noch allerwärts!" Der ungerechte Ausspruch drang der teutonischen Jugend bis ins Mark und wurde von den Parteien der Opposition in Vers und Prosa so lange nachgesprochen, bis nach abermals drei Jahren die Un- tröstlichkeit wirklich hereinbrach.
Die Anrufung der drei Garanten hatte, wie jeder Unbefangene vor- aussehen konnte, nur die eine Folge den König von Neuem zu reizen. Keiner der drei Höfe glaubte sich berechtigt, für eine längst aufgehobene Verfassung, deren Bestand nur auf dem Boden des alten Reichsrechts möglich gewesen war, jetzt noch nachträglich einzutreten. Preußen insbe- sondere hielt sich behutsam zurück, obgleich Hardenberg die Versöhnung zwischen Fürst und Volk aufrichtig wünschte; denn König Friedrich, der sich in der jüngsten Zeit eng an Rußland angeschlossen hatte, bekundete seinen alten Groll gegen die norddeutsche Großmacht so gehässig und heraus- fordernd, daß der Gesandte Küster mehrmals daran dachte sofort abzu- reisen. Unter solchen Umständen konnte ein Einmischungsversuch des Ber- liner Cabinets nur schaden. Aber auch König Friedrich fand auswärts keine Hilfe. Bei allen Höfen stand er im übelsten Rufe; alle ohne Aus- nahme verlangten, daß der europäische Skandal des schwäbischen Willkür- regiments ein Ende nehmen müsse. Fürst Metternich sprach sich sogar offen für die Sache des Landtags aus, da sein eigenes Geschlecht zu den württem- bergischen Mediatisirten gehörte und in den letzten Jahren schwere Unbill erfahren hatte.*)
Der einst allmächtige kleine Herr war völlig vereinsamt; unaufhaltsam wuchs die Aufregung im Lande, aus mehreren Oberämtern kamen schon Proteste gegen die neue Steuerausschreibung. Nach seiner entschlossenen Art fand sich der König rasch in die veränderte Lage und berief in seiner Noth den Freiherrn K. A. v. Wangenheim in das Cabinet, einen Thüringer, dessen Name schon für einen ehrlichen Systemwechsel bürgte. Wangen- heim war bereits in jungen Jahren als coburgischer Beamter dem unred- lichen Regimente des Ministers Kretschmann mit unerschrockenem Freimuth entgegengetreten und zur Strafe des Landes verwiesen worden. Er hatte dann in Franken eine Zuflucht gefunden bei dem ritterlichen Freiherrn v. Truchseß, den die romantische Welt als einen zweiten Sickingen feierte, und dort auf der Bettenburg, in der neuen Herberge der Gerechtigkeit mit dem jungen Dichter Friedrich Rückert Freundschaft fürs Leben ge- schlossen. Als er einige Jahre nachher im Auftrage eines kleinen thüringi- schen Hofes nach Stuttgart kam, da gewannen ihm seine geistvollen, von übermüthigen Einfällen sprudelnden Gespräche, seine glänzende Erscheinung und seine unverwüstliche Ausdauer beim Zechgelage das Wohlgefallen des Königs, der ihn sofort in seine Dienste nahm. Die Gnade währte nicht lange; "mein Student", wie der König ihn nannte, erregte bald Anstoß
*) Küsters Berichte 1. Nov. 1815 ff.
Wangenheim.
noch allerwärts!“ Der ungerechte Ausſpruch drang der teutoniſchen Jugend bis ins Mark und wurde von den Parteien der Oppoſition in Vers und Proſa ſo lange nachgeſprochen, bis nach abermals drei Jahren die Un- tröſtlichkeit wirklich hereinbrach.
Die Anrufung der drei Garanten hatte, wie jeder Unbefangene vor- ausſehen konnte, nur die eine Folge den König von Neuem zu reizen. Keiner der drei Höfe glaubte ſich berechtigt, für eine längſt aufgehobene Verfaſſung, deren Beſtand nur auf dem Boden des alten Reichsrechts möglich geweſen war, jetzt noch nachträglich einzutreten. Preußen insbe- ſondere hielt ſich behutſam zurück, obgleich Hardenberg die Verſöhnung zwiſchen Fürſt und Volk aufrichtig wünſchte; denn König Friedrich, der ſich in der jüngſten Zeit eng an Rußland angeſchloſſen hatte, bekundete ſeinen alten Groll gegen die norddeutſche Großmacht ſo gehäſſig und heraus- fordernd, daß der Geſandte Küſter mehrmals daran dachte ſofort abzu- reiſen. Unter ſolchen Umſtänden konnte ein Einmiſchungsverſuch des Ber- liner Cabinets nur ſchaden. Aber auch König Friedrich fand auswärts keine Hilfe. Bei allen Höfen ſtand er im übelſten Rufe; alle ohne Aus- nahme verlangten, daß der europäiſche Skandal des ſchwäbiſchen Willkür- regiments ein Ende nehmen müſſe. Fürſt Metternich ſprach ſich ſogar offen für die Sache des Landtags aus, da ſein eigenes Geſchlecht zu den württem- bergiſchen Mediatiſirten gehörte und in den letzten Jahren ſchwere Unbill erfahren hatte.*)
Der einſt allmächtige kleine Herr war völlig vereinſamt; unaufhaltſam wuchs die Aufregung im Lande, aus mehreren Oberämtern kamen ſchon Proteſte gegen die neue Steuerausſchreibung. Nach ſeiner entſchloſſenen Art fand ſich der König raſch in die veränderte Lage und berief in ſeiner Noth den Freiherrn K. A. v. Wangenheim in das Cabinet, einen Thüringer, deſſen Name ſchon für einen ehrlichen Syſtemwechſel bürgte. Wangen- heim war bereits in jungen Jahren als coburgiſcher Beamter dem unred- lichen Regimente des Miniſters Kretſchmann mit unerſchrockenem Freimuth entgegengetreten und zur Strafe des Landes verwieſen worden. Er hatte dann in Franken eine Zuflucht gefunden bei dem ritterlichen Freiherrn v. Truchſeß, den die romantiſche Welt als einen zweiten Sickingen feierte, und dort auf der Bettenburg, in der neuen Herberge der Gerechtigkeit mit dem jungen Dichter Friedrich Rückert Freundſchaft fürs Leben ge- ſchloſſen. Als er einige Jahre nachher im Auftrage eines kleinen thüringi- ſchen Hofes nach Stuttgart kam, da gewannen ihm ſeine geiſtvollen, von übermüthigen Einfällen ſprudelnden Geſpräche, ſeine glänzende Erſcheinung und ſeine unverwüſtliche Ausdauer beim Zechgelage das Wohlgefallen des Königs, der ihn ſofort in ſeine Dienſte nahm. Die Gnade währte nicht lange; „mein Student“, wie der König ihn nannte, erregte bald Anſtoß
*) Küſters Berichte 1. Nov. 1815 ff.
