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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
stolz erhalten. Die uralte Völkerscheide auf den Höhen über Barmen,
welche einst die Sachsen von den Franken trennte, blieb nachher Jahr-
hunderte lang die Grenze zwischen der Grafschaft Mark und dem Herzog-
thum Berg; mit einer Abneigung, die von drüben ebenso herzlich erwidert
ward, blickte der ernste, verschlossene Niedersachse auf die leichtlebigen, red-
seligen Rheinfranken und spottete über den "bergischen Wind". Auf den
Hochschulen standen die Westphälinger stets unter dem grünweißschwarzen
Banner ihrer Landsmannschaft zusammen, hochberühmt als unersättliche
Zecher und Schläger, und alle kehrten regelmäßig in die Heimath zurück.
Auch die mächtigen Geschlechter der Droste, Spiegel, Galen, Fürstenberg
hielten sich dem abenteuerlichen Reislaufen des deutschen Adels fern und
blieben zumeist seßhaft daheim; nur jene Nebenzweige der alten Familien,
die einst mit dem Deutschen Orden an die Düna gezogen waren, die Ketteler,
die Plettenberg, erwarben sich außerhalb der Landesgrenzen Macht und
Ruhm. Als nunmehr fast die gesammte rothe Erde unter die preußische
Krone kam, da ward die Wiedervereinigung der Lande Wittekinds doch
selbst in den Krummstabsgebieten, die dem protestantischen Königthum
mißtrauten, mit Freude begrüßt, und man beklagte nur, daß Osnabrück,
die Heimath des vaterländischen Classikers Justus Möser nebst einigen
Strichen des Münsterlandes bei Hannover und Oldenburg verblieb.

Niemand empfand diese Freude lebhafter als der Oberpräsident Frei-
herr Ludwig v. Vincke, der schon während des Krieges die provisorische
Verwaltung geführt hatte und von allen Seiten als das einzig mögliche
Oberhaupt der Provinz angesehen wurde. Ein Verwaltungstalent großen
Stiles, durch Reisen und Studien mit dem Staatsleben und der Volks-
wirthschaft des Auslandes gründlich vertraut, war er doch vor Allem ein
westphälischer Edelmann geblieben, derb, formlos, geradezu, so fest ver-
wachsen mit dem Boden der Heimath, wie jener alte Soester Maler, der
sich selbst das Abendmahl des Heilands nicht ohne einen saftigen west-
phälischen Schinken denken konnte. Wohin ihn auch der Staatsdienst
führte, in Aurich wie in Potsdam hatte er stets das Ziel im Auge be-
halten, das ihm schon in jungen Jahren als höchster Lebenszweck erschienen
war: "mein Vaterland Westphalen soll dereinst das Bild der vollkom-
mensten Einrichtungen abgeben."

Welch ein Glück, als er nun mit der Verwaltung des wiedervereinigten
Landes betraut wurde; nur "die unerträgliche Briefträgerei", die Ab-
hängigkeit von den Ministern in Berlin fiel seinem trotzigen Sinne schwer.
Von Jugend auf hatte er fast mit allen den ungewöhnlichen Männern,
welche dies classische Zeitalter des preußischen Beamtenthums zierten, in
enger Freundschaft gelebt und zwischen den beiden Reformparteien immer
eine Mittelstellung eingenommen. Da er wie Stein die politische Frei-
heit vornehmlich in der Selbstverwaltung eines kräftigen, selbständigen
Bürger- und Bauernstandes suchte, so bekämpfte er wie Jener die unbe-

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
ſtolz erhalten. Die uralte Völkerſcheide auf den Höhen über Barmen,
welche einſt die Sachſen von den Franken trennte, blieb nachher Jahr-
hunderte lang die Grenze zwiſchen der Grafſchaft Mark und dem Herzog-
thum Berg; mit einer Abneigung, die von drüben ebenſo herzlich erwidert
ward, blickte der ernſte, verſchloſſene Niederſachſe auf die leichtlebigen, red-
ſeligen Rheinfranken und ſpottete über den „bergiſchen Wind“. Auf den
Hochſchulen ſtanden die Weſtphälinger ſtets unter dem grünweißſchwarzen
Banner ihrer Landsmannſchaft zuſammen, hochberühmt als unerſättliche
Zecher und Schläger, und alle kehrten regelmäßig in die Heimath zurück.
Auch die mächtigen Geſchlechter der Droſte, Spiegel, Galen, Fürſtenberg
hielten ſich dem abenteuerlichen Reislaufen des deutſchen Adels fern und
blieben zumeiſt ſeßhaft daheim; nur jene Nebenzweige der alten Familien,
die einſt mit dem Deutſchen Orden an die Düna gezogen waren, die Ketteler,
die Plettenberg, erwarben ſich außerhalb der Landesgrenzen Macht und
Ruhm. Als nunmehr faſt die geſammte rothe Erde unter die preußiſche
Krone kam, da ward die Wiedervereinigung der Lande Wittekinds doch
ſelbſt in den Krummſtabsgebieten, die dem proteſtantiſchen Königthum
mißtrauten, mit Freude begrüßt, und man beklagte nur, daß Osnabrück,
die Heimath des vaterländiſchen Claſſikers Juſtus Möſer nebſt einigen
Strichen des Münſterlandes bei Hannover und Oldenburg verblieb.

