über dem vereinsamten Taubergrunde. Selbst Nürnberg war mit Schulden überlastet und unter der Vetternherrschaft der neunzehn "genießenden" Familien vom Kleinen Rathe ganz verknöchert. In Augsburg allein hatte sich, Dank den unerschöpflichen Wasserkräften des Lechfelds, die alt- berühmte Weberei seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wieder etwas gehoben. Die bairische Regierung verstand es nicht, dies schlum- mernde Bürgerthum durch Befreiung des Gewerbes neu zu beleben. Während München, mit königlicher Gunst überhäuft, beständig wuchs, verharrten fast alle anderen bairischen Städte noch bis zur Mitte der dreißiger Jahre in Stillstand und Siechthum, so daß die Rührigkeit der norddeutschen Communen einen weiten Vorsprung gewann.
Eben so langsam verlor sich die alte Abneigung zwischen den Baiern, Schwaben und Franken. Keiner der drei oberdeutschen Stämme war in dem neuen Königreiche stark genug vertreten um die anderen zu beherr- schen, ein politisches Gemeingefühl aber konnte in dem künstlichen Staate nicht leicht entstehen. Seit der Abtretung von Salzburg und Tyrol be- stand nur noch die Hälfte der Bevölkerung aus Baiern. Ganz fremd stand neben dieser glaubenseinigen bairischen Masse das östliche Schwaben, eine der classischen Stätten deutschen Glaubenszwistes. Hier konnte der Wanderer schon aus den Hauben der Mädchen und aus den Bräuchen der Ackerbestellung die Confession jeder Ortschaft erkennen. Hier wohnten die Bauern der Fugger'schen Herrschaften und der Stiftslande Kempten und Kaufbeuern, ein strengkatholisches Volk, das noch im Jahre 1809 nahe daran gewesen war mit den Tyroler Glaubenskämpfern gemeinsame Sache zu machen. Nahebei lag Memmingen, eine der Bekennerstädte des Protestantismus, und das seit Jahrhunderten von kirchlichem Streite heimgesuchte paritätische Augsburg, wo man selbst die Stadtleutnantsstellen und Kaffeehaus-Gerechtigkeiten gewissenhaft zwischen beiden Bekenntnissen vertheilte. Der Ruf der Duldsamkeit des Hauses Zweibrücken stand freilich so fest, daß in Augsburg die Protestanten williger als die Katho- liken unter das Wittelsbachische Scepter traten; doch währte es lange, bis die feingebildeten Patricier der stolzen Schwabenstadt sich an das bairische Wesen gewöhnten.
Noch zäher widerstand das protestantische Franken, die werthvollste Erwerbung des jungen Königreichs. Zwar auf die Herstellung ihrer alten Freiheit hofften die Nürnberger längst nicht mehr; die politische Lebenskraft des ehrwürdigen Gemeinwesens war erloschen, schon im Jahre 1796 hatte die Bürgerschaft einmal mit großer Mehrheit die Unterwerfung unter die Krone Preußen beschlossen. Die Baiern aber galten hier noch von den Zeiten Gustav Adolfs her als Feinde; wie oft hatte die schalkhafte Laune der Reichsstädter, die eben jetzt wieder in den Dialektdichtungen Konrad Grübels hell auflachte, an diesen bösen Nachbarn ihren Uebermuth ausgelassen. Argwöhnisch behütete die Stadt
II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
über dem vereinſamten Taubergrunde. Selbſt Nürnberg war mit Schulden überlaſtet und unter der Vetternherrſchaft der neunzehn „genießenden“ Familien vom Kleinen Rathe ganz verknöchert. In Augsburg allein hatte ſich, Dank den unerſchöpflichen Waſſerkräften des Lechfelds, die alt- berühmte Weberei ſeit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wieder etwas gehoben. Die bairiſche Regierung verſtand es nicht, dies ſchlum- mernde Bürgerthum durch Befreiung des Gewerbes neu zu beleben. Während München, mit königlicher Gunſt überhäuft, beſtändig wuchs, verharrten faſt alle anderen bairiſchen Städte noch bis zur Mitte der dreißiger Jahre in Stillſtand und Siechthum, ſo daß die Rührigkeit der norddeutſchen Communen einen weiten Vorſprung gewann.
Eben ſo langſam verlor ſich die alte Abneigung zwiſchen den Baiern, Schwaben und Franken. Keiner der drei oberdeutſchen Stämme war in dem neuen Königreiche ſtark genug vertreten um die anderen zu beherr- ſchen, ein politiſches Gemeingefühl aber konnte in dem künſtlichen Staate nicht leicht entſtehen. Seit der Abtretung von Salzburg und Tyrol be- ſtand nur noch die Hälfte der Bevölkerung aus Baiern. Ganz fremd ſtand neben dieſer glaubenseinigen bairiſchen Maſſe das öſtliche Schwaben, eine der claſſiſchen Stätten deutſchen Glaubenszwiſtes. Hier konnte der Wanderer ſchon aus den Hauben der Mädchen und aus den Bräuchen der Ackerbeſtellung die Confeſſion jeder Ortſchaft erkennen. Hier wohnten die Bauern der Fugger’ſchen Herrſchaften und der Stiftslande Kempten und Kaufbeuern, ein ſtrengkatholiſches Volk, das noch im Jahre 1809 nahe daran geweſen war mit den Tyroler Glaubenskämpfern gemeinſame Sache zu machen. Nahebei lag Memmingen, eine der Bekennerſtädte des Proteſtantismus, und das ſeit Jahrhunderten von kirchlichem Streite heimgeſuchte paritätiſche Augsburg, wo man ſelbſt die Stadtleutnantsſtellen und Kaffeehaus-Gerechtigkeiten gewiſſenhaft zwiſchen beiden Bekenntniſſen vertheilte. Der Ruf der Duldſamkeit des Hauſes Zweibrücken ſtand freilich ſo feſt, daß in Augsburg die Proteſtanten williger als die Katho- liken unter das Wittelsbachiſche Scepter traten; doch währte es lange, bis die feingebildeten Patricier der ſtolzen Schwabenſtadt ſich an das bairiſche Weſen gewöhnten.
