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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Bülow bei Frichemont.
die beherrschende Position dicht vor dem Centrum, blieb in den Händen
des Feindes. Mittlerweile konnte auch der tapfere Bernhard von Weimar
auf dem linken Flügel die Vorwerke La Haye und Papelotte gegen die
Division Durutte nicht mehr behaupten. Er begann zu weichen. Welling-
tons Besorgniß stieg. Schon seit mehreren Stunden hatte er wiederholt
Adjutanten an Blücher gesendet mit der dringenden Bitte um Hilfe.
Kalt und streng stand er unter seinen Offizieren, die Uhr in der Hand,
und sagte: "Blücher oder die Nacht!" Wenn Napoleon jetzt im Stande
war seine Garde gegen Mont St. Jean oder gegen den erschütterten linken
Flügel der Engländer zu verwenden, so konnte ihm der Sieg nicht fehlen.

In diesem verhängnißvollen Zeitpunkte begann der Angriff der Preußen.
Bereits klang fern vom Osten her, beiden Theilen vernehmlich, Kanonen-
donner nach dem Schlachtfelde hinüber -- die erste Kunde von dem Ge-
fechte, das sich bei Wavre, im Rücken der Blücher'schen Armee, zwischen
Thielmann und Grouchy entspann. Um die nämliche Zeit fiel vor
dem Walde von Frichemont der erste Schuß. Es war 1/2 5 Uhr Nach-
mittags; grade fünf Stunden lang hatte die Armee Wellingtons den
Kampf allein aushalten müssen. Bülows Batterien fuhren staffelförmig
auf den Höhen vor dem Walde auf. Ein einzig schönes Schauspiel, wie
dann die Brigaden des vierten Corps mit Trommelklang und fliegenden
Fahnen nach einander aus dem Gehölze heraustraten und zwischen den
Batterien hindurch sich in die Ebene gegen Plancenoit hinabsenkten. Gnei-
senau fühlte sich in seinem ewig jungen Herzen wie bezaubert von der
wilden Poesie des Krieges und unterließ selbst in seinem amtlichen Schlacht-
berichte nicht zu schildern, wie herrlich dieser Anblick gewesen sei.

Der Held von Dennewitz that sein Bestes um die Fehler vom
15. und 16. Juni zu sühnen, leitete den Angriff mit besonnener Kühn-
heit wie in den großen Zeiten der Nordarmee. Gleich im Beginne des
Gefechts fiel der allbeliebte Oberst Schwerin, derselbe, der vor einem
Jahre der Hauptstadt die Siegesbotschaft gebracht hatte. Das Corps
Lobaus ward zurückgedrängt, unaufhaltsam drangen die Preußen vor-
wärts auf Plancenoit. Etwas später, um 6 Uhr hatte General Zieten
mit der Spitze des ersten Corps Ohain erreicht und ging dann, sobald
er von der Bedrängniß des englischen linken Flügels unterrichtet war,
rasch auf die Vorwerke La Haye und Papelotte vor, wo die Division
Durutte sich soeben eingenistet hatte. Prinz Bernhard von Weimar rettete
die Trümmer seiner Truppen, als die preußische Hilfe herankam, rück-
wärts in den schützenden Wald von Soignes; seine tapferen Nassauer
waren durch das lange, ungleiche Gefecht völlig kampfunfähig geworden.
Die Brigade Steinmetz warf nun die Franzosen aus den beiden Vor-
werken wieder hinaus, die brandenburgischen Dragoner hieben auf die
Zurückweichenden ein, die Batterien des ersten Corps bestrichen weithin
den rechten Flügel des Feindes, und bis in das französische Centrum

Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 48

Bülow bei Frichemont.
die beherrſchende Poſition dicht vor dem Centrum, blieb in den Händen
des Feindes. Mittlerweile konnte auch der tapfere Bernhard von Weimar
auf dem linken Flügel die Vorwerke La Haye und Papelotte gegen die
Diviſion Durutte nicht mehr behaupten. Er begann zu weichen. Welling-
tons Beſorgniß ſtieg. Schon ſeit mehreren Stunden hatte er wiederholt
Adjutanten an Blücher geſendet mit der dringenden Bitte um Hilfe.
Kalt und ſtreng ſtand er unter ſeinen Offizieren, die Uhr in der Hand,
und ſagte: „Blücher oder die Nacht!“ Wenn Napoleon jetzt im Stande
war ſeine Garde gegen Mont St. Jean oder gegen den erſchütterten linken
Flügel der Engländer zu verwenden, ſo konnte ihm der Sieg nicht fehlen.

In dieſem verhängnißvollen Zeitpunkte begann der Angriff der Preußen.
Bereits klang fern vom Oſten her, beiden Theilen vernehmlich, Kanonen-
donner nach dem Schlachtfelde hinüber — die erſte Kunde von dem Ge-
fechte, das ſich bei Wavre, im Rücken der Blücher’ſchen Armee, zwiſchen
Thielmann und Grouchy entſpann. Um die nämliche Zeit fiel vor
dem Walde von Frichemont der erſte Schuß. Es war ½ 5 Uhr Nach-
mittags; grade fünf Stunden lang hatte die Armee Wellingtons den
Kampf allein aushalten müſſen. Bülows Batterien fuhren ſtaffelförmig
auf den Höhen vor dem Walde auf. Ein einzig ſchönes Schauſpiel, wie
dann die Brigaden des vierten Corps mit Trommelklang und fliegenden
Fahnen nach einander aus dem Gehölze heraustraten und zwiſchen den
Batterien hindurch ſich in die Ebene gegen Plancenoit hinabſenkten. Gnei-
ſenau fühlte ſich in ſeinem ewig jungen Herzen wie bezaubert von der
wilden Poeſie des Krieges und unterließ ſelbſt in ſeinem amtlichen Schlacht-
berichte nicht zu ſchildern, wie herrlich dieſer Anblick geweſen ſei.

