Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Streit mit dem Kurfürsten von Hessen. Deutsch-Ordensgüter gekauft; der Kauf wurde im August 1815, zwei Jahrenach der Rückkehr des alten Landesherrn, durch die kurfürstlichen Behörden in die Katasterrolle eingetragen. Gleichwohl erhielt der Käufer ein halbes Jahr später den Befehl zur Wiederauslieferung der Güter, die er unter- dessen zerschlagen und an zwanzig Andere veräußert hatte; der Kurfürst, so hieß es kurzab, wolle nicht dulden, daß Staatsgüter in den Händen von Privaten blieben. Die Bundesversammlung faßte den mildesten Be- schluß, der in einem solchen Falle möglich war: sie verwies den Kläger an den Kurfürsten und forderte ihn auf, "wenn er dort, gegen alle bessere Erwartung der Bundesversammlung, nicht erhört werden sollte", seine Be- schwerde nochmals beim Bunde einzureichen. Der Kurfürst aber tobte, als er von dieser frevelhaften Verletzung seiner Kronrechte erfuhr, und ließ in Frankfurt eine Erwiderung verlesen, welche sofort in dem öffentlichen Pro- tokolle abgedruckt werden mußte (17. März 1817): er nannte darin den letzten Beschluß "sehr auffallend", gab den Gesandten seine "Verwunderung über ein Benehmen zu erkennen, welches die Billigung ihrer Committenten unmöglich erhalten könne", und schloß drohend: er verbitte sich jede Ein- mischung in seine inneren Landesangelegenheiten. Eine solche Sprache schien doch selbst der Geduld des Bundestages Doch leider hatte Graf Buol auf eigene Faust gehandelt; seine Instruk- *) Berstetts Bericht 16. März 1817.
Streit mit dem Kurfürſten von Heſſen. Deutſch-Ordensgüter gekauft; der Kauf wurde im Auguſt 1815, zwei Jahrenach der Rückkehr des alten Landesherrn, durch die kurfürſtlichen Behörden in die Kataſterrolle eingetragen. Gleichwohl erhielt der Käufer ein halbes Jahr ſpäter den Befehl zur Wiederauslieferung der Güter, die er unter- deſſen zerſchlagen und an zwanzig Andere veräußert hatte; der Kurfürſt, ſo hieß es kurzab, wolle nicht dulden, daß Staatsgüter in den Händen von Privaten blieben. Die Bundesverſammlung faßte den mildeſten Be- ſchluß, der in einem ſolchen Falle möglich war: ſie verwies den Kläger an den Kurfürſten und forderte ihn auf, „wenn er dort, gegen alle beſſere Erwartung der Bundesverſammlung, nicht erhört werden ſollte“, ſeine Be- ſchwerde nochmals beim Bunde einzureichen. Der Kurfürſt aber tobte, als er von dieſer frevelhaften Verletzung ſeiner Kronrechte erfuhr, und ließ in Frankfurt eine Erwiderung verleſen, welche ſofort in dem öffentlichen Pro- tokolle abgedruckt werden mußte (17. März 1817): er nannte darin den letzten Beſchluß „ſehr auffallend“, gab den Geſandten ſeine „Verwunderung über ein Benehmen zu erkennen, welches die Billigung ihrer Committenten unmöglich erhalten könne“, und ſchloß drohend: er verbitte ſich jede Ein- miſchung in ſeine inneren Landesangelegenheiten. Eine ſolche Sprache ſchien doch ſelbſt der Geduld des Bundestages Doch leider hatte Graf Buol auf eigene Fauſt gehandelt; ſeine Inſtruk- *) Berſtetts Bericht 16. März 1817.
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Streit mit dem Kurfürſten von Heſſen.
Deutſch-Ordensgüter gekauft; der Kauf wurde im Auguſt 1815, zwei Jahre
nach der Rückkehr des alten Landesherrn, durch die kurfürſtlichen Behörden
in die Kataſterrolle eingetragen. Gleichwohl erhielt der Käufer ein halbes
Jahr ſpäter den Befehl zur Wiederauslieferung der Güter, die er unter-
deſſen zerſchlagen und an zwanzig Andere veräußert hatte; der Kurfürſt,
ſo hieß es kurzab, wolle nicht dulden, daß Staatsgüter in den Händen
von Privaten blieben. Die Bundesverſammlung faßte den mildeſten Be-
ſchluß, der in einem ſolchen Falle möglich war: ſie verwies den Kläger
an den Kurfürſten und forderte ihn auf, „wenn er dort, gegen alle beſſere
Erwartung der Bundesverſammlung, nicht erhört werden ſollte“, ſeine Be-
ſchwerde nochmals beim Bunde einzureichen. Der Kurfürſt aber tobte, als
er von dieſer frevelhaften Verletzung ſeiner Kronrechte erfuhr, und ließ in
Frankfurt eine Erwiderung verleſen, welche ſofort in dem öffentlichen Pro-
tokolle abgedruckt werden mußte (17. März 1817): er nannte darin den
letzten Beſchluß „ſehr auffallend“, gab den Geſandten ſeine „Verwunderung
über ein Benehmen zu erkennen, welches die Billigung ihrer Committenten
unmöglich erhalten könne“, und ſchloß drohend: er verbitte ſich jede Ein-
miſchung in ſeine inneren Landesangelegenheiten.
Eine ſolche Sprache ſchien doch ſelbſt der Geduld des Bundestages
unerträglich. Alle Geſandten brachen den geſelligen Verkehr mit dem Ver-
treter des Kurfürſten ab; man erwartete beſtimmt, die beiden Großmächte
würden ihre Geſandtſchaften aus Kaſſel abberufen und dem Bunde eine
glänzende Genugthuung für die erlittene Beleidung verſchaffen. *) Graf
Buol erwiderte in geharniſchter Rede: die Stellung des Bundestags würde
auf die gemeinſchädlichſte Weiſe verändert werden, wenn er ſich gefallen
laſſen müßte, daß ein unzufriedenes Bundesglied in verweiſendem Tone zu
ihm ſpräche: „die Bundesverſammlung iſt nie und nirgends unter einem
Gliede des Bundes.“ Zuletzt verſicherte er ſogar mit einer in dieſem Kreiſe
unerhörten Begeiſterung: der Bundestag werde „den bedrängten Unter-
thanen die Ueberzeugung verſchaffen, daß Deutſchland nur darum mit dem
Blute der Völker von fremdem Joche befreit wurde, damit überall ein
rechtlicher Zuſtand an die Stelle der Willkür treten möge“. Graf Goltz
erklärte die unbedingte Zuſtimmung ſeines Königs zu dem gefaßten Be-
ſchluſſe; auch Gagern verſicherte in einer hochpathetiſchen, verworrenen
Rede: das von dem Kurfürſten angetaſtete Eigenthumsrecht „enthalte ein
beinah jungfräuliches noli me tangere“. Mit Ausnahme der beiden heſ-
ſiſchen Bevollmächtigten ſchien der geſammte Bundestag einig.
Doch leider hatte Graf Buol auf eigene Fauſt gehandelt; ſeine Inſtruk-
tionen waren, nach der Gewohnheit der Hofburg, wieder einmal ausge-
blieben. Er reiſte daher zu Anfang April ſelbſt nach Hauſe um dem
Bundestage den Beiſtand des Wiener Hofes zu ſichern. Aber welch ein
*) Berſtetts Bericht 16. März 1817.
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