Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
Sturz des Ministers um so ungeduldiger, da sein eigner Lieblingsplan,
der Anschlag auf die badische Pfalz, ohne das Wohlwollen der deutschen
Großmächte nie gelingen konnte.

Für diese Bestrebungen fand er einen mächtigen Bundesgenossen an
dem gefeierten neuen Feldmarschall des bairischen Reichs. Wrede haßte die
norddeutschen Patrioten noch ingrimmiger als der Minister selbst; diesen
Narren, diesen Teufel von Stein wollte er im Feldzuge von 1814 --
so schrieb er an Montgelas -- am Liebsten in eine Haubitze laden um
ihn als Geschenk an Napoleon hinüberzusenden. Vornehmlich aus ge-
kränkter Eitelkeit war der tapfere Landsknecht im Jahre 1812 aus einem
ergebenen Diener ein Feind Bonapartes geworden, weil ihm der Im-
perator den großen Adler der Ehrenlegion versagte. Aber er durfte sich
rühmen, daß er rascher als Montgelas den rechten Zeitpunkt für den
Abfall erkannt und den Rieder Vertrag halb gegen den Willen des zau-
dernden Ministers zu Stande gebracht hatte. Seitdem hielt er sich nicht
nur für den Feldherrn, sondern auch für den diplomatischen Retter der
bairischen Nation. Sein Praetorianertrotz sprach allem Anstande, ja selbst
den Staatsgesetzen Hohn. Völlig eigenmächtig verhieß er im Feldzuge
von 1815 den Offizieren der vier Reiterregimenter und achtzehn Legionen,
die nur für den Krieg gebildet waren, sie sollten im Frieden nicht ent-
lassen werden; als Montgelas nachher wegen der verzweifelten Finanzlage
die dringend gebotene Verminderung des Heeres verlangte, trat der Feld-
marschall im Ministerrathe als "Repräsentant der Armee" auf und setzte
bei dem Monarchen seinen herrischen Einspruch durch. Was Wunder,
daß ihn Montgelas den bairischen Friedländer nannte und den neuen
Fürstentitel dieses Schooßkindes der Fortuna mit schelen Augen betrachtete.
Seit dem Wiener Congresse war Wrede ganz für Oesterreich gewonnen,
dasselbe Oesterreich, das er noch kürzlich so oft in seinen donnernden
Proclamationen als "unseren ewigen Feind" gebrandmarkt hatte; auch
er hielt, als geborener Pfälzer, seine begehrlichen Blicke auf Heidelberg
und Mannheim gerichtet und wußte, daß dies Ziel nur durch die Gunst
der Hofburg erreicht werden konnte.

Der Haß dieser beiden mächtigen Gegner verschärfte sich noch durch
das Verhalten des Ministers in der Verfassungssache. Obwohl der Kron-
prinz wie der Feldmarschall mit ihrem starken despotischen Eigenwillen
sich Beide gleich wenig für das constitutionelle Staatsleben eigneten, so
verkannten sie doch nicht, daß nach so vielen feierlichen Verheißungen
die Verfassung endlich zu Stande kommen müsse. Montgelas dagegen
ward mit den Jahren immer starrer in seiner bureaukratischen Gesinnung.
Er ließ die traurige Constitution von 1808 unausgeführt, und der Mann,
der durch ein System unerbittlicher Centralisation jedes selbständige Leben
in den Provinzen vernichtet hatte, gelangte allmählich zu derselben An-
sicht, wie die feudale Partei in Preußen: er meinte, zunächst müßte durch

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
Sturz des Miniſters um ſo ungeduldiger, da ſein eigner Lieblingsplan,
der Anſchlag auf die badiſche Pfalz, ohne das Wohlwollen der deutſchen
Großmächte nie gelingen konnte.

