des Kaiserreichs wieder eine gesicherte bürgerliche Ordnung erlangt. Nir- gends auf deutschem Boden zog die Revolution tiefere Furchen. Was über die Tage der Franzosenherrschaft hinauslag galt den Pfälzern als finsteres Mittelalter, selbst die vormals Wittelsbachischen Landestheile dachten kaum noch ihres alten Fürstenhauses. Der Adel war verschwun- den, die alte Gliederung der Stände völlig vernichtet; auch die neuen Reichen, die Flaschenbarone, die beim Verkaufe der Nationalgüter in den Besitz der gesegneten Weingelände der Hardt gelangt waren, mußten sich dem bürgerlichen Brauche dieses durch und durch modernen Landes fügen.
Die französischen Grundsätze der socialen Gleichheit und des freien wirthschaftlichen Wettbewerbs waren den Pfälzern in Fleisch und Blut gedrungen. In den städtischen Dörfern an der Hardt gedieh eine specu- lative Kleinwirthschaft, die jeden Winkel Landes verwerthete und der freien Theilbarkeit des Bodens nicht entbehren konnte; der gewitzte pfälzische Bauer trug das städtische Kamisol und rühmte sich, daß ihm selbst der Ochs kalben müsse. Alle Confessionen wohnten bunt durch einander, und über allen lag ein Hauch von calvinischer Nüchternheit und nachsichtiger Aufklärung; nach so vielen Glaubenswechseln hatte man endlich gelernt einander zu ertragen. Nachdem die Stürme der neunziger Jahre verrauscht waren, erfuhr die Pfalz wenig mehr von den Schrecken des kriegerischen Zeitalters. Das fleißige Völkchen verstand von dem großen französischen Markte seinen Vortheil zu ziehen; die Gastwirthe und Posthalter sahen nie wieder so fette Zeiten wie damals, da alle Potentaten der Welt jahraus jahrein auf der Reise nach Paris dies Durchgangsland besuchten. Der Münchener Hof wußte wohl, wie ungern die Pfalz sich von Frankreich trennte, und da er selbst noch lange hoffte diese entlegene Provinz gegen die rechtsrheinische Pfalz zu vertau- schen, so ließ der neue Gouverneur Zwackh fast alle Institutionen des Landes vorläufig unberührt. Auch als jene Hoffnung endlich aufgegeben werden mußte, zeigte sich die Regierung zu furchtsam und zu arm an schöpferischer Kraft um noch etwas Wesentliches zu ändern. Nicht blos der Code Napoleon blieb der Provinz erhalten, sondern auch das ge- sammte System der französischen Verwaltung; jede Warnungstafel auf der Landstraße erinnerte den Fuhrmann an das Gesetz über die voieries publiques. Was hatte auch Altbaiern diesem Lande zu bieten? Neben der rein bureaukratischen und doch schwerfälligen Verwaltung der alten Provinzen erschien die schlagfertige Ordnung des Präfektursystems immer- hin als ein Glück.
So blühte denn ein deutsch-französisches Sonderleben ungestört in einem Lande, wo jede Burgruine an die Unthaten der Franzosen er- innerte. Noch lebhafter als in den preußischen Rheinlanden begeisterte sich der Partikularismus hier für die fremden Gesetze. Alles Franzö- sische galt für unantastbar, weil es pfälzisch war und als ein Kleinod
II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
des Kaiſerreichs wieder eine geſicherte bürgerliche Ordnung erlangt. Nir- gends auf deutſchem Boden zog die Revolution tiefere Furchen. Was über die Tage der Franzoſenherrſchaft hinauslag galt den Pfälzern als finſteres Mittelalter, ſelbſt die vormals Wittelsbachiſchen Landestheile dachten kaum noch ihres alten Fürſtenhauſes. Der Adel war verſchwun- den, die alte Gliederung der Stände völlig vernichtet; auch die neuen Reichen, die Flaſchenbarone, die beim Verkaufe der Nationalgüter in den Beſitz der geſegneten Weingelände der Hardt gelangt waren, mußten ſich dem bürgerlichen Brauche dieſes durch und durch modernen Landes fügen.
Die franzöſiſchen Grundſätze der ſocialen Gleichheit und des freien wirthſchaftlichen Wettbewerbs waren den Pfälzern in Fleiſch und Blut gedrungen. In den ſtädtiſchen Dörfern an der Hardt gedieh eine ſpecu- lative Kleinwirthſchaft, die jeden Winkel Landes verwerthete und der freien Theilbarkeit des Bodens nicht entbehren konnte; der gewitzte pfälziſche Bauer trug das ſtädtiſche Kamiſol und rühmte ſich, daß ihm ſelbſt der Ochs kalben müſſe. Alle Confeſſionen wohnten bunt durch einander, und über allen lag ein Hauch von calviniſcher Nüchternheit und nachſichtiger Aufklärung; nach ſo vielen Glaubenswechſeln hatte man endlich gelernt einander zu ertragen. Nachdem die Stürme der neunziger Jahre verrauſcht waren, erfuhr die Pfalz wenig mehr von den Schrecken des kriegeriſchen Zeitalters. Das fleißige Völkchen verſtand von dem großen franzöſiſchen Markte ſeinen Vortheil zu ziehen; die Gaſtwirthe und Poſthalter ſahen nie wieder ſo fette Zeiten wie damals, da alle Potentaten der Welt jahraus jahrein auf der Reiſe nach Paris dies Durchgangsland beſuchten. Der Münchener Hof wußte wohl, wie ungern die Pfalz ſich von Frankreich trennte, und da er ſelbſt noch lange hoffte dieſe entlegene Provinz gegen die rechtsrheiniſche Pfalz zu vertau- ſchen, ſo ließ der neue Gouverneur Zwackh faſt alle Inſtitutionen des Landes vorläufig unberührt. Auch als jene Hoffnung endlich aufgegeben werden mußte, zeigte ſich die Regierung zu furchtſam und zu arm an ſchöpferiſcher Kraft um noch etwas Weſentliches zu ändern. Nicht blos der Code Napoleon blieb der Provinz erhalten, ſondern auch das ge- ſammte Syſtem der franzöſiſchen Verwaltung; jede Warnungstafel auf der Landſtraße erinnerte den Fuhrmann an das Geſetz über die voieries publiques. Was hatte auch Altbaiern dieſem Lande zu bieten? Neben der rein bureaukratiſchen und doch ſchwerfälligen Verwaltung der alten Provinzen erſchien die ſchlagfertige Ordnung des Präfekturſyſtems immer- hin als ein Glück.
