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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages.
Graf Buol auf die erledigte Stelle berufen, ein mittelmäßiger Kopf ohne
Urtheil und Haltung, doch immerhin schlau genug um in aller Gemüth-
lichkeit ein kleines Ränkespiel anzuspinnen oder die unterthänigen Diplo-
maten der Kleinstaaten durch überströmende Schmeichelei und gelegentliche
Lügen zu gewinnen.

Auch Hardenberg dachte für den preußischen Gesandtschaftsposten zu-
nächst an Stein. An dieser Stelle schien der gefürchtete Nebenbuhler unge-
fährlich; sein großer Name sollte der Nation für die deutsche Gesinnung
der preußischen Regierung bürgen. Der Freiherr zeigte sich anfangs be-
reitwillig, aber nach dem zweiten Pariser Frieden lehnte er verstimmt den
Antrag ab: sein altes Mißtrauen gegen den Staatskanzler hatte sich in
den letzten Monaten bis zu ungerechter Verachtung gesteigert, und von dem
Bundestage erwartete er jetzt kein Heil mehr. Nach längerem Schwanken
wendete sich Hardenberg endlich an den Gesandten in Cassel, v. Hänlein,
einen älteren Diplomaten aus der fränkischen Beamtenschule, der sich wie
Albini seine Kenntniß der deutschen Dinge am Regensburger Reichstage
erworben hatte. Die unglückliche Wahl rächte sich schnell. Der neue Ge-
sandte bereitete seinem Staate noch vor der Eröffnung des Bundestags
eine empfindliche Niederlage, welche die ohnehin schwierige Stellung Preu-
ßens am Bunde auf lange hinaus verdarb -- ein würdiges Vorspiel und
Vorbild für den gesammten Verlauf der Bundesgeschichte.

Am 23. Januar 1816 erklärte sich Hänlein bereit die Stelle anzu-
nehmen. Obgleich er an den Bestand und die segensreiche Wirksamkeit
des Bundestags noch keineswegs glauben wollte, so verließ er sich doch
auf seine reichen Regensburger Erfahrungen, sowie auf die Freundschaft
des Grafen Buol, seines allezeit verbindlichen und vertrauensvollen Cas-
seler Amtsgenossen, und übersandte dem Staatskanzler sogleich eine Denk-
schrift: "Was ist von dem Deutschen Bundestage zu Frankfurt zu erwarten?"
Dem Kenner der alten Reichsverfassung entging nicht, daß Oesterreich,
das doch "nur ein halbes Interesse an Deutschland nehmen könne", eine
für Preußen ganz unerträgliche Führerstellung gewonnen hatte: die neue
Präsidialmacht mußte, da sie die Geschäfte allein leitete, am Bundestage
bald ungleich mächtiger werden als vordem der Kaiser auf dem Reichs-
tage. Er hob sodann hervor, wie durch die Bedingung der Einstimmigkeit
bei allen organischen Einrichtungen jede friedliche Fortbildung des Bundes
verhindert werde, "als ob man dessen Leben und thätiges Wirken in der
Geburt ersticken wollte." Angesichts solcher Zustände könne das verzwei-
felnde norddeutsche Volk leicht zu dem Entschlusse gelangen, dem preu-
ßischen Staate durch eine Revolution die Oberherrschaft in Deutschland
zu erringen. Um diese Gefahr abzuwenden, bleibe nur noch ein Mittel:
die Theilung der Herrschaft zwischen den beiden Großmächten. Oesterreich
nimmt die Kaiserwürde wieder an, Preußen erhält den Titel des deutschen
Königs; dann übernehmen beide Staaten fest verbunden und völlig gleich-

II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
Graf Buol auf die erledigte Stelle berufen, ein mittelmäßiger Kopf ohne
Urtheil und Haltung, doch immerhin ſchlau genug um in aller Gemüth-
lichkeit ein kleines Ränkeſpiel anzuſpinnen oder die unterthänigen Diplo-
maten der Kleinſtaaten durch überſtrömende Schmeichelei und gelegentliche
Lügen zu gewinnen.

Auch Hardenberg dachte für den preußiſchen Geſandtſchaftspoſten zu-
nächſt an Stein. An dieſer Stelle ſchien der gefürchtete Nebenbuhler unge-
fährlich; ſein großer Name ſollte der Nation für die deutſche Geſinnung
der preußiſchen Regierung bürgen. Der Freiherr zeigte ſich anfangs be-
reitwillig, aber nach dem zweiten Pariſer Frieden lehnte er verſtimmt den
Antrag ab: ſein altes Mißtrauen gegen den Staatskanzler hatte ſich in
den letzten Monaten bis zu ungerechter Verachtung geſteigert, und von dem
Bundestage erwartete er jetzt kein Heil mehr. Nach längerem Schwanken
wendete ſich Hardenberg endlich an den Geſandten in Caſſel, v. Hänlein,
einen älteren Diplomaten aus der fränkiſchen Beamtenſchule, der ſich wie
Albini ſeine Kenntniß der deutſchen Dinge am Regensburger Reichstage
erworben hatte. Die unglückliche Wahl rächte ſich ſchnell. Der neue Ge-
ſandte bereitete ſeinem Staate noch vor der Eröffnung des Bundestags
eine empfindliche Niederlage, welche die ohnehin ſchwierige Stellung Preu-
ßens am Bunde auf lange hinaus verdarb — ein würdiges Vorſpiel und
Vorbild für den geſammten Verlauf der Bundesgeſchichte.

