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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Der Verfassungsplan von 1815.
Provinzialstände die politische Bildung erweckt werden, da der Deutsche
das Repräsentativsystem nicht verstehe. Der Minister konnte nicht hindern,
daß der König, um den Beschlüssen des Wiener Congresses zuvorzukommen,
eine Commission zur Durchsicht jenes papiernen Grundgesetzes einberief; er
gab jedoch den Einberufenen unzweideutig zu verstehen, daß die bairischen
Landstände nicht mehr bedeuten dürften als die parlamentarischen Institu-
tionen Napoleons. Wagte sich einmal eine freiere Meinung in der Com-
mission heraus, dann hieß es kurzab: der König und seine Beamten seien
als die eigentlichen Repräsentanten der Nation zu betrachten; unbegreiflich,
wie man von der Erweiterung der ständischen Rechte auch nur reden
könne, da doch der König nur aus besonderer Gnade auf einige seiner
Souveränitätsrechte verzichtet habe.

Die Commission, die zum größten Theile aus ergebenen Dienern
des Ministers sowie aus einigen hochconservativen altbairischen Edelleuten
bestand, nahm sich diese Winke zu Herzen und brachte einen wunder-
baren Entwurf zu Stande, der allen Wünschen der Bureaukratie und
des Junkerthums gleichmäßig entsprach. Ein Oberhaus, mit dem be-
scheidenen Namen "Kammer der Reichsräthe" geschmückt, und eine De-
putirtenkammer bilden zusammen die bairische "Nationalrepräsentation."
Für die Deputirtenstellen werden durch indirekte Wahl je drei Candi-
daten vorgeschlagen, aus denen der König, nach dem bewährten napo-
leonischen Brauche, einen ernennt; die Grundholden aber, die Masse der
Bauernschaft, bleiben von der Repräsentation gänzlich ausgeschlossen, weil
sie schon durch ihre Grundherren vertreten sind. Der Zusammensetzung
dieser Volksvertretung entspricht auch das Maß ihrer Rechte: unter
dringenden Umständen darf die Krone sogar direkte Steuern einseitig
ausschreiben, die Staatsgüter kann sie jederzeit veräußern ohne die
Kammer auch nur zu benachrichtigen. Eine solche Verfassung erschien
wie Spott. Der Kronprinz fühlte es und bewog den König seine Zu-
stimmung zu versagen als der unglückliche Entwurf im Februar 1815
in Wien anlangte. Die Commission ward aufgelöst. Montgelas aber
sah dem Schiffbruch mit stiller Schadenfreude zu und ließ fortan zwei
Jahre hindurch die leidige Sache gänzlich ruhen. Daß der verhaßte
preußische Nebenbuhler sein Verfassungswerk früher beendigen würde,
stand ja nicht mehr zu befürchten; auch der Bundestag drängte nicht,
und von einer altständischen Bewegung zeigte sich in Baiern keine Spur.
Die stolze Macht der altbairischen Landtage, die einst in den stürmischen
Tagen des Löwlerbundes so oft das Recht des bewaffneten Widerstandes
geübt hatten, war schon seit dem sechzehnten Jahrhundert gebrochen; bei
seiner Thronbesteigung hatte Max Joseph nur noch einen leblosen Land-
tags-Ausschuß, die Verordnung, vorgefunden und dies letzte Trümmerstück
fast ohne Kampf beseitigt. Vergeblich versuchte jetzt der Würzburger Pro-
fessor Rudhart, durch seine gelehrte Geschichte der bairischen Landstände

Der Verfaſſungsplan von 1815.
Provinzialſtände die politiſche Bildung erweckt werden, da der Deutſche
das Repräſentativſyſtem nicht verſtehe. Der Miniſter konnte nicht hindern,
daß der König, um den Beſchlüſſen des Wiener Congreſſes zuvorzukommen,
eine Commiſſion zur Durchſicht jenes papiernen Grundgeſetzes einberief; er
gab jedoch den Einberufenen unzweideutig zu verſtehen, daß die bairiſchen
Landſtände nicht mehr bedeuten dürften als die parlamentariſchen Inſtitu-
tionen Napoleons. Wagte ſich einmal eine freiere Meinung in der Com-
miſſion heraus, dann hieß es kurzab: der König und ſeine Beamten ſeien
als die eigentlichen Repräſentanten der Nation zu betrachten; unbegreiflich,
wie man von der Erweiterung der ſtändiſchen Rechte auch nur reden
könne, da doch der König nur aus beſonderer Gnade auf einige ſeiner
Souveränitätsrechte verzichtet habe.