Niemand empfand dieſe Freude lebhafter als der Oberpräſident Frei-
herr Ludwig v. Vincke, der ſchon während des Krieges die proviſoriſche
Verwaltung geführt hatte und von allen Seiten als das einzig mögliche
Oberhaupt der Provinz angeſehen wurde. Ein Verwaltungstalent großen
Stiles, durch Reiſen und Studien mit dem Staatsleben und der Volks-
wirthſchaft des Auslandes gründlich vertraut, war er doch vor Allem ein
weſtphäliſcher Edelmann geblieben, derb, formlos, geradezu, ſo feſt ver-
wachſen mit dem Boden der Heimath, wie jener alte Soeſter Maler, der
ſich ſelbſt das Abendmahl des Heilands nicht ohne einen ſaftigen weſt-
phäliſchen Schinken denken konnte. Wohin ihn auch der Staatsdienſt
führte, in Aurich wie in Potsdam hatte er ſtets das Ziel im Auge be-
halten, das ihm ſchon in jungen Jahren als höchſter Lebenszweck erſchienen
war: „mein Vaterland Weſtphalen ſoll dereinſt das Bild der vollkom-
menſten Einrichtungen abgeben.“

Welch ein Glück, als er nun mit der Verwaltung des wiedervereinigten
Landes betraut wurde; nur „die unerträgliche Briefträgerei“, die Ab-
hängigkeit von den Miniſtern in Berlin fiel ſeinem trotzigen Sinne ſchwer.
Von Jugend auf hatte er faſt mit allen den ungewöhnlichen Männern,
welche dies claſſiſche Zeitalter des preußiſchen Beamtenthums zierten, in
enger Freundſchaft gelebt und zwiſchen den beiden Reformparteien immer
eine Mittelſtellung eingenommen. Da er wie Stein die politiſche Frei-
heit vornehmlich in der Selbſtverwaltung eines kräftigen, ſelbſtändigen
Bürger- und Bauernſtandes ſuchte, ſo bekämpfte er wie Jener die unbe-

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[262/0276] II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. ſtolz erhalten. Die uralte Völkerſcheide auf den Höhen über Barmen, welche einſt die Sachſen von den Franken trennte, blieb nachher Jahr- hunderte lang die Grenze zwiſchen der Grafſchaft Mark und dem Herzog- thum Berg; mit einer Abneigung, die von drüben ebenſo herzlich erwidert ward, blickte der ernſte, verſchloſſene Niederſachſe auf die leichtlebigen, red- ſeligen Rheinfranken und ſpottete über den „bergiſchen Wind“. Auf den Hochſchulen ſtanden die Weſtphälinger ſtets unter dem grünweißſchwarzen Banner ihrer Landsmannſchaft zuſammen, hochberühmt als unerſättliche Zecher und Schläger, und alle kehrten regelmäßig in die Heimath zurück. Auch die mächtigen Geſchlechter der Droſte, Spiegel, Galen, Fürſtenberg hielten ſich dem abenteuerlichen Reislaufen des deutſchen Adels fern und blieben zumeiſt ſeßhaft daheim; nur jene Nebenzweige der alten Familien, die einſt mit dem Deutſchen Orden an die Düna gezogen waren, die Ketteler, die Plettenberg, erwarben ſich außerhalb der Landesgrenzen Macht und Ruhm. Als nunmehr faſt die geſammte rothe Erde unter die preußiſche Krone kam, da ward die Wiedervereinigung der Lande Wittekinds doch ſelbſt in den Krummſtabsgebieten, die dem proteſtantiſchen Königthum mißtrauten, mit Freude begrüßt, und man beklagte nur, daß Osnabrück, die Heimath des vaterländiſchen Claſſikers Juſtus Möſer nebſt einigen Strichen des Münſterlandes bei Hannover und Oldenburg verblieb. Niemand empfand dieſe Freude lebhafter als der Oberpräſident Frei- herr Ludwig v. Vincke, der ſchon während des Krieges die proviſoriſche Verwaltung geführt hatte und von allen Seiten als das einzig mögliche Oberhaupt der Provinz angeſehen wurde. Ein Verwaltungstalent großen Stiles, durch Reiſen und Studien mit dem Staatsleben und der Volks- wirthſchaft des Auslandes gründlich vertraut, war er doch vor Allem ein weſtphäliſcher Edelmann geblieben, derb, formlos, geradezu, ſo feſt ver- wachſen mit dem Boden der Heimath, wie jener alte Soeſter Maler, der ſich ſelbſt das Abendmahl des Heilands nicht ohne einen ſaftigen weſt- phäliſchen Schinken denken konnte. Wohin ihn auch der Staatsdienſt führte, in Aurich wie in Potsdam hatte er ſtets das Ziel im Auge be- halten, das ihm ſchon in jungen Jahren als höchſter Lebenszweck erſchienen war: „mein Vaterland Weſtphalen ſoll dereinſt das Bild der vollkom- menſten Einrichtungen abgeben.“ Welch ein Glück, als er nun mit der Verwaltung des wiedervereinigten Landes betraut wurde; nur „die unerträgliche Briefträgerei“, die Ab- hängigkeit von den Miniſtern in Berlin fiel ſeinem trotzigen Sinne ſchwer. Von Jugend auf hatte er faſt mit allen den ungewöhnlichen Männern, welche dies claſſiſche Zeitalter des preußiſchen Beamtenthums zierten, in enger Freundſchaft gelebt und zwiſchen den beiden Reformparteien immer eine Mittelſtellung eingenommen. Da er wie Stein die politiſche Frei- heit vornehmlich in der Selbſtverwaltung eines kräftigen, ſelbſtändigen Bürger- und Bauernſtandes ſuchte, ſo bekämpfte er wie Jener die unbe-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/276>, abgerufen am 12.05.2024.