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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Der Streit zwischen Baiern und Baden.

Diese neue Anmaßung Baierns trieb den preußischen Staatskanzler
endlich aus seiner Zurückhaltung heraus. Hardenberg war bisher sehr be-
hutsam verfahren, da er Oesterreich nicht verletzen wollte und sich selbst
durch die Vereinbarungen von Ried und Paris etwas gebunden fühlte.
Ein solcher Anspruch rechtswidriger Ländergier aber schien ihm "dem Zwecke
des Deutschen Bundes geradeswegs zuwiderzulaufen"; niemals wollte er
zugeben, daß Baiern die süddeutschen Kleinstaaten von dem Norden ab-
trenne. Er änderte daher sofort den Ton, ließ in Wien und München
entschieden erklären, Preußen werde schlechterdings keine Gewaltmaßregeln
gegen Baden dulden, und blieb fortan ein treuer Beschützer des Karls-
ruher Hofes. Der König von Württemberg erkannte die veränderte Hal-
tung des Berliner Cabinets dankbar an, und auch die Hofburg war insge-
heim über Preußens Auftreten erfreut, denn Metternich verkannte nicht, daß
die Uebermacht Baierns im deutschen Süden dem österreichischen Interesse
zuwiderlief; er konnte nur von seinen eigenen unredlichen Versprechungen
sich nicht förmlich lossagen.*) Indeß die letzte Entscheidung aller Gebiets-
fragen lag bei der Gesammtheit der vier Mächte, und da Kaiser Alexander
noch keinen klaren Entschluß gefaßt hatte, ja eine Zeit lang sich sogar den
bairischen Ansprüchen günstig zeigte, so blieben die widerwärtigen Händel
noch immer in der Schwebe; sie verbitterten sich von Monat zu Monat
und wirkten auf das nachbarliche Verhältniß der süddeutschen Staaten wie
auf den Gang ihres Verfassungslebens tief und nachhaltig ein. Die beiden
deutschen Großmächte aber hatten schon im September 1816 eingesehen,
daß der Bundestag nun doch eröffnet werden mußte bevor die Gebietsstrei-
tigkeiten ihren Austrag gefunden hatten. --

Zum allgemeinen Erstaunen der diplomatischen Welt ließ der Wiener
Hof dem Freiherrn v. Stein zweimal die Stelle des österreichischen Bun-
desgesandten antragen. Wie niedrig mußte Metternich noch von der Be-
deutung des Bundestags denken, wenn er dem Manne, den er als das
Haupt der deutschen Jakobiner verabscheute und zudem wegen seiner über-
spannten Ideen verachtete, die Leitung dieser Versammlung anbieten konnte!
Stein lehnte ab, schwerlich zur Ueberraschung der Hofburg; er wußte, daß
er als Metternichs Untergebener eine seiner würdige Wirksamkeit nicht
finden würde. Dann fiel die Wahl des Wiener Cabinets auf den greisen
Minister Albini, den letzten kurmainzischen Directorialgesandten am alten
Reichstage. Das Regensburger Treiben sollte in Frankfurt gemächlich fort-
gesetzt werden; der das alte Reich zum Grabe geleitet hatte, war der rechte
Mann um den neuen Bund aus der Taufe zu heben. Aber der alters-
schwache Herr starb schon im Januar 1816 noch bevor er sein Amt an-
getreten hatte; und nunmehr wurde der österreichische Gesandte in Cassel,

*) Krusemarks Bericht v. 5. März. Küsters Bericht v. 14. März. Hardenbergs
Weisungen v. 28. Febr., 4. März, 12. April 1817.
Der Streit zwiſchen Baiern und Baden.

Dieſe neue Anmaßung Baierns trieb den preußiſchen Staatskanzler
endlich aus ſeiner Zurückhaltung heraus. Hardenberg war bisher ſehr be-
hutſam verfahren, da er Oeſterreich nicht verletzen wollte und ſich ſelbſt
durch die Vereinbarungen von Ried und Paris etwas gebunden fühlte.
Ein ſolcher Anſpruch rechtswidriger Ländergier aber ſchien ihm „dem Zwecke
des Deutſchen Bundes geradeswegs zuwiderzulaufen“; niemals wollte er
zugeben, daß Baiern die ſüddeutſchen Kleinſtaaten von dem Norden ab-
trenne. Er änderte daher ſofort den Ton, ließ in Wien und München
entſchieden erklären, Preußen werde ſchlechterdings keine Gewaltmaßregeln
gegen Baden dulden, und blieb fortan ein treuer Beſchützer des Karls-
ruher Hofes. Der König von Württemberg erkannte die veränderte Hal-
tung des Berliner Cabinets dankbar an, und auch die Hofburg war insge-
heim über Preußens Auftreten erfreut, denn Metternich verkannte nicht, daß
die Uebermacht Baierns im deutſchen Süden dem öſterreichiſchen Intereſſe
zuwiderlief; er konnte nur von ſeinen eigenen unredlichen Verſprechungen
ſich nicht förmlich losſagen.*) Indeß die letzte Entſcheidung aller Gebiets-
fragen lag bei der Geſammtheit der vier Mächte, und da Kaiſer Alexander
noch keinen klaren Entſchluß gefaßt hatte, ja eine Zeit lang ſich ſogar den
bairiſchen Anſprüchen günſtig zeigte, ſo blieben die widerwärtigen Händel
noch immer in der Schwebe; ſie verbitterten ſich von Monat zu Monat
und wirkten auf das nachbarliche Verhältniß der ſüddeutſchen Staaten wie
auf den Gang ihres Verfaſſungslebens tief und nachhaltig ein. Die beiden
deutſchen Großmächte aber hatten ſchon im September 1816 eingeſehen,
daß der Bundestag nun doch eröffnet werden mußte bevor die Gebietsſtrei-
tigkeiten ihren Austrag gefunden hatten. —

