II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
unauslöschlichen Haß gegen die Junker und ließ mit unverhohlenem Be- hagen seinen Bauer Michel über die Adlichen sagen: "Schelme sind sie und werth am höchsten Galgen zu bummeln!"
Mit Frohlocken wurde die Nacht des vierten August und alle die an- deren Schläge, welche die Revolution gegen den Adel führte, in unseren lite- rarischen Kreisen begrüßt. Seitdem war auch die Macht des deutschen Adels tief erschüttert worden; er hatte durch den Reichsdeputationshaupt- schluß seinen Antheil an der Reichsregierung vollständig, durch die Stein- Hardenbergischen Reformen und die Gesetze des Rheinbundes seine Herren- stellung auf dem flachen Lande größtentheils eingebüßt. Noch blieben ihm manche Vorrechte, welche das Selbstgefühl des Bürgerthums verletzten. In den altständischen Kleinstaaten des Nordens, Sachsen, Hannover, Meck- lenburg beherrschte er noch Regierung und Landtag; hier bestanden zumeist noch die adlichen Bänke der obersten Gerichtshöfe; auch in den alten preu- ßischen Provinzen kamen die Patrimonialgerichte und die gutsherrliche Po- lizei wesentlich der Macht des Adels zu gute, da die bürgerlichen Ritter- gutsbesitzer noch die Minderheit bildeten. Im Heere und im Civildienst wurde der Adel noch überall thatsächlich bevorzugt; die persönliche Um- gebung der Fürsten bildete er allein, und höhnend rief Voß: "der Edel- mann ist ja geborener Curator des Marstalls, der Jagd, des Schenk- tischs, der Vergnügungen." Nach dem Sturze des gekrönten Plebejers trat der Adelshochmuth oft sehr herausfordernd auf; sogar Niebuhr klagte, noch nie seit vierzig Jahren habe der Edelmann den Bürgerlichen so abgünstig behandelt. Hartnäckig hielt der amtliche Sprachgebrauch den abgeschmackten Titel Demoiselle für die bürgerlichen Mädchen fest. Auch aus den Hofrang- ordnungen der kleinen Höfe sprach ein lächerlicher Kastenhochmuth. Selbst der höchste Staatsbeamte durfte seine bürgerliche Frau nicht zu Hofe führen; in Hessen konnten die Minister nur durch die Vewendung des adlichen Flügeladjutanten Gehör beim Landesherrn erlangen. Das Theater in Weimar hatte seine adlichen Logen, und im Speisesaale des Pillnitzer Schlosses sahen die Adlichen und die Bürgerlichen von zwei gesonderten Tribünen den Gastmählern des Königs zu. In den Augen der Voll- blut-Junker galten nur die Berufe des Offiziers, des Kammerherrn, des Stallmeisters, des Forstmanns und allenfalls noch der Verwaltungsdienst für standesgemäß. Die Wissenschaften und Künste durfte der Edelmann nur als Liebhaberei treiben; ganz Breslau gerieth in Aufregung, als ein "gnädiger Herr" unter die Komödianten ging und auf dem Stadttheater auftrat. Heirathen zwischen Edelleuten und wohlhabenden bürgerlichen Mädchen kamen häufig vor; doch nur selten, und niemals ohne lebhaften Widerspruch der Standesgenossen, entschloß sich ein adliches Mädchen sich an einen bürgerlichen Mann wegzuwerfen.
Diese Ueberreste einer überwundenen Gesellschaftsordnung mußten das Bürgerthum erbittern; aber nur der Undank konnte vergessen, wie
II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
unauslöſchlichen Haß gegen die Junker und ließ mit unverhohlenem Be- hagen ſeinen Bauer Michel über die Adlichen ſagen: „Schelme ſind ſie und werth am höchſten Galgen zu bummeln!“
Mit Frohlocken wurde die Nacht des vierten Auguſt und alle die an- deren Schläge, welche die Revolution gegen den Adel führte, in unſeren lite- rariſchen Kreiſen begrüßt. Seitdem war auch die Macht des deutſchen Adels tief erſchüttert worden; er hatte durch den Reichsdeputationshaupt- ſchluß ſeinen Antheil an der Reichsregierung vollſtändig, durch die Stein- Hardenbergiſchen Reformen und die Geſetze des Rheinbundes ſeine Herren- ſtellung auf dem flachen Lande größtentheils eingebüßt. Noch blieben ihm manche Vorrechte, welche das Selbſtgefühl des Bürgerthums verletzten. In den altſtändiſchen Kleinſtaaten des Nordens, Sachſen, Hannover, Meck- lenburg beherrſchte er noch Regierung und Landtag; hier beſtanden zumeiſt noch die adlichen Bänke der oberſten Gerichtshöfe; auch in den alten preu- ßiſchen Provinzen kamen die Patrimonialgerichte und die gutsherrliche Po- lizei weſentlich der Macht des Adels zu gute, da die bürgerlichen Ritter- gutsbeſitzer noch die Minderheit bildeten. Im Heere und im Civildienſt wurde der Adel noch überall thatſächlich bevorzugt; die perſönliche Um- gebung der Fürſten bildete er allein, und höhnend rief Voß: „der Edel- mann iſt ja geborener Curator des Marſtalls, der Jagd, des Schenk- tiſchs, der Vergnügungen.“ Nach dem Sturze des gekrönten Plebejers trat der Adelshochmuth oft ſehr herausfordernd auf; ſogar Niebuhr klagte, noch nie ſeit vierzig Jahren habe der Edelmann den Bürgerlichen ſo abgünſtig behandelt. Hartnäckig hielt der amtliche Sprachgebrauch den abgeſchmackten Titel Demoiſelle für die bürgerlichen Mädchen feſt. Auch aus den Hofrang- ordnungen der kleinen Höfe ſprach ein lächerlicher Kaſtenhochmuth. Selbſt der höchſte Staatsbeamte durfte ſeine bürgerliche Frau nicht zu Hofe führen; in Heſſen konnten die Miniſter nur durch die Vewendung des adlichen Flügeladjutanten Gehör beim Landesherrn erlangen. Das Theater in Weimar hatte ſeine adlichen Logen, und im Speiſeſaale des Pillnitzer Schloſſes ſahen die Adlichen und die Bürgerlichen von zwei geſonderten Tribünen den Gaſtmählern des Königs zu. In den Augen der Voll- blut-Junker galten nur die Berufe des Offiziers, des Kammerherrn, des Stallmeiſters, des Forſtmanns und allenfalls noch der Verwaltungsdienſt für ſtandesgemäß. Die Wiſſenſchaften und Künſte durfte der Edelmann nur als Liebhaberei treiben; ganz Breslau gerieth in Aufregung, als ein „gnädiger Herr“ unter die Komödianten ging und auf dem Stadttheater auftrat. Heirathen zwiſchen Edelleuten und wohlhabenden bürgerlichen Mädchen kamen häufig vor; doch nur ſelten, und niemals ohne lebhaften Widerſpruch der Standesgenoſſen, entſchloß ſich ein adliches Mädchen ſich an einen bürgerlichen Mann wegzuwerfen.
