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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Das Haus Pfalz-Zweibrücken.
so erwachte auch in Baiern, sobald das geistliche Regiment ins Wanken
kam, der fanatische Kirchenhaß einer unreifen Freigeisterei. Der neue, nach
dem Muster der Gesellschaft Jesu gestiftete Geheimbund der Illuminaten
kämpfte wider die "Obscuranten" des Kirchenglaubens ebenso unduldsam
und ebenso gewissenlos wie die Jesuiten wider die Ketzerei und fand trotz
strenger Verbote zahlreiche Anhänger unter den höheren Ständen. Die
Reformen Maximilians III. geriethen sogleich ins Stocken, als Karl
Theodor von der Pfalz den Thron bestieg. Der Clerus nahm von Neuem
die Herrschaft an sich, und in der Verwaltung riß ein schamloser Nepo-
tismus ein; das pfalzbairische Beamtenthum zählte sogar eine Mademoiselle
Grenzhauptmauthnerin und eine Frau Oberforstmeisterin unter seinen Mit-
gliedern. Als die Leiche Karl Theodors durch die Straßen geführt wurde,
warf das Volk mit Steinen nach dem Sarge, weil der Pfälzer, der den
Baiern immer ein Fremdling blieb, das Land an Oesterreich hatte ver-
kaufen wollen. Der Groll wider diese elende Regierung und das geheime
Fortwirken der Illuminaten ebneten den Boden für die Lehren der Revo-
lution. Nach dem Einrücken Moreaus schoß in München eine Schmutz-
literatur auf, deren jakobinische Roheit die gleichzeitigen Schriften der
unzufriedenen Schwaben noch überbot; wüthende Gedichte verkündeten
"Krieg und ewige Bataille jeder heuchelnden Canaille".

In solcher Lage, während die Massen in dumpfem Schlummer ver-
harrten, ein Theil der Gebildeten mit revolutionären Gedanken kindisch
spielte, hielt Max Joseph von Zweibrücken seinen Einzug und mit ihm
die neue Zeit. Die neue Dynastie vereinigte endlich wieder die so lange
getrennten Lande des Hauses der Schyren und hegte den Ehrgeiz, auch
die Traditionen der bairischen und der pfälzischen Wittelsbacher zugleich
in ihre Staatskunst aufzunehmen. Eine berechtigte Politik, aber sehr
schwierig durchzuführen; denn die bairischen Erinnerungen wiesen auf
Max und die Liga, die pfälzischen auf den Reformator Otto Heinrich
und den Schwedenkönig Karl Gustav!

Durch die Länderschenkungen Napoleons ward eine ganz neue sociale
Kraft in das bairische Staatsleben eingeführt: ein strahlender Kranz von
schönen hochberühmten Städten gesellte sich zu den altbairischen Bauern-
landen. Die meisten dieser stolzen Communen erschienen freilich nur als
malerische Trümmerstätten alter Herrlichkeit. Die Veränderung der Welt-
handelsstraßen hatte die Stapelplätze Lindau und Passau verödet; auch
dem alten Regensburg konnten einzelne große Geschäfte, wie die Waffen-
fabrik von Kuchenreuter, den verlorenen Verkehr nicht wiederschaffen.
Die gewaltigen Mauerthürme von Nördlingen umschlossen nur noch eine
stille Landstadt, wohin der Bauer aus dem Ries zur Schranne fuhr; der
städtische Gewerbfleiß von Bamberg bedeutete nichts mehr neben der Be-
triebsamkeit der kleinen Gärtner vor den Thoren. Rothenburg mit seinen
prangenden Kirchen und Rathhäusern lag wie eine Todtenstadt auf der Höhe

Das Haus Pfalz-Zweibrücken.
ſo erwachte auch in Baiern, ſobald das geiſtliche Regiment ins Wanken
kam, der fanatiſche Kirchenhaß einer unreifen Freigeiſterei. Der neue, nach
dem Muſter der Geſellſchaft Jeſu geſtiftete Geheimbund der Illuminaten
kämpfte wider die „Obſcuranten“ des Kirchenglaubens ebenſo unduldſam
und ebenſo gewiſſenlos wie die Jeſuiten wider die Ketzerei und fand trotz
ſtrenger Verbote zahlreiche Anhänger unter den höheren Ständen. Die
Reformen Maximilians III. geriethen ſogleich ins Stocken, als Karl
Theodor von der Pfalz den Thron beſtieg. Der Clerus nahm von Neuem
die Herrſchaft an ſich, und in der Verwaltung riß ein ſchamloſer Nepo-
tismus ein; das pfalzbairiſche Beamtenthum zählte ſogar eine Mademoiſelle
Grenzhauptmauthnerin und eine Frau Oberforſtmeiſterin unter ſeinen Mit-
gliedern. Als die Leiche Karl Theodors durch die Straßen geführt wurde,
warf das Volk mit Steinen nach dem Sarge, weil der Pfälzer, der den
Baiern immer ein Fremdling blieb, das Land an Oeſterreich hatte ver-
kaufen wollen. Der Groll wider dieſe elende Regierung und das geheime
Fortwirken der Illuminaten ebneten den Boden für die Lehren der Revo-
lution. Nach dem Einrücken Moreaus ſchoß in München eine Schmutz-
literatur auf, deren jakobiniſche Roheit die gleichzeitigen Schriften der
unzufriedenen Schwaben noch überbot; wüthende Gedichte verkündeten
„Krieg und ewige Bataille jeder heuchelnden Canaille“.

In ſolcher Lage, während die Maſſen in dumpfem Schlummer ver-
harrten, ein Theil der Gebildeten mit revolutionären Gedanken kindiſch
ſpielte, hielt Max Joſeph von Zweibrücken ſeinen Einzug und mit ihm
die neue Zeit. Die neue Dynaſtie vereinigte endlich wieder die ſo lange
getrennten Lande des Hauſes der Schyren und hegte den Ehrgeiz, auch
die Traditionen der bairiſchen und der pfälziſchen Wittelsbacher zugleich
in ihre Staatskunſt aufzunehmen. Eine berechtigte Politik, aber ſehr
ſchwierig durchzuführen; denn die bairiſchen Erinnerungen wieſen auf
Max und die Liga, die pfälziſchen auf den Reformator Otto Heinrich
und den Schwedenkönig Karl Guſtav!

Durch die Länderſchenkungen Napoleons ward eine ganz neue ſociale
Kraft in das bairiſche Staatsleben eingeführt: ein ſtrahlender Kranz von
ſchönen hochberühmten Städten geſellte ſich zu den altbairiſchen Bauern-
landen. Die meiſten dieſer ſtolzen Communen erſchienen freilich nur als
maleriſche Trümmerſtätten alter Herrlichkeit. Die Veränderung der Welt-
handelsſtraßen hatte die Stapelplätze Lindau und Paſſau verödet; auch
dem alten Regensburg konnten einzelne große Geſchäfte, wie die Waffen-
fabrik von Kuchenreuter, den verlorenen Verkehr nicht wiederſchaffen.
Die gewaltigen Mauerthürme von Nördlingen umſchloſſen nur noch eine
ſtille Landſtadt, wohin der Bauer aus dem Ries zur Schranne fuhr; der
ſtädtiſche Gewerbfleiß von Bamberg bedeutete nichts mehr neben der Be-
triebſamkeit der kleinen Gärtner vor den Thoren. Rothenburg mit ſeinen
prangenden Kirchen und Rathhäuſern lag wie eine Todtenſtadt auf der Höhe

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[327/0341] Das Haus Pfalz-Zweibrücken. ſo erwachte auch in Baiern, ſobald das geiſtliche Regiment ins Wanken kam, der fanatiſche Kirchenhaß einer unreifen Freigeiſterei. Der neue, nach dem Muſter der Geſellſchaft Jeſu geſtiftete Geheimbund der Illuminaten kämpfte wider die „Obſcuranten“ des Kirchenglaubens ebenſo unduldſam und ebenſo gewiſſenlos wie die Jeſuiten wider die Ketzerei und fand trotz ſtrenger Verbote zahlreiche Anhänger unter den höheren Ständen. Die Reformen Maximilians III. geriethen ſogleich ins Stocken, als Karl Theodor von der Pfalz den Thron beſtieg. Der Clerus nahm von Neuem die Herrſchaft an ſich, und in der Verwaltung riß ein ſchamloſer Nepo- tismus ein; das pfalzbairiſche Beamtenthum zählte ſogar eine Mademoiſelle Grenzhauptmauthnerin und eine Frau Oberforſtmeiſterin unter ſeinen Mit- gliedern. Als die Leiche Karl Theodors durch die Straßen geführt wurde, warf das Volk mit Steinen nach dem Sarge, weil der Pfälzer, der den Baiern immer ein Fremdling blieb, das Land an Oeſterreich hatte ver- kaufen wollen. Der Groll wider dieſe elende Regierung und das geheime Fortwirken der Illuminaten ebneten den Boden für die Lehren der Revo- lution. Nach dem Einrücken Moreaus ſchoß in München eine Schmutz- literatur auf, deren jakobiniſche Roheit die gleichzeitigen Schriften der unzufriedenen Schwaben noch überbot; wüthende Gedichte verkündeten „Krieg und ewige Bataille jeder heuchelnden Canaille“. In ſolcher Lage, während die Maſſen in dumpfem Schlummer ver- harrten, ein Theil der Gebildeten mit revolutionären Gedanken kindiſch ſpielte, hielt Max Joſeph von Zweibrücken ſeinen Einzug und mit ihm die neue Zeit. Die neue Dynaſtie vereinigte endlich wieder die ſo lange getrennten Lande des Hauſes der Schyren und hegte den Ehrgeiz, auch die Traditionen der bairiſchen und der pfälziſchen Wittelsbacher zugleich in ihre Staatskunſt aufzunehmen. Eine berechtigte Politik, aber ſehr ſchwierig durchzuführen; denn die bairiſchen Erinnerungen wieſen auf Max und die Liga, die pfälziſchen auf den Reformator Otto Heinrich und den Schwedenkönig Karl Guſtav! Durch die Länderſchenkungen Napoleons ward eine ganz neue ſociale Kraft in das bairiſche Staatsleben eingeführt: ein ſtrahlender Kranz von ſchönen hochberühmten Städten geſellte ſich zu den altbairiſchen Bauern- landen. Die meiſten dieſer ſtolzen Communen erſchienen freilich nur als maleriſche Trümmerſtätten alter Herrlichkeit. Die Veränderung der Welt- handelsſtraßen hatte die Stapelplätze Lindau und Paſſau verödet; auch dem alten Regensburg konnten einzelne große Geſchäfte, wie die Waffen- fabrik von Kuchenreuter, den verlorenen Verkehr nicht wiederſchaffen. Die gewaltigen Mauerthürme von Nördlingen umſchloſſen nur noch eine ſtille Landſtadt, wohin der Bauer aus dem Ries zur Schranne fuhr; der ſtädtiſche Gewerbfleiß von Bamberg bedeutete nichts mehr neben der Be- triebſamkeit der kleinen Gärtner vor den Thoren. Rothenburg mit ſeinen prangenden Kirchen und Rathhäuſern lag wie eine Todtenſtadt auf der Höhe

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/341>, abgerufen am 22.11.2024.