er sorgfältig das Wort "Vaterland" aus und schrieb dafür "Meine Völker" und "Mein Staat".
Sollten die Deutschen dergestalt in einem lockeren Vertheidigungsbünd- niß beisammen bleiben, ohne jemals zu einem starken nationalen Leben zu erwachen, so war ein gutes Einvernehmen mit Preußen unerläßlich. Metter- nich verkannte dies nicht, doch wie anders als Hardenberg verstand er den Gedanken des friedlichen Dualismus! Er hatte sich einst seine Ansicht über den preußischen Staat nach den geringschätzigen und feindseligen Ur- theilen, die in den Kreisen des katholischen Reichsadels umliefen, ge- bildet und nachher als Gesandter zu Berlin, in den Jahren vor 1805, die schwächsten Zeiten der fridericianischen Monarchie aus der Nähe beob- achtet. Niemals konnte er die widerwärtigen Eindrücke jener Tage ver- winden; der preußische Staat blieb ihm immer nur ein zusammengewür- felter Haufe "verschiedener Nationen", ein Gebilde des Zufalls: "Alles scheint Widerspruch in der Geschichte Preußens, und diese Jahrbücher um- fassen kaum ein Jahrhundert!" Darum glaubte er sein Lebelang, das Weltreich Napoleons würde gedauert haben, wenn der Imperator nur den Staat Friedrichs etwas glimpflicher behandelt und als einen bescheidenen Mittelstaat in die Reihen des Rheinbundes aufgenommen hätte. Im Jahre 1811 rechnete er bestimmt auf Preußens Untergang und hoffte mit Na- poleons Hilfe Schlesien für das Haus Oesterreich zurückzugewinnen.
Auch als diese Rechnung trog und Preußen sich glorreich wiedererhob, ahnte Metternich noch immer nichts von den sittlichen Kräften, welche den gedemüthigten Staat zu dem ungleichen Kampfe befähigten; er gefiel sich darin, die preußischen Dinge im trübsten Lichte zu sehen, sprach wegwerfend von dem beschränkten, unentschlossenen Könige wie von Hardenbergs leicht- gläubiger Schwäche; er redete sich ein, die preußische Armee habe zur Zeit des Waffenstillstandes "nur dem Namen nach existirt"; selbst den Ruhm Blüchers, Gneisenaus, Yorks meinte er durch einige fade Späße über die grammatischen Schnitzer des Marschalls Vorwärts abzuthun. Daran be- stand in der Hofburg gar kein Zweifel, daß Preußen nur durch Oester- reich vor der Vernichtung gerettet worden war; mehr als drei Großmächte auf dem Festlande hatte Metternich niemals anerkannt. Das wiederher- gestellte Preußen sollte immerdar die erste Hilfsmacht des Hauses Oester- reich bleiben; nach der Anschauung des Wiener Hofes bedeutete der deutsche Dualismus -- die Herrschaft Oesterreichs unter Preußens freiwilliger Mit- wirkung. Metternich verstand jedoch meisterhaft, den preußischen Staats- kanzler über seine Herzensmeinung zu täuschen; er wahrte die Formen so sorgfältig, daß die Berliner Staatsmänner fest überzeugt blieben, Preußen werde in Wien als eine durchaus gleichberechtigte befreundete Großmacht angesehen. In zwanzig Jahren geschah es nur ein einziges mal, und bei einem ziemlich geringfügigen Anlaß, daß Metternich dem preußischen Ge- sandten gegenüber, sich eine Bemerkung über eine innere Angelegenheit des
II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
er ſorgfältig das Wort „Vaterland“ aus und ſchrieb dafür „Meine Völker“ und „Mein Staat“.
Sollten die Deutſchen dergeſtalt in einem lockeren Vertheidigungsbünd- niß beiſammen bleiben, ohne jemals zu einem ſtarken nationalen Leben zu erwachen, ſo war ein gutes Einvernehmen mit Preußen unerläßlich. Metter- nich verkannte dies nicht, doch wie anders als Hardenberg verſtand er den Gedanken des friedlichen Dualismus! Er hatte ſich einſt ſeine Anſicht über den preußiſchen Staat nach den geringſchätzigen und feindſeligen Ur- theilen, die in den Kreiſen des katholiſchen Reichsadels umliefen, ge- bildet und nachher als Geſandter zu Berlin, in den Jahren vor 1805, die ſchwächſten Zeiten der fridericianiſchen Monarchie aus der Nähe beob- achtet. Niemals konnte er die widerwärtigen Eindrücke jener Tage ver- winden; der preußiſche Staat blieb ihm immer nur ein zuſammengewür- felter Haufe „verſchiedener Nationen“, ein Gebilde des Zufalls: „Alles ſcheint Widerſpruch in der Geſchichte Preußens, und dieſe Jahrbücher um- faſſen kaum ein Jahrhundert!“ Darum glaubte er ſein Lebelang, das Weltreich Napoleons würde gedauert haben, wenn der Imperator nur den Staat Friedrichs etwas glimpflicher behandelt und als einen beſcheidenen Mittelſtaat in die Reihen des Rheinbundes aufgenommen hätte. Im Jahre 1811 rechnete er beſtimmt auf Preußens Untergang und hoffte mit Na- poleons Hilfe Schleſien für das Haus Oeſterreich zurückzugewinnen.
Auch als dieſe Rechnung trog und Preußen ſich glorreich wiedererhob, ahnte Metternich noch immer nichts von den ſittlichen Kräften, welche den gedemüthigten Staat zu dem ungleichen Kampfe befähigten; er gefiel ſich darin, die preußiſchen Dinge im trübſten Lichte zu ſehen, ſprach wegwerfend von dem beſchränkten, unentſchloſſenen Könige wie von Hardenbergs leicht- gläubiger Schwäche; er redete ſich ein, die preußiſche Armee habe zur Zeit des Waffenſtillſtandes „nur dem Namen nach exiſtirt“; ſelbſt den Ruhm Blüchers, Gneiſenaus, Yorks meinte er durch einige fade Späße über die grammatiſchen Schnitzer des Marſchalls Vorwärts abzuthun. Daran be- ſtand in der Hofburg gar kein Zweifel, daß Preußen nur durch Oeſter- reich vor der Vernichtung gerettet worden war; mehr als drei Großmächte auf dem Feſtlande hatte Metternich niemals anerkannt. Das wiederher- geſtellte Preußen ſollte immerdar die erſte Hilfsmacht des Hauſes Oeſter- reich bleiben; nach der Anſchauung des Wiener Hofes bedeutete der deutſche Dualismus — die Herrſchaft Oeſterreichs unter Preußens freiwilliger Mit- wirkung. Metternich verſtand jedoch meiſterhaft, den preußiſchen Staats- kanzler über ſeine Herzensmeinung zu täuſchen; er wahrte die Formen ſo ſorgfältig, daß die Berliner Staatsmänner feſt überzeugt blieben, Preußen werde in Wien als eine durchaus gleichberechtigte befreundete Großmacht angeſehen. In zwanzig Jahren geſchah es nur ein einziges mal, und bei einem ziemlich geringfügigen Anlaß, daß Metternich dem preußiſchen Ge- ſandten gegenüber, ſich eine Bemerkung über eine innere Angelegenheit des
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er ſorgfältig das Wort „Vaterland“ aus und ſchrieb dafür „Meine Völker“
und „Mein Staat“.
Sollten die Deutſchen dergeſtalt in einem lockeren Vertheidigungsbünd-
niß beiſammen bleiben, ohne jemals zu einem ſtarken nationalen Leben zu
erwachen, ſo war ein gutes Einvernehmen mit Preußen unerläßlich. Metter-
nich verkannte dies nicht, doch wie anders als Hardenberg verſtand er den
Gedanken des friedlichen Dualismus! Er hatte ſich einſt ſeine Anſicht
über den preußiſchen Staat nach den geringſchätzigen und feindſeligen Ur-
theilen, die in den Kreiſen des katholiſchen Reichsadels umliefen, ge-
bildet und nachher als Geſandter zu Berlin, in den Jahren vor 1805,
die ſchwächſten Zeiten der fridericianiſchen Monarchie aus der Nähe beob-
achtet. Niemals konnte er die widerwärtigen Eindrücke jener Tage ver-
winden; der preußiſche Staat blieb ihm immer nur ein zuſammengewür-
felter Haufe „verſchiedener Nationen“, ein Gebilde des Zufalls: „Alles
ſcheint Widerſpruch in der Geſchichte Preußens, und dieſe Jahrbücher um-
faſſen kaum ein Jahrhundert!“ Darum glaubte er ſein Lebelang, das
Weltreich Napoleons würde gedauert haben, wenn der Imperator nur den
Staat Friedrichs etwas glimpflicher behandelt und als einen beſcheidenen
Mittelſtaat in die Reihen des Rheinbundes aufgenommen hätte. Im Jahre
1811 rechnete er beſtimmt auf Preußens Untergang und hoffte mit Na-
poleons Hilfe Schleſien für das Haus Oeſterreich zurückzugewinnen.
Auch als dieſe Rechnung trog und Preußen ſich glorreich wiedererhob,
ahnte Metternich noch immer nichts von den ſittlichen Kräften, welche den
gedemüthigten Staat zu dem ungleichen Kampfe befähigten; er gefiel ſich
darin, die preußiſchen Dinge im trübſten Lichte zu ſehen, ſprach wegwerfend
von dem beſchränkten, unentſchloſſenen Könige wie von Hardenbergs leicht-
gläubiger Schwäche; er redete ſich ein, die preußiſche Armee habe zur Zeit
des Waffenſtillſtandes „nur dem Namen nach exiſtirt“; ſelbſt den Ruhm
Blüchers, Gneiſenaus, Yorks meinte er durch einige fade Späße über die
grammatiſchen Schnitzer des Marſchalls Vorwärts abzuthun. Daran be-
ſtand in der Hofburg gar kein Zweifel, daß Preußen nur durch Oeſter-
reich vor der Vernichtung gerettet worden war; mehr als drei Großmächte
auf dem Feſtlande hatte Metternich niemals anerkannt. Das wiederher-
geſtellte Preußen ſollte immerdar die erſte Hilfsmacht des Hauſes Oeſter-
reich bleiben; nach der Anſchauung des Wiener Hofes bedeutete der deutſche
Dualismus — die Herrſchaft Oeſterreichs unter Preußens freiwilliger Mit-
wirkung. Metternich verſtand jedoch meiſterhaft, den preußiſchen Staats-
kanzler über ſeine Herzensmeinung zu täuſchen; er wahrte die Formen ſo
ſorgfältig, daß die Berliner Staatsmänner feſt überzeugt blieben, Preußen
werde in Wien als eine durchaus gleichberechtigte befreundete Großmacht
angeſehen. In zwanzig Jahren geſchah es nur ein einziges mal, und bei
einem ziemlich geringfügigen Anlaß, daß Metternich dem preußiſchen Ge-
ſandten gegenüber, ſich eine Bemerkung über eine innere Angelegenheit des
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/142>, abgerufen am 28.11.2024.
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