Schritt zurück und gab durch den Vertrag vom 14. April 1816 Salz- burg nebst dem Innviertel dahin gegen die linksrheinische Pfalz und einige noch herrenlose Gebiete im Odenwalde. Die salzburgischen Baiern traten sehr ungern unter das Scepter Oesterreichs. Aber ein großer Theil des Landes war Kammergut, Wohl und Wehe der Bevölkerung hing gänzlich von der neuen Landesherrschaft ab, die ihre Macht ohne Härte gebrauchte; so geschah es, daß die Aufregung sich nach und nach legte, und die unna- türliche Trennung von den Stammgenossen dem Völkchen bald selbstver- ständlich erschien.
Da der bairische Staat durch den Tauschvertrag einen Zuwachs von 85,000 Einwohnern gewonnen hatte, so lag ein Anlaß zu berechtigten Beschwerden nicht mehr vor. Gleichwohl vermochte der Münchener Hof nicht den ununterbrochenen Gebietszusammenhang zu verschmerzen; er forderte, daß ihm in den geheimen Artikeln des Vertrags noch weitere Ent- schädigungen zugestanden würden. Metternich aber trug kein Bedenken, sich auf Kosten Badens freigebig zu erweisen, weil er voraussah, welchem unüberwindlichen Widerstande seine Versprechungen begegnen würden. In den geheimen Artikeln ward ausbedungen: die badische Pfalz solle nach dem Aussterben der Zähringer Hauptlinie an Baiern zurückfallen; Baiern solle ferner, zum Ersatz für die verlorene Contiguität, so bald als möglich den badischen Main-Tauberkreis und, bis diese Abtretung bewirkt sei, von Seiten Oesterreichs eine jährliche Rente von 100,000 fl. erhalten. Also abermals ein Schritt frivoler Willkür; und Baiern säumte nicht seine angeblichen Ansprüche mit jedem Mittel zu verfechten. Während sein Ge- sandter bei den Frankfurter Gebietsverhandlungen die Auslieferung des Main-Tauberkreises als ein unbestreitbares Recht forderte, warb Graf Bray um die Gnade des Czaren. Der geängstete badische Hof wehrte sich mit den nämlichen Waffen. Minister Berstett eilte hilfesuchend nach London; nach Petersburg war schon früher ein Prinz der neuen Nebenlinie, Graf Wilhelm von Hochberg gesendet worden. Nachher verdiente sich der brauch- barste Mann des badischen Cabinets, der junge Freiherr v. Blittersdorff an der Newa seine diplomatischen Sporen und suchte mit Hilfe der Kai- serin Elisabeth den bairischen Gesandten aus der Gunst Alexanders zu verdrängen. So währte der schimpfliche Wettkampf der beiden deutschen Höfe um den Schutz des Auslandes viele Monate hindurch, und Kapo- distrias rief dem badischen Gesandten verächtlich zu: "Ihr liegt immer vor der Thür der großen Mächte!*) Unterdessen hatte die bairische Regierung ihre Forderungen noch höher gespannt, auf Betrieb des Kronprinzen, der den Einzug in das Heidelberger Pfalzgrafenschloß gar nicht erwarten konnte; im Februar 1817 verlangte sie von den großen Mächten geradezu die Uebergabe der badischen Pfalz.
*) Blittersdorffs Berichte aus Petersburg 5. Juni ff. 4. September 1818.
II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
Schritt zurück und gab durch den Vertrag vom 14. April 1816 Salz- burg nebſt dem Innviertel dahin gegen die linksrheiniſche Pfalz und einige noch herrenloſe Gebiete im Odenwalde. Die ſalzburgiſchen Baiern traten ſehr ungern unter das Scepter Oeſterreichs. Aber ein großer Theil des Landes war Kammergut, Wohl und Wehe der Bevölkerung hing gänzlich von der neuen Landesherrſchaft ab, die ihre Macht ohne Härte gebrauchte; ſo geſchah es, daß die Aufregung ſich nach und nach legte, und die unna- türliche Trennung von den Stammgenoſſen dem Völkchen bald ſelbſtver- ſtändlich erſchien.