Die Commiſſion, die zum größten Theile aus ergebenen Dienern
des Miniſters ſowie aus einigen hochconſervativen altbairiſchen Edelleuten
beſtand, nahm ſich dieſe Winke zu Herzen und brachte einen wunder-
baren Entwurf zu Stande, der allen Wünſchen der Bureaukratie und
des Junkerthums gleichmäßig entſprach. Ein Oberhaus, mit dem be-
ſcheidenen Namen „Kammer der Reichsräthe“ geſchmückt, und eine De-
putirtenkammer bilden zuſammen die bairiſche „Nationalrepräſentation.“
Für die Deputirtenſtellen werden durch indirekte Wahl je drei Candi-
daten vorgeſchlagen, aus denen der König, nach dem bewährten napo-
leoniſchen Brauche, einen ernennt; die Grundholden aber, die Maſſe der
Bauernſchaft, bleiben von der Repräſentation gänzlich ausgeſchloſſen, weil
ſie ſchon durch ihre Grundherren vertreten ſind. Der Zuſammenſetzung
dieſer Volksvertretung entſpricht auch das Maß ihrer Rechte: unter
dringenden Umſtänden darf die Krone ſogar direkte Steuern einſeitig
ausſchreiben, die Staatsgüter kann ſie jederzeit veräußern ohne die
Kammer auch nur zu benachrichtigen. Eine ſolche Verfaſſung erſchien
wie Spott. Der Kronprinz fühlte es und bewog den König ſeine Zu-
ſtimmung zu verſagen als der unglückliche Entwurf im Februar 1815
in Wien anlangte. Die Commiſſion ward aufgelöſt. Montgelas aber
ſah dem Schiffbruch mit ſtiller Schadenfreude zu und ließ fortan zwei
Jahre hindurch die leidige Sache gänzlich ruhen. Daß der verhaßte
preußiſche Nebenbuhler ſein Verfaſſungswerk früher beendigen würde,
ſtand ja nicht mehr zu befürchten; auch der Bundestag drängte nicht,
und von einer altſtändiſchen Bewegung zeigte ſich in Baiern keine Spur.
Die ſtolze Macht der altbairiſchen Landtage, die einſt in den ſtürmiſchen
Tagen des Löwlerbundes ſo oft das Recht des bewaffneten Widerſtandes
geübt hatten, war ſchon ſeit dem ſechzehnten Jahrhundert gebrochen; bei
ſeiner Thronbeſteigung hatte Max Joſeph nur noch einen lebloſen Land-
tags-Ausſchuß, die Verordnung, vorgefunden und dies letzte Trümmerſtück
faſt ohne Kampf beſeitigt. Vergeblich verſuchte jetzt der Würzburger Pro-
feſſor Rudhart, durch ſeine gelehrte Geſchichte der bairiſchen Landſtände

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[341/0355] Der Verfaſſungsplan von 1815. Provinzialſtände die politiſche Bildung erweckt werden, da der Deutſche das Repräſentativſyſtem nicht verſtehe. Der Miniſter konnte nicht hindern, daß der König, um den Beſchlüſſen des Wiener Congreſſes zuvorzukommen, eine Commiſſion zur Durchſicht jenes papiernen Grundgeſetzes einberief; er gab jedoch den Einberufenen unzweideutig zu verſtehen, daß die bairiſchen Landſtände nicht mehr bedeuten dürften als die parlamentariſchen Inſtitu- tionen Napoleons. Wagte ſich einmal eine freiere Meinung in der Com- miſſion heraus, dann hieß es kurzab: der König und ſeine Beamten ſeien als die eigentlichen Repräſentanten der Nation zu betrachten; unbegreiflich, wie man von der Erweiterung der ſtändiſchen Rechte auch nur reden könne, da doch der König nur aus beſonderer Gnade auf einige ſeiner Souveränitätsrechte verzichtet habe. Die Commiſſion, die zum größten Theile aus ergebenen Dienern des Miniſters ſowie aus einigen hochconſervativen altbairiſchen Edelleuten beſtand, nahm ſich dieſe Winke zu Herzen und brachte einen wunder- baren Entwurf zu Stande, der allen Wünſchen der Bureaukratie und des Junkerthums gleichmäßig entſprach. Ein Oberhaus, mit dem be- ſcheidenen Namen „Kammer der Reichsräthe“ geſchmückt, und eine De- putirtenkammer bilden zuſammen die bairiſche „Nationalrepräſentation.“ Für die Deputirtenſtellen werden durch indirekte Wahl je drei Candi- daten vorgeſchlagen, aus denen der König, nach dem bewährten napo- leoniſchen Brauche, einen ernennt; die Grundholden aber, die Maſſe der Bauernſchaft, bleiben von der Repräſentation gänzlich ausgeſchloſſen, weil ſie ſchon durch ihre Grundherren vertreten ſind. Der Zuſammenſetzung dieſer Volksvertretung entſpricht auch das Maß ihrer Rechte: unter dringenden Umſtänden darf die Krone ſogar direkte Steuern einſeitig ausſchreiben, die Staatsgüter kann ſie jederzeit veräußern ohne die Kammer auch nur zu benachrichtigen. Eine ſolche Verfaſſung erſchien wie Spott. Der Kronprinz fühlte es und bewog den König ſeine Zu- ſtimmung zu verſagen als der unglückliche Entwurf im Februar 1815 in Wien anlangte. Die Commiſſion ward aufgelöſt. Montgelas aber ſah dem Schiffbruch mit ſtiller Schadenfreude zu und ließ fortan zwei Jahre hindurch die leidige Sache gänzlich ruhen. Daß der verhaßte preußiſche Nebenbuhler ſein Verfaſſungswerk früher beendigen würde, ſtand ja nicht mehr zu befürchten; auch der Bundestag drängte nicht, und von einer altſtändiſchen Bewegung zeigte ſich in Baiern keine Spur. Die ſtolze Macht der altbairiſchen Landtage, die einſt in den ſtürmiſchen Tagen des Löwlerbundes ſo oft das Recht des bewaffneten Widerſtandes geübt hatten, war ſchon ſeit dem ſechzehnten Jahrhundert gebrochen; bei ſeiner Thronbeſteigung hatte Max Joſeph nur noch einen lebloſen Land- tags-Ausſchuß, die Verordnung, vorgefunden und dies letzte Trümmerſtück faſt ohne Kampf beſeitigt. Vergeblich verſuchte jetzt der Würzburger Pro- feſſor Rudhart, durch ſeine gelehrte Geſchichte der bairiſchen Landſtände

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/355>, abgerufen am 25.11.2024.