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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
durch das offenherzige Aussprechen seiner deutschen Gesinnung, und man
war endlich froh ihn als Curator der Universität nach Tübingen zu ent-
fernen. Hier verkehrte er, ein treuer, einsichtiger Förderer der Wissen-
schaft, freundlich mit allen namhaften Gelehrten der Hochschule, am Liebsten
doch mit dem Mystiker Eschenmaier, der den erregbaren, für alle Spiele
der Phantasie empfänglichen Dilettanten in die kabbalistischen Formeln
seiner naturphilosophischen Staatslehre einweihte. Als der Verfassungs-
kampf sich verschärfte, trat Wangenheim plötzlich mit einer Schrift "die
Idee der Staatsverfassung" hervor. Das wunderliche Buch zeigte schlagend,
wie unvereinbar das alte gute Recht mit dem modernen Staatsbegriffe
sei, und entwickelte sodann mit feierlichem Pathos das Programm einer un-
fehlbaren, allen Ansprüchen der Idee genügenden Musterverfassung. Es
war die alte Montesquieu'sche Doctrin in phantastischem Aufputz: die
heilige Dreizahl der Naturphilosophie sollte sich in dem Gleichgewicht der
drei Gewalten offenbaren; die Volksmasse erschien als die Vorstellungs-
kraft, die Gemeinde als die Einbildungskraft, der Landtag als das Be-
gehrungsvermögen des Staates. Immerhin verbargen sich hinter der
doctrinären Hülle einige gute, ausführbare Vorschläge, und da dem Könige
sich nirgends sonst ein Helfer darbot, so beauftragte er diesen literarischen
Vermittler mit der Beilegung des Verfassungsstreites.

Voll stolzer Zuversicht folgte Wangenheim dem Rufe. Er krankte
bereits an jener maßlosen Selbstüberschätzung, welcher begabte Köpfe in
engen Verhältnissen so leicht verfallen, und meinte sich berufen, dem ganzen
Deutschland durch eine Verfassung ohne Gleichen ein glänzendes Vorbild zu
bieten. Obgleich er den Rheinbund aufrichtig haßte, so konnte er sich doch
nicht enthalten, seine geliebte mystische Dreizahl auch auf die gesammt-
deutsche Politik zu übertragen und hatte sich längst schon das System einer
deutschen Trias ausgeklügelt, das der schmachvollen Dreitheilung der napo-
leonischen Tage leider sehr ähnlich sah. Oesterreich und Preußen erschienen
ihm beide als halbfremde Mächte, Preußen insbesondere als der unersättlich
habgierige Feind der angestammten Fürstenhäuser; die Gesammtheit der
Kleinstaaten, "das reine Deutschland" sollte diese Mächte in Schranken
halten, das Gleichgewicht zwischen beiden herstellen, ihnen in Freiheit und
Gesittung immerdar voranleuchten, der Kernstamm aber unter den rein-
deutschen Kernstämmen blieben die Schwaben. Wangenheim liebte seine
neue Heimath bis zur Vergötterung und hing an dem königlichen Hause mit
einer ritterlichen Treue, die sich selbst in Augenblicken gerechten Unmuths
nie verleugnete.*) Aber er kannte die Landesverhältnisse nur oberflächlich
und verstand die eigenrichtigen Köpfe nicht zu behandeln. Schlimm genug

*) Ich benutze hier u. A. eine Sammlung von Briefen Wangenheims an seinen
Freund Geh. Rath v. Hartmann, die mir Herr Prof. Hartmann in Stuttgart mit-
getheilt hat.

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
durch das offenherzige Ausſprechen ſeiner deutſchen Geſinnung, und man
war endlich froh ihn als Curator der Univerſität nach Tübingen zu ent-
fernen. Hier verkehrte er, ein treuer, einſichtiger Förderer der Wiſſen-
ſchaft, freundlich mit allen namhaften Gelehrten der Hochſchule, am Liebſten
doch mit dem Myſtiker Eſchenmaier, der den erregbaren, für alle Spiele
der Phantaſie empfänglichen Dilettanten in die kabbaliſtiſchen Formeln
ſeiner naturphiloſophiſchen Staatslehre einweihte. Als der Verfaſſungs-
kampf ſich verſchärfte, trat Wangenheim plötzlich mit einer Schrift „die
Idee der Staatsverfaſſung“ hervor. Das wunderliche Buch zeigte ſchlagend,
wie unvereinbar das alte gute Recht mit dem modernen Staatsbegriffe
ſei, und entwickelte ſodann mit feierlichem Pathos das Programm einer un-
fehlbaren, allen Anſprüchen der Idee genügenden Muſterverfaſſung. Es
war die alte Montesquieu’ſche Doctrin in phantaſtiſchem Aufputz: die
heilige Dreizahl der Naturphiloſophie ſollte ſich in dem Gleichgewicht der
drei Gewalten offenbaren; die Volksmaſſe erſchien als die Vorſtellungs-
kraft, die Gemeinde als die Einbildungskraft, der Landtag als das Be-
gehrungsvermögen des Staates. Immerhin verbargen ſich hinter der
doctrinären Hülle einige gute, ausführbare Vorſchläge, und da dem Könige
ſich nirgends ſonſt ein Helfer darbot, ſo beauftragte er dieſen literariſchen
Vermittler mit der Beilegung des Verfaſſungsſtreites.

