Hardenberg wollte im ersten Zorne Genugthuung von dem Hessen fordern;*) der Wohlmeinende stand völlig rathlos vor den Kraftleistungen eines Particularismus, der so unbefangen eingestand, daß er ohne jede ernsthafte Gegenleistung nur den Schutz der beiden Großmächte bean- spruchte und im Nothfalle auch den Uebergang zum Landesfeinde nicht scheute. Und dazu die häßliche Verlogenheit der ganzen Berathung: keiner der Bundesgenossen konnte sich darüber täuschen, daß weder Oesterreich noch Preußen jemals sein Heer in zwei Stücke zerreißen würde, und mit- hin alles Streiten über die Bundescontingente der beiden Großmächte sinn- los war. Metternich aber fand das Auftreten der Mittelstaaten keines- wegs anstößig, sondern verhandelte in der Stille mit den süddeutschen Höfen und versprach dem Könige von Württemberg: neben den geschlossenen Massen der österreichischen, preußischen und bairischen Armee sollten noch zwei oder drei gemischte Corps gebildet werden, so daß Württemberg, Han- nover und vielleicht auch Sachsen ein Corpscommando zu besetzen hätten. Währenddem ward auch Buol von den süddeutschen Gesandten bearbeitet; der Badener Berckheim fragte ihn vorwurfsvoll, warum Oesterreich in Preußens Schlepptau gehe.**) In der Sitzung vom 9. April 1818 trat der Präsidialgesandte endlich offen zu den Mittelstaaten über und legte dem Bundestage einige "Hauptpunkte" für die Bundeskriegsverfassung vor, welche in allem Wesentlichen den Anträgen der süddeutschen Höfe ent- sprachen. Die Versammlung ging freudig darauf ein; Preußen fand sich gänzlich vereinsamt und genehmigte was nicht mehr zu ändern war.
Der Staatskanzler ward aber selbst durch diese Erfahrung nicht über die Zuverlässigkeit der österreichischen Freundschaft aufgeklärt, obwohl ihn Boyen, Wolzogen und sogar der harmlose Goltz wiederholt auf die offen- bare Zweizüngigkeit der Wiener Politik aufmerksam machten. Noch immer hielt er Metternich für einen treuen, nur allzu nachgiebigen Freund, während dieser in Wahrheit zäh und verschlagen, wie die Mittelstaaten, nur das eine Ziel verfolgte: jede militärische Verstärkung Preußens zu verhindern. Zur Durchführung jener "Hauptpunkte" ward ein Ausschuß des Bundestages eingesetzt und außerdem noch eine aus Offizieren der größeren Staaten gebildete Militär-Commission, so daß die militärischen Angelegenheiten stets drei Instanzen zu durchlaufen hatten. Ein neuer Zank begann, als Preußen sich bereit erklärte, ebenso viel Truppen zum Bundesheere zu stellen wie Oesterreich, obwohl die Volkszahl seiner Bun- deslande etwas schwächer war. Der König hatte in seiner arglosen Ehr- lichkeit gehofft, der Bund werde ihm für dies patriotische Opfer danken, und fühlte sich schwer enttäuscht, als Metternich dem preußischen Gesandten mit freundschaftlichem Bedauern antwortete: die Annahme "dieses groß-
*) Hardenberg an Goltz, 21. Februar 1818.
**) Berckheims Bericht 8. April. Boyen an Hardenberg 31. März 1818.
11*
Die Hauptpunkte der Bundeskriegsverfaſſung.
Hardenberg wollte im erſten Zorne Genugthuung von dem Heſſen fordern;*) der Wohlmeinende ſtand völlig rathlos vor den Kraftleiſtungen eines Particularismus, der ſo unbefangen eingeſtand, daß er ohne jede ernſthafte Gegenleiſtung nur den Schutz der beiden Großmächte bean- ſpruchte und im Nothfalle auch den Uebergang zum Landesfeinde nicht ſcheute. Und dazu die häßliche Verlogenheit der ganzen Berathung: keiner der Bundesgenoſſen konnte ſich darüber täuſchen, daß weder Oeſterreich noch Preußen jemals ſein Heer in zwei Stücke zerreißen würde, und mit- hin alles Streiten über die Bundescontingente der beiden Großmächte ſinn- los war. Metternich aber fand das Auftreten der Mittelſtaaten keines- wegs anſtößig, ſondern verhandelte in der Stille mit den ſüddeutſchen Höfen und verſprach dem Könige von Württemberg: neben den geſchloſſenen Maſſen der öſterreichiſchen, preußiſchen und bairiſchen Armee ſollten noch zwei oder drei gemiſchte Corps gebildet werden, ſo daß Württemberg, Han- nover und vielleicht auch Sachſen ein Corpscommando zu beſetzen hätten. Währenddem ward auch Buol von den ſüddeutſchen Geſandten bearbeitet; der Badener Berckheim fragte ihn vorwurfsvoll, warum Oeſterreich in Preußens Schlepptau gehe.**) In der Sitzung vom 9. April 1818 trat der Präſidialgeſandte endlich offen zu den Mittelſtaaten über und legte dem Bundestage einige „Hauptpunkte“ für die Bundeskriegsverfaſſung vor, welche in allem Weſentlichen den Anträgen der ſüddeutſchen Höfe ent- ſprachen. Die Verſammlung ging freudig darauf ein; Preußen fand ſich gänzlich vereinſamt und genehmigte was nicht mehr zu ändern war.