Am 23. Januar 1816 erklärte ſich Hänlein bereit die Stelle anzu-
nehmen. Obgleich er an den Beſtand und die ſegensreiche Wirkſamkeit
des Bundestags noch keineswegs glauben wollte, ſo verließ er ſich doch
auf ſeine reichen Regensburger Erfahrungen, ſowie auf die Freundſchaft
des Grafen Buol, ſeines allezeit verbindlichen und vertrauensvollen Caſ-
ſeler Amtsgenoſſen, und überſandte dem Staatskanzler ſogleich eine Denk-
ſchrift: „Was iſt von dem Deutſchen Bundestage zu Frankfurt zu erwarten?“
Dem Kenner der alten Reichsverfaſſung entging nicht, daß Oeſterreich,
das doch „nur ein halbes Intereſſe an Deutſchland nehmen könne“, eine
für Preußen ganz unerträgliche Führerſtellung gewonnen hatte: die neue
Präſidialmacht mußte, da ſie die Geſchäfte allein leitete, am Bundestage
bald ungleich mächtiger werden als vordem der Kaiſer auf dem Reichs-
tage. Er hob ſodann hervor, wie durch die Bedingung der Einſtimmigkeit
bei allen organiſchen Einrichtungen jede friedliche Fortbildung des Bundes
verhindert werde, „als ob man deſſen Leben und thätiges Wirken in der
Geburt erſticken wollte.“ Angeſichts ſolcher Zuſtände könne das verzwei-
felnde norddeutſche Volk leicht zu dem Entſchluſſe gelangen, dem preu-
ßiſchen Staate durch eine Revolution die Oberherrſchaft in Deutſchland
zu erringen. Um dieſe Gefahr abzuwenden, bleibe nur noch ein Mittel:
die Theilung der Herrſchaft zwiſchen den beiden Großmächten. Oeſterreich
nimmt die Kaiſerwürde wieder an, Preußen erhält den Titel des deutſchen
Königs; dann übernehmen beide Staaten feſt verbunden und völlig gleich-

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[136/0150] II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages. Graf Buol auf die erledigte Stelle berufen, ein mittelmäßiger Kopf ohne Urtheil und Haltung, doch immerhin ſchlau genug um in aller Gemüth- lichkeit ein kleines Ränkeſpiel anzuſpinnen oder die unterthänigen Diplo- maten der Kleinſtaaten durch überſtrömende Schmeichelei und gelegentliche Lügen zu gewinnen. Auch Hardenberg dachte für den preußiſchen Geſandtſchaftspoſten zu- nächſt an Stein. An dieſer Stelle ſchien der gefürchtete Nebenbuhler unge- fährlich; ſein großer Name ſollte der Nation für die deutſche Geſinnung der preußiſchen Regierung bürgen. Der Freiherr zeigte ſich anfangs be- reitwillig, aber nach dem zweiten Pariſer Frieden lehnte er verſtimmt den Antrag ab: ſein altes Mißtrauen gegen den Staatskanzler hatte ſich in den letzten Monaten bis zu ungerechter Verachtung geſteigert, und von dem Bundestage erwartete er jetzt kein Heil mehr. Nach längerem Schwanken wendete ſich Hardenberg endlich an den Geſandten in Caſſel, v. Hänlein, einen älteren Diplomaten aus der fränkiſchen Beamtenſchule, der ſich wie Albini ſeine Kenntniß der deutſchen Dinge am Regensburger Reichstage erworben hatte. Die unglückliche Wahl rächte ſich ſchnell. Der neue Ge- ſandte bereitete ſeinem Staate noch vor der Eröffnung des Bundestags eine empfindliche Niederlage, welche die ohnehin ſchwierige Stellung Preu- ßens am Bunde auf lange hinaus verdarb — ein würdiges Vorſpiel und Vorbild für den geſammten Verlauf der Bundesgeſchichte. Am 23. Januar 1816 erklärte ſich Hänlein bereit die Stelle anzu- nehmen. Obgleich er an den Beſtand und die ſegensreiche Wirkſamkeit des Bundestags noch keineswegs glauben wollte, ſo verließ er ſich doch auf ſeine reichen Regensburger Erfahrungen, ſowie auf die Freundſchaft des Grafen Buol, ſeines allezeit verbindlichen und vertrauensvollen Caſ- ſeler Amtsgenoſſen, und überſandte dem Staatskanzler ſogleich eine Denk- ſchrift: „Was iſt von dem Deutſchen Bundestage zu Frankfurt zu erwarten?“ Dem Kenner der alten Reichsverfaſſung entging nicht, daß Oeſterreich, das doch „nur ein halbes Intereſſe an Deutſchland nehmen könne“, eine für Preußen ganz unerträgliche Führerſtellung gewonnen hatte: die neue Präſidialmacht mußte, da ſie die Geſchäfte allein leitete, am Bundestage bald ungleich mächtiger werden als vordem der Kaiſer auf dem Reichs- tage. Er hob ſodann hervor, wie durch die Bedingung der Einſtimmigkeit bei allen organiſchen Einrichtungen jede friedliche Fortbildung des Bundes verhindert werde, „als ob man deſſen Leben und thätiges Wirken in der Geburt erſticken wollte.“ Angeſichts ſolcher Zuſtände könne das verzwei- felnde norddeutſche Volk leicht zu dem Entſchluſſe gelangen, dem preu- ßiſchen Staate durch eine Revolution die Oberherrſchaft in Deutſchland zu erringen. Um dieſe Gefahr abzuwenden, bleibe nur noch ein Mittel: die Theilung der Herrſchaft zwiſchen den beiden Großmächten. Oeſterreich nimmt die Kaiſerwürde wieder an, Preußen erhält den Titel des deutſchen Königs; dann übernehmen beide Staaten feſt verbunden und völlig gleich-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/150>, abgerufen am 27.11.2024.