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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Der Liberalismus und der Adel.
schrieb entzückt: "auf die schönste Weise entstand hier die That, dort der
Lobpreis derselben, eines unbewußt dem andern." Wohl trat ein anderer
Führer des badischen Liberalismus, der Freiherr v. Liebenstein, in einer
verständigen Schrift seinem Freiburger Genossen entgegen; jedoch der großen
Mehrheit der Partei hatte Rotteck wie immer aus der Seele gesprochen.
Das Friedensbedürfniß und die wirthschaftliche Noth, die kleinstädtische
Unkenntniß der europäischen Machtverhältnisse, das Mißtrauen gegen die
Höfe und nicht zuletzt der stille Zweifel an der Kriegstüchtigkeit der ver-
einzelten kleinen Contingente -- das Alles vereinigte sich um den Libera-
lismus der kleinen Staaten tief und tiefer gegen die Armee zu verstimmen.
Rottecks Zornreden wider den Miethlingsgeist der Soldaten weckten lauten
Widerhall, obgleich Jedermann wissen wußte, daß der deutsche Soldat nur
durch die gesetzliche Zwangsaushebung auf kurze Zeit dem bürgerlichen
Leben entrissen wurde und sich ungern genug mit seinen armen zwei
Groschen Sold begnügte. Das Eifern und Schelten wider die Söldlinge
galt ein Menschenalter hindurch als ein sicheres Kennzeichen liberaler
Gesinnungstüchtigkeit und bewirkte nur, daß die Offizierscorps sich mehr
und mehr den streng conservativen Anschauungen zuwendeten.

Dies Mißtrauen des Liberalismus gegen das Heer hing eng zusammen
mit dem ingrimmigen Adelshasse, der sich in allen Zeitungen und Flug-
schriften der Oppositionsparteien aussprach. Der Sondergeist der Land-
schaften und Stände war Deutschlands alter Fluch; alle Klassen, und
keineswegs der Adel allein, hatten an diesen alten nationalen Sünden
ihren reichen Antheil. Wie einst der Trotz der großen Communen am
Ausgang des Mittelalters das Ansehen der Reichsgewalt mit zerstören,
die Reichsreformversuche des sechzehnten Jahrhunderts mit vereiteln half,
so trug auch jetzt das Bürgerthum an dem neu erwachenden widerwär-
tigen Klassengezänk mindestens eben so viel Schuld wie der Adel. Auch
hier rächte sich der literarische Ursprung unseres Liberalismus. Da bei
dem Aufschwunge der neuen Kunst und Wissenschaft nur wenige Edel-
leute mitgewirkt hatten, so entstand in den gebildeten Mittelklassen neben
einem wohlberechtigten Selbstgefühle zugleich eine gehässige Verachtung gegen
den Adel: man redete, als sei der Verstand dem Edelmanne von Natur
versagt. Viele der literarischen Führer der Nation hatten in den demü-
thigenden Verhältnissen einer entbehrungsreichen Jugend, manche als Hof-
meister adlicher Häuser, den Kastenhochmuth kennen und hassen gelernt.
Vernehmlich sprach der Groll gegen die Hochgeborenen aus vielen Wer-
ken der neuen Dichtung, so aus Emilia Galotti, aus Kabale und Liebe.
Namentlich unter den Genossen des Hainbundes war diese Gesinnung
tief eingewurzelt. Wer des Pfarrers Tochter von Taubenheim und ähn-
liche Gedichte Bürgers las, der mochte glauben, daß die Verführung armer
Mädchen die Hauptbeschäftigung des deutschen Edelmanns bilde; Voß aber,
der Nachkomme mecklenburgischer Leibeigener, hegte von Kindesbeinen an

Der Liberalismus und der Adel.
ſchrieb entzückt: „auf die ſchönſte Weiſe entſtand hier die That, dort der
Lobpreis derſelben, eines unbewußt dem andern.“ Wohl trat ein anderer
Führer des badiſchen Liberalismus, der Freiherr v. Liebenſtein, in einer
verſtändigen Schrift ſeinem Freiburger Genoſſen entgegen; jedoch der großen
Mehrheit der Partei hatte Rotteck wie immer aus der Seele geſprochen.
Das Friedensbedürfniß und die wirthſchaftliche Noth, die kleinſtädtiſche
Unkenntniß der europäiſchen Machtverhältniſſe, das Mißtrauen gegen die
Höfe und nicht zuletzt der ſtille Zweifel an der Kriegstüchtigkeit der ver-
einzelten kleinen Contingente — das Alles vereinigte ſich um den Libera-
lismus der kleinen Staaten tief und tiefer gegen die Armee zu verſtimmen.
Rottecks Zornreden wider den Miethlingsgeiſt der Soldaten weckten lauten
Widerhall, obgleich Jedermann wiſſen wußte, daß der deutſche Soldat nur
durch die geſetzliche Zwangsaushebung auf kurze Zeit dem bürgerlichen
Leben entriſſen wurde und ſich ungern genug mit ſeinen armen zwei
Groſchen Sold begnügte. Das Eifern und Schelten wider die Söldlinge
galt ein Menſchenalter hindurch als ein ſicheres Kennzeichen liberaler
Geſinnungstüchtigkeit und bewirkte nur, daß die Offizierscorps ſich mehr
und mehr den ſtreng conſervativen Anſchauungen zuwendeten.