Der Staatskanzler ward aber ſelbſt durch dieſe Erfahrung nicht über die Zuverläſſigkeit der öſterreichiſchen Freundſchaft aufgeklärt, obwohl ihn Boyen, Wolzogen und ſogar der harmloſe Goltz wiederholt auf die offen- bare Zweizüngigkeit der Wiener Politik aufmerkſam machten. Noch immer hielt er Metternich für einen treuen, nur allzu nachgiebigen Freund, während dieſer in Wahrheit zäh und verſchlagen, wie die Mittelſtaaten, nur das eine Ziel verfolgte: jede militäriſche Verſtärkung Preußens zu verhindern. Zur Durchführung jener „Hauptpunkte“ ward ein Ausſchuß des Bundestages eingeſetzt und außerdem noch eine aus Offizieren der größeren Staaten gebildete Militär-Commiſſion, ſo daß die militäriſchen Angelegenheiten ſtets drei Inſtanzen zu durchlaufen hatten. Ein neuer Zank begann, als Preußen ſich bereit erklärte, ebenſo viel Truppen zum Bundesheere zu ſtellen wie Oeſterreich, obwohl die Volkszahl ſeiner Bun- deslande etwas ſchwächer war. Der König hatte in ſeiner argloſen Ehr- lichkeit gehofft, der Bund werde ihm für dies patriotiſche Opfer danken, und fühlte ſich ſchwer enttäuſcht, als Metternich dem preußiſchen Geſandten mit freundſchaftlichem Bedauern antwortete: die Annahme „dieſes groß-
*) Hardenberg an Goltz, 21. Februar 1818.
**) Berckheims Bericht 8. April. Boyen an Hardenberg 31. März 1818.
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Die Hauptpunkte der Bundeskriegsverfaſſung.
Hardenberg wollte im erſten Zorne Genugthuung von dem Heſſen
fordern; *) der Wohlmeinende ſtand völlig rathlos vor den Kraftleiſtungen
eines Particularismus, der ſo unbefangen eingeſtand, daß er ohne jede
ernſthafte Gegenleiſtung nur den Schutz der beiden Großmächte bean-
ſpruchte und im Nothfalle auch den Uebergang zum Landesfeinde nicht
ſcheute. Und dazu die häßliche Verlogenheit der ganzen Berathung: keiner
der Bundesgenoſſen konnte ſich darüber täuſchen, daß weder Oeſterreich
noch Preußen jemals ſein Heer in zwei Stücke zerreißen würde, und mit-
hin alles Streiten über die Bundescontingente der beiden Großmächte ſinn-
los war. Metternich aber fand das Auftreten der Mittelſtaaten keines-
wegs anſtößig, ſondern verhandelte in der Stille mit den ſüddeutſchen Höfen
und verſprach dem Könige von Württemberg: neben den geſchloſſenen
Maſſen der öſterreichiſchen, preußiſchen und bairiſchen Armee ſollten noch
zwei oder drei gemiſchte Corps gebildet werden, ſo daß Württemberg, Han-
nover und vielleicht auch Sachſen ein Corpscommando zu beſetzen hätten.
Währenddem ward auch Buol von den ſüddeutſchen Geſandten bearbeitet;
der Badener Berckheim fragte ihn vorwurfsvoll, warum Oeſterreich in
Preußens Schlepptau gehe. **) In der Sitzung vom 9. April 1818 trat
der Präſidialgeſandte endlich offen zu den Mittelſtaaten über und legte dem
Bundestage einige „Hauptpunkte“ für die Bundeskriegsverfaſſung vor,
welche in allem Weſentlichen den Anträgen der ſüddeutſchen Höfe ent-
ſprachen. Die Verſammlung ging freudig darauf ein; Preußen fand ſich
gänzlich vereinſamt und genehmigte was nicht mehr zu ändern war.
Der Staatskanzler ward aber ſelbſt durch dieſe Erfahrung nicht über
die Zuverläſſigkeit der öſterreichiſchen Freundſchaft aufgeklärt, obwohl ihn
Boyen, Wolzogen und ſogar der harmloſe Goltz wiederholt auf die offen-
bare Zweizüngigkeit der Wiener Politik aufmerkſam machten. Noch immer
hielt er Metternich für einen treuen, nur allzu nachgiebigen Freund,
während dieſer in Wahrheit zäh und verſchlagen, wie die Mittelſtaaten,
nur das eine Ziel verfolgte: jede militäriſche Verſtärkung Preußens zu
verhindern. Zur Durchführung jener „Hauptpunkte“ ward ein Ausſchuß
des Bundestages eingeſetzt und außerdem noch eine aus Offizieren der
größeren Staaten gebildete Militär-Commiſſion, ſo daß die militäriſchen
Angelegenheiten ſtets drei Inſtanzen zu durchlaufen hatten. Ein neuer
Zank begann, als Preußen ſich bereit erklärte, ebenſo viel Truppen zum
Bundesheere zu ſtellen wie Oeſterreich, obwohl die Volkszahl ſeiner Bun-
deslande etwas ſchwächer war. Der König hatte in ſeiner argloſen Ehr-
lichkeit gehofft, der Bund werde ihm für dies patriotiſche Opfer danken,
und fühlte ſich ſchwer enttäuſcht, als Metternich dem preußiſchen Geſandten
mit freundſchaftlichem Bedauern antwortete: die Annahme „dieſes groß-
*) Hardenberg an Goltz, 21. Februar 1818.
**) Berckheims Bericht 8. April. Boyen an Hardenberg 31. März 1818.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/177>, abgerufen am 25.11.2024.
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