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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die Pfalz.
heimathlicher Eigenart verehrt wurde. Man nahm es hin wie eine
Schickung der Natur, daß die wälsche Wuth von allen den alten
Kirchen und Kaiserpfalzen des Landes keine einzige unzerstört gelassen
hatte; aber die rothe Jacobinermütze wagte Niemand von dem Landauer
Kirchthurme zu entfernen, und an den Mauern der Grenzfestung prang-
ten noch immer die Bilder, welche die Franzosen einst zur Verhöhnung
Deutschlands dort angebracht: über dem Französischen Thore die lächelnde,
über dem Deutschen Thore die stirnrunzelnde Sonne des großen Ludwig.
Den Altbaiern wußte das Volk für ihre nachsichtige Schonung wenig
Dank. Anlage, Geschichte und Bildung der beiden Stämme gingen allzu
weit auseinander. Mit grenzenloser Verachtung sprach der aufgeklärte
Pfälzer von der Finsterniß dieser bairischen Köpfe, obgleich doch sein eigenes
Land an dem literarischen Schaffen der Nation auch nur geringen An-
theil nahm; seit der Abtrennung von Heidelberg und Mannheim war das
geistige Leben der überrheinischen Pfalz unverkennbar gesunken, und die
reiche Begabung des geistreichen Völkchens zeigte sich fast allein im Ge-
schäftsleben. Wenn zwei pfälzische Krischer nach der landesüblichen forschen
Art einander die Wahrheit sagten, dann schloß der Gedankenaustausch
unfehlbar mit dem höchsten Schimpfwort: Du Altbaier! Mit verschwin-
denden Ausnahmen verschmähten alle Pfälzer den Staatsdienst in den
alten Provinzen; grollend sah das durchaus unmilitärische Volk seine
Söhne zur Erfüllung der Wehrpflicht "unter die Baiern gehen". In so
unnatürlicher Lage, beständig aufgeregt durch die Parteikämpfe im nahen
Frankreich, halb selbständig und doch angekettet an eine ungeliebte, wenig
leistende deutsche Regierung verfiel das Land nach und nach einem zungen-
fertigen vaterlandslosen Radicalismus, der überall in Deutschland die
historischen Ueberlieferungen ebenso "worzweg" auszurotten dachte, wie
dies in der fröhlichen Pfalz durch die glorreiche Revolution bereits ge-
schehen war.

Ein Glück nur, daß keine dieser zahlreichen centrifugalen Kräfte
für sich allein stark genug war den bairischen Staat zu zersprengen und
keine sich mit den andern verbinden wollte. Ein Glück auch, daß der
gutherzige König sich die persönliche Anhänglichkeit seiner Unterthanen
so rasch zu erwerben verstand. Max Joseph hatte die glücklichsten Tage
seiner Jugend als französischer Oberst zu Straßburg verlebt, in einer
Stellung, welcher seine Fähigkeiten genügten, und die Vorliebe für Frank-
reich blieb ihm für sein ganzes Leben, obgleich ihn die Revolution aus
dem Elsaß vertrieb. Bald nach seiner Thronbesteigung in Baiern bat
er den französischen Geschäftsträger Alquier rundweg, er möge ihn "als
einen Franzosen betrachten: so oft ich von den Erfolgen der Heere der
Republik hörte, fühlte ich an meiner Freude, daß ich ein Franzose bin."*)

*) Alquiers Bericht an Talleyrand, München 6. Ventose VII, mir mitgetheilt durch
Herrn Dr. P. Bailleu.

Die Pfalz.
heimathlicher Eigenart verehrt wurde. Man nahm es hin wie eine
Schickung der Natur, daß die wälſche Wuth von allen den alten
Kirchen und Kaiſerpfalzen des Landes keine einzige unzerſtört gelaſſen
hatte; aber die rothe Jacobinermütze wagte Niemand von dem Landauer
Kirchthurme zu entfernen, und an den Mauern der Grenzfeſtung prang-
ten noch immer die Bilder, welche die Franzoſen einſt zur Verhöhnung
Deutſchlands dort angebracht: über dem Franzöſiſchen Thore die lächelnde,
über dem Deutſchen Thore die ſtirnrunzelnde Sonne des großen Ludwig.
Den Altbaiern wußte das Volk für ihre nachſichtige Schonung wenig
Dank. Anlage, Geſchichte und Bildung der beiden Stämme gingen allzu
weit auseinander. Mit grenzenloſer Verachtung ſprach der aufgeklärte
Pfälzer von der Finſterniß dieſer bairiſchen Köpfe, obgleich doch ſein eigenes
Land an dem literariſchen Schaffen der Nation auch nur geringen An-
theil nahm; ſeit der Abtrennung von Heidelberg und Mannheim war das
geiſtige Leben der überrheiniſchen Pfalz unverkennbar geſunken, und die
reiche Begabung des geiſtreichen Völkchens zeigte ſich faſt allein im Ge-
ſchäftsleben. Wenn zwei pfälziſche Kriſcher nach der landesüblichen forſchen
Art einander die Wahrheit ſagten, dann ſchloß der Gedankenaustauſch
unfehlbar mit dem höchſten Schimpfwort: Du Altbaier! Mit verſchwin-
denden Ausnahmen verſchmähten alle Pfälzer den Staatsdienſt in den
alten Provinzen; grollend ſah das durchaus unmilitäriſche Volk ſeine
Söhne zur Erfüllung der Wehrpflicht „unter die Baiern gehen“. In ſo
unnatürlicher Lage, beſtändig aufgeregt durch die Parteikämpfe im nahen
Frankreich, halb ſelbſtändig und doch angekettet an eine ungeliebte, wenig
leiſtende deutſche Regierung verfiel das Land nach und nach einem zungen-
fertigen vaterlandsloſen Radicalismus, der überall in Deutſchland die
hiſtoriſchen Ueberlieferungen ebenſo „worzweg“ auszurotten dachte, wie
dies in der fröhlichen Pfalz durch die glorreiche Revolution bereits ge-
ſchehen war.