Der Held von Dennewitz that ſein Beſtes um die Fehler vom
15. und 16. Juni zu ſühnen, leitete den Angriff mit beſonnener Kühn-
heit wie in den großen Zeiten der Nordarmee. Gleich im Beginne des
Gefechts fiel der allbeliebte Oberſt Schwerin, derſelbe, der vor einem
Jahre der Hauptſtadt die Siegesbotſchaft gebracht hatte. Das Corps
Lobaus ward zurückgedrängt, unaufhaltſam drangen die Preußen vor-
wärts auf Plancenoit. Etwas ſpäter, um 6 Uhr hatte General Zieten
mit der Spitze des erſten Corps Ohain erreicht und ging dann, ſobald
er von der Bedrängniß des engliſchen linken Flügels unterrichtet war,
raſch auf die Vorwerke La Haye und Papelotte vor, wo die Diviſion
Durutte ſich ſoeben eingeniſtet hatte. Prinz Bernhard von Weimar rettete
die Trümmer ſeiner Truppen, als die preußiſche Hilfe herankam, rück-
wärts in den ſchützenden Wald von Soignes; ſeine tapferen Naſſauer
waren durch das lange, ungleiche Gefecht völlig kampfunfähig geworden.
Die Brigade Steinmetz warf nun die Franzoſen aus den beiden Vor-
werken wieder hinaus, die brandenburgiſchen Dragoner hieben auf die
Zurückweichenden ein, die Batterien des erſten Corps beſtrichen weithin
den rechten Flügel des Feindes, und bis in das franzöſiſche Centrum

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 48
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[753/0769] Bülow bei Frichemont. die beherrſchende Poſition dicht vor dem Centrum, blieb in den Händen des Feindes. Mittlerweile konnte auch der tapfere Bernhard von Weimar auf dem linken Flügel die Vorwerke La Haye und Papelotte gegen die Diviſion Durutte nicht mehr behaupten. Er begann zu weichen. Welling- tons Beſorgniß ſtieg. Schon ſeit mehreren Stunden hatte er wiederholt Adjutanten an Blücher geſendet mit der dringenden Bitte um Hilfe. Kalt und ſtreng ſtand er unter ſeinen Offizieren, die Uhr in der Hand, und ſagte: „Blücher oder die Nacht!“ Wenn Napoleon jetzt im Stande war ſeine Garde gegen Mont St. Jean oder gegen den erſchütterten linken Flügel der Engländer zu verwenden, ſo konnte ihm der Sieg nicht fehlen. In dieſem verhängnißvollen Zeitpunkte begann der Angriff der Preußen. Bereits klang fern vom Oſten her, beiden Theilen vernehmlich, Kanonen- donner nach dem Schlachtfelde hinüber — die erſte Kunde von dem Ge- fechte, das ſich bei Wavre, im Rücken der Blücher’ſchen Armee, zwiſchen Thielmann und Grouchy entſpann. Um die nämliche Zeit fiel vor dem Walde von Frichemont der erſte Schuß. Es war ½ 5 Uhr Nach- mittags; grade fünf Stunden lang hatte die Armee Wellingtons den Kampf allein aushalten müſſen. Bülows Batterien fuhren ſtaffelförmig auf den Höhen vor dem Walde auf. Ein einzig ſchönes Schauſpiel, wie dann die Brigaden des vierten Corps mit Trommelklang und fliegenden Fahnen nach einander aus dem Gehölze heraustraten und zwiſchen den Batterien hindurch ſich in die Ebene gegen Plancenoit hinabſenkten. Gnei- ſenau fühlte ſich in ſeinem ewig jungen Herzen wie bezaubert von der wilden Poeſie des Krieges und unterließ ſelbſt in ſeinem amtlichen Schlacht- berichte nicht zu ſchildern, wie herrlich dieſer Anblick geweſen ſei. Der Held von Dennewitz that ſein Beſtes um die Fehler vom 15. und 16. Juni zu ſühnen, leitete den Angriff mit beſonnener Kühn- heit wie in den großen Zeiten der Nordarmee. Gleich im Beginne des Gefechts fiel der allbeliebte Oberſt Schwerin, derſelbe, der vor einem Jahre der Hauptſtadt die Siegesbotſchaft gebracht hatte. Das Corps Lobaus ward zurückgedrängt, unaufhaltſam drangen die Preußen vor- wärts auf Plancenoit. Etwas ſpäter, um 6 Uhr hatte General Zieten mit der Spitze des erſten Corps Ohain erreicht und ging dann, ſobald er von der Bedrängniß des engliſchen linken Flügels unterrichtet war, raſch auf die Vorwerke La Haye und Papelotte vor, wo die Diviſion Durutte ſich ſoeben eingeniſtet hatte. Prinz Bernhard von Weimar rettete die Trümmer ſeiner Truppen, als die preußiſche Hilfe herankam, rück- wärts in den ſchützenden Wald von Soignes; ſeine tapferen Naſſauer waren durch das lange, ungleiche Gefecht völlig kampfunfähig geworden. Die Brigade Steinmetz warf nun die Franzoſen aus den beiden Vor- werken wieder hinaus, die brandenburgiſchen Dragoner hieben auf die Zurückweichenden ein, die Batterien des erſten Corps beſtrichen weithin den rechten Flügel des Feindes, und bis in das franzöſiſche Centrum Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 48

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 753. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/769>, abgerufen am 22.11.2024.