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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
Steuergesetze erschienen, wurden sie im Westen so mild gehandhabt, daß
Benzenberg zu dem Schlusse kam: außer Posen und Westphalen sei keine
andere Provinz der Monarchie niedriger besteuert. Mochten die Zahlen-
reihen des beredten Publicisten immerhin der Kritik manche Blößen bieten:
unbestreitbar blieb doch, daß die Steuerlast seit der napoleonischen Herr-
schaft sich erheblich gemindert hatte. Der Regierungsbezirk Aachen zahlte
im Jahre 1813 an Steuern 5 Thlr. 2 Sgr. 8 Pf. auf den Kopf, neun
Jahre darauf nur 4 Thlr. 8 Sgr. 6 Pf. worunter 14 Sgr. Communal-
abgaben. An der bescheidenen Höhe der Gemeindeabgaben hatte die neue
Regierung auch ein Verdienst; denn sie half den rheinischen Städten bei
der Neuordnung ihres verwickelten Schuldenwesens und erließ ihnen die
bis zum Jahre 1815 rückständigen Zinsen, so daß die Mehrzahl der Com-
munen am Rhein sich ungleich besser befand als die Städte des Ostens
mit ihrer drückenden Kriegsschuldenmasse. Trotz alledem kamen die Klagen
über die Steuerlast nie zur Ruhe; man redete, als sei Preußen verpflichtet
die Rheinländer für die Befreiung vom fremden Joche besonders zu belohnen.

Schon bei ihrem Einzuge waren die Verbündeten in den alten Krumm-
stabslanden nicht mit so ungetheilter Freude aufgenommen worden wie in
Berg; die Abgeordneten des linken Ufers verblieben damals allesammt in
dem Pariser Gesetzgebenden Körper -- um den Tyrannen desto sicher zu
stürzen, wie sie nachher behaupteten. Vollends jetzt, da man über die Preußen
murrte, gerieth der furchtbare Druck der napoleonischen Herrschaft bald in
Vergessenheit; man dachte nur noch an ihre Wohlthaten, man schwärmte
wieder für die glorreichen Ideen von 89, man las mit Vorliebe französische
oder belgische Zeitungen -- denn die heimische Presse bot noch wenig, selbst
die Kölnische Zeitung war noch ein kleines Blatt mit kaum 2000 Abonnenten
-- und schwor auf die neue Lehre, daß die Sonne über Europa im Westen
aufgehe. Und doch bewies dies neu erwachende Franzosenthum der Rhein-
länder nur, wie kerndeutsch das Volk empfand; der rheinische Liberalismus
entsprang derselben conservativ-particularistischen Gesinnung, welche sich in
allen anderen preußischen Provinzen jeder Veränderung des alten Landes-
brauchs entgegenstemmte. Das Volk liebte das Bestehende weil es bestand,
und die Regierung kam diesen Wünschen so weit als möglich entgegen. Die
gesammte wirthschaftliche Gesetzgebung der Revolution, die ja im Wesent-
lichen den Gedanken der Stein-Hardenbergischen Gesetze entsprach, blieb un-
verändert; desgleichen vorläufig die französische Gemeindeverfassung. Nur
die Präfekten und Unterpräfekten mußten den Regierungen und den Land-
räthen weichen; und selbst diese heilsame Neuerung erregte lauten Tadel.
Da sehe man doch, hieß es bitter, daß Preußen nur darauf ausgehe, das Be-
amtenheer ins Unendliche zu vermehren; so Großes wie der eine Lezay-
Marnesia, der unvergeßliche Präfekt des Rhein-Mosel-Departements, werde
das gesammte neue Coblenzer Regierungscollegium nicht ausrichten. Immer
wieder erzählte man sich von finsteren Anschlägen der Preußen gegen die

