die beherrschende Position dicht vor dem Centrum, blieb in den Händen des Feindes. Mittlerweile konnte auch der tapfere Bernhard von Weimar auf dem linken Flügel die Vorwerke La Haye und Papelotte gegen die Division Durutte nicht mehr behaupten. Er begann zu weichen. Welling- tons Besorgniß stieg. Schon seit mehreren Stunden hatte er wiederholt Adjutanten an Blücher gesendet mit der dringenden Bitte um Hilfe. Kalt und streng stand er unter seinen Offizieren, die Uhr in der Hand, und sagte: "Blücher oder die Nacht!" Wenn Napoleon jetzt im Stande war seine Garde gegen Mont St. Jean oder gegen den erschütterten linken Flügel der Engländer zu verwenden, so konnte ihm der Sieg nicht fehlen.
In diesem verhängnißvollen Zeitpunkte begann der Angriff der Preußen. Bereits klang fern vom Osten her, beiden Theilen vernehmlich, Kanonen- donner nach dem Schlachtfelde hinüber -- die erste Kunde von dem Ge- fechte, das sich bei Wavre, im Rücken der Blücher'schen Armee, zwischen Thielmann und Grouchy entspann. Um die nämliche Zeit fiel vor dem Walde von Frichemont der erste Schuß. Es war 1/2 5 Uhr Nach- mittags; grade fünf Stunden lang hatte die Armee Wellingtons den Kampf allein aushalten müssen. Bülows Batterien fuhren staffelförmig auf den Höhen vor dem Walde auf. Ein einzig schönes Schauspiel, wie dann die Brigaden des vierten Corps mit Trommelklang und fliegenden Fahnen nach einander aus dem Gehölze heraustraten und zwischen den Batterien hindurch sich in die Ebene gegen Plancenoit hinabsenkten. Gnei- senau fühlte sich in seinem ewig jungen Herzen wie bezaubert von der wilden Poesie des Krieges und unterließ selbst in seinem amtlichen Schlacht- berichte nicht zu schildern, wie herrlich dieser Anblick gewesen sei.
Der Held von Dennewitz that sein Bestes um die Fehler vom 15. und 16. Juni zu sühnen, leitete den Angriff mit besonnener Kühn- heit wie in den großen Zeiten der Nordarmee. Gleich im Beginne des Gefechts fiel der allbeliebte Oberst Schwerin, derselbe, der vor einem Jahre der Hauptstadt die Siegesbotschaft gebracht hatte. Das Corps Lobaus ward zurückgedrängt, unaufhaltsam drangen die Preußen vor- wärts auf Plancenoit. Etwas später, um 6 Uhr hatte General Zieten mit der Spitze des ersten Corps Ohain erreicht und ging dann, sobald er von der Bedrängniß des englischen linken Flügels unterrichtet war, rasch auf die Vorwerke La Haye und Papelotte vor, wo die Division Durutte sich soeben eingenistet hatte. Prinz Bernhard von Weimar rettete die Trümmer seiner Truppen, als die preußische Hilfe herankam, rück- wärts in den schützenden Wald von Soignes; seine tapferen Nassauer waren durch das lange, ungleiche Gefecht völlig kampfunfähig geworden. Die Brigade Steinmetz warf nun die Franzosen aus den beiden Vor- werken wieder hinaus, die brandenburgischen Dragoner hieben auf die Zurückweichenden ein, die Batterien des ersten Corps bestrichen weithin den rechten Flügel des Feindes, und bis in das französische Centrum
Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 48
Bülow bei Frichemont.
die beherrſchende Poſition dicht vor dem Centrum, blieb in den Händen des Feindes. Mittlerweile konnte auch der tapfere Bernhard von Weimar auf dem linken Flügel die Vorwerke La Haye und Papelotte gegen die Diviſion Durutte nicht mehr behaupten. Er begann zu weichen. Welling- tons Beſorgniß ſtieg. Schon ſeit mehreren Stunden hatte er wiederholt Adjutanten an Blücher geſendet mit der dringenden Bitte um Hilfe. Kalt und ſtreng ſtand er unter ſeinen Offizieren, die Uhr in der Hand, und ſagte: „Blücher oder die Nacht!“ Wenn Napoleon jetzt im Stande war ſeine Garde gegen Mont St. Jean oder gegen den erſchütterten linken Flügel der Engländer zu verwenden, ſo konnte ihm der Sieg nicht fehlen.
In dieſem verhängnißvollen Zeitpunkte begann der Angriff der Preußen. Bereits klang fern vom Oſten her, beiden Theilen vernehmlich, Kanonen- donner nach dem Schlachtfelde hinüber — die erſte Kunde von dem Ge- fechte, das ſich bei Wavre, im Rücken der Blücher’ſchen Armee, zwiſchen Thielmann und Grouchy entſpann. Um die nämliche Zeit fiel vor dem Walde von Frichemont der erſte Schuß. Es war ½ 5 Uhr Nach- mittags; grade fünf Stunden lang hatte die Armee Wellingtons den Kampf allein aushalten müſſen. Bülows Batterien fuhren ſtaffelförmig auf den Höhen vor dem Walde auf. Ein einzig ſchönes Schauſpiel, wie dann die Brigaden des vierten Corps mit Trommelklang und fliegenden Fahnen nach einander aus dem Gehölze heraustraten und zwiſchen den Batterien hindurch ſich in die Ebene gegen Plancenoit hinabſenkten. Gnei- ſenau fühlte ſich in ſeinem ewig jungen Herzen wie bezaubert von der wilden Poeſie des Krieges und unterließ ſelbſt in ſeinem amtlichen Schlacht- berichte nicht zu ſchildern, wie herrlich dieſer Anblick geweſen ſei.
Der Held von Dennewitz that ſein Beſtes um die Fehler vom 15. und 16. Juni zu ſühnen, leitete den Angriff mit beſonnener Kühn- heit wie in den großen Zeiten der Nordarmee. Gleich im Beginne des Gefechts fiel der allbeliebte Oberſt Schwerin, derſelbe, der vor einem Jahre der Hauptſtadt die Siegesbotſchaft gebracht hatte. