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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Gebietsverhandlungen zwischen Oesterreich und Baiern.

Fast schien es, als sollte die Geschichte des deutschen Bundes mit
einem Bürgerkriege beginnen. Aber das bairische Heer befand sich in einem
kläglichen Zustande, und Metternich hielt seine Forderungen unerschütterlich
fest. Er erklärte trocken, die verheißene "Contiguität" des bairischen Ge-
biets sei durch den Widerspruch der süddeutschen Nachbarstaaten unmöglich
geworden, und gestand also mit gewohnter Gewissensruhe ein, daß er zu
Ried und Paris seine bairischen Freunde durch unerfüllbare Versprechungen
betrogen hatte. Die Wittelsbacher wagten noch einen letzten Versuch. Der
König schrieb an Kaiser Alexander, der ihn "aus Rücksicht auf die Ruhe
des Deutschen Bundes" dringend zur Nachgiebigkeit ermahnt hatte, und
schämte sich nicht, den Czaren zu preisen, weil er das Elsaß den Fran-
zosen bewahrt hatte: "Den großmüthigen, beständigen und anhaltenden Be-
mühungen Eurer Majestät verdankt Europa vornehmlich seine Befreiung;
Ihre Voraussicht vor Allem hat Frankreich dem politischen Systeme Euro-
pas erhalten, gegen die Sophismen des Ehrgeizes und gegen das Geschrei
der Uebertreibung. Sie werden nicht einem Bundesgenossen, der nur
seine Erhaltung verlangt, den gleichen Schutz versagen wollen."*) Bald
darauf, im Februar 1816, ging Kronprinz Ludwig nach Mailand um den
Kaiser Franz persönlich zu gewinnen. Doch zur selben Zeit traf auch der
Freiherr v. Berckheim im Auftrage des badischen Hofes dort ein, da man
in Karlsruhe unterdessen erfahren hatte, was in Paris über die Zukunft
des Breisgaus und der Jungpfalz beschlossen war; und nunmehr gerieth
der österreichische Hof zwischen zwei Feuer. Der badische Minister ver-
wahrte sich feierlich gegen jede Verletzung der Rechte seines Fürsten; der
bairische Kronprinz mahnte den Kaiser Franz in seiner aufgeregten Weise
an das gegebene Wort und forderte stürmisch das verheißene zusammen-
hängende Gebiet; der treuherzige Kaiser aber erwiderte den Streitenden
achselzuckend: "ich bin ein Körper und eine Seele mit meinen Alliirten
und kann nichts ohne sie." Auch Metternich berief sich gelassen auf die
Entscheidung der großen Mächte, und wenngleich er dem badischen Staats-
manne den gereizten Ton seines Protestes scharf verwies, so bemerkte Berck-
heim doch bald, daß Oesterreich nur die Auslieferung Salzburgs erzwingen
wollte und keineswegs ernstlich beabsichtigte den Breisgau und die Jung-
pfalz in Baierns Hände zu bringen.**)

Unverrichteter Dinge kehrte Kronprinz Ludwig heim. Da alle vier
Mächte dringend die endliche Beilegung dieser schmutzigen Händel forderten,
bei denen die Zweizüngigkeit der Hofburg eine kaum weniger häßliche Rolle
spielte, als Baierns gierige Anmaßung, so wich der Münchener Hof einen

*) Kaiser Alexander an Max Joseph 24. December 1815. Antwort des Königs
6. Jan. 1816.
**) Berckheims Bericht an das bad. Ministerium, Mailand 14. Febr. Berckheims
Protest 10. Febr. Metternichs Antwort 22. Febr. 1816.
Gebietsverhandlungen zwiſchen Oeſterreich und Baiern.

Faſt ſchien es, als ſollte die Geſchichte des deutſchen Bundes mit
einem Bürgerkriege beginnen. Aber das bairiſche Heer befand ſich in einem
kläglichen Zuſtande, und Metternich hielt ſeine Forderungen unerſchütterlich
feſt. Er erklärte trocken, die verheißene „Contiguität“ des bairiſchen Ge-
biets ſei durch den Widerſpruch der ſüddeutſchen Nachbarſtaaten unmöglich
geworden, und geſtand alſo mit gewohnter Gewiſſensruhe ein, daß er zu
Ried und Paris ſeine bairiſchen Freunde durch unerfüllbare Verſprechungen
betrogen hatte. Die Wittelsbacher wagten noch einen letzten Verſuch. Der
König ſchrieb an Kaiſer Alexander, der ihn „aus Rückſicht auf die Ruhe
des Deutſchen Bundes“ dringend zur Nachgiebigkeit ermahnt hatte, und
ſchämte ſich nicht, den Czaren zu preiſen, weil er das Elſaß den Fran-
zoſen bewahrt hatte: „Den großmüthigen, beſtändigen und anhaltenden Be-
mühungen Eurer Majeſtät verdankt Europa vornehmlich ſeine Befreiung;
Ihre Vorausſicht vor Allem hat Frankreich dem politiſchen Syſteme Euro-
pas erhalten, gegen die Sophismen des Ehrgeizes und gegen das Geſchrei
der Uebertreibung. Sie werden nicht einem Bundesgenoſſen, der nur
ſeine Erhaltung verlangt, den gleichen Schutz verſagen wollen.“*) Bald
darauf, im Februar 1816, ging Kronprinz Ludwig nach Mailand um den
Kaiſer Franz perſönlich zu gewinnen. Doch zur ſelben Zeit traf auch der
Freiherr v. Berckheim im Auftrage des badiſchen Hofes dort ein, da man
in Karlsruhe unterdeſſen erfahren hatte, was in Paris über die Zukunft
des Breisgaus und der Jungpfalz beſchloſſen war; und nunmehr gerieth
der öſterreichiſche Hof zwiſchen zwei Feuer. Der badiſche Miniſter ver-
wahrte ſich feierlich gegen jede Verletzung der Rechte ſeines Fürſten; der
bairiſche Kronprinz mahnte den Kaiſer Franz in ſeiner aufgeregten Weiſe
an das gegebene Wort und forderte ſtürmiſch das verheißene zuſammen-
hängende Gebiet; der treuherzige Kaiſer aber erwiderte den Streitenden
achſelzuckend: „ich bin ein Körper und eine Seele mit meinen Alliirten
und kann nichts ohne ſie.“ Auch Metternich berief ſich gelaſſen auf die
Entſcheidung der großen Mächte, und wenngleich er dem badiſchen Staats-
manne den gereizten Ton ſeines Proteſtes ſcharf verwies, ſo bemerkte Berck-
heim doch bald, daß Oeſterreich nur die Auslieferung Salzburgs erzwingen
wollte und keineswegs ernſtlich beabſichtigte den Breisgau und die Jung-
pfalz in Baierns Hände zu bringen.**)

Unverrichteter Dinge kehrte Kronprinz Ludwig heim. Da alle vier
Mächte dringend die endliche Beilegung dieſer ſchmutzigen Händel forderten,
bei denen die Zweizüngigkeit der Hofburg eine kaum weniger häßliche Rolle
ſpielte, als Baierns gierige Anmaßung, ſo wich der Münchener Hof einen

*) Kaiſer Alexander an Max Joſeph 24. December 1815. Antwort des Königs
6. Jan. 1816.
**) Berckheims Bericht an das bad. Miniſterium, Mailand 14. Febr. Berckheims
Proteſt 10. Febr. Metternichs Antwort 22. Febr. 1816.
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[133/0147] Gebietsverhandlungen zwiſchen Oeſterreich und Baiern. Faſt ſchien es, als ſollte die Geſchichte des deutſchen Bundes mit einem Bürgerkriege beginnen. Aber das bairiſche Heer befand ſich in einem kläglichen Zuſtande, und Metternich hielt ſeine Forderungen unerſchütterlich feſt. Er erklärte trocken, die verheißene „Contiguität“ des bairiſchen Ge- biets ſei durch den Widerſpruch der ſüddeutſchen Nachbarſtaaten unmöglich geworden, und geſtand alſo mit gewohnter Gewiſſensruhe ein, daß er zu Ried und Paris ſeine bairiſchen Freunde durch unerfüllbare Verſprechungen betrogen hatte. Die Wittelsbacher wagten noch einen letzten Verſuch. Der König ſchrieb an Kaiſer Alexander, der ihn „aus Rückſicht auf die Ruhe des Deutſchen Bundes“ dringend zur Nachgiebigkeit ermahnt hatte, und ſchämte ſich nicht, den Czaren zu preiſen, weil er das Elſaß den Fran- zoſen bewahrt hatte: „Den großmüthigen, beſtändigen und anhaltenden Be- mühungen Eurer Majeſtät verdankt Europa vornehmlich ſeine Befreiung; Ihre Vorausſicht vor Allem hat Frankreich dem politiſchen Syſteme Euro- pas erhalten, gegen die Sophismen des Ehrgeizes und gegen das Geſchrei der Uebertreibung. Sie werden nicht einem Bundesgenoſſen, der nur ſeine Erhaltung verlangt, den gleichen Schutz verſagen wollen.“ *) Bald darauf, im Februar 1816, ging Kronprinz Ludwig nach Mailand um den Kaiſer Franz perſönlich zu gewinnen. Doch zur ſelben Zeit traf auch der Freiherr v. Berckheim im Auftrage des badiſchen Hofes dort ein, da man in Karlsruhe unterdeſſen erfahren hatte, was in Paris über die Zukunft des Breisgaus und der Jungpfalz beſchloſſen war; und nunmehr gerieth der öſterreichiſche Hof zwiſchen zwei Feuer. Der badiſche Miniſter ver- wahrte ſich feierlich gegen jede Verletzung der Rechte ſeines Fürſten; der bairiſche Kronprinz mahnte den Kaiſer Franz in ſeiner aufgeregten Weiſe an das gegebene Wort und forderte ſtürmiſch das verheißene zuſammen- hängende Gebiet; der treuherzige Kaiſer aber erwiderte den Streitenden achſelzuckend: „ich bin ein Körper und eine Seele mit meinen Alliirten und kann nichts ohne ſie.“ Auch Metternich berief ſich gelaſſen auf die Entſcheidung der großen Mächte, und wenngleich er dem badiſchen Staats- manne den gereizten Ton ſeines Proteſtes ſcharf verwies, ſo bemerkte Berck- heim doch bald, daß Oeſterreich nur die Auslieferung Salzburgs erzwingen wollte und keineswegs ernſtlich beabſichtigte den Breisgau und die Jung- pfalz in Baierns Hände zu bringen. **) Unverrichteter Dinge kehrte Kronprinz Ludwig heim. Da alle vier Mächte dringend die endliche Beilegung dieſer ſchmutzigen Händel forderten, bei denen die Zweizüngigkeit der Hofburg eine kaum weniger häßliche Rolle ſpielte, als Baierns gierige Anmaßung, ſo wich der Münchener Hof einen *) Kaiſer Alexander an Max Joſeph 24. December 1815. Antwort des Königs 6. Jan. 1816. **) Berckheims Bericht an das bad. Miniſterium, Mailand 14. Febr. Berckheims Proteſt 10. Febr. Metternichs Antwort 22. Febr. 1816.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/147>, abgerufen am 27.11.2024.