Für dieſe Beſtrebungen fand er einen mächtigen Bundesgenoſſen an
dem gefeierten neuen Feldmarſchall des bairiſchen Reichs. Wrede haßte die
norddeutſchen Patrioten noch ingrimmiger als der Miniſter ſelbſt; dieſen
Narren, dieſen Teufel von Stein wollte er im Feldzuge von 1814 —
ſo ſchrieb er an Montgelas — am Liebſten in eine Haubitze laden um
ihn als Geſchenk an Napoleon hinüberzuſenden. Vornehmlich aus ge-
kränkter Eitelkeit war der tapfere Landsknecht im Jahre 1812 aus einem
ergebenen Diener ein Feind Bonapartes geworden, weil ihm der Im-
perator den großen Adler der Ehrenlegion verſagte. Aber er durfte ſich
rühmen, daß er raſcher als Montgelas den rechten Zeitpunkt für den
Abfall erkannt und den Rieder Vertrag halb gegen den Willen des zau-
dernden Miniſters zu Stande gebracht hatte. Seitdem hielt er ſich nicht
nur für den Feldherrn, ſondern auch für den diplomatiſchen Retter der
bairiſchen Nation. Sein Praetorianertrotz ſprach allem Anſtande, ja ſelbſt
den Staatsgeſetzen Hohn. Völlig eigenmächtig verhieß er im Feldzuge
von 1815 den Offizieren der vier Reiterregimenter und achtzehn Legionen,
die nur für den Krieg gebildet waren, ſie ſollten im Frieden nicht ent-
laſſen werden; als Montgelas nachher wegen der verzweifelten Finanzlage
die dringend gebotene Verminderung des Heeres verlangte, trat der Feld-
marſchall im Miniſterrathe als „Repräſentant der Armee“ auf und ſetzte
bei dem Monarchen ſeinen herriſchen Einſpruch durch. Was Wunder,
daß ihn Montgelas den bairiſchen Friedländer nannte und den neuen
Fürſtentitel dieſes Schooßkindes der Fortuna mit ſchelen Augen betrachtete.
Seit dem Wiener Congreſſe war Wrede ganz für Oeſterreich gewonnen,
daſſelbe Oeſterreich, das er noch kürzlich ſo oft in ſeinen donnernden
Proclamationen als „unſeren ewigen Feind“ gebrandmarkt hatte; auch
er hielt, als geborener Pfälzer, ſeine begehrlichen Blicke auf Heidelberg
und Mannheim gerichtet und wußte, daß dies Ziel nur durch die Gunſt
der Hofburg erreicht werden konnte.

Der Haß dieſer beiden mächtigen Gegner verſchärfte ſich noch durch
das Verhalten des Miniſters in der Verfaſſungsſache. Obwohl der Kron-
prinz wie der Feldmarſchall mit ihrem ſtarken despotiſchen Eigenwillen
ſich Beide gleich wenig für das conſtitutionelle Staatsleben eigneten, ſo
verkannten ſie doch nicht, daß nach ſo vielen feierlichen Verheißungen
die Verfaſſung endlich zu Stande kommen müſſe. Montgelas dagegen
ward mit den Jahren immer ſtarrer in ſeiner bureaukratiſchen Geſinnung.
Er ließ die traurige Conſtitution von 1808 unausgeführt, und der Mann,
der durch ein Syſtem unerbittlicher Centraliſation jedes ſelbſtändige Leben
in den Provinzen vernichtet hatte, gelangte allmählich zu derſelben An-
ſicht, wie die feudale Partei in Preußen: er meinte, zunächſt müßte durch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0354" n="340"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 6. Süddeut&#x017F;che Verfa&#x017F;&#x017F;ungskämpfe.</fw><lb/>
Sturz des Mini&#x017F;ters um &#x017F;o ungeduldiger, da &#x017F;ein eigner Lieblingsplan,<lb/>
der An&#x017F;chlag auf die badi&#x017F;che Pfalz, ohne das Wohlwollen der deut&#x017F;chen<lb/>
Großmächte nie gelingen konnte.</p><lb/>
          <p>Für die&#x017F;e Be&#x017F;trebungen fand er einen mächtigen Bundesgeno&#x017F;&#x017F;en an<lb/>
dem gefeierten neuen Feldmar&#x017F;chall des bairi&#x017F;chen Reichs. Wrede haßte die<lb/>