Noch zäher widerſtand das proteſtantiſche Franken, die werthvollſte Erwerbung des jungen Königreichs. Zwar auf die Herſtellung ihrer alten Freiheit hofften die Nürnberger längſt nicht mehr; die politiſche Lebenskraft des ehrwürdigen Gemeinweſens war erloſchen, ſchon im Jahre 1796 hatte die Bürgerſchaft einmal mit großer Mehrheit die Unterwerfung unter die Krone Preußen beſchloſſen. Die Baiern aber galten hier noch von den Zeiten Guſtav Adolfs her als Feinde; wie oft hatte die ſchalkhafte Laune der Reichsſtädter, die eben jetzt wieder in den Dialektdichtungen Konrad Grübels hell auflachte, an dieſen böſen Nachbarn ihren Uebermuth ausgelaſſen. Argwöhniſch behütete die Stadt
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II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
über dem vereinſamten Taubergrunde. Selbſt Nürnberg war mit Schulden
überlaſtet und unter der Vetternherrſchaft der neunzehn „genießenden“
Familien vom Kleinen Rathe ganz verknöchert. In Augsburg allein hatte
ſich, Dank den unerſchöpflichen Waſſerkräften des Lechfelds, die alt-
berühmte Weberei ſeit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wieder
etwas gehoben. Die bairiſche Regierung verſtand es nicht, dies ſchlum-
mernde Bürgerthum durch Befreiung des Gewerbes neu zu beleben.
Während München, mit königlicher Gunſt überhäuft, beſtändig wuchs,
verharrten faſt alle anderen bairiſchen Städte noch bis zur Mitte der
dreißiger Jahre in Stillſtand und Siechthum, ſo daß die Rührigkeit der
norddeutſchen Communen einen weiten Vorſprung gewann.
Eben ſo langſam verlor ſich die alte Abneigung zwiſchen den Baiern,
Schwaben und Franken. Keiner der drei oberdeutſchen Stämme war in
dem neuen Königreiche ſtark genug vertreten um die anderen zu beherr-
ſchen, ein politiſches Gemeingefühl aber konnte in dem künſtlichen Staate
nicht leicht entſtehen. Seit der Abtretung von Salzburg und Tyrol be-
ſtand nur noch die Hälfte der Bevölkerung aus Baiern. Ganz fremd
ſtand neben dieſer glaubenseinigen bairiſchen Maſſe das öſtliche Schwaben,
eine der claſſiſchen Stätten deutſchen Glaubenszwiſtes. Hier konnte der
Wanderer ſchon aus den Hauben der Mädchen und aus den Bräuchen
der Ackerbeſtellung die Confeſſion jeder Ortſchaft erkennen. Hier wohnten
die Bauern der Fugger’ſchen Herrſchaften und der Stiftslande Kempten
und Kaufbeuern, ein ſtrengkatholiſches Volk, das noch im Jahre 1809
nahe daran geweſen war mit den Tyroler Glaubenskämpfern gemeinſame
Sache zu machen. Nahebei lag Memmingen, eine der Bekennerſtädte
des Proteſtantismus, und das ſeit Jahrhunderten von kirchlichem Streite
heimgeſuchte paritätiſche Augsburg, wo man ſelbſt die Stadtleutnantsſtellen
und Kaffeehaus-Gerechtigkeiten gewiſſenhaft zwiſchen beiden Bekenntniſſen
vertheilte. Der Ruf der Duldſamkeit des Hauſes Zweibrücken ſtand
freilich ſo feſt, daß in Augsburg die Proteſtanten williger als die Katho-
liken unter das Wittelsbachiſche Scepter traten; doch währte es lange,
bis die feingebildeten Patricier der ſtolzen Schwabenſtadt ſich an das
bairiſche Weſen gewöhnten.
Noch zäher widerſtand das proteſtantiſche Franken, die werthvollſte
Erwerbung des jungen Königreichs. Zwar auf die Herſtellung ihrer
alten Freiheit hofften die Nürnberger längſt nicht mehr; die politiſche
Lebenskraft des ehrwürdigen Gemeinweſens war erloſchen, ſchon im
Jahre 1796 hatte die Bürgerſchaft einmal mit großer Mehrheit die
Unterwerfung unter die Krone Preußen beſchloſſen. Die Baiern aber
galten hier noch von den Zeiten Guſtav Adolfs her als Feinde; wie
oft hatte die ſchalkhafte Laune der Reichsſtädter, die eben jetzt wieder in
den Dialektdichtungen Konrad Grübels hell auflachte, an dieſen böſen
Nachbarn ihren Uebermuth ausgelaſſen. Argwöhniſch behütete die Stadt
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/342>, abgerufen am 25.11.2024.
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