Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Metternichs deutsche Politik. sammt und sonders verhaßt, alle Italiener, "denen der Gedanke einerselbständigen Nation anzugehören lieb war", grollten der neuen Regierung. Aber die Ruhe war noch nirgends gestört, und Metternich erwiderte zu- versichtlich, als Hardenberg ihm die Namen einiger verdächtigen italienischen Patrioten mittheilen ließ: den Italienern fehle, trotz ihrer schlechten Ge- sinnung, der Muth zu Verschwörungen.*) Was schien auch zu befürchten? An allen Höfen der Halbinsel herrschte ein hart absolutistischer Geist, der den Grundsätzen der Hofburg entsprach; die Bourbonen von Neapel hatten sich überdies am 12. Juli 1815 durch einen geheimen Vertrag verpflichtet, die alten monarchischen Institutionen aufrecht zu halten und dem Wiener Hofe Alles mitzutheilen, was der Ruhe Italiens bedrohlich scheine. Den deutschen Angelegenheiten stand die Hofburg zunächst noch ganz *) Krusemarks Bericht aus Mailand, 28. Febr., 8. März 1816; aus Wien, 4. Jan. 1817.
Metternichs deutſche Politik. ſammt und ſonders verhaßt, alle Italiener, „denen der Gedanke einerſelbſtändigen Nation anzugehören lieb war“, grollten der neuen Regierung. Aber die Ruhe war noch nirgends geſtört, und Metternich erwiderte zu- verſichtlich, als Hardenberg ihm die Namen einiger verdächtigen italieniſchen Patrioten mittheilen ließ: den Italienern fehle, trotz ihrer ſchlechten Ge- ſinnung, der Muth zu Verſchwörungen.*) Was ſchien auch zu befürchten? An allen Höfen der Halbinſel herrſchte ein hart abſolutiſtiſcher Geiſt, der den Grundſätzen der Hofburg entſprach; die Bourbonen von Neapel hatten ſich überdies am 12. Juli 1815 durch einen geheimen Vertrag verpflichtet, die alten monarchiſchen Inſtitutionen aufrecht zu halten und dem Wiener Hofe Alles mitzutheilen, was der Ruhe Italiens bedrohlich ſcheine. Den deutſchen Angelegenheiten ſtand die Hofburg zunächſt noch ganz *) Kruſemarks Bericht aus Mailand, 28. Febr., 8. März 1816; aus Wien, 4. Jan. 1817.
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Metternichs deutſche Politik.
ſammt und ſonders verhaßt, alle Italiener, „denen der Gedanke einer
ſelbſtändigen Nation anzugehören lieb war“, grollten der neuen Regierung.
Aber die Ruhe war noch nirgends geſtört, und Metternich erwiderte zu-
verſichtlich, als Hardenberg ihm die Namen einiger verdächtigen italieniſchen
Patrioten mittheilen ließ: den Italienern fehle, trotz ihrer ſchlechten Ge-
ſinnung, der Muth zu Verſchwörungen. *) Was ſchien auch zu befürchten?
An allen Höfen der Halbinſel herrſchte ein hart abſolutiſtiſcher Geiſt, der
den Grundſätzen der Hofburg entſprach; die Bourbonen von Neapel hatten
ſich überdies am 12. Juli 1815 durch einen geheimen Vertrag verpflichtet,
die alten monarchiſchen Inſtitutionen aufrecht zu halten und dem Wiener
Hofe Alles mitzutheilen, was der Ruhe Italiens bedrohlich ſcheine.
Den deutſchen Angelegenheiten ſtand die Hofburg zunächſt noch ganz
planlos und gedankenlos gegenüber: genug wenn der Deutſche Bund noth-
dürftig zuſammenhielt und im Kriegsfalle dem Hauſe Oeſterreich Heeres-
folge leiſtete; dann mochten die Berathungen des Frankfurter Bundes-
tages wieder ebenſo leer und nichtig verlaufen, wie einſt die des Regens-
burger Reichstags. Metternich verachtete die kleinen deutſchen Höfe aus
Herzensgrunde und rief ſtets unbedenklich den Czaren zu Hilfe, wenn
„einige deutſche Fürſten, die einen Seelenhandel zu machen haben“, ſich
über die Abwicklung ihrer Gebietsſtreitigkeiten nicht einigen konnten. Aber
er wußte auch, daß dieſe kleinen Herren ſich nur darum zur öſterreichiſchen
Partei hielten, weil ſie die Hofburg als den wohlwollenden Beſchützer ihrer
Souveränität verehrten. Daher dachte er ſie möglichſt frei gewähren zu
laſſen; ſelbſt der unbequemen Artikel 13 der Bundesakte, das Verſprechen
der Landſtände, ſchien vorerſt nicht allzu gefährlich, da die Mehrzahl der
deutſchen Höfe über jeden Verdacht liberaler Geſinnung erhaben war. Die
Nüchternheit des öſterreichiſchen Staatsmannes hatte ſich nie darüber ge-
täuſcht, daß ſein Kaiſerhaus an dem politiſchen Leben der deutſchen Nation
nicht theilnehmen, für die Förderung deutſchen Rechts und deutſcher Wohl-
fahrt nichts leiſten konnte. Noch in ſeinen Denkwürdigkeiten ſchrieb er
unbefangen: „in Bezug auf Oeſterreich hatte der Ausdruck: deutſcher Sinn
— insbeſondere in der Bedeutung, wie ſich derſelbe ſeit der Kataſtrophe
Preußens und der nördlichen Gebiete Deutſchlands in den höheren Schich-
ten der dortigen Bevölkerung manifeſtirte — lediglich den Werth einer
Mythe.“ Jede Regung nationaler Gedanken in Deutſchland war ihm alſo
eine Gefahr für Oeſterreichs Herrſchaft. Kaiſer Franz vollends bearg-
wöhnte den Patriotismus ſchlechthin als eine gefährliche revolutionäre Lei-
denſchaft und wollte nicht einmal von einem öſterreichiſchen Vaterlande
hören, da doch alle ſtaatliche Ordnung lediglich in dem Gehorſam der Unter-
thanen gegen die Perſon des Herrſchers beſtand; als man ihm den Ent-
wurf eines Dankſchreibens an Schwarzenberg und das Heer vorlegte, ſtrich
*) Kruſemarks Bericht aus Mailand, 28. Febr., 8. März 1816; aus Wien, 4. Jan. 1817.
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