Dieſe Ueberreſte einer überwundenen Geſellſchaftsordnung mußten das Bürgerthum erbittern; aber nur der Undank konnte vergeſſen, wie
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II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
unauslöſchlichen Haß gegen die Junker und ließ mit unverhohlenem Be-
hagen ſeinen Bauer Michel über die Adlichen ſagen: „Schelme ſind ſie
und werth am höchſten Galgen zu bummeln!“
Mit Frohlocken wurde die Nacht des vierten Auguſt und alle die an-
deren Schläge, welche die Revolution gegen den Adel führte, in unſeren lite-
rariſchen Kreiſen begrüßt. Seitdem war auch die Macht des deutſchen
Adels tief erſchüttert worden; er hatte durch den Reichsdeputationshaupt-
ſchluß ſeinen Antheil an der Reichsregierung vollſtändig, durch die Stein-
Hardenbergiſchen Reformen und die Geſetze des Rheinbundes ſeine Herren-
ſtellung auf dem flachen Lande größtentheils eingebüßt. Noch blieben ihm
manche Vorrechte, welche das Selbſtgefühl des Bürgerthums verletzten. In
den altſtändiſchen Kleinſtaaten des Nordens, Sachſen, Hannover, Meck-
lenburg beherrſchte er noch Regierung und Landtag; hier beſtanden zumeiſt
noch die adlichen Bänke der oberſten Gerichtshöfe; auch in den alten preu-
ßiſchen Provinzen kamen die Patrimonialgerichte und die gutsherrliche Po-
lizei weſentlich der Macht des Adels zu gute, da die bürgerlichen Ritter-
gutsbeſitzer noch die Minderheit bildeten. Im Heere und im Civildienſt
wurde der Adel noch überall thatſächlich bevorzugt; die perſönliche Um-
gebung der Fürſten bildete er allein, und höhnend rief Voß: „der Edel-
mann iſt ja geborener Curator des Marſtalls, der Jagd, des Schenk-
tiſchs, der Vergnügungen.“ Nach dem Sturze des gekrönten Plebejers trat
der Adelshochmuth oft ſehr herausfordernd auf; ſogar Niebuhr klagte, noch
nie ſeit vierzig Jahren habe der Edelmann den Bürgerlichen ſo abgünſtig
behandelt. Hartnäckig hielt der amtliche Sprachgebrauch den abgeſchmackten
Titel Demoiſelle für die bürgerlichen Mädchen feſt. Auch aus den Hofrang-
ordnungen der kleinen Höfe ſprach ein lächerlicher Kaſtenhochmuth. Selbſt
der höchſte Staatsbeamte durfte ſeine bürgerliche Frau nicht zu Hofe führen;
in Heſſen konnten die Miniſter nur durch die Vewendung des adlichen
Flügeladjutanten Gehör beim Landesherrn erlangen. Das Theater in
Weimar hatte ſeine adlichen Logen, und im Speiſeſaale des Pillnitzer
Schloſſes ſahen die Adlichen und die Bürgerlichen von zwei geſonderten
Tribünen den Gaſtmählern des Königs zu. In den Augen der Voll-
blut-Junker galten nur die Berufe des Offiziers, des Kammerherrn, des
Stallmeiſters, des Forſtmanns und allenfalls noch der Verwaltungsdienſt
für ſtandesgemäß. Die Wiſſenſchaften und Künſte durfte der Edelmann
nur als Liebhaberei treiben; ganz Breslau gerieth in Aufregung, als ein
„gnädiger Herr“ unter die Komödianten ging und auf dem Stadttheater
auftrat. Heirathen zwiſchen Edelleuten und wohlhabenden bürgerlichen
Mädchen kamen häufig vor; doch nur ſelten, und niemals ohne lebhaften
Widerſpruch der Standesgenoſſen, entſchloß ſich ein adliches Mädchen ſich
an einen bürgerlichen Mann wegzuwerfen.
Dieſe Ueberreſte einer überwundenen Geſellſchaftsordnung mußten
das Bürgerthum erbittern; aber nur der Undank konnte vergeſſen, wie
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/120>, abgerufen am 28.11.2024.
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