hinein verbreitete sich schon die Schreckenskunde, dort auf der Rechten sei Alles verspielt.
Gegen 7 Uhr war die Schlacht für Napoleon unzweifelhaft ver- loren. Sein linker Flügel hatte wieder und wieder vergeblich das Schloß Goumont berannt, im Centrum war der große Reiterangriff gescheitert, auf der Rechten und im Rücken drängten die Preußen von zwei Seiten her näher und näher; den einzigen Gewinn der letzten Kämpfe, die Meierei von La Haye Sainte auf die Dauer zu behaupten war nicht mehr möglich. Durch einen rechtzeitigen Rückzug konnte noch mindestens die Hälfte des Heeres gerettet werden. Es ergab sich aber nothwendig aus dem Charakter des Imperators und aus seiner verzweifelten poli- tischen Lage, daß er diesen Ausweg verschmähte und noch einen dritten allgemeinen Angriff versuchte -- diesmal nach zwei Seiten zugleich. Er ließ um sieben Uhr die 24 Bataillone seiner Garde heranrufen, behielt nur zwei als letzte Reserve zur Hand, sendete zwölf nach Plancenoit gegen Bülow. Die übrigen zehn sollte Ney zu einem neuen Angriff gegen das englische Centrum führen, abermals westlich der Landstraße, möglichst entfernt von den Schaaren Zietens. Mit stürmischem Hochruf eilten die Bataillone bei Belle Alliance an dem Imperator vorüber: es war ja ihr Handwerk den Sieg zu entscheiden. Sie tauchen dann in die unheimliche Bodenmulde hinab, wo dichte Haufen von Leichen und Pferden den Todesweg der französischen Reiter bezeichnen, stürmen unter Trommelschlag, unbekümmert um die Geschosse der englischen Batterien, über die Felder, ersteigen den Abhang dicht vor der Front der britischen Garde. Droben liegen indessen Maitlands Grenadiere im Grase ver- borgen. Als die ersten Bärenmützen auf der Höhe erscheinen, schallt weithin Wellingtons durchdringender Ruf: "auf, Garden! fertig!" -- und mit einem male steigt dicht vor den Augen der entsetzten Franzosen eine rothe Mauer auf, die lange Linie der englischen Garde, eine furchtbare Salve kracht auf wenige Schritte Entfernung in die Reihen der Angreifer hinein. Ein kurzes wüthendes Handgemenge, dann werden die Blauen von den Rothen mit dem Bajonett den Abhang hinuntergeschleudert. Neys Pferd bricht von einer Kugel getroffen unter dem Reiter zusammen, und wie sie den Führer fallen sehen wenden sich die Garden zur Flucht. Der aber macht sich von seinem Thiere los, springt auf, versucht mit zornigen Rufen die Weichenden zu halten. Umsonst; denn mittlerweile sind die übrigen Bataillone weiter links zwischen zwei Feuer gerathen und gehen ebenfalls zurück. Die Kaisergarde stiebt auseinander; ihr unglück- licher Führer irrt baarhaupt, mit zerbrochenem Degen auf dem Schlacht- felde umher und sucht vergeblich die Kugel, die ihn von seiner Gewissens- angst und seinen finsteren Ahnungen erlösen soll.
Indem hatte Blücher schon den Schlag geführt, der die Vernichtung des napoleonischen Heeres entschied. Die Truppen Bülows gingen in
II. 2. Belle Alliance.
hinein verbreitete ſich ſchon die Schreckenskunde, dort auf der Rechten ſei Alles verſpielt.
Gegen 7 Uhr war die Schlacht für Napoleon unzweifelhaft ver- loren. Sein linker Flügel hatte wieder und wieder vergeblich das Schloß Goumont berannt, im Centrum war der große Reiterangriff geſcheitert, auf der Rechten und im Rücken drängten die Preußen von zwei Seiten her näher und näher; den einzigen Gewinn der letzten Kämpfe, die Meierei von La Haye Sainte auf die Dauer zu behaupten war nicht mehr möglich. Durch einen rechtzeitigen Rückzug konnte noch mindeſtens die Hälfte des Heeres gerettet werden. Es ergab ſich aber nothwendig aus dem Charakter des Imperators und aus ſeiner verzweifelten poli- tiſchen Lage, daß er dieſen Ausweg verſchmähte und noch einen dritten allgemeinen Angriff verſuchte — diesmal nach zwei Seiten zugleich. Er ließ um ſieben Uhr die 24 Bataillone ſeiner Garde heranrufen, behielt nur zwei als letzte Reſerve zur Hand, ſendete zwölf nach Plancenoit gegen Bülow. Die übrigen zehn ſollte Ney zu einem neuen Angriff gegen das engliſche Centrum führen, abermals weſtlich der Landſtraße, möglichſt entfernt von den Schaaren Zietens. Mit ſtürmiſchem Hochruf eilten die Bataillone bei Belle Alliance an dem Imperator vorüber: es war ja ihr Handwerk den Sieg zu entſcheiden. Sie tauchen dann in die unheimliche Bodenmulde hinab, wo dichte Haufen von Leichen und Pferden den Todesweg der franzöſiſchen Reiter bezeichnen, ſtürmen unter Trommelſchlag, unbekümmert um die Geſchoſſe der engliſchen Batterien, über die Felder, erſteigen den Abhang dicht vor der Front der britiſchen Garde. Droben liegen indeſſen Maitlands Grenadiere im Graſe ver- borgen. Als die erſten Bärenmützen auf der Höhe erſcheinen, ſchallt weithin Wellingtons durchdringender Ruf: „auf, Garden! fertig!“ — und mit einem male ſteigt dicht vor den Augen der entſetzten Franzoſen eine rothe Mauer auf, die lange Linie der engliſchen Garde, eine furchtbare Salve kracht auf wenige Schritte Entfernung in die Reihen der Angreifer hinein. Ein kurzes wüthendes Handgemenge, dann werden die Blauen von den Rothen mit dem Bajonett den Abhang hinuntergeſchleudert. Neys Pferd bricht von einer Kugel getroffen unter dem Reiter zuſammen, und wie ſie den Führer fallen ſehen wenden ſich die Garden zur Flucht. Der aber macht ſich von ſeinem Thiere los, ſpringt auf, verſucht mit zornigen Rufen die Weichenden zu halten. Umſonſt; denn mittlerweile ſind die übrigen Bataillone weiter links zwiſchen zwei Feuer gerathen und gehen ebenfalls zurück. Die Kaiſergarde ſtiebt auseinander; ihr unglück- licher Führer irrt baarhaupt, mit zerbrochenem Degen auf dem Schlacht- felde umher und ſucht vergeblich die Kugel, die ihn von ſeiner Gewiſſens- angſt und ſeinen finſteren Ahnungen erlöſen ſoll.