norddeut&#x017F;chen Patrioten noch ingrimmiger als der Mini&#x017F;ter &#x017F;elb&#x017F;t; die&#x017F;en<lb/>
Narren, die&#x017F;en Teufel von Stein wollte er im Feldzuge von 1814 &#x2014;<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chrieb er an Montgelas &#x2014; am Lieb&#x017F;ten in eine Haubitze laden um<lb/>
ihn als Ge&#x017F;chenk an Napoleon hinüberzu&#x017F;enden. Vornehmlich aus ge-<lb/>
kränkter Eitelkeit war der tapfere Landsknecht im Jahre 1812 aus einem<lb/>
ergebenen Diener ein Feind Bonapartes geworden, weil ihm der Im-<lb/>
perator den großen Adler der Ehrenlegion ver&#x017F;agte. Aber er durfte &#x017F;ich<lb/>
rühmen, daß er ra&#x017F;cher als Montgelas den rechten Zeitpunkt für den<lb/>
Abfall erkannt und den Rieder Vertrag halb gegen den Willen des zau-<lb/>
dernden Mini&#x017F;ters zu Stande gebracht hatte. Seitdem hielt er &#x017F;ich nicht<lb/>
nur für den Feldherrn, &#x017F;ondern auch für den diplomati&#x017F;chen Retter der<lb/>
bairi&#x017F;chen Nation. Sein Praetorianertrotz &#x017F;prach allem An&#x017F;tande, ja &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
den Staatsge&#x017F;etzen Hohn. Völlig eigenmächtig verhieß er im Feldzuge<lb/>
von 1815 den Offizieren der vier Reiterregimenter und achtzehn Legionen,<lb/>
die nur für den Krieg gebildet waren, &#x017F;ie &#x017F;ollten im Frieden nicht ent-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en werden; als Montgelas nachher wegen der verzweifelten Finanzlage<lb/>
die dringend gebotene Verminderung des Heeres verlangte, trat der Feld-<lb/>
mar&#x017F;chall im Mini&#x017F;terrathe als &#x201E;Reprä&#x017F;entant der Armee&#x201C; auf und &#x017F;etzte<lb/>
bei dem Monarchen &#x017F;einen herri&#x017F;chen Ein&#x017F;pruch durch. Was Wunder,<lb/>
daß ihn Montgelas den bairi&#x017F;chen Friedländer nannte und den neuen<lb/>
Für&#x017F;tentitel die&#x017F;es Schooßkindes der Fortuna mit &#x017F;chelen Augen betrachtete.<lb/>
Seit dem Wiener Congre&#x017F;&#x017F;e war Wrede ganz für Oe&#x017F;terreich gewonnen,<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe Oe&#x017F;terreich, das er noch kürzlich &#x017F;o oft in &#x017F;einen donnernden<lb/>
Proclamationen als &#x201E;un&#x017F;eren ewigen Feind&#x201C; gebrandmarkt hatte; auch<lb/>
er hielt, als geborener Pfälzer, &#x017F;eine begehrlichen Blicke auf Heidelberg<lb/>
und Mannheim gerichtet und wußte, daß dies Ziel nur durch die Gun&#x017F;t<lb/>
der Hofburg erreicht werden konnte.</p><lb/>
          <p>Der Haß die&#x017F;er beiden mächtigen Gegner ver&#x017F;chärfte &#x017F;ich noch durch<lb/>
das Verhalten des Mini&#x017F;ters in der Verfa&#x017F;&#x017F;ungs&#x017F;ache. Obwohl der Kron-<lb/>
prinz wie der Feldmar&#x017F;chall mit ihrem &#x017F;tarken despoti&#x017F;chen Eigenwillen<lb/>
&#x017F;ich Beide gleich wenig für das con&#x017F;titutionelle Staatsleben eigneten, &#x017F;o<lb/>
verkannten &#x017F;ie doch nicht, daß nach &#x017F;o vielen feierlichen Verheißungen<lb/>
die Verfa&#x017F;&#x017F;ung endlich zu Stande kommen mü&#x017F;&#x017F;e. Montgelas dagegen<lb/>
ward mit den Jahren immer &#x017F;tarrer in &#x017F;einer bureaukrati&#x017F;chen Ge&#x017F;innung.<lb/>
Er ließ die traurige Con&#x017F;titution von 1808 unausgeführt, und der Mann,<lb/>
der durch ein Sy&#x017F;tem unerbittlicher Centrali&#x017F;ation jedes &#x017F;elb&#x017F;tändige Leben<lb/>
