Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Landeskirchliche Bestrebungen.
Frage, wie überall, einen vollständigen Sieg davon getragen. Alle deut-
schen Staaten sahen sich nunmehr auf denselben Weg gedrängt, welchen
Baiern und Württemberg schon unter dem Rheinbunde eingeschlagen hatten:
sie mußten, einzeln oder in Gruppen, mit dem römischen Hofe verhandeln
um die Errichtung neuer Landesbisthümer durchzusetzen. In diesem wohl-
berechtigten Wunsche waren die Höfe allesammt einig. Denn nach den
zahllosen Grenzverschiebungen der letzten Jahre konnten die Diöcesen des
heiligen Reichs schlechterdings nicht mehr unverändert bleiben; die alten
Bisthümer waren überdies sämmtlich, bis auf fünf, verwaist und befanden
sich, da die Secularisationen der katholischen Kirche Deutschlands ein jähr-
liches Einkommen von mindestens 21 Mill. Fl. entrissen hatten, durchweg
in einer wirthschaftlichen Noth, welche allein durch die Hilfe der Staats-
gewalt geheilt werden konnte.

Auch die preußischen Staatsmänner, die auf dem Wiener Congresse
so lebhaft für eine gemeinsame deutsche Kirchenpolitik eingetreten waren,
mußten jetzt diesen Gedanken, gleich den Bundeszollplänen und so manchen
anderen patriotischen Entwürfen jener hoffnungsvollen Tage, als unaus-
führbar fallen lassen. Die preußische Bundesgesandtschaft wurde ange-
wiesen, keine Einmischung des Bundes in kirchliche Dinge zu dulden, schon
weil Preußen nimmermehr die Anwesenheit eines Nuntius in Frankfurt
gestatten dürfe; der König denke vielmehr selbständig vorzugehen und durch
freisinnige Gewährungen den anderen deutschen Staaten ein Muster
zu geben.*) Humboldt schlug dann noch vor, der preußische Staat solle die
Rechte, welche er der römischen Kirche zu gewähren gedenke, förmlich unter
den Schutz des Bundes stellen und dafür fordern, daß auch die Rechte
der Protestanten in den katholischen Staaten durch die Bürgschaft des
Bundes gesichert würden. Der Staatskanzler aber lehnte den Vorschlag
ab; er sah voraus, daß weder Oesterreich noch Baiern jemals auf einen
Plan eingehen konnten, welcher der Krone Preußen die Stellung des
Protectors der deutschen Protestanten verschafft hätte. Da Baiern nun
doch seines eigenen Weges zog und Oesterreich von vornherein aus dem
Spiele blieb, so konnte Hardenberg auch von einer gemeinsamen Ver-
handlung mit den Kleinstaaten sich keinen Erfolg versprechen; die Ab-
sichten der verschiedenen Höfe gingen allzu weit auseinander. Der preu-
ßische Staat beherrschte allein mehr katholische Unterthanen als Baiern
und die kleinen Staaten zusammen; er allein hatte schon unter dem alten
Reiche Landesbischöfe gehabt und sich in der Schule einer reichen Er-
fahrung feste kirchenpolitische Grundsätze gebildet, die mit einigen Aende-
rungen auch dem Bedürfniß der Gegenwart genügen konnten. Die kleinen
protestantischen Dynastien des Westens dagegen, Württemberg, Baden,
Hessen, Nassau waren mit einem male in den Besitz ausgedehnter katho-

*) Instruction für die Bundesgesandtschaft 30. Nov. 1816, § 31.

Landeskirchliche Beſtrebungen.
Frage, wie überall, einen vollſtändigen Sieg davon getragen. Alle deut-
ſchen Staaten ſahen ſich nunmehr auf denſelben Weg gedrängt, welchen
Baiern und Württemberg ſchon unter dem Rheinbunde eingeſchlagen hatten:
ſie mußten, einzeln oder in Gruppen, mit dem römiſchen Hofe verhandeln
um die Errichtung neuer Landesbisthümer durchzuſetzen. In dieſem wohl-
berechtigten Wunſche waren die Höfe alleſammt einig. Denn nach den
zahlloſen Grenzverſchiebungen der letzten Jahre konnten die Diöceſen des
heiligen Reichs ſchlechterdings nicht mehr unverändert bleiben; die alten
Bisthümer waren überdies ſämmtlich, bis auf fünf, verwaiſt und befanden
ſich, da die Seculariſationen der katholiſchen Kirche Deutſchlands ein jähr-
liches Einkommen von mindeſtens 21 Mill. Fl. entriſſen hatten, durchweg
in einer wirthſchaftlichen Noth, welche allein durch die Hilfe der Staats-
gewalt geheilt werden konnte.