Indem hatte Blücher ſchon den Schlag geführt, der die Vernichtung des napoleoniſchen Heeres entſchied. Die Truppen Bülows gingen in
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[754/0770]
II. 2. Belle Alliance.
hinein verbreitete ſich ſchon die Schreckenskunde, dort auf der Rechten ſei
Alles verſpielt.
Gegen 7 Uhr war die Schlacht für Napoleon unzweifelhaft ver-
loren. Sein linker Flügel hatte wieder und wieder vergeblich das Schloß
Goumont berannt, im Centrum war der große Reiterangriff geſcheitert,
auf der Rechten und im Rücken drängten die Preußen von zwei Seiten
her näher und näher; den einzigen Gewinn der letzten Kämpfe, die
Meierei von La Haye Sainte auf die Dauer zu behaupten war nicht
mehr möglich. Durch einen rechtzeitigen Rückzug konnte noch mindeſtens
die Hälfte des Heeres gerettet werden. Es ergab ſich aber nothwendig
aus dem Charakter des Imperators und aus ſeiner verzweifelten poli-
tiſchen Lage, daß er dieſen Ausweg verſchmähte und noch einen dritten
allgemeinen Angriff verſuchte — diesmal nach zwei Seiten zugleich. Er
ließ um ſieben Uhr die 24 Bataillone ſeiner Garde heranrufen, behielt
nur zwei als letzte Reſerve zur Hand, ſendete zwölf nach Plancenoit
gegen Bülow. Die übrigen zehn ſollte Ney zu einem neuen Angriff
gegen das engliſche Centrum führen, abermals weſtlich der Landſtraße,
möglichſt entfernt von den Schaaren Zietens. Mit ſtürmiſchem Hochruf
eilten die Bataillone bei Belle Alliance an dem Imperator vorüber: es
war ja ihr Handwerk den Sieg zu entſcheiden. Sie tauchen dann in
die unheimliche Bodenmulde hinab, wo dichte Haufen von Leichen und
Pferden den Todesweg der franzöſiſchen Reiter bezeichnen, ſtürmen unter
Trommelſchlag, unbekümmert um die Geſchoſſe der engliſchen Batterien,
über die Felder, erſteigen den Abhang dicht vor der Front der britiſchen
Garde. Droben liegen indeſſen Maitlands Grenadiere im Graſe ver-
borgen. Als die erſten Bärenmützen auf der Höhe erſcheinen, ſchallt
weithin Wellingtons durchdringender Ruf: „auf, Garden! fertig!“ — und
mit einem male ſteigt dicht vor den Augen der entſetzten Franzoſen eine
rothe Mauer auf, die lange Linie der engliſchen Garde, eine furchtbare
Salve kracht auf wenige Schritte Entfernung in die Reihen der Angreifer
hinein. Ein kurzes wüthendes Handgemenge, dann werden die Blauen
von den Rothen mit dem Bajonett den Abhang hinuntergeſchleudert.
Neys Pferd bricht von einer Kugel getroffen unter dem Reiter zuſammen,
und wie ſie den Führer fallen ſehen wenden ſich die Garden zur Flucht.
Der aber macht ſich von ſeinem Thiere los, ſpringt auf, verſucht mit
zornigen Rufen die Weichenden zu halten. Umſonſt; denn mittlerweile
ſind die übrigen Bataillone weiter links zwiſchen zwei Feuer gerathen
und gehen ebenfalls zurück. Die Kaiſergarde ſtiebt auseinander; ihr unglück-
licher Führer irrt baarhaupt, mit zerbrochenem Degen auf dem Schlacht-
felde umher und ſucht vergeblich die Kugel, die ihn von ſeiner Gewiſſens-
angſt und ſeinen finſteren Ahnungen erlöſen ſoll.
Indem hatte Blücher ſchon den Schlag geführt, der die Vernichtung
des napoleoniſchen Heeres entſchied. Die Truppen Bülows gingen in
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 754. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/770>, abgerufen am 23.11.2024.
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