So blühte denn ein deutſch-franzöſiſches Sonderleben ungeſtört in einem Lande, wo jede Burgruine an die Unthaten der Franzoſen er- innerte. Noch lebhafter als in den preußiſchen Rheinlanden begeiſterte ſich der Partikularismus hier für die fremden Geſetze. Alles Franzö- ſiſche galt für unantaſtbar, weil es pfälziſch war und als ein Kleinod
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II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
des Kaiſerreichs wieder eine geſicherte bürgerliche Ordnung erlangt. Nir-
gends auf deutſchem Boden zog die Revolution tiefere Furchen. Was
über die Tage der Franzoſenherrſchaft hinauslag galt den Pfälzern als
finſteres Mittelalter, ſelbſt die vormals Wittelsbachiſchen Landestheile
dachten kaum noch ihres alten Fürſtenhauſes. Der Adel war verſchwun-
den, die alte Gliederung der Stände völlig vernichtet; auch die neuen
Reichen, die Flaſchenbarone, die beim Verkaufe der Nationalgüter in den
Beſitz der geſegneten Weingelände der Hardt gelangt waren, mußten ſich
dem bürgerlichen Brauche dieſes durch und durch modernen Landes fügen.
Die franzöſiſchen Grundſätze der ſocialen Gleichheit und des freien
wirthſchaftlichen Wettbewerbs waren den Pfälzern in Fleiſch und Blut
gedrungen. In den ſtädtiſchen Dörfern an der Hardt gedieh eine ſpecu-
lative Kleinwirthſchaft, die jeden Winkel Landes verwerthete und der
freien Theilbarkeit des Bodens nicht entbehren konnte; der gewitzte
pfälziſche Bauer trug das ſtädtiſche Kamiſol und rühmte ſich, daß ihm
ſelbſt der Ochs kalben müſſe. Alle Confeſſionen wohnten bunt durch
einander, und über allen lag ein Hauch von calviniſcher Nüchternheit
und nachſichtiger Aufklärung; nach ſo vielen Glaubenswechſeln hatte
man endlich gelernt einander zu ertragen. Nachdem die Stürme der
neunziger Jahre verrauſcht waren, erfuhr die Pfalz wenig mehr von den
Schrecken des kriegeriſchen Zeitalters. Das fleißige Völkchen verſtand
von dem großen franzöſiſchen Markte ſeinen Vortheil zu ziehen; die
Gaſtwirthe und Poſthalter ſahen nie wieder ſo fette Zeiten wie damals,
da alle Potentaten der Welt jahraus jahrein auf der Reiſe nach Paris
dies Durchgangsland beſuchten. Der Münchener Hof wußte wohl, wie
ungern die Pfalz ſich von Frankreich trennte, und da er ſelbſt noch lange
hoffte dieſe entlegene Provinz gegen die rechtsrheiniſche Pfalz zu vertau-
ſchen, ſo ließ der neue Gouverneur Zwackh faſt alle Inſtitutionen des
Landes vorläufig unberührt. Auch als jene Hoffnung endlich aufgegeben
werden mußte, zeigte ſich die Regierung zu furchtſam und zu arm an
ſchöpferiſcher Kraft um noch etwas Weſentliches zu ändern. Nicht blos
der Code Napoleon blieb der Provinz erhalten, ſondern auch das ge-
ſammte Syſtem der franzöſiſchen Verwaltung; jede Warnungstafel auf
der Landſtraße erinnerte den Fuhrmann an das Geſetz über die voieries
publiques. Was hatte auch Altbaiern dieſem Lande zu bieten? Neben
der rein bureaukratiſchen und doch ſchwerfälligen Verwaltung der alten
Provinzen erſchien die ſchlagfertige Ordnung des Präfekturſyſtems immer-
hin als ein Glück.
So blühte denn ein deutſch-franzöſiſches Sonderleben ungeſtört in
einem Lande, wo jede Burgruine an die Unthaten der Franzoſen er-
innerte. Noch lebhafter als in den preußiſchen Rheinlanden begeiſterte
ſich der Partikularismus hier für die fremden Geſetze. Alles Franzö-
ſiſche galt für unantaſtbar, weil es pfälziſch war und als ein Kleinod
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/344>, abgerufen am 22.11.2024.
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