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
Steuergeſetze erſchienen, wurden ſie im Weſten ſo mild gehandhabt, daß
Benzenberg zu dem Schluſſe kam: außer Poſen und Weſtphalen ſei keine
andere Provinz der Monarchie niedriger beſteuert. Mochten die Zahlen-
reihen des beredten Publiciſten immerhin der Kritik manche Blößen bieten:
unbeſtreitbar blieb doch, daß die Steuerlaſt ſeit der napoleoniſchen Herr-
ſchaft ſich erheblich gemindert hatte. Der Regierungsbezirk Aachen zahlte
im Jahre 1813 an Steuern 5 Thlr. 2 Sgr. 8 Pf. auf den Kopf, neun
Jahre darauf nur 4 Thlr. 8 Sgr. 6 Pf. worunter 14 Sgr. Communal-
abgaben. An der beſcheidenen Höhe der Gemeindeabgaben hatte die neue
Regierung auch ein Verdienſt; denn ſie half den rheiniſchen Städten bei
der Neuordnung ihres verwickelten Schuldenweſens und erließ ihnen die
bis zum Jahre 1815 rückſtändigen Zinſen, ſo daß die Mehrzahl der Com-
munen am Rhein ſich ungleich beſſer befand als die Städte des Oſtens
mit ihrer drückenden Kriegsſchuldenmaſſe. Trotz alledem kamen die Klagen
über die Steuerlaſt nie zur Ruhe; man redete, als ſei Preußen verpflichtet
die Rheinländer für die Befreiung vom fremden Joche beſonders zu belohnen.

Schon bei ihrem Einzuge waren die Verbündeten in den alten Krumm-
ſtabslanden nicht mit ſo ungetheilter Freude aufgenommen worden wie in
Berg; die Abgeordneten des linken Ufers verblieben damals alleſammt in
dem Pariſer Geſetzgebenden Körper — um den Tyrannen deſto ſicher zu
ſtürzen, wie ſie nachher behaupteten. Vollends jetzt, da man über die Preußen
murrte, gerieth der furchtbare Druck der napoleoniſchen Herrſchaft bald in
Vergeſſenheit; man dachte nur noch an ihre Wohlthaten, man ſchwärmte
wieder für die glorreichen Ideen von 89, man las mit Vorliebe franzöſiſche
oder belgiſche Zeitungen — denn die heimiſche Preſſe bot noch wenig, ſelbſt
die Kölniſche Zeitung war noch ein kleines Blatt mit kaum 2000 Abonnenten
— und ſchwor auf die neue Lehre, daß die Sonne über Europa im Weſten
aufgehe. Und doch bewies dies neu erwachende Franzoſenthum der Rhein-
länder nur, wie kerndeutſch das Volk empfand; der rheiniſche Liberalismus
entſprang derſelben conſervativ-particulariſtiſchen Geſinnung, welche ſich in
allen anderen preußiſchen Provinzen jeder Veränderung des alten Landes-
brauchs entgegenſtemmte. Das Volk liebte das Beſtehende weil es beſtand,
und die Regierung kam dieſen Wünſchen ſo weit als möglich entgegen. Die
geſammte wirthſchaftliche Geſetzgebung der Revolution, die ja im Weſent-
lichen den Gedanken der Stein-Hardenbergiſchen Geſetze entſprach, blieb un-
verändert; desgleichen vorläufig die franzöſiſche Gemeindeverfaſſung. Nur
die Präfekten und Unterpräfekten mußten den Regierungen und den Land-
räthen weichen; und ſelbſt dieſe heilſame Neuerung erregte lauten Tadel.
Da ſehe man doch, hieß es bitter, daß Preußen nur darauf ausgehe, das Be-
amtenheer ins Unendliche zu vermehren; ſo Großes wie der eine Lezay-
Marneſia, der unvergeßliche Präfekt des Rhein-Moſel-Departements, werde
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wieder erzählte man ſich von finſteren Anſchlägen der Preußen gegen die