Da der bairiſche Staat durch den Tauſchvertrag einen Zuwachs von 85,000 Einwohnern gewonnen hatte, ſo lag ein Anlaß zu berechtigten Beſchwerden nicht mehr vor. Gleichwohl vermochte der Münchener Hof nicht den ununterbrochenen Gebietszuſammenhang zu verſchmerzen; er forderte, daß ihm in den geheimen Artikeln des Vertrags noch weitere Ent- ſchädigungen zugeſtanden würden. Metternich aber trug kein Bedenken, ſich auf Koſten Badens freigebig zu erweiſen, weil er vorausſah, welchem unüberwindlichen Widerſtande ſeine Verſprechungen begegnen würden. In den geheimen Artikeln ward ausbedungen: die badiſche Pfalz ſolle nach dem Ausſterben der Zähringer Hauptlinie an Baiern zurückfallen; Baiern ſolle ferner, zum Erſatz für die verlorene Contiguität, ſo bald als möglich den badiſchen Main-Tauberkreis und, bis dieſe Abtretung bewirkt ſei, von Seiten Oeſterreichs eine jährliche Rente von 100,000 fl. erhalten. Alſo abermals ein Schritt frivoler Willkür; und Baiern ſäumte nicht ſeine angeblichen Anſprüche mit jedem Mittel zu verfechten. Während ſein Ge- ſandter bei den Frankfurter Gebietsverhandlungen die Auslieferung des Main-Tauberkreiſes als ein unbeſtreitbares Recht forderte, warb Graf Bray um die Gnade des Czaren. Der geängſtete badiſche Hof wehrte ſich mit den nämlichen Waffen. Miniſter Berſtett eilte hilfeſuchend nach London; nach Petersburg war ſchon früher ein Prinz der neuen Nebenlinie, Graf Wilhelm von Hochberg geſendet worden. Nachher verdiente ſich der brauch- barſte Mann des badiſchen Cabinets, der junge Freiherr v. Blittersdorff an der Newa ſeine diplomatiſchen Sporen und ſuchte mit Hilfe der Kai- ſerin Eliſabeth den bairiſchen Geſandten aus der Gunſt Alexanders zu verdrängen. So währte der ſchimpfliche Wettkampf der beiden deutſchen Höfe um den Schutz des Auslandes viele Monate hindurch, und Kapo- diſtrias rief dem badiſchen Geſandten verächtlich zu: „Ihr liegt immer vor der Thür der großen Mächte!*) Unterdeſſen hatte die bairiſche Regierung ihre Forderungen noch höher geſpannt, auf Betrieb des Kronprinzen, der den Einzug in das Heidelberger Pfalzgrafenſchloß gar nicht erwarten konnte; im Februar 1817 verlangte ſie von den großen Mächten geradezu die Uebergabe der badiſchen Pfalz.
*) Blittersdorffs Berichte aus Petersburg 5. Juni ff. 4. September 1818.
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Schritt zurück und gab durch den Vertrag vom 14. April 1816 Salz-
burg nebſt dem Innviertel dahin gegen die linksrheiniſche Pfalz und einige
noch herrenloſe Gebiete im Odenwalde. Die ſalzburgiſchen Baiern traten
ſehr ungern unter das Scepter Oeſterreichs. Aber ein großer Theil des
Landes war Kammergut, Wohl und Wehe der Bevölkerung hing gänzlich
von der neuen Landesherrſchaft ab, die ihre Macht ohne Härte gebrauchte;
ſo geſchah es, daß die Aufregung ſich nach und nach legte, und die unna-
türliche Trennung von den Stammgenoſſen dem Völkchen bald ſelbſtver-
ſtändlich erſchien.
Da der bairiſche Staat durch den Tauſchvertrag einen Zuwachs von
85,000 Einwohnern gewonnen hatte, ſo lag ein Anlaß zu berechtigten
Beſchwerden nicht mehr vor. Gleichwohl vermochte der Münchener Hof
nicht den ununterbrochenen Gebietszuſammenhang zu verſchmerzen; er
forderte, daß ihm in den geheimen Artikeln des Vertrags noch weitere Ent-
ſchädigungen zugeſtanden würden. Metternich aber trug kein Bedenken,
ſich auf Koſten Badens freigebig zu erweiſen, weil er vorausſah, welchem
unüberwindlichen Widerſtande ſeine Verſprechungen begegnen würden. In
den geheimen Artikeln ward ausbedungen: die badiſche Pfalz ſolle nach
dem Ausſterben der Zähringer Hauptlinie an Baiern zurückfallen; Baiern
ſolle ferner, zum Erſatz für die verlorene Contiguität, ſo bald als möglich
den badiſchen Main-Tauberkreis und, bis dieſe Abtretung bewirkt ſei, von
Seiten Oeſterreichs eine jährliche Rente von 100,000 fl. erhalten. Alſo
abermals ein Schritt frivoler Willkür; und Baiern ſäumte nicht ſeine
angeblichen Anſprüche mit jedem Mittel zu verfechten. Während ſein Ge-
ſandter bei den Frankfurter Gebietsverhandlungen die Auslieferung des
Main-Tauberkreiſes als ein unbeſtreitbares Recht forderte, warb Graf
Bray um die Gnade des Czaren. Der geängſtete badiſche Hof wehrte ſich
mit den nämlichen Waffen. Miniſter Berſtett eilte hilfeſuchend nach London;
nach Petersburg war ſchon früher ein Prinz der neuen Nebenlinie, Graf
Wilhelm von Hochberg geſendet worden. Nachher verdiente ſich der brauch-
barſte Mann des badiſchen Cabinets, der junge Freiherr v. Blittersdorff
an der Newa ſeine diplomatiſchen Sporen und ſuchte mit Hilfe der Kai-
ſerin Eliſabeth den bairiſchen Geſandten aus der Gunſt Alexanders zu
verdrängen. So währte der ſchimpfliche Wettkampf der beiden deutſchen
Höfe um den Schutz des Auslandes viele Monate hindurch, und Kapo-
diſtrias rief dem badiſchen Geſandten verächtlich zu: „Ihr liegt immer vor
der Thür der großen Mächte! *) Unterdeſſen hatte die bairiſche Regierung
ihre Forderungen noch höher geſpannt, auf Betrieb des Kronprinzen, der
den Einzug in das Heidelberger Pfalzgrafenſchloß gar nicht erwarten konnte;
im Februar 1817 verlangte ſie von den großen Mächten geradezu die
Uebergabe der badiſchen Pfalz.
*) Blittersdorffs Berichte aus Petersburg 5. Juni ff. 4. September 1818.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/148>, abgerufen am 27.11.2024.
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