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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Schwaben und Franken.
ihre alten protestantischen Traditionen; da ihre Universität Altdorf durch
den neuen Landesherrn geschlossen wurde, so sollte mindestens das Nürn-
berger Gymnasium den Geist seines Stifters Melanchthon treu bewahren
und gleich der nahen brandenburgischen Hochschule Erlangen eine Pflanz-
stätte evangelischer Bildung in dem neuen paritätischen Staate bleiben.
Diese rührige kleine Universität hatte mit der literarischen Bewegung des
Nordens immer rüstig Schritt gehalten und ihre treue deutsche Gesin-
nung auch unter dem Lärm der französischen Waffen nie verleugnet.
Das gesammte brandenburgische Frankenland dachte noch immer mit
Sehnsucht an das kurze Glück der preußischen Herrschaft. In Ansbach
konnte sich das bairische Regiment erst dann befestigen als auch Baireuth
mit Baiern vereinigt war; und auch dann noch wollte das treue Volk
die Hoffnung auf die Wiedervereinigung nicht aufgeben. Als König
Friedrich Wilhelm seine Preußen endlich zu den Fahnen rief, standen
auch die Franken des Fichtelgebirges bereit zum Kampfe, und nur die
Ungunst des Kriegsglücks verhinderte den Aufstand.

Die katholischen Nachbarn in den reichen fränkischen Bischofslanden
hatten so theuere Erinnerungen nicht zu überwinden; die Würzburger be-
grüßten sogar mit Freude die Abreise ihres Großherzogs Ferdinand von
Toscana, der sein deutsches Land als ein unsicheres Besitzthum immer ver-
nachlässigt hatte. Aber die bairische Herrschaft ward auch hier ungern auf-
genommen. Froh seiner Weinknochen sah der aufgeweckte, witzige Main-
franke aus der heiteren Anmuth seines halbrheinischen Lebens verächtlich
auf das derbe Bajuvarenthum herab; die Reichsritterschaft fühlte sich
entwürdigt, sie wollte höchstens einem Habsburger gehorchen. Indeß gelang
es der klugen Milde des Generalcommissärs Lerchenfeld die Murrenden
zu beschwichtigen. Die Krone wußte, daß sie das unschätzbare Tyrol, dies
altbairische, mit seinem gesammten Verkehr auf Baiern angewiesene Land,
allein durch die zufahrende Roheit ihrer Beamten verloren hatte, und
verfuhr daher jetzt bei der Besitznahme neuer Gebiete sehr behutsam.

Am Behutsamsten in ihrer jüngsten Provinz, der überrheinischen
Pfalz; denn hier begegnete ihr ein tiefer Widerwille, der noch länger
anhielt als die Abneigung der Rheinländer gegen die Altpreußen. Seit
den fernen Zeiten, da die Salier und die Staufer auf der Limburg
und dem Trifels Hof hielten, war in dieser gefährdeten Mark niemals
wieder eine kräftige Staatsgewalt erstanden. Speyer und Worms, Sickingen
und Leiningen, Nassau, Baden, Hessen und Wittelsbach hausten hier neben
einander, allesammt beseelt von jener freundnachbarlichen Gesinnung, die
sich in den Namen der Grenzthürme "Murr' mir nicht viel" und "Kehr'
dich nicht dran" bekundete. Der Spielball zweier feindlicher Nationen
hatte das anstellige, unermüdlich betriebsame Volk den Unsegen kleinfürst-
licher Willkür, wiederholter Religionsverfolgungen, gräßlicher Verwüstungen
mit erstaunlicher Lebenskraft überstanden und erst unter den Präfekten

Schwaben und Franken.
ihre alten proteſtantiſchen Traditionen; da ihre Univerſität Altdorf durch
den neuen Landesherrn geſchloſſen wurde, ſo ſollte mindeſtens das Nürn-
berger Gymnaſium den Geiſt ſeines Stifters Melanchthon treu bewahren
und gleich der nahen brandenburgiſchen Hochſchule Erlangen eine Pflanz-
ſtätte evangeliſcher Bildung in dem neuen paritätiſchen Staate bleiben.
Dieſe rührige kleine Univerſität hatte mit der literariſchen Bewegung des
Nordens immer rüſtig Schritt gehalten und ihre treue deutſche Geſin-
nung auch unter dem Lärm der franzöſiſchen Waffen nie verleugnet.
Das geſammte brandenburgiſche Frankenland dachte noch immer mit
Sehnſucht an das kurze Glück der preußiſchen Herrſchaft. In Ansbach
konnte ſich das bairiſche Regiment erſt dann befeſtigen als auch Baireuth
mit Baiern vereinigt war; und auch dann noch wollte das treue Volk
die Hoffnung auf die Wiedervereinigung nicht aufgeben. Als König
Friedrich Wilhelm ſeine Preußen endlich zu den Fahnen rief, ſtanden
auch die Franken des Fichtelgebirges bereit zum Kampfe, und nur die
Ungunſt des Kriegsglücks verhinderte den Aufſtand.