Voll ſtolzer Zuverſicht folgte Wangenheim dem Rufe. Er krankte
bereits an jener maßloſen Selbſtüberſchätzung, welcher begabte Köpfe in
engen Verhältniſſen ſo leicht verfallen, und meinte ſich berufen, dem ganzen
Deutſchland durch eine Verfaſſung ohne Gleichen ein glänzendes Vorbild zu
bieten. Obgleich er den Rheinbund aufrichtig haßte, ſo konnte er ſich doch
nicht enthalten, ſeine geliebte myſtiſche Dreizahl auch auf die geſammt-
deutſche Politik zu übertragen und hatte ſich längſt ſchon das Syſtem einer
deutſchen Trias ausgeklügelt, das der ſchmachvollen Dreitheilung der napo-
leoniſchen Tage leider ſehr ähnlich ſah. Oeſterreich und Preußen erſchienen
ihm beide als halbfremde Mächte, Preußen insbeſondere als der unerſättlich
habgierige Feind der angeſtammten Fürſtenhäuſer; die Geſammtheit der
Kleinſtaaten, „das reine Deutſchland“ ſollte dieſe Mächte in Schranken
halten, das Gleichgewicht zwiſchen beiden herſtellen, ihnen in Freiheit und
Geſittung immerdar voranleuchten, der Kernſtamm aber unter den rein-
deutſchen Kernſtämmen blieben die Schwaben. Wangenheim liebte ſeine
neue Heimath bis zur Vergötterung und hing an dem königlichen Hauſe mit
einer ritterlichen Treue, die ſich ſelbſt in Augenblicken gerechten Unmuths
nie verleugnete.*) Aber er kannte die Landesverhältniſſe nur oberflächlich
und verſtand die eigenrichtigen Köpfe nicht zu behandeln. Schlimm genug

*) Ich benutze hier u. A. eine Sammlung von Briefen Wangenheims an ſeinen
Freund Geh. Rath v. Hartmann, die mir Herr Prof. Hartmann in Stuttgart mit-
getheilt hat.
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[314/0328] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. durch das offenherzige Ausſprechen ſeiner deutſchen Geſinnung, und man war endlich froh ihn als Curator der Univerſität nach Tübingen zu ent- fernen. Hier verkehrte er, ein treuer, einſichtiger Förderer der Wiſſen- ſchaft, freundlich mit allen namhaften Gelehrten der Hochſchule, am Liebſten doch mit dem Myſtiker Eſchenmaier, der den erregbaren, für alle Spiele der Phantaſie empfänglichen Dilettanten in die kabbaliſtiſchen Formeln ſeiner naturphiloſophiſchen Staatslehre einweihte. Als der Verfaſſungs- kampf ſich verſchärfte, trat Wangenheim plötzlich mit einer Schrift „die Idee der Staatsverfaſſung“ hervor. Das wunderliche Buch zeigte ſchlagend, wie unvereinbar das alte gute Recht mit dem modernen Staatsbegriffe ſei, und entwickelte ſodann mit feierlichem Pathos das Programm einer un- fehlbaren, allen Anſprüchen der Idee genügenden Muſterverfaſſung. Es war die alte Montesquieu’ſche Doctrin in phantaſtiſchem Aufputz: die heilige Dreizahl der Naturphiloſophie ſollte ſich in dem Gleichgewicht der drei Gewalten offenbaren; die Volksmaſſe erſchien als die Vorſtellungs- kraft, die Gemeinde als die Einbildungskraft, der Landtag als das Be- gehrungsvermögen des Staates. Immerhin verbargen ſich hinter der doctrinären Hülle einige gute, ausführbare Vorſchläge, und da dem Könige ſich nirgends ſonſt ein Helfer darbot, ſo beauftragte er dieſen literariſchen Vermittler mit der Beilegung des Verfaſſungsſtreites. Voll ſtolzer Zuverſicht folgte Wangenheim dem Rufe. Er krankte bereits an jener maßloſen Selbſtüberſchätzung, welcher begabte Köpfe in engen Verhältniſſen ſo leicht verfallen, und meinte ſich berufen, dem ganzen Deutſchland durch eine Verfaſſung ohne Gleichen ein glänzendes Vorbild zu bieten. Obgleich er den Rheinbund aufrichtig haßte, ſo konnte er ſich doch nicht enthalten, ſeine geliebte myſtiſche Dreizahl auch auf die geſammt- deutſche Politik zu übertragen und hatte ſich längſt ſchon das Syſtem einer deutſchen Trias ausgeklügelt, das der ſchmachvollen Dreitheilung der napo- leoniſchen Tage leider ſehr ähnlich ſah. Oeſterreich und Preußen erſchienen ihm beide als halbfremde Mächte, Preußen insbeſondere als der unerſättlich habgierige Feind der angeſtammten Fürſtenhäuſer; die Geſammtheit der Kleinſtaaten, „das reine Deutſchland“ ſollte dieſe Mächte in Schranken halten, das Gleichgewicht zwiſchen beiden herſtellen, ihnen in Freiheit und Geſittung immerdar voranleuchten, der Kernſtamm aber unter den rein- deutſchen Kernſtämmen blieben die Schwaben. Wangenheim liebte ſeine neue Heimath bis zur Vergötterung und hing an dem königlichen Hauſe mit einer ritterlichen Treue, die ſich ſelbſt in Augenblicken gerechten Unmuths nie verleugnete. *) Aber er kannte die Landesverhältniſſe nur oberflächlich und verſtand die eigenrichtigen Köpfe nicht zu behandeln. Schlimm genug *) Ich benutze hier u. A. eine Sammlung von Briefen Wangenheims an ſeinen Freund Geh. Rath v. Hartmann, die mir Herr Prof. Hartmann in Stuttgart mit- getheilt hat.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/328>, abgerufen am 25.11.2024.