Zum allgemeinen Erſtaunen der diplomatiſchen Welt ließ der Wiener
Hof dem Freiherrn v. Stein zweimal die Stelle des öſterreichiſchen Bun-
desgeſandten antragen. Wie niedrig mußte Metternich noch von der Be-
deutung des Bundestags denken, wenn er dem Manne, den er als das
Haupt der deutſchen Jakobiner verabſcheute und zudem wegen ſeiner über-
ſpannten Ideen verachtete, die Leitung dieſer Verſammlung anbieten konnte!
Stein lehnte ab, ſchwerlich zur Ueberraſchung der Hofburg; er wußte, daß
er als Metternichs Untergebener eine ſeiner würdige Wirkſamkeit nicht
finden würde. Dann fiel die Wahl des Wiener Cabinets auf den greiſen
Miniſter Albini, den letzten kurmainziſchen Directorialgeſandten am alten
Reichstage. Das Regensburger Treiben ſollte in Frankfurt gemächlich fort-
geſetzt werden; der das alte Reich zum Grabe geleitet hatte, war der rechte
Mann um den neuen Bund aus der Taufe zu heben. Aber der alters-
ſchwache Herr ſtarb ſchon im Januar 1816 noch bevor er ſein Amt an-
getreten hatte; und nunmehr wurde der öſterreichiſche Geſandte in Caſſel,

*) Kruſemarks Bericht v. 5. März. Küſters Bericht v. 14. März. Hardenbergs
Weiſungen v. 28. Febr., 4. März, 12. April 1817.
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[135/0149] Der Streit zwiſchen Baiern und Baden. Dieſe neue Anmaßung Baierns trieb den preußiſchen Staatskanzler endlich aus ſeiner Zurückhaltung heraus. Hardenberg war bisher ſehr be- hutſam verfahren, da er Oeſterreich nicht verletzen wollte und ſich ſelbſt durch die Vereinbarungen von Ried und Paris etwas gebunden fühlte. Ein ſolcher Anſpruch rechtswidriger Ländergier aber ſchien ihm „dem Zwecke des Deutſchen Bundes geradeswegs zuwiderzulaufen“; niemals wollte er zugeben, daß Baiern die ſüddeutſchen Kleinſtaaten von dem Norden ab- trenne. Er änderte daher ſofort den Ton, ließ in Wien und München entſchieden erklären, Preußen werde ſchlechterdings keine Gewaltmaßregeln gegen Baden dulden, und blieb fortan ein treuer Beſchützer des Karls- ruher Hofes. Der König von Württemberg erkannte die veränderte Hal- tung des Berliner Cabinets dankbar an, und auch die Hofburg war insge- heim über Preußens Auftreten erfreut, denn Metternich verkannte nicht, daß die Uebermacht Baierns im deutſchen Süden dem öſterreichiſchen Intereſſe zuwiderlief; er konnte nur von ſeinen eigenen unredlichen Verſprechungen ſich nicht förmlich losſagen. *) Indeß die letzte Entſcheidung aller Gebiets- fragen lag bei der Geſammtheit der vier Mächte, und da Kaiſer Alexander noch keinen klaren Entſchluß gefaßt hatte, ja eine Zeit lang ſich ſogar den bairiſchen Anſprüchen günſtig zeigte, ſo blieben die widerwärtigen Händel noch immer in der Schwebe; ſie verbitterten ſich von Monat zu Monat und wirkten auf das nachbarliche Verhältniß der ſüddeutſchen Staaten wie auf den Gang ihres Verfaſſungslebens tief und nachhaltig ein. Die beiden deutſchen Großmächte aber hatten ſchon im September 1816 eingeſehen, daß der Bundestag nun doch eröffnet werden mußte bevor die Gebietsſtrei- tigkeiten ihren Austrag gefunden hatten. — Zum allgemeinen Erſtaunen der diplomatiſchen Welt ließ der Wiener Hof dem Freiherrn v. Stein zweimal die Stelle des öſterreichiſchen Bun- desgeſandten antragen. Wie niedrig mußte Metternich noch von der Be- deutung des Bundestags denken, wenn er dem Manne, den er als das Haupt der deutſchen Jakobiner verabſcheute und zudem wegen ſeiner über- ſpannten Ideen verachtete, die Leitung dieſer Verſammlung anbieten konnte! Stein lehnte ab, ſchwerlich zur Ueberraſchung der Hofburg; er wußte, daß er als Metternichs Untergebener eine ſeiner würdige Wirkſamkeit nicht finden würde. Dann fiel die Wahl des Wiener Cabinets auf den greiſen Miniſter Albini, den letzten kurmainziſchen Directorialgeſandten am alten Reichstage. Das Regensburger Treiben ſollte in Frankfurt gemächlich fort- geſetzt werden; der das alte Reich zum Grabe geleitet hatte, war der rechte Mann um den neuen Bund aus der Taufe zu heben. Aber der alters- ſchwache Herr ſtarb ſchon im Januar 1816 noch bevor er ſein Amt an- getreten hatte; und nunmehr wurde der öſterreichiſche Geſandte in Caſſel, *) Kruſemarks Bericht v. 5. März. Küſters Bericht v. 14. März. Hardenbergs Weiſungen v. 28. Febr., 4. März, 12. April 1817.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/149>, abgerufen am 27.11.2024.