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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
das Andenken der alten ständischen Freiheit wieder zu beleben; er erwarb
sich nur den Dank der Wissenschaft, auf die politische Stimmung des
Landes wirkte sein Buch nicht ein. --

Unterdessen richtete Montgelas seine Aufmerksamkeit vornehmlich auf
die Verhandlungen mit dem römischen Stuhle, eine Unterhandlung, die für
das gesammte Deutschland folgenreich werden und auch auf die bairische
Verfassungsarbeit ganz unerwartet zurückwirken sollte. Trotz ihrer streng
römischen Gesinnung hatten die alten Wittelsbacher doch jederzeit, gleich
den Allerchristlichsten Königen Frankreichs, die Kirchenhoheit ihres Staates
kräftig behauptet. Die Bildung einer bairischen Landeskirche -- so weit
dies unbeschadet der katholischen Glaubenseinheit möglich war -- blieb
durch Jahrhunderte das Ziel der wittelsbachischen Kirchenpolitik; zu der-
selben Zeit, da Baiern die Protestanten austrieb, ward in München der
Geistliche Rath eingesetzt, eine vom Landesherrn ernannte oberste Kirchen-
behörde, ähnlich den Consistorien der Lutheraner. Sobald der Reichs-
deputationshauptschluß die benachbarten reichsunmittelbaren Bischöfe, die
alten Gegner des landesfürstlichen Kirchenregiments, der bairischen Landes-
hoheit unterworfen hatte, nahm der Münchener Hof jene altwittelsbachi-
schen Pläne mit neuem Eifer auf. Er traute sich's zu, mit dem Papst
ein ebenso vortheilhaftes Concordat abzuschließen, wie kurz zuvor der erste
Consul, und hoffte auf die Errichtung von Landesbisthümern, deren
Grenzen mit denen des Staatsgebietes zusammenfallen sollten. Bald genug
mußte er erfahren, wie unerschütterlich der heilige Stuhl selbst in jenen
Tagen seiner Demüthigung die alten herrischen Grundsätze festhielt.
Der päpstliche Unterhändler Cardinal della Genga, derselbe, der späterhin
als Leo XII. den Thron bestieg, forderte nichts Geringeres als die Rück-
kehr zu dem alten Systeme der Glaubenseinheit: die Gleichberechtigung
der Protestanten, die Anerkennung der gemischten Ehen, die Aufsicht des
Staates über die Schulen, alle die segensreichen Reformen, auf denen
die Rechtsordnung des paritätischen neuen Königreichs ruhte, sollten wieder
verschwinden. Im Jahre 1809 wurden die Verhandlungen abgebrochen.
Gleichwohl gab man in München die Hoffnung nicht auf: wie konnte die
Curie einem Hofe widerstehen, der sich so gern rühmte nach Oesterreich
die erste katholische Macht in Deutschland zu sein? Als der Fürstprimas
Dalberg in jenen rheinbündischen Tagen unermüdlich luftige Pläne für eine
deutsche oder rheinbündische Nationalkirche entwarf, fand er an Montgelas
seinen entschiedensten Gegner. Auch auf dem Wiener Congresse bewährte
Baiern seine stolze Selbstgenügsamkeit und erlangte, daß die kirchlichen
Angelegenheiten der Competenz des Deutschen Bundes entzogen wurden.

Eine Aenderung dieses entscheidenden Beschlusses war, bei der
Schwäche der neuen Bundesgewalt, weder erreichbar noch wünschenswerth;
denn wer mochte die schwierigen Unterhandlungen mit der Curie diesem
Bundestage anvertrauen? Der Particularismus hatte auch in dieser

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
das Andenken der alten ſtändiſchen Freiheit wieder zu beleben; er erwarb
ſich nur den Dank der Wiſſenſchaft, auf die politiſche Stimmung des
Landes wirkte ſein Buch nicht ein. —

Unterdeſſen richtete Montgelas ſeine Aufmerkſamkeit vornehmlich auf
die Verhandlungen mit dem römiſchen Stuhle, eine Unterhandlung, die für
das geſammte Deutſchland folgenreich werden und auch auf die bairiſche
Verfaſſungsarbeit ganz unerwartet zurückwirken ſollte. Trotz ihrer ſtreng
römiſchen Geſinnung hatten die alten Wittelsbacher doch jederzeit, gleich
den Allerchriſtlichſten Königen Frankreichs, die Kirchenhoheit ihres Staates
kräftig behauptet. Die Bildung einer bairiſchen Landeskirche — ſo weit
dies unbeſchadet der katholiſchen Glaubenseinheit möglich war — blieb
durch Jahrhunderte das Ziel der wittelsbachiſchen Kirchenpolitik; zu der-
ſelben Zeit, da Baiern die Proteſtanten austrieb, ward in München der
Geiſtliche Rath eingeſetzt, eine vom Landesherrn ernannte oberſte Kirchen-
behörde, ähnlich den Conſiſtorien der Lutheraner. Sobald der Reichs-
deputationshauptſchluß die benachbarten reichsunmittelbaren Biſchöfe, die
alten Gegner des landesfürſtlichen Kirchenregiments, der bairiſchen Landes-
hoheit unterworfen hatte, nahm der Münchener Hof jene altwittelsbachi-
ſchen Pläne mit neuem Eifer auf. Er traute ſich’s zu, mit dem Papſt
ein ebenſo vortheilhaftes Concordat abzuſchließen, wie kurz zuvor der erſte
Conſul, und hoffte auf die Errichtung von Landesbisthümern, deren
Grenzen mit denen des Staatsgebietes zuſammenfallen ſollten. Bald genug
mußte er erfahren, wie unerſchütterlich der heilige Stuhl ſelbſt in jenen
Tagen ſeiner Demüthigung die alten herriſchen Grundſätze feſthielt.
Der päpſtliche Unterhändler Cardinal della Genga, derſelbe, der ſpäterhin
als Leo XII. den Thron beſtieg, forderte nichts Geringeres als die Rück-
kehr zu dem alten Syſteme der Glaubenseinheit: die Gleichberechtigung
der Proteſtanten, die Anerkennung der gemiſchten Ehen, die Aufſicht des
Staates über die Schulen, alle die ſegensreichen Reformen, auf denen
die Rechtsordnung des paritätiſchen neuen Königreichs ruhte, ſollten wieder
verſchwinden. Im Jahre 1809 wurden die Verhandlungen abgebrochen.
Gleichwohl gab man in München die Hoffnung nicht auf: wie konnte die
Curie einem Hofe widerſtehen, der ſich ſo gern rühmte nach Oeſterreich
die erſte katholiſche Macht in Deutſchland zu ſein? Als der Fürſtprimas
Dalberg in jenen rheinbündiſchen Tagen unermüdlich luftige Pläne für eine
deutſche oder rheinbündiſche Nationalkirche entwarf, fand er an Montgelas
ſeinen entſchiedenſten Gegner. Auch auf dem Wiener Congreſſe bewährte
Baiern ſeine ſtolze Selbſtgenügſamkeit und erlangte, daß die kirchlichen
Angelegenheiten der Competenz des Deutſchen Bundes entzogen wurden.