Die katholiſchen Nachbarn in den reichen fränkiſchen Biſchofslanden
hatten ſo theuere Erinnerungen nicht zu überwinden; die Würzburger be-
grüßten ſogar mit Freude die Abreiſe ihres Großherzogs Ferdinand von
Toscana, der ſein deutſches Land als ein unſicheres Beſitzthum immer ver-
nachläſſigt hatte. Aber die bairiſche Herrſchaft ward auch hier ungern auf-
genommen. Froh ſeiner Weinknochen ſah der aufgeweckte, witzige Main-
franke aus der heiteren Anmuth ſeines halbrheiniſchen Lebens verächtlich
auf das derbe Bajuvarenthum herab; die Reichsritterſchaft fühlte ſich
entwürdigt, ſie wollte höchſtens einem Habsburger gehorchen. Indeß gelang
es der klugen Milde des Generalcommiſſärs Lerchenfeld die Murrenden
zu beſchwichtigen. Die Krone wußte, daß ſie das unſchätzbare Tyrol, dies
altbairiſche, mit ſeinem geſammten Verkehr auf Baiern angewieſene Land,
allein durch die zufahrende Roheit ihrer Beamten verloren hatte, und
verfuhr daher jetzt bei der Beſitznahme neuer Gebiete ſehr behutſam.

Am Behutſamſten in ihrer jüngſten Provinz, der überrheiniſchen
Pfalz; denn hier begegnete ihr ein tiefer Widerwille, der noch länger
anhielt als die Abneigung der Rheinländer gegen die Altpreußen. Seit
den fernen Zeiten, da die Salier und die Staufer auf der Limburg
und dem Trifels Hof hielten, war in dieſer gefährdeten Mark niemals
wieder eine kräftige Staatsgewalt erſtanden. Speyer und Worms, Sickingen
und Leiningen, Naſſau, Baden, Heſſen und Wittelsbach hauſten hier neben
einander, alleſammt beſeelt von jener freundnachbarlichen Geſinnung, die
ſich in den Namen der Grenzthürme „Murr’ mir nicht viel“ und „Kehr’
dich nicht dran“ bekundete. Der Spielball zweier feindlicher Nationen
hatte das anſtellige, unermüdlich betriebſame Volk den Unſegen kleinfürſt-
licher Willkür, wiederholter Religionsverfolgungen, gräßlicher Verwüſtungen
mit erſtaunlicher Lebenskraft überſtanden und erſt unter den Präfekten

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[329/0343] Schwaben und Franken. ihre alten proteſtantiſchen Traditionen; da ihre Univerſität Altdorf durch den neuen Landesherrn geſchloſſen wurde, ſo ſollte mindeſtens das Nürn- berger Gymnaſium den Geiſt ſeines Stifters Melanchthon treu bewahren und gleich der nahen brandenburgiſchen Hochſchule Erlangen eine Pflanz- ſtätte evangeliſcher Bildung in dem neuen paritätiſchen Staate bleiben. Dieſe rührige kleine Univerſität hatte mit der literariſchen Bewegung des Nordens immer rüſtig Schritt gehalten und ihre treue deutſche Geſin- nung auch unter dem Lärm der franzöſiſchen Waffen nie verleugnet. Das geſammte brandenburgiſche Frankenland dachte noch immer mit Sehnſucht an das kurze Glück der preußiſchen Herrſchaft. In Ansbach konnte ſich das bairiſche Regiment erſt dann befeſtigen als auch Baireuth mit Baiern vereinigt war; und auch dann noch wollte das treue Volk die Hoffnung auf die Wiedervereinigung nicht aufgeben. Als König Friedrich Wilhelm ſeine Preußen endlich zu den Fahnen rief, ſtanden auch die Franken des Fichtelgebirges bereit zum Kampfe, und nur die Ungunſt des Kriegsglücks verhinderte den Aufſtand. Die katholiſchen Nachbarn in den reichen fränkiſchen Biſchofslanden hatten ſo theuere Erinnerungen nicht zu überwinden; die Würzburger be- grüßten ſogar mit Freude die Abreiſe ihres Großherzogs Ferdinand von Toscana, der ſein deutſches Land als ein unſicheres Beſitzthum immer ver- nachläſſigt hatte. Aber die bairiſche Herrſchaft ward auch hier ungern auf- genommen. Froh ſeiner Weinknochen ſah der aufgeweckte, witzige Main- franke aus der heiteren Anmuth ſeines halbrheiniſchen Lebens verächtlich auf das derbe Bajuvarenthum herab; die Reichsritterſchaft fühlte ſich entwürdigt, ſie wollte höchſtens einem Habsburger gehorchen. Indeß gelang es der klugen Milde des Generalcommiſſärs Lerchenfeld die Murrenden zu beſchwichtigen. Die Krone wußte, daß ſie das unſchätzbare Tyrol, dies altbairiſche, mit ſeinem geſammten Verkehr auf Baiern angewieſene Land, allein durch die zufahrende Roheit ihrer Beamten verloren hatte, und verfuhr daher jetzt bei der Beſitznahme neuer Gebiete ſehr behutſam. Am Behutſamſten in ihrer jüngſten Provinz, der überrheiniſchen Pfalz; denn hier begegnete ihr ein tiefer Widerwille, der noch länger anhielt als die Abneigung der Rheinländer gegen die Altpreußen. Seit den fernen Zeiten, da die Salier und die Staufer auf der Limburg und dem Trifels Hof hielten, war in dieſer gefährdeten Mark niemals wieder eine kräftige Staatsgewalt erſtanden. Speyer und Worms, Sickingen und Leiningen, Naſſau, Baden, Heſſen und Wittelsbach hauſten hier neben einander, alleſammt beſeelt von jener freundnachbarlichen Geſinnung, die ſich in den Namen der Grenzthürme „Murr’ mir nicht viel“ und „Kehr’ dich nicht dran“ bekundete. Der Spielball zweier feindlicher Nationen hatte das anſtellige, unermüdlich betriebſame Volk den Unſegen kleinfürſt- licher Willkür, wiederholter Religionsverfolgungen, gräßlicher Verwüſtungen mit erſtaunlicher Lebenskraft überſtanden und erſt unter den Präfekten

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/343>, abgerufen am 22.11.2024.