und Preußen mit der Bitte um Vermittlung, denn die Annahme des königlichen Entwurfs würde dem Volke als ein "Verrath" erscheinen. So stand es noch um den Nationalstolz des Südens: der vielgefeierte erste Landtag dieser Friedensjahre schloß mit dem Versuche, im Namen der Volksrechte zwei fremde Mächte zur Einmischung in Deutschlands innere Händel zu bewegen.
Mit wachsender Spannung war das Land diesen Kämpfen gefolgt. Der Landtag konnte sich während der letzten entscheidenden Sitzungen nur mit Mühe der Ständchen und Hochrufe des Stuttgarter Volks erwehren. Nach der Vertagung strömte das Landvolk in dichten Schaaren gen Lud- wigsburg, und der König ließ seine Reiter vor den Thoren streifen um die einsame Residenz vor dem Getöse der Sturmpetitionen zu sichern. Die rückkehrenden Männer des Volkes aber empfing daheim ein Sturm überschwänglicher Huldigungen, der den Eigensinn und das starre Selbst- gefühl der "Altrechtler" bedenklich steigerte. Und wie hätte inmitten dieser brausenden Volksbewegung der edle Dichter schweigen sollen, der für die Herzensgeheimnisse des schwäbischen Volks allezeit das rechte Wort fand und überdies durch seinen demokratischen Bürgertrotz, durch seine juristische Bildung, durch die Ueberlieferungen seiner Familie zu der altwürttem- bergischen Rechtspartei geführt wurde? Ludwig Uhland begleitete jeden Auftritt des wirrenreichen Kampfes mit den schlichten, volksthümlichen Klängen seiner Vaterländischen Gedichte und wendete -- nach dem Rechte der Wiederholung, das dem politischen Dichter wie dem Publicisten zu- steht -- in mannichfachen Weisen immer nur den einen Gedanken hin und her:
Du Land des Korns und Weines, Du segenreich Geschlecht, Was fehlt Dir? All' und Eines: Das alte gute Recht!
Die kräftigen Lieder schollen weit über Schwabens Grenzen hinaus und schürten mächtig die unklare Aufregung der Zeit. So würdig und maß- voll die Form war, aus allen sprach doch die radikale Lehre "Alles oder Nichts", aus allen der scharfe Vorwurf, daß die Bosheit ruchloser Ge- walthaber die Völker um ihre verbrieften Rechte betrüge. Befangen in dem Gesichtskreise der Heimath übertrug der schwäbische Dichter den Groll, der in der dumpfen Luft des württembergischen Despotismus nicht unbe- rechtigt war, auch auf die Zustände des gesammten Vaterlandes und schil- derte schon am dritten Jahrestage der Leipziger Schlacht in dem schönsten und radikalsten seiner politischen Gedichte die Lage Deutschlands als völlig hoffnungslos. In einem Augenblicke, da Preußens Staatsmänner, kaum erst aus Paris heimgekehrt, mit der Einrichtung der neuen Verwaltung noch alle Hände voll zu thun hatten, beschwor Uhland schon den Geist Theodor Körners herauf und ließ ihn zürnend sagen: "untröstlich ist's
II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
und Preußen mit der Bitte um Vermittlung, denn die Annahme des königlichen Entwurfs würde dem Volke als ein „Verrath“ erſcheinen. So ſtand es noch um den Nationalſtolz des Südens: der vielgefeierte erſte Landtag dieſer Friedensjahre ſchloß mit dem Verſuche, im Namen der Volksrechte zwei fremde Mächte zur Einmiſchung in Deutſchlands innere Händel zu bewegen.
Mit wachſender Spannung war das Land dieſen Kämpfen gefolgt. Der Landtag konnte ſich während der letzten entſcheidenden Sitzungen nur mit Mühe der Ständchen und Hochrufe des Stuttgarter Volks erwehren. Nach der Vertagung ſtrömte das Landvolk in dichten Schaaren gen Lud- wigsburg, und der König ließ ſeine Reiter vor den Thoren ſtreifen um die einſame Reſidenz vor dem Getöſe der Sturmpetitionen zu ſichern. Die rückkehrenden Männer des Volkes aber empfing daheim ein Sturm überſchwänglicher Huldigungen, der den Eigenſinn und das ſtarre Selbſt- gefühl der „Altrechtler“ bedenklich ſteigerte. Und wie hätte inmitten dieſer brauſenden Volksbewegung der edle Dichter ſchweigen ſollen, der für die Herzensgeheimniſſe des ſchwäbiſchen Volks allezeit das rechte Wort fand und überdies durch ſeinen demokratiſchen Bürgertrotz, durch ſeine juriſtiſche Bildung, durch die Ueberlieferungen ſeiner Familie zu der altwürttem- bergiſchen Rechtspartei geführt wurde? Ludwig Uhland begleitete jeden Auftritt des wirrenreichen Kampfes mit den ſchlichten, volksthümlichen Klängen ſeiner Vaterländiſchen Gedichte und wendete — nach dem Rechte der Wiederholung, das dem politiſchen Dichter wie dem Publiciſten zu- ſteht — in mannichfachen Weiſen immer nur den einen Gedanken hin und her:
Du Land des Korns und Weines, Du ſegenreich Geſchlecht, Was fehlt Dir? All’ und Eines: Das alte gute Recht!