Eine Aenderung dieſes entſcheidenden Beſchluſſes war, bei der
Schwäche der neuen Bundesgewalt, weder erreichbar noch wünſchenswerth;
denn wer mochte die ſchwierigen Unterhandlungen mit der Curie dieſem
Bundestage anvertrauen? Der Particularismus hatte auch in dieſer

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[342/0356] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. das Andenken der alten ſtändiſchen Freiheit wieder zu beleben; er erwarb ſich nur den Dank der Wiſſenſchaft, auf die politiſche Stimmung des Landes wirkte ſein Buch nicht ein. — Unterdeſſen richtete Montgelas ſeine Aufmerkſamkeit vornehmlich auf die Verhandlungen mit dem römiſchen Stuhle, eine Unterhandlung, die für das geſammte Deutſchland folgenreich werden und auch auf die bairiſche Verfaſſungsarbeit ganz unerwartet zurückwirken ſollte. Trotz ihrer ſtreng römiſchen Geſinnung hatten die alten Wittelsbacher doch jederzeit, gleich den Allerchriſtlichſten Königen Frankreichs, die Kirchenhoheit ihres Staates kräftig behauptet. Die Bildung einer bairiſchen Landeskirche — ſo weit dies unbeſchadet der katholiſchen Glaubenseinheit möglich war — blieb durch Jahrhunderte das Ziel der wittelsbachiſchen Kirchenpolitik; zu der- ſelben Zeit, da Baiern die Proteſtanten austrieb, ward in München der Geiſtliche Rath eingeſetzt, eine vom Landesherrn ernannte oberſte Kirchen- behörde, ähnlich den Conſiſtorien der Lutheraner. Sobald der Reichs- deputationshauptſchluß die benachbarten reichsunmittelbaren Biſchöfe, die alten Gegner des landesfürſtlichen Kirchenregiments, der bairiſchen Landes- hoheit unterworfen hatte, nahm der Münchener Hof jene altwittelsbachi- ſchen Pläne mit neuem Eifer auf. Er traute ſich’s zu, mit dem Papſt ein ebenſo vortheilhaftes Concordat abzuſchließen, wie kurz zuvor der erſte Conſul, und hoffte auf die Errichtung von Landesbisthümern, deren Grenzen mit denen des Staatsgebietes zuſammenfallen ſollten. Bald genug mußte er erfahren, wie unerſchütterlich der heilige Stuhl ſelbſt in jenen Tagen ſeiner Demüthigung die alten herriſchen Grundſätze feſthielt. Der päpſtliche Unterhändler Cardinal della Genga, derſelbe, der ſpäterhin als Leo XII. den Thron beſtieg, forderte nichts Geringeres als die Rück- kehr zu dem alten Syſteme der Glaubenseinheit: die Gleichberechtigung der Proteſtanten, die Anerkennung der gemiſchten Ehen, die Aufſicht des Staates über die Schulen, alle die ſegensreichen Reformen, auf denen die Rechtsordnung des paritätiſchen neuen Königreichs ruhte, ſollten wieder verſchwinden. Im Jahre 1809 wurden die Verhandlungen abgebrochen. Gleichwohl gab man in München die Hoffnung nicht auf: wie konnte die Curie einem Hofe widerſtehen, der ſich ſo gern rühmte nach Oeſterreich die erſte katholiſche Macht in Deutſchland zu ſein? Als der Fürſtprimas Dalberg in jenen rheinbündiſchen Tagen unermüdlich luftige Pläne für eine deutſche oder rheinbündiſche Nationalkirche entwarf, fand er an Montgelas ſeinen entſchiedenſten Gegner. Auch auf dem Wiener Congreſſe bewährte Baiern ſeine ſtolze Selbſtgenügſamkeit und erlangte, daß die kirchlichen Angelegenheiten der Competenz des Deutſchen Bundes entzogen wurden. Eine Aenderung dieſes entſcheidenden Beſchluſſes war, bei der Schwäche der neuen Bundesgewalt, weder erreichbar noch wünſchenswerth; denn wer mochte die ſchwierigen Unterhandlungen mit der Curie dieſem Bundestage anvertrauen? Der Particularismus hatte auch in dieſer

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/356>, abgerufen am 22.11.2024.