Ungleich dreister sprach der ehrgeizige Kronprinz von Württemberg. In seinen Briefen und Denkschriften kündigte sich schon jene Opposition der Mittelstaaten gegen die Großmächte an, welche nachher durch viele Jahre das deutsche Leben beunruhigen sollte. Er erklärte drohend, Europa könne so wenig den neuen vierfachen Despotismus ertragen, wie einst den ein- fachen Napoleons und sagte bereits, was er vierzig Jahre später dem Bun- destagsgesandten von Bismarck wiederholte: die Schutzlosigkeit unserer Südwestgrenze werde die süddeutschen Kronen über lang oder kurz zu einem neuen Rheinbunde nöthigen.
Niemand aber war unermüdlicher als der holländische Reichspatriot Gagern; fielen doch diesmal die Interessen der Niederlande mit denen Deutschlands durchaus zusammen. Der Unaufhaltsame fühlte sich so recht in seinem Elemente, wenn er in zahllosen Denkschriften das ganze Rüstzeug seiner reichsgeschichtlichen Gelehrsamkeit entfaltete und die lange Reihe der französischen Gewaltthaten seit den Zeiten Heinrichs II. und Moritzs von Sachsen nachwies. So phantastisch er in seinen foederalistischen Träumen war, die Romantik der legitimistischen Staatslehre berührte den Schüler Montesquieus und Humes nicht. Auf die Behauptung, man habe nur mit Bonaparte Krieg geführt, antwortete er frischweg mit der Frage, ob etwa Bonaparte allein bei Belle Alliance geschossen, kartäscht und gesäbelt hätte: "die Nationen sind es, die sich bekriegen, auf die Nationen fallen die glücklichen wie die unglücklichen Folgen der Kriege zurück." Natürlich, daß der alte Anwalt der Kleinstaaten auch gegen die Hegemonie der Groß- mächte Einspruch erhob. Auch Don Labrador, der spanische Gesandte, verlangte feierlich Zulassung zu den Conferenzen *). Indeß die Unmög- lichkeit, die an sich schwierige Verhandlung vor dem Forum der sämmt- lichen europäischen Staaten zu erledigen, sprang in die Augen; der Rath der Vier beschloß schon am 10. August, die Staaten zweiten Ranges erst zu der eigentlichen Unterhandlung mit Frankreich -- das will sagen: erst nach der Entscheidung -- zuzuziehen.
Die unzertrennliche Interessengemeinschaft zwischen Preußen und den süddeutschen Staaten zeigte sich so deutlich, daß alle die bösen Erinnerungen der Rheinbundszeiten spurlos verwischt schienen. Preußen übernahm wie- der seine natürliche Rolle als Beschützer des gesammten Deutschlands. Was sich an rechtlichen und politischen Gründen für die Wiedereroberung unserer alten Westmark nur irgend anführen ließ, ward in der That von den preußischen Diplomaten und ihren Genossen aus den Kleinstaaten mit erschöpfender Gründlichkeit ausgesprochen. Mit richtigem Takt hoben die Staatsmänner am stärksten den Gesichtspunkt der militärischen Siche- rung hervor, den einzigen, der auf eine Diplomatenversammlung einigen Eindruck machen konnte. Dr. Butte dagegen, in seiner vielgelesenen Schrift
*) Labrador an Hardenberg, 15. September 1815.
Preußen an der Spitze der Mittelſtaaten.
Ungleich dreiſter ſprach der ehrgeizige Kronprinz von Württemberg. In ſeinen Briefen und Denkſchriften kündigte ſich ſchon jene Oppoſition der Mittelſtaaten gegen die Großmächte an, welche nachher durch viele Jahre das deutſche Leben beunruhigen ſollte. Er erklärte drohend, Europa könne ſo wenig den neuen vierfachen Deſpotismus ertragen, wie einſt den ein- fachen Napoleons und ſagte bereits, was er vierzig Jahre ſpäter dem Bun- destagsgeſandten von Bismarck wiederholte: die Schutzloſigkeit unſerer Südweſtgrenze werde die ſüddeutſchen Kronen über lang oder kurz zu einem neuen Rheinbunde nöthigen.
Niemand aber war unermüdlicher als der holländiſche Reichspatriot Gagern; fielen doch diesmal die Intereſſen der Niederlande mit denen Deutſchlands durchaus zuſammen. Der Unaufhaltſame fühlte ſich ſo recht in ſeinem Elemente, wenn er in zahlloſen Denkſchriften das ganze Rüſtzeug ſeiner reichsgeſchichtlichen Gelehrſamkeit entfaltete und die lange Reihe der franzöſiſchen Gewaltthaten ſeit den Zeiten Heinrichs II. und Moritzs von Sachſen nachwies. So phantaſtiſch er in ſeinen foederaliſtiſchen Träumen war, die Romantik der legitimiſtiſchen Staatslehre berührte den Schüler Montesquieus und Humes nicht. Auf die Behauptung, man habe nur mit Bonaparte Krieg geführt, antwortete er friſchweg mit der Frage, ob etwa Bonaparte allein bei Belle Alliance geſchoſſen, kartäſcht und geſäbelt hätte: „die Nationen ſind es, die ſich bekriegen, auf die Nationen fallen die glücklichen wie die unglücklichen Folgen der Kriege zurück.“ Natürlich, daß der alte Anwalt der Kleinſtaaten auch gegen die Hegemonie der Groß- mächte Einſpruch erhob. Auch Don Labrador, der ſpaniſche Geſandte, verlangte feierlich Zulaſſung zu den Conferenzen *). Indeß die Unmög- lichkeit, die an ſich ſchwierige Verhandlung vor dem Forum der ſämmt- lichen europäiſchen Staaten zu erledigen, ſprang in die Augen; der Rath der Vier beſchloß ſchon am 10. Auguſt, die Staaten zweiten Ranges erſt zu der eigentlichen Unterhandlung mit Frankreich — das will ſagen: erſt nach der Entſcheidung — zuzuziehen.