Ein Glück nur, daß keine dieſer zahlreichen centrifugalen Kräfte
für ſich allein ſtark genug war den bairiſchen Staat zu zerſprengen und
keine ſich mit den andern verbinden wollte. Ein Glück auch, daß der
gutherzige König ſich die perſönliche Anhänglichkeit ſeiner Unterthanen
ſo raſch zu erwerben verſtand. Max Joſeph hatte die glücklichſten Tage
ſeiner Jugend als franzöſiſcher Oberſt zu Straßburg verlebt, in einer
Stellung, welcher ſeine Fähigkeiten genügten, und die Vorliebe für Frank-
reich blieb ihm für ſein ganzes Leben, obgleich ihn die Revolution aus
dem Elſaß vertrieb. Bald nach ſeiner Thronbeſteigung in Baiern bat
er den franzöſiſchen Geſchäftsträger Alquier rundweg, er möge ihn „als
einen Franzoſen betrachten: ſo oft ich von den Erfolgen der Heere der
Republik hörte, fühlte ich an meiner Freude, daß ich ein Franzoſe bin.“*)

*) Alquiers Bericht an Talleyrand, München 6. Ventoſe VII, mir mitgetheilt durch
Herrn Dr. P. Bailleu.
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[331/0345] Die Pfalz. heimathlicher Eigenart verehrt wurde. Man nahm es hin wie eine Schickung der Natur, daß die wälſche Wuth von allen den alten Kirchen und Kaiſerpfalzen des Landes keine einzige unzerſtört gelaſſen hatte; aber die rothe Jacobinermütze wagte Niemand von dem Landauer Kirchthurme zu entfernen, und an den Mauern der Grenzfeſtung prang- ten noch immer die Bilder, welche die Franzoſen einſt zur Verhöhnung Deutſchlands dort angebracht: über dem Franzöſiſchen Thore die lächelnde, über dem Deutſchen Thore die ſtirnrunzelnde Sonne des großen Ludwig. Den Altbaiern wußte das Volk für ihre nachſichtige Schonung wenig Dank. Anlage, Geſchichte und Bildung der beiden Stämme gingen allzu weit auseinander. Mit grenzenloſer Verachtung ſprach der aufgeklärte Pfälzer von der Finſterniß dieſer bairiſchen Köpfe, obgleich doch ſein eigenes Land an dem literariſchen Schaffen der Nation auch nur geringen An- theil nahm; ſeit der Abtrennung von Heidelberg und Mannheim war das geiſtige Leben der überrheiniſchen Pfalz unverkennbar geſunken, und die reiche Begabung des geiſtreichen Völkchens zeigte ſich faſt allein im Ge- ſchäftsleben. Wenn zwei pfälziſche Kriſcher nach der landesüblichen forſchen Art einander die Wahrheit ſagten, dann ſchloß der Gedankenaustauſch unfehlbar mit dem höchſten Schimpfwort: Du Altbaier! Mit verſchwin- denden Ausnahmen verſchmähten alle Pfälzer den Staatsdienſt in den alten Provinzen; grollend ſah das durchaus unmilitäriſche Volk ſeine Söhne zur Erfüllung der Wehrpflicht „unter die Baiern gehen“. In ſo unnatürlicher Lage, beſtändig aufgeregt durch die Parteikämpfe im nahen Frankreich, halb ſelbſtändig und doch angekettet an eine ungeliebte, wenig leiſtende deutſche Regierung verfiel das Land nach und nach einem zungen- fertigen vaterlandsloſen Radicalismus, der überall in Deutſchland die hiſtoriſchen Ueberlieferungen ebenſo „worzweg“ auszurotten dachte, wie dies in der fröhlichen Pfalz durch die glorreiche Revolution bereits ge- ſchehen war. Ein Glück nur, daß keine dieſer zahlreichen centrifugalen Kräfte für ſich allein ſtark genug war den bairiſchen Staat zu zerſprengen und keine ſich mit den andern verbinden wollte. Ein Glück auch, daß der gutherzige König ſich die perſönliche Anhänglichkeit ſeiner Unterthanen ſo raſch zu erwerben verſtand. Max Joſeph hatte die glücklichſten Tage ſeiner Jugend als franzöſiſcher Oberſt zu Straßburg verlebt, in einer Stellung, welcher ſeine Fähigkeiten genügten, und die Vorliebe für Frank- reich blieb ihm für ſein ganzes Leben, obgleich ihn die Revolution aus dem Elſaß vertrieb. Bald nach ſeiner Thronbeſteigung in Baiern bat er den franzöſiſchen Geſchäftsträger Alquier rundweg, er möge ihn „als einen Franzoſen betrachten: ſo oft ich von den Erfolgen der Heere der Republik hörte, fühlte ich an meiner Freude, daß ich ein Franzoſe bin.“ *) *) Alquiers Bericht an Talleyrand, München 6. Ventoſe VII, mir mitgetheilt durch Herrn Dr. P. Bailleu.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/345>, abgerufen am 22.11.2024.