Auch die preußiſchen Staatsmänner, die auf dem Wiener Congreſſe
ſo lebhaft für eine gemeinſame deutſche Kirchenpolitik eingetreten waren,
mußten jetzt dieſen Gedanken, gleich den Bundeszollplänen und ſo manchen
anderen patriotiſchen Entwürfen jener hoffnungsvollen Tage, als unaus-
führbar fallen laſſen. Die preußiſche Bundesgeſandtſchaft wurde ange-
wieſen, keine Einmiſchung des Bundes in kirchliche Dinge zu dulden, ſchon
weil Preußen nimmermehr die Anweſenheit eines Nuntius in Frankfurt
geſtatten dürfe; der König denke vielmehr ſelbſtändig vorzugehen und durch
freiſinnige Gewährungen den anderen deutſchen Staaten ein Muſter
zu geben.*) Humboldt ſchlug dann noch vor, der preußiſche Staat ſolle die
Rechte, welche er der römiſchen Kirche zu gewähren gedenke, förmlich unter
den Schutz des Bundes ſtellen und dafür fordern, daß auch die Rechte
der Proteſtanten in den katholiſchen Staaten durch die Bürgſchaft des
Bundes geſichert würden. Der Staatskanzler aber lehnte den Vorſchlag
ab; er ſah voraus, daß weder Oeſterreich noch Baiern jemals auf einen
Plan eingehen konnten, welcher der Krone Preußen die Stellung des
Protectors der deutſchen Proteſtanten verſchafft hätte. Da Baiern nun
doch ſeines eigenen Weges zog und Oeſterreich von vornherein aus dem
Spiele blieb, ſo konnte Hardenberg auch von einer gemeinſamen Ver-
handlung mit den Kleinſtaaten ſich keinen Erfolg verſprechen; die Ab-
ſichten der verſchiedenen Höfe gingen allzu weit auseinander. Der preu-
ßiſche Staat beherrſchte allein mehr katholiſche Unterthanen als Baiern
und die kleinen Staaten zuſammen; er allein hatte ſchon unter dem alten
Reiche Landesbiſchöfe gehabt und ſich in der Schule einer reichen Er-
fahrung feſte kirchenpolitiſche Grundſätze gebildet, die mit einigen Aende-
rungen auch dem Bedürfniß der Gegenwart genügen konnten. Die kleinen
proteſtantiſchen Dynaſtien des Weſtens dagegen, Württemberg, Baden,
Heſſen, Naſſau waren mit einem male in den Beſitz ausgedehnter katho-

*) Inſtruction für die Bundesgeſandtſchaft 30. Nov. 1816, § 31.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0357" n="343"/><fw place="top" type="header">Landeskirchliche Be&#x017F;trebungen.</fw><lb/>
Frage, wie überall, einen voll&#x017F;tändigen Sieg davon getragen. Alle deut-<lb/>
&#x017F;chen Staaten &#x017F;ahen &#x017F;ich nunmehr auf den&#x017F;elben Weg gedrängt, welchen<lb/>
Baiern und Württemberg &#x017F;chon unter dem Rheinbunde einge&#x017F;chlagen hatten:<lb/>
&#x017F;ie mußten, einzeln oder in Gruppen, mit dem römi&#x017F;chen Hofe verhandeln<lb/>
um die Errichtung neuer Landesbisthümer durchzu&#x017F;etzen. In die&#x017F;em wohl-<lb/>
berechtigten Wun&#x017F;che waren die Höfe alle&#x017F;ammt einig. Denn nach den<lb/>
zahllo&#x017F;en Grenzver&#x017F;chiebungen der letzten Jahre konnten die Diöce&#x017F;en des<lb/>
heiligen Reichs &#x017F;chlechterdings nicht mehr unverändert bleiben; die alten<lb/>
Bisthümer waren überdies &#x017F;ämmtlich, bis auf fünf, verwai&#x017F;t und befanden<lb/>
&#x017F;ich, da die Seculari&#x017F;ationen der katholi&#x017F;chen Kirche Deut&#x017F;chlands ein jähr-<lb/>