Die unzertrennliche Intereſſengemeinſchaft zwiſchen Preußen und den ſüddeutſchen Staaten zeigte ſich ſo deutlich, daß alle die böſen Erinnerungen der Rheinbundszeiten ſpurlos verwiſcht ſchienen. Preußen übernahm wie- der ſeine natürliche Rolle als Beſchützer des geſammten Deutſchlands. Was ſich an rechtlichen und politiſchen Gründen für die Wiedereroberung unſerer alten Weſtmark nur irgend anführen ließ, ward in der That von den preußiſchen Diplomaten und ihren Genoſſen aus den Kleinſtaaten mit erſchöpfender Gründlichkeit ausgeſprochen. Mit richtigem Takt hoben die Staatsmänner am ſtärkſten den Geſichtspunkt der militäriſchen Siche- rung hervor, den einzigen, der auf eine Diplomatenverſammlung einigen Eindruck machen konnte. Dr. Butte dagegen, in ſeiner vielgeleſenen Schrift
*) Labrador an Hardenberg, 15. September 1815.
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ſeinen Briefen und Denkſchriften kündigte ſich ſchon jene Oppoſition der
Mittelſtaaten gegen die Großmächte an, welche nachher durch viele Jahre
das deutſche Leben beunruhigen ſollte. Er erklärte drohend, Europa könne
ſo wenig den neuen vierfachen Deſpotismus ertragen, wie einſt den ein-
fachen Napoleons und ſagte bereits, was er vierzig Jahre ſpäter dem Bun-
destagsgeſandten von Bismarck wiederholte: die Schutzloſigkeit unſerer
Südweſtgrenze werde die ſüddeutſchen Kronen über lang oder kurz zu
einem neuen Rheinbunde nöthigen.
Niemand aber war unermüdlicher als der holländiſche Reichspatriot
Gagern; fielen doch diesmal die Intereſſen der Niederlande mit denen
Deutſchlands durchaus zuſammen. Der Unaufhaltſame fühlte ſich ſo recht
in ſeinem Elemente, wenn er in zahlloſen Denkſchriften das ganze Rüſtzeug
ſeiner reichsgeſchichtlichen Gelehrſamkeit entfaltete und die lange Reihe der
franzöſiſchen Gewaltthaten ſeit den Zeiten Heinrichs II. und Moritzs von
Sachſen nachwies. So phantaſtiſch er in ſeinen foederaliſtiſchen Träumen
war, die Romantik der legitimiſtiſchen Staatslehre berührte den Schüler
Montesquieus und Humes nicht. Auf die Behauptung, man habe nur
mit Bonaparte Krieg geführt, antwortete er friſchweg mit der Frage, ob
etwa Bonaparte allein bei Belle Alliance geſchoſſen, kartäſcht und geſäbelt
hätte: „die Nationen ſind es, die ſich bekriegen, auf die Nationen fallen
die glücklichen wie die unglücklichen Folgen der Kriege zurück.“ Natürlich,
daß der alte Anwalt der Kleinſtaaten auch gegen die Hegemonie der Groß-
mächte Einſpruch erhob. Auch Don Labrador, der ſpaniſche Geſandte,
verlangte feierlich Zulaſſung zu den Conferenzen *). Indeß die Unmög-
lichkeit, die an ſich ſchwierige Verhandlung vor dem Forum der ſämmt-
lichen europäiſchen Staaten zu erledigen, ſprang in die Augen; der Rath
der Vier beſchloß ſchon am 10. Auguſt, die Staaten zweiten Ranges
erſt zu der eigentlichen Unterhandlung mit Frankreich — das will ſagen:
erſt nach der Entſcheidung — zuzuziehen.
Die unzertrennliche Intereſſengemeinſchaft zwiſchen Preußen und den
ſüddeutſchen Staaten zeigte ſich ſo deutlich, daß alle die böſen Erinnerungen
der Rheinbundszeiten ſpurlos verwiſcht ſchienen. Preußen übernahm wie-
der ſeine natürliche Rolle als Beſchützer des geſammten Deutſchlands.
Was ſich an rechtlichen und politiſchen Gründen für die Wiedereroberung
unſerer alten Weſtmark nur irgend anführen ließ, ward in der That von
den preußiſchen Diplomaten und ihren Genoſſen aus den Kleinſtaaten
mit erſchöpfender Gründlichkeit ausgeſprochen. Mit richtigem Takt hoben
die Staatsmänner am ſtärkſten den Geſichtspunkt der militäriſchen Siche-
rung hervor, den einzigen, der auf eine Diplomatenverſammlung einigen
Eindruck machen konnte. Dr. Butte dagegen, in ſeiner vielgeleſenen Schrift
*) Labrador an Hardenberg, 15. September 1815.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 775. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/791>, abgerufen am 25.11.2024.
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