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[272/0286] II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. Steuergeſetze erſchienen, wurden ſie im Weſten ſo mild gehandhabt, daß Benzenberg zu dem Schluſſe kam: außer Poſen und Weſtphalen ſei keine andere Provinz der Monarchie niedriger beſteuert. Mochten die Zahlen- reihen des beredten Publiciſten immerhin der Kritik manche Blößen bieten: unbeſtreitbar blieb doch, daß die Steuerlaſt ſeit der napoleoniſchen Herr- ſchaft ſich erheblich gemindert hatte. Der Regierungsbezirk Aachen zahlte im Jahre 1813 an Steuern 5 Thlr. 2 Sgr. 8 Pf. auf den Kopf, neun Jahre darauf nur 4 Thlr. 8 Sgr. 6 Pf. worunter 14 Sgr. Communal- abgaben. An der beſcheidenen Höhe der Gemeindeabgaben hatte die neue Regierung auch ein Verdienſt; denn ſie half den rheiniſchen Städten bei der Neuordnung ihres verwickelten Schuldenweſens und erließ ihnen die bis zum Jahre 1815 rückſtändigen Zinſen, ſo daß die Mehrzahl der Com- munen am Rhein ſich ungleich beſſer befand als die Städte des Oſtens mit ihrer drückenden Kriegsſchuldenmaſſe. Trotz alledem kamen die Klagen über die Steuerlaſt nie zur Ruhe; man redete, als ſei Preußen verpflichtet die Rheinländer für die Befreiung vom fremden Joche beſonders zu belohnen. Schon bei ihrem Einzuge waren die Verbündeten in den alten Krumm- ſtabslanden nicht mit ſo ungetheilter Freude aufgenommen worden wie in Berg; die Abgeordneten des linken Ufers verblieben damals alleſammt in dem Pariſer Geſetzgebenden Körper — um den Tyrannen deſto ſicher zu ſtürzen, wie ſie nachher behaupteten. Vollends jetzt, da man über die Preußen murrte, gerieth der furchtbare Druck der napoleoniſchen Herrſchaft bald in Vergeſſenheit; man dachte nur noch an ihre Wohlthaten, man ſchwärmte wieder für die glorreichen Ideen von 89, man las mit Vorliebe franzöſiſche oder belgiſche Zeitungen — denn die heimiſche Preſſe bot noch wenig, ſelbſt die Kölniſche Zeitung war noch ein kleines Blatt mit kaum 2000 Abonnenten — und ſchwor auf die neue Lehre, daß die Sonne über Europa im Weſten aufgehe. Und doch bewies dies neu erwachende Franzoſenthum der Rhein- länder nur, wie kerndeutſch das Volk empfand; der rheiniſche Liberalismus entſprang derſelben conſervativ-particulariſtiſchen Geſinnung, welche ſich in allen anderen preußiſchen Provinzen jeder Veränderung des alten Landes- brauchs entgegenſtemmte. Das Volk liebte das Beſtehende weil es beſtand, und die Regierung kam dieſen Wünſchen ſo weit als möglich entgegen. Die geſammte wirthſchaftliche Geſetzgebung der Revolution, die ja im Weſent- lichen den Gedanken der Stein-Hardenbergiſchen Geſetze entſprach, blieb un- verändert; desgleichen vorläufig die franzöſiſche Gemeindeverfaſſung. Nur die Präfekten und Unterpräfekten mußten den Regierungen und den Land- räthen weichen; und ſelbſt dieſe heilſame Neuerung erregte lauten Tadel. Da ſehe man doch, hieß es bitter, daß Preußen nur darauf ausgehe, das Be- amtenheer ins Unendliche zu vermehren; ſo Großes wie der eine Lezay- Marneſia, der unvergeßliche Präfekt des Rhein-Moſel-Departements, werde das geſammte neue Coblenzer Regierungscollegium nicht ausrichten. Immer wieder erzählte man ſich von finſteren Anſchlägen der Preußen gegen die

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/286>, abgerufen am 24.11.2024.