Die kräftigen Lieder ſchollen weit über Schwabens Grenzen hinaus und ſchürten mächtig die unklare Aufregung der Zeit. So würdig und maß- voll die Form war, aus allen ſprach doch die radikale Lehre „Alles oder Nichts“, aus allen der ſcharfe Vorwurf, daß die Bosheit ruchloſer Ge- walthaber die Völker um ihre verbrieften Rechte betrüge. Befangen in dem Geſichtskreiſe der Heimath übertrug der ſchwäbiſche Dichter den Groll, der in der dumpfen Luft des württembergiſchen Despotismus nicht unbe- rechtigt war, auch auf die Zuſtände des geſammten Vaterlandes und ſchil- derte ſchon am dritten Jahrestage der Leipziger Schlacht in dem ſchönſten und radikalſten ſeiner politiſchen Gedichte die Lage Deutſchlands als völlig hoffnungslos. In einem Augenblicke, da Preußens Staatsmänner, kaum erſt aus Paris heimgekehrt, mit der Einrichtung der neuen Verwaltung noch alle Hände voll zu thun hatten, beſchwor Uhland ſchon den Geiſt Theodor Körners herauf und ließ ihn zürnend ſagen: „untröſtlich iſt’s
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II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
und Preußen mit der Bitte um Vermittlung, denn die Annahme des
königlichen Entwurfs würde dem Volke als ein „Verrath“ erſcheinen. So
ſtand es noch um den Nationalſtolz des Südens: der vielgefeierte erſte
Landtag dieſer Friedensjahre ſchloß mit dem Verſuche, im Namen der
Volksrechte zwei fremde Mächte zur Einmiſchung in Deutſchlands innere
Händel zu bewegen.
Mit wachſender Spannung war das Land dieſen Kämpfen gefolgt.
Der Landtag konnte ſich während der letzten entſcheidenden Sitzungen nur
mit Mühe der Ständchen und Hochrufe des Stuttgarter Volks erwehren.
Nach der Vertagung ſtrömte das Landvolk in dichten Schaaren gen Lud-
wigsburg, und der König ließ ſeine Reiter vor den Thoren ſtreifen um
die einſame Reſidenz vor dem Getöſe der Sturmpetitionen zu ſichern.
Die rückkehrenden Männer des Volkes aber empfing daheim ein Sturm
überſchwänglicher Huldigungen, der den Eigenſinn und das ſtarre Selbſt-
gefühl der „Altrechtler“ bedenklich ſteigerte. Und wie hätte inmitten dieſer
brauſenden Volksbewegung der edle Dichter ſchweigen ſollen, der für die
Herzensgeheimniſſe des ſchwäbiſchen Volks allezeit das rechte Wort fand
und überdies durch ſeinen demokratiſchen Bürgertrotz, durch ſeine juriſtiſche
Bildung, durch die Ueberlieferungen ſeiner Familie zu der altwürttem-
bergiſchen Rechtspartei geführt wurde? Ludwig Uhland begleitete jeden
Auftritt des wirrenreichen Kampfes mit den ſchlichten, volksthümlichen
Klängen ſeiner Vaterländiſchen Gedichte und wendete — nach dem Rechte
der Wiederholung, das dem politiſchen Dichter wie dem Publiciſten zu-
ſteht — in mannichfachen Weiſen immer nur den einen Gedanken hin
und her:
Du Land des Korns und Weines,
Du ſegenreich Geſchlecht,
Was fehlt Dir? All’ und Eines:
Das alte gute Recht!
Die kräftigen Lieder ſchollen weit über Schwabens Grenzen hinaus und
ſchürten mächtig die unklare Aufregung der Zeit. So würdig und maß-
voll die Form war, aus allen ſprach doch die radikale Lehre „Alles oder
Nichts“, aus allen der ſcharfe Vorwurf, daß die Bosheit ruchloſer Ge-
walthaber die Völker um ihre verbrieften Rechte betrüge. Befangen in
dem Geſichtskreiſe der Heimath übertrug der ſchwäbiſche Dichter den Groll,
der in der dumpfen Luft des württembergiſchen Despotismus nicht unbe-
rechtigt war, auch auf die Zuſtände des geſammten Vaterlandes und ſchil-
derte ſchon am dritten Jahrestage der Leipziger Schlacht in dem ſchönſten
und radikalſten ſeiner politiſchen Gedichte die Lage Deutſchlands als völlig
hoffnungslos. In einem Augenblicke, da Preußens Staatsmänner, kaum
erſt aus Paris heimgekehrt, mit der Einrichtung der neuen Verwaltung
noch alle Hände voll zu thun hatten, beſchwor Uhland ſchon den Geiſt
Theodor Körners herauf und ließ ihn zürnend ſagen: „untröſtlich iſt’s
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/326>, abgerufen am 25.11.2024.
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