in den Provinzen vernichtet hatte, gelangte allmählich zu der&#x017F;elben An-<lb/>
&#x017F;icht, wie die feudale Partei in Preußen: er meinte, zunäch&#x017F;t müßte durch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[340/0354] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. Sturz des Miniſters um ſo ungeduldiger, da ſein eigner Lieblingsplan, der Anſchlag auf die badiſche Pfalz, ohne das Wohlwollen der deutſchen Großmächte nie gelingen konnte. Für dieſe Beſtrebungen fand er einen mächtigen Bundesgenoſſen an dem gefeierten neuen Feldmarſchall des bairiſchen Reichs. Wrede haßte die norddeutſchen Patrioten noch ingrimmiger als der Miniſter ſelbſt; dieſen Narren, dieſen Teufel von Stein wollte er im Feldzuge von 1814 — ſo ſchrieb er an Montgelas — am Liebſten in eine Haubitze laden um ihn als Geſchenk an Napoleon hinüberzuſenden. Vornehmlich aus ge- kränkter Eitelkeit war der tapfere Landsknecht im Jahre 1812 aus einem ergebenen Diener ein Feind Bonapartes geworden, weil ihm der Im- perator den großen Adler der Ehrenlegion verſagte. Aber er durfte ſich rühmen, daß er raſcher als Montgelas den rechten Zeitpunkt für den Abfall erkannt und den Rieder Vertrag halb gegen den Willen des zau- dernden Miniſters zu Stande gebracht hatte. Seitdem hielt er ſich nicht nur für den Feldherrn, ſondern auch für den diplomatiſchen Retter der bairiſchen Nation. Sein Praetorianertrotz ſprach allem Anſtande, ja ſelbſt den Staatsgeſetzen Hohn. Völlig eigenmächtig verhieß er im Feldzuge von 1815 den Offizieren der vier Reiterregimenter und achtzehn Legionen, die nur für den Krieg gebildet waren, ſie ſollten im Frieden nicht ent- laſſen werden; als Montgelas nachher wegen der verzweifelten Finanzlage die dringend gebotene Verminderung des Heeres verlangte, trat der Feld- marſchall im Miniſterrathe als „Repräſentant der Armee“ auf und ſetzte bei dem Monarchen ſeinen herriſchen Einſpruch durch. Was Wunder, daß ihn Montgelas den bairiſchen Friedländer nannte und den neuen Fürſtentitel dieſes Schooßkindes der Fortuna mit ſchelen Augen betrachtete. Seit dem Wiener Congreſſe war Wrede ganz für Oeſterreich gewonnen, daſſelbe Oeſterreich, das er noch kürzlich ſo oft in ſeinen donnernden Proclamationen als „unſeren ewigen Feind“ gebrandmarkt hatte; auch er hielt, als geborener Pfälzer, ſeine begehrlichen Blicke auf Heidelberg und Mannheim gerichtet und wußte, daß dies Ziel nur durch die Gunſt der Hofburg erreicht werden konnte. Der Haß dieſer beiden mächtigen Gegner verſchärfte ſich noch durch das Verhalten des Miniſters in der Verfaſſungsſache. Obwohl der Kron- prinz wie der Feldmarſchall mit ihrem ſtarken despotiſchen Eigenwillen ſich Beide gleich wenig für das conſtitutionelle Staatsleben eigneten, ſo verkannten ſie doch nicht, daß nach ſo vielen feierlichen Verheißungen die Verfaſſung endlich zu Stande kommen müſſe. Montgelas dagegen ward mit den Jahren immer ſtarrer in ſeiner bureaukratiſchen Geſinnung. Er ließ die traurige Conſtitution von 1808 unausgeführt, und der Mann, der durch ein Syſtem unerbittlicher Centraliſation jedes ſelbſtändige Leben in den Provinzen vernichtet hatte, gelangte allmählich zu derſelben An- ſicht, wie die feudale Partei in Preußen: er meinte, zunächſt müßte durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/354
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/354>, abgerufen am 22.05.2024.