Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Adel und Bürgerthum. glänzend das Talent, die Treue, die Tapferkeit des preußischen Adelswährend der letzten schweren Jahre sich wieder bewährt hatten. Die große Mehrzahl der Feldherren und Staatsmänner, denen Deutschland seine Befreiung verdankte, gehörte ja dem Adel an. Während die französischen Edelleute, erbost über den Verlust ihrer Standesvorrechte, mit dem Lan- desfeinde vereint gegen ihr Vaterland in den Krieg gezogen waren, hatte der preußische Adel zwar den Gesetzen Hardenbergs lebhaft widersprochen, aber sobald der Ruf des Königs erklang, sofort seinen Groll hochherzig vergessen und sein Alles geopfert für die Rettung des Landes; ohne die Hingebung des Landadels wäre die Besetzung der Landwehr-Offiziersstellen, die Verwendung der Landwehr im freien Felde schlechthin unmöglich ge- wesen. Und gleichwohl wurden diese patriotischen Soldatengeschlechter von der liberalen Presse mit den Emigranten verglichen; Berangers hämische Verse je suis vilain et tres-vilain fanden ein Echo diesseits des Rheins als gälten sie auch für Deutschland. Der preußische Staat vor 1806 erschien in den Reden und Schriften der Liberalen stets als das Urbild aller politischen Sünden, und bald erzählte man allerorten: durch die Junker sei Preußen ins Verderben gestürzt, durch "das Volk" sieben Jahre später gerettet worden. Nach dem Kriege versuchte der Adel überall einen Theil seiner alten Macht zurückzugewinnen. Die Mediatisirten bestürmten den Bundestag und die Höfe mit ihren Beschwerden; in Preußen schaarte sich die altständische Partei geschlossen zusammen. Allerhand Vorschläge für die Neugestaltung des Standes tauchten auf. Während des Wiener Con- gresses wurde der Plan einer "Adelskette" viel besprochen, einer großen Genossenschaft, welche überall in Deutschland die Standesinteressen wahren und den Sinn ritterlicher Ehre wach halten sollte; jedoch der Entwurf blieb liegen, wie späterhin ein ähnlicher Plan ostpreußischer Edelleute. Auch viele der romantischen Schriftsteller ergingen sich in überschwänglichen Lobpreisungen des Adels. Friedrich Schlegel feierte ihn als die Grund- kraft der bürgerlichen Gesellschaft: an ihm hätten sich alle anderen Stände erst gebildet. Ein trutziges Verslein Schlegels mahnte den Edelmann, bei dem Schwerte und dem Pfluge zu bleiben und das Geschwätz der Städte zu fliehen: "das ist Adels alte Sitt' und Recht!" Solche Bestrebungen und dazu das thörichte Treiben der heimgekehrten Adel und Bürgerthum. glänzend das Talent, die Treue, die Tapferkeit des preußiſchen Adelswährend der letzten ſchweren Jahre ſich wieder bewährt hatten. Die große Mehrzahl der Feldherren und Staatsmänner, denen Deutſchland ſeine Befreiung verdankte, gehörte ja dem Adel an. Während die franzöſiſchen Edelleute, erboſt über den Verluſt ihrer Standesvorrechte, mit dem Lan- desfeinde vereint gegen ihr Vaterland in den Krieg gezogen waren, hatte der preußiſche Adel zwar den Geſetzen Hardenbergs lebhaft widerſprochen, aber ſobald der Ruf des Königs erklang, ſofort ſeinen Groll hochherzig vergeſſen und ſein Alles geopfert für die Rettung des Landes; ohne die Hingebung des Landadels wäre die Beſetzung der Landwehr-Offiziersſtellen, die Verwendung der Landwehr im freien Felde ſchlechthin unmöglich ge- weſen. Und gleichwohl wurden dieſe patriotiſchen Soldatengeſchlechter von der liberalen Preſſe mit den Emigranten verglichen; Berangers hämiſche Verſe je suis vilain et très-vilain fanden ein Echo dieſſeits des Rheins als gälten ſie auch für Deutſchland. Der preußiſche Staat vor 1806 erſchien in den Reden und Schriften der Liberalen ſtets als das Urbild aller politiſchen Sünden, und bald erzählte man allerorten: durch die Junker ſei Preußen ins Verderben geſtürzt, durch „das Volk“ ſieben Jahre ſpäter gerettet worden. Nach dem Kriege verſuchte der Adel überall einen Theil ſeiner alten Macht zurückzugewinnen. Die Mediatiſirten beſtürmten den Bundestag und die Höfe mit ihren Beſchwerden; in Preußen ſchaarte ſich die altſtändiſche Partei geſchloſſen zuſammen. Allerhand Vorſchläge für die Neugeſtaltung des Standes tauchten auf. Während des Wiener Con- greſſes wurde der Plan einer „Adelskette“ viel beſprochen, einer großen Genoſſenſchaft, welche überall in Deutſchland die Standesintereſſen wahren und den Sinn ritterlicher Ehre wach halten ſollte; jedoch der Entwurf blieb liegen, wie ſpäterhin ein ähnlicher Plan oſtpreußiſcher Edelleute. Auch viele der romantiſchen Schriftſteller ergingen ſich in überſchwänglichen Lobpreiſungen des Adels. Friedrich Schlegel feierte ihn als die Grund- kraft der bürgerlichen Geſellſchaft: an ihm hätten ſich alle anderen Stände erſt gebildet. Ein trutziges Verslein Schlegels mahnte den Edelmann, bei dem Schwerte und dem Pfluge zu bleiben und das Geſchwätz der Städte zu fliehen: „das iſt Adels alte Sitt’ und Recht!“ Solche Beſtrebungen und dazu das thörichte Treiben der heimgekehrten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0121" n="107"/><fw place="top" type="header">Adel und Bürgerthum.</fw><lb/> glänzend das Talent, die Treue, die Tapferkeit des preußiſchen Adels<lb/> während der letzten ſchweren Jahre ſich wieder bewährt hatten. Die große<lb/> Mehrzahl der Feldherren und Staatsmänner, denen Deutſchland ſeine<lb/> Befreiung verdankte, gehörte ja dem Adel an. 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Adel und Bürgerthum.
glänzend das Talent, die Treue, die Tapferkeit des preußiſchen Adels
während der letzten ſchweren Jahre ſich wieder bewährt hatten. Die große
Mehrzahl der Feldherren und Staatsmänner, denen Deutſchland ſeine
Befreiung verdankte, gehörte ja dem Adel an. Während die franzöſiſchen
Edelleute, erboſt über den Verluſt ihrer Standesvorrechte, mit dem Lan-
desfeinde vereint gegen ihr Vaterland in den Krieg gezogen waren, hatte
der preußiſche Adel zwar den Geſetzen Hardenbergs lebhaft widerſprochen,
aber ſobald der Ruf des Königs erklang, ſofort ſeinen Groll hochherzig
vergeſſen und ſein Alles geopfert für die Rettung des Landes; ohne die
Hingebung des Landadels wäre die Beſetzung der Landwehr-Offiziersſtellen,
die Verwendung der Landwehr im freien Felde ſchlechthin unmöglich ge-
weſen. Und gleichwohl wurden dieſe patriotiſchen Soldatengeſchlechter von
der liberalen Preſſe mit den Emigranten verglichen; Berangers hämiſche
Verſe je suis vilain et très-vilain fanden ein Echo dieſſeits des Rheins
als gälten ſie auch für Deutſchland. Der preußiſche Staat vor 1806
erſchien in den Reden und Schriften der Liberalen ſtets als das Urbild
aller politiſchen Sünden, und bald erzählte man allerorten: durch die Junker
ſei Preußen ins Verderben geſtürzt, durch „das Volk“ ſieben Jahre ſpäter
gerettet worden. Nach dem Kriege verſuchte der Adel überall einen Theil
ſeiner alten Macht zurückzugewinnen. Die Mediatiſirten beſtürmten den
Bundestag und die Höfe mit ihren Beſchwerden; in Preußen ſchaarte ſich
die altſtändiſche Partei geſchloſſen zuſammen. Allerhand Vorſchläge für
die Neugeſtaltung des Standes tauchten auf. Während des Wiener Con-
greſſes wurde der Plan einer „Adelskette“ viel beſprochen, einer großen
Genoſſenſchaft, welche überall in Deutſchland die Standesintereſſen wahren
und den Sinn ritterlicher Ehre wach halten ſollte; jedoch der Entwurf
blieb liegen, wie ſpäterhin ein ähnlicher Plan oſtpreußiſcher Edelleute.
Auch viele der romantiſchen Schriftſteller ergingen ſich in überſchwänglichen
Lobpreiſungen des Adels. Friedrich Schlegel feierte ihn als die Grund-
kraft der bürgerlichen Geſellſchaft: an ihm hätten ſich alle anderen Stände
erſt gebildet. Ein trutziges Verslein Schlegels mahnte den Edelmann, bei
dem Schwerte und dem Pfluge zu bleiben und das Geſchwätz der Städte
zu fliehen: „das iſt Adels alte Sitt’ und Recht!“
Solche Beſtrebungen und dazu das thörichte Treiben der heimgekehrten
Emigranten Frankreichs ſteigerten den Groll der Mittelklaſſen. Man fiel
wieder zurück in jene Anſchauungen des platten Standesneides, welche zur
Zeit des Tilſiter Friedens der Bonapartiſt Friedrich Buchholz in ſeinen
„Unterſuchungen über den Geburtsadel“ verkündigt hatte. Wie klang es
doch ſo unwiderleglich, wenn dieſer politiſche Nicolai erwies: die Tugend
vererbe ſich nicht, ein Verdienſtadel gleich der franzöſiſchen Ehrenlegion bleibe
die allein vernünftige Form des Adels: „man kann nicht zugleich Patriot
und Feudalariſtokrat ſein.“ Ein alter fridericianiſcher General v. Dierecke
nahm ſich in aller Beſcheidenheit ſeiner Standesgenoſſen an und zeigte in
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