liches Einkommen von minde&#x017F;tens 21 Mill. Fl. entri&#x017F;&#x017F;en hatten, durchweg<lb/>
in einer wirth&#x017F;chaftlichen Noth, welche allein durch die Hilfe der Staats-<lb/>
gewalt geheilt werden konnte.</p><lb/>
          <p>Auch die preußi&#x017F;chen Staatsmänner, die auf dem Wiener Congre&#x017F;&#x017F;e<lb/>
&#x017F;o lebhaft für eine gemein&#x017F;ame deut&#x017F;che Kirchenpolitik eingetreten waren,<lb/>
mußten jetzt die&#x017F;en Gedanken, gleich den Bundeszollplänen und &#x017F;o manchen<lb/>
anderen patrioti&#x017F;chen Entwürfen jener hoffnungsvollen Tage, als unaus-<lb/>
führbar fallen la&#x017F;&#x017F;en. Die preußi&#x017F;che Bundesge&#x017F;andt&#x017F;chaft wurde ange-<lb/>
wie&#x017F;en, keine Einmi&#x017F;chung des Bundes in kirchliche Dinge zu dulden, &#x017F;chon<lb/>
weil Preußen nimmermehr die Anwe&#x017F;enheit eines Nuntius in Frankfurt<lb/>
ge&#x017F;tatten dürfe; der König denke vielmehr &#x017F;elb&#x017F;tändig vorzugehen und durch<lb/>
frei&#x017F;innige Gewährungen den anderen deut&#x017F;chen Staaten ein Mu&#x017F;ter<lb/>
zu geben.<note place="foot" n="*)">In&#x017F;truction für die Bundesge&#x017F;andt&#x017F;chaft 30. Nov. 1816, § 31.</note> Humboldt &#x017F;chlug dann noch vor, der preußi&#x017F;che Staat &#x017F;olle die<lb/>
Rechte, welche er der römi&#x017F;chen Kirche zu gewähren gedenke, förmlich unter<lb/>
den Schutz des Bundes &#x017F;tellen und dafür fordern, daß auch die Rechte<lb/>
der Prote&#x017F;tanten in den katholi&#x017F;chen Staaten durch die Bürg&#x017F;chaft des<lb/>
Bundes ge&#x017F;ichert würden. Der Staatskanzler aber lehnte den Vor&#x017F;chlag<lb/>
ab; er &#x017F;ah voraus, daß weder Oe&#x017F;terreich noch Baiern jemals auf einen<lb/>
Plan eingehen konnten, welcher der Krone Preußen die Stellung des<lb/>
Protectors der deut&#x017F;chen Prote&#x017F;tanten ver&#x017F;chafft hätte. Da Baiern nun<lb/>
doch &#x017F;eines eigenen Weges zog und Oe&#x017F;terreich von vornherein aus dem<lb/>
Spiele blieb, &#x017F;o konnte Hardenberg auch von einer gemein&#x017F;amen Ver-<lb/>
handlung mit den Klein&#x017F;taaten &#x017F;ich keinen Erfolg ver&#x017F;prechen; die Ab-<lb/>
&#x017F;ichten der ver&#x017F;chiedenen Höfe gingen allzu weit auseinander. Der preu-<lb/>
ßi&#x017F;che Staat beherr&#x017F;chte allein mehr katholi&#x017F;che Unterthanen als Baiern<lb/>
und die kleinen Staaten zu&#x017F;ammen; er allein hatte &#x017F;chon unter dem alten<lb/>
Reiche Landesbi&#x017F;chöfe gehabt und &#x017F;ich in der Schule einer reichen Er-<lb/>
fahrung fe&#x017F;te kirchenpoliti&#x017F;che Grund&#x017F;ätze gebildet, die mit einigen Aende-<lb/>
rungen auch dem Bedürfniß der Gegenwart genügen konnten. Die kleinen<lb/>
prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Dyna&#x017F;tien des We&#x017F;tens dagegen, Württemberg, Baden,<lb/>
He&#x017F;&#x017F;en, Na&#x017F;&#x017F;au waren mit einem male in den Be&#x017F;itz ausgedehnter katho-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0357] Landeskirchliche Beſtrebungen. Frage, wie überall, einen vollſtändigen Sieg davon getragen. Alle deut- ſchen Staaten ſahen ſich nunmehr auf denſelben Weg gedrängt, welchen Baiern und Württemberg ſchon unter dem Rheinbunde eingeſchlagen hatten: ſie mußten, einzeln oder in Gruppen, mit dem römiſchen Hofe verhandeln um die Errichtung neuer Landesbisthümer durchzuſetzen. In dieſem wohl- berechtigten Wunſche waren die Höfe alleſammt einig. Denn nach den zahlloſen Grenzverſchiebungen der letzten Jahre konnten die Diöceſen des heiligen Reichs ſchlechterdings nicht mehr unverändert bleiben; die alten Bisthümer waren überdies ſämmtlich, bis auf fünf, verwaiſt und befanden ſich, da die Seculariſationen der katholiſchen Kirche Deutſchlands ein jähr- liches Einkommen von mindeſtens 21 Mill. Fl. entriſſen hatten, durchweg in einer wirthſchaftlichen Noth, welche allein durch die Hilfe der Staats- gewalt geheilt werden konnte. Auch die preußiſchen Staatsmänner, die auf dem Wiener Congreſſe ſo lebhaft für eine gemeinſame deutſche Kirchenpolitik eingetreten waren, mußten jetzt dieſen Gedanken, gleich den Bundeszollplänen und ſo manchen anderen patriotiſchen Entwürfen jener hoffnungsvollen Tage, als unaus- führbar fallen laſſen. Die preußiſche Bundesgeſandtſchaft wurde ange- wieſen, keine Einmiſchung des Bundes in kirchliche Dinge zu dulden, ſchon weil Preußen nimmermehr die Anweſenheit eines Nuntius in Frankfurt geſtatten dürfe; der König denke vielmehr ſelbſtändig vorzugehen und durch freiſinnige Gewährungen den anderen deutſchen Staaten ein Muſter zu geben. *) Humboldt ſchlug dann noch vor, der preußiſche Staat ſolle die Rechte, welche er der römiſchen Kirche zu gewähren gedenke, förmlich unter den Schutz des Bundes ſtellen und dafür fordern, daß auch die Rechte der Proteſtanten in den katholiſchen Staaten durch die Bürgſchaft des Bundes geſichert würden. Der Staatskanzler aber lehnte den Vorſchlag ab; er ſah voraus, daß weder Oeſterreich noch Baiern jemals auf einen Plan eingehen konnten, welcher der Krone Preußen die Stellung des Protectors der deutſchen Proteſtanten verſchafft hätte. Da Baiern nun doch ſeines eigenen Weges zog und Oeſterreich von vornherein aus dem Spiele blieb, ſo konnte Hardenberg auch von einer gemeinſamen Ver- handlung mit den Kleinſtaaten ſich keinen Erfolg verſprechen; die Ab- ſichten der verſchiedenen Höfe gingen allzu weit auseinander. Der preu- ßiſche Staat beherrſchte allein mehr katholiſche Unterthanen als Baiern und die kleinen Staaten zuſammen; er allein hatte ſchon unter dem alten Reiche Landesbiſchöfe gehabt und ſich in der Schule einer reichen Er- fahrung feſte kirchenpolitiſche Grundſätze gebildet, die mit einigen Aende- rungen auch dem Bedürfniß der Gegenwart genügen konnten. Die kleinen proteſtantiſchen Dynaſtien des Weſtens dagegen, Württemberg, Baden, Heſſen, Naſſau waren mit einem male in den Beſitz ausgedehnter katho- *) Inſtruction für die Bundesgeſandtſchaft 30. Nov. 1816, § 31.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/357
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/357>, abgerufen am 15.05.2024.