Dies Mißtrauen des Liberalismus gegen das Heer hing eng zuſammen
mit dem ingrimmigen Adelshaſſe, der ſich in allen Zeitungen und Flug-
ſchriften der Oppoſitionsparteien ausſprach. Der Sondergeiſt der Land-
ſchaften und Stände war Deutſchlands alter Fluch; alle Klaſſen, und
keineswegs der Adel allein, hatten an dieſen alten nationalen Sünden
ihren reichen Antheil. Wie einſt der Trotz der großen Communen am
Ausgang des Mittelalters das Anſehen der Reichsgewalt mit zerſtören,
die Reichsreformverſuche des ſechzehnten Jahrhunderts mit vereiteln half,
ſo trug auch jetzt das Bürgerthum an dem neu erwachenden widerwär-
tigen Klaſſengezänk mindeſtens eben ſo viel Schuld wie der Adel. Auch
hier rächte ſich der literariſche Urſprung unſeres Liberalismus. Da bei
dem Aufſchwunge der neuen Kunſt und Wiſſenſchaft nur wenige Edel-
leute mitgewirkt hatten, ſo entſtand in den gebildeten Mittelklaſſen neben
einem wohlberechtigten Selbſtgefühle zugleich eine gehäſſige Verachtung gegen
den Adel: man redete, als ſei der Verſtand dem Edelmanne von Natur
verſagt. Viele der literariſchen Führer der Nation hatten in den demü-
thigenden Verhältniſſen einer entbehrungsreichen Jugend, manche als Hof-
meiſter adlicher Häuſer, den Kaſtenhochmuth kennen und haſſen gelernt.
Vernehmlich ſprach der Groll gegen die Hochgeborenen aus vieleṅ Wer-
ken der neuen Dichtung, ſo aus Emilia Galotti, aus Kabale und Liebe.
Namentlich unter den Genoſſen des Hainbundes war dieſe Geſinnung
tief eingewurzelt. Wer des Pfarrers Tochter von Taubenheim und ähn-
liche Gedichte Bürgers las, der mochte glauben, daß die Verführung armer
Mädchen die Hauptbeſchäftigung des deutſchen Edelmanns bilde; Voß aber,
der Nachkomme mecklenburgiſcher Leibeigener, hegte von Kindesbeinen an

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[105/0119] Der Liberalismus und der Adel. ſchrieb entzückt: „auf die ſchönſte Weiſe entſtand hier die That, dort der Lobpreis derſelben, eines unbewußt dem andern.“ Wohl trat ein anderer Führer des badiſchen Liberalismus, der Freiherr v. Liebenſtein, in einer verſtändigen Schrift ſeinem Freiburger Genoſſen entgegen; jedoch der großen Mehrheit der Partei hatte Rotteck wie immer aus der Seele geſprochen. Das Friedensbedürfniß und die wirthſchaftliche Noth, die kleinſtädtiſche Unkenntniß der europäiſchen Machtverhältniſſe, das Mißtrauen gegen die Höfe und nicht zuletzt der ſtille Zweifel an der Kriegstüchtigkeit der ver- einzelten kleinen Contingente — das Alles vereinigte ſich um den Libera- lismus der kleinen Staaten tief und tiefer gegen die Armee zu verſtimmen. Rottecks Zornreden wider den Miethlingsgeiſt der Soldaten weckten lauten Widerhall, obgleich Jedermann wiſſen wußte, daß der deutſche Soldat nur durch die geſetzliche Zwangsaushebung auf kurze Zeit dem bürgerlichen Leben entriſſen wurde und ſich ungern genug mit ſeinen armen zwei Groſchen Sold begnügte. Das Eifern und Schelten wider die Söldlinge galt ein Menſchenalter hindurch als ein ſicheres Kennzeichen liberaler Geſinnungstüchtigkeit und bewirkte nur, daß die Offizierscorps ſich mehr und mehr den ſtreng conſervativen Anſchauungen zuwendeten. Dies Mißtrauen des Liberalismus gegen das Heer hing eng zuſammen mit dem ingrimmigen Adelshaſſe, der ſich in allen Zeitungen und Flug- ſchriften der Oppoſitionsparteien ausſprach. Der Sondergeiſt der Land- ſchaften und Stände war Deutſchlands alter Fluch; alle Klaſſen, und keineswegs der Adel allein, hatten an dieſen alten nationalen Sünden ihren reichen Antheil. Wie einſt der Trotz der großen Communen am Ausgang des Mittelalters das Anſehen der Reichsgewalt mit zerſtören, die Reichsreformverſuche des ſechzehnten Jahrhunderts mit vereiteln half, ſo trug auch jetzt das Bürgerthum an dem neu erwachenden widerwär- tigen Klaſſengezänk mindeſtens eben ſo viel Schuld wie der Adel. Auch hier rächte ſich der literariſche Urſprung unſeres Liberalismus. Da bei dem Aufſchwunge der neuen Kunſt und Wiſſenſchaft nur wenige Edel- leute mitgewirkt hatten, ſo entſtand in den gebildeten Mittelklaſſen neben einem wohlberechtigten Selbſtgefühle zugleich eine gehäſſige Verachtung gegen den Adel: man redete, als ſei der Verſtand dem Edelmanne von Natur verſagt. Viele der literariſchen Führer der Nation hatten in den demü- thigenden Verhältniſſen einer entbehrungsreichen Jugend, manche als Hof- meiſter adlicher Häuſer, den Kaſtenhochmuth kennen und haſſen gelernt. Vernehmlich ſprach der Groll gegen die Hochgeborenen aus vieleṅ Wer- ken der neuen Dichtung, ſo aus Emilia Galotti, aus Kabale und Liebe. Namentlich unter den Genoſſen des Hainbundes war dieſe Geſinnung tief eingewurzelt. Wer des Pfarrers Tochter von Taubenheim und ähn- liche Gedichte Bürgers las, der mochte glauben, daß die Verführung armer Mädchen die Hauptbeſchäftigung des deutſchen Edelmanns bilde; Voß aber, der Nachkomme mecklenburgiſcher Leibeigener, hegte von Kindesbeinen an

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/119>, abgerufen am 28.11.2024.