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Wangenheim.
noch allerwärts!“ Der ungerechte Ausſpruch drang der teutoniſchen Jugend
bis ins Mark und wurde von den Parteien der Oppoſition in Vers und
Proſa ſo lange nachgeſprochen, bis nach abermals drei Jahren die Un-
tröſtlichkeit wirklich hereinbrach.
Die Anrufung der drei Garanten hatte, wie jeder Unbefangene vor-
ausſehen konnte, nur die eine Folge den König von Neuem zu reizen.
Keiner der drei Höfe glaubte ſich berechtigt, für eine längſt aufgehobene
Verfaſſung, deren Beſtand nur auf dem Boden des alten Reichsrechts
möglich geweſen war, jetzt noch nachträglich einzutreten. Preußen insbe-
ſondere hielt ſich behutſam zurück, obgleich Hardenberg die Verſöhnung
zwiſchen Fürſt und Volk aufrichtig wünſchte; denn König Friedrich, der
ſich in der jüngſten Zeit eng an Rußland angeſchloſſen hatte, bekundete
ſeinen alten Groll gegen die norddeutſche Großmacht ſo gehäſſig und heraus-
fordernd, daß der Geſandte Küſter mehrmals daran dachte ſofort abzu-
reiſen. Unter ſolchen Umſtänden konnte ein Einmiſchungsverſuch des Ber-
liner Cabinets nur ſchaden. Aber auch König Friedrich fand auswärts
keine Hilfe. Bei allen Höfen ſtand er im übelſten Rufe; alle ohne Aus-
nahme verlangten, daß der europäiſche Skandal des ſchwäbiſchen Willkür-
regiments ein Ende nehmen müſſe. Fürſt Metternich ſprach ſich ſogar offen
für die Sache des Landtags aus, da ſein eigenes Geſchlecht zu den württem-
bergiſchen Mediatiſirten gehörte und in den letzten Jahren ſchwere Unbill
erfahren hatte. *)
Der einſt allmächtige kleine Herr war völlig vereinſamt; unaufhaltſam
wuchs die Aufregung im Lande, aus mehreren Oberämtern kamen ſchon
Proteſte gegen die neue Steuerausſchreibung. Nach ſeiner entſchloſſenen
Art fand ſich der König raſch in die veränderte Lage und berief in ſeiner
Noth den Freiherrn K. A. v. Wangenheim in das Cabinet, einen Thüringer,
deſſen Name ſchon für einen ehrlichen Syſtemwechſel bürgte. Wangen-
heim war bereits in jungen Jahren als coburgiſcher Beamter dem unred-
lichen Regimente des Miniſters Kretſchmann mit unerſchrockenem Freimuth
entgegengetreten und zur Strafe des Landes verwieſen worden. Er hatte
dann in Franken eine Zuflucht gefunden bei dem ritterlichen Freiherrn
v. Truchſeß, den die romantiſche Welt als einen zweiten Sickingen feierte,
und dort auf der Bettenburg, in der neuen Herberge der Gerechtigkeit
mit dem jungen Dichter Friedrich Rückert Freundſchaft fürs Leben ge-
ſchloſſen. Als er einige Jahre nachher im Auftrage eines kleinen thüringi-
ſchen Hofes nach Stuttgart kam, da gewannen ihm ſeine geiſtvollen, von
übermüthigen Einfällen ſprudelnden Geſpräche, ſeine glänzende Erſcheinung
und ſeine unverwüſtliche Ausdauer beim Zechgelage das Wohlgefallen des
Königs, der ihn ſofort in ſeine Dienſte nahm. Die Gnade währte nicht
lange; „mein Student“, wie der König ihn nannte, erregte bald Anſtoß
*) Küſters Berichte 1. Nov. 1815 ff.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/327>, abgerufen am 22.11.2024.
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