kronprinzen die ersehnte "Wiege" seiner Väter, das Heidelberger Schloß nebst Mannheim und dem herrlichen Lobdengau zurückbringen: welch ein Ersatz für das arme Ländchen auf dem Hunsrücken, für ein Gebiet von 23,000 Einwohnern! Es war ein Gewebe schlechter Advokatenkünste, das noch einmal zeigte, wie gründlich die rheinbündische Politik alle Scham und alles Rechtsgefühl an den kleinen Höfen verwüstet hatte.
Die Lage des Karlsruher Hofs ward mit jedem Tage unheimlicher. Noch schwächer als zuvor war der Großherzog vom Wiener Congresse heimgekehrt. Er betrachtete seinen Neffen, den Kronprinzen von Baiern als seinen geschworenen Feind und scherzte bitter: das sei doch unerhört, daß ein erwachsener Mann sich so lebhaft nach seiner Wiege sehne. In Augenblicken krankhafter Erregung argwöhnte er sogar, daß ihm die Baiern in Wien Gift unter die Speisen gemischt hätten. Im Jahre 1812 hatte er seinen Erbprinzen bald nach der Geburt verloren; da ward ihm im April 1817 wieder ein Erbe geboren, aber auch dieser Sohn starb nach wenigen Tagen plötzlich dahin. Finstere Gerüchte durchschwirr- ten die Stadt: warum mußte der Tod grade die beiden Söhne des Fürsten treffen, während die Prinzessinnen sämmtlich am Leben blieben? konnten die rastlosen Wittelsbachischen Erbschleicher nicht auch hier die Hand im Spiele haben? Der bairische Gesandte beförderte selber den thörichten Verdacht, da er mit schadenfrohem Behagen das Unglück überall be- sprach und bedeutsam hinzufügte, an solchen Heimsuchungen erkenne man
Baierns Erbanſprüche.
deutſche Fürſtenrecht ſo reich iſt; die Thronbeſteigung des Sohnes einer unebenbürtigen Mutter war in den größeren deutſchen Fürſtenhäuſern immer nur als ein ſeltener Ausnahmefall vorgekommen, und obgleich ſowohl die Zähringer als die Wittelsbacher ſelbſt Frauen vom niederen Adel zu ihren Stammmüttern zählten, ſo ergriff doch das bairiſche Cabinet begierig den willkommenen Vorwand und ließ an allen Höfen verſichern, von einem Erbfolgerechte der Hochberge könne nicht die Rede ſein. Die Hofburg ſchenkte der dreiſten Betheuerung willig Glauben; alle die ge- heimen Verträge über den Rückfall der Pfalz beruhten auf der Voraus- ſetzung des bevorſtehenden Ausſterbens der Zähringer.
Für dieſen Fall hielten die bairiſchen Kronjuriſten noch einen zweiten, ebenſo erſtaunlichen Rechtsanſpruch bereit. Die Grafſchaft Sponheim an der Nahe hatte einſt durch vier Jahrhunderte den Häuſern Pfalz und Baden gemeinſam gehört, und nach dem Beinheimer Entſcheide vom Jahre 1425 ſollte beim Erlöſchen des einen Hauſes die geſammte Grafſchaft an das überlebende Geſchlecht fallen. Unzweifelhaft war der alte Erbvertrag längſt erloſchen, da beide Beſitzer die Grafſchaft im Luneviller Frieden an Frankreich abgetreten und für ihren Verluſt fünffache Entſchädigung er- halten hatten. Gleichwohl verlangte Baiern jetzt nochmals Entſchädigung für den Fall, daß der letzte Nachkomme aus der erſten Ehe Karl Friedrichs ſtürbe. Der erloſchene Erbanſpruch auf Sponheim ſollte dem bairiſchen Kronprinzen die erſehnte „Wiege“ ſeiner Väter, das Heidelberger Schloß nebſt Mannheim und dem herrlichen Lobdengau zurückbringen: welch ein Erſatz für das arme Ländchen auf dem Hunsrücken, für ein Gebiet von 23,000 Einwohnern! Es war ein Gewebe ſchlechter Advokatenkünſte, das noch einmal zeigte, wie gründlich die rheinbündiſche Politik alle Scham und alles Rechtsgefühl an den kleinen Höfen verwüſtet hatte.
Die Lage des Karlsruher Hofs ward mit jedem Tage unheimlicher. Noch ſchwächer als zuvor war der Großherzog vom Wiener Congreſſe heimgekehrt. Er betrachtete ſeinen Neffen, den Kronprinzen von Baiern als ſeinen geſchworenen Feind und ſcherzte bitter: das ſei doch unerhört, daß ein erwachſener Mann ſich ſo lebhaft nach ſeiner Wiege ſehne. In Augenblicken krankhafter Erregung argwöhnte er ſogar, daß ihm die Baiern in Wien Gift unter die Speiſen gemiſcht hätten. Im Jahre 1812 hatte er ſeinen Erbprinzen bald nach der Geburt verloren; da ward ihm im April 1817 wieder ein Erbe geboren, aber auch dieſer Sohn ſtarb nach wenigen Tagen plötzlich dahin. Finſtere Gerüchte durchſchwirr- ten die Stadt: warum mußte der Tod grade die beiden Söhne des Fürſten treffen, während die Prinzeſſinnen ſämmtlich am Leben blieben? konnten die raſtloſen Wittelsbachiſchen Erbſchleicher nicht auch hier die Hand im Spiele haben? Der bairiſche Geſandte beförderte ſelber den thörichten Verdacht, da er mit ſchadenfrohem Behagen das Unglück überall be- ſprach und bedeutſam hinzufügte, an ſolchen Heimſuchungen erkenne man
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Baierns Erbanſprüche.
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unebenbürtigen Mutter war in den größeren deutſchen Fürſtenhäuſern
immer nur als ein ſeltener Ausnahmefall vorgekommen, und obgleich
ſowohl die Zähringer als die Wittelsbacher ſelbſt Frauen vom niederen
Adel zu ihren Stammmüttern zählten, ſo ergriff doch das bairiſche Cabinet
begierig den willkommenen Vorwand und ließ an allen Höfen verſichern,
von einem Erbfolgerechte der Hochberge könne nicht die Rede ſein. Die
Hofburg ſchenkte der dreiſten Betheuerung willig Glauben; alle die ge-
heimen Verträge über den Rückfall der Pfalz beruhten auf der Voraus-
ſetzung des bevorſtehenden Ausſterbens der Zähringer.
Für dieſen Fall hielten die bairiſchen Kronjuriſten noch einen zweiten,
ebenſo erſtaunlichen Rechtsanſpruch bereit. Die Grafſchaft Sponheim an
der Nahe hatte einſt durch vier Jahrhunderte den Häuſern Pfalz und
Baden gemeinſam gehört, und nach dem Beinheimer Entſcheide vom Jahre
1425 ſollte beim Erlöſchen des einen Hauſes die geſammte Grafſchaft an
das überlebende Geſchlecht fallen. Unzweifelhaft war der alte Erbvertrag
längſt erloſchen, da beide Beſitzer die Grafſchaft im Luneviller Frieden an
Frankreich abgetreten und für ihren Verluſt fünffache Entſchädigung er-
halten hatten. Gleichwohl verlangte Baiern jetzt nochmals Entſchädigung
für den Fall, daß der letzte Nachkomme aus der erſten Ehe Karl Friedrichs
ſtürbe. Der erloſchene Erbanſpruch auf Sponheim ſollte dem bairiſchen
Kronprinzen die erſehnte „Wiege“ ſeiner Väter, das Heidelberger Schloß
nebſt Mannheim und dem herrlichen Lobdengau zurückbringen: welch ein
Erſatz für das arme Ländchen auf dem Hunsrücken, für ein Gebiet von
23,000 Einwohnern! Es war ein Gewebe ſchlechter Advokatenkünſte, das
noch einmal zeigte, wie gründlich die rheinbündiſche Politik alle Scham
und alles Rechtsgefühl an den kleinen Höfen verwüſtet hatte.
Die Lage des Karlsruher Hofs ward mit jedem Tage unheimlicher.
Noch ſchwächer als zuvor war der Großherzog vom Wiener Congreſſe
heimgekehrt. Er betrachtete ſeinen Neffen, den Kronprinzen von Baiern
als ſeinen geſchworenen Feind und ſcherzte bitter: das ſei doch unerhört,
daß ein erwachſener Mann ſich ſo lebhaft nach ſeiner Wiege ſehne. In
Augenblicken krankhafter Erregung argwöhnte er ſogar, daß ihm die
Baiern in Wien Gift unter die Speiſen gemiſcht hätten. Im Jahre
1812 hatte er ſeinen Erbprinzen bald nach der Geburt verloren; da ward
ihm im April 1817 wieder ein Erbe geboren, aber auch dieſer Sohn
ſtarb nach wenigen Tagen plötzlich dahin. Finſtere Gerüchte durchſchwirr-
ten die Stadt: warum mußte der Tod grade die beiden Söhne des Fürſten
treffen, während die Prinzeſſinnen ſämmtlich am Leben blieben? konnten
die raſtloſen Wittelsbachiſchen Erbſchleicher nicht auch hier die Hand im
Spiele haben? Der bairiſche Geſandte beförderte ſelber den thörichten
Verdacht, da er mit ſchadenfrohem Behagen das Unglück überall be-
ſprach und bedeutſam hinzufügte, an ſolchen Heimſuchungen erkenne man
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/375>, abgerufen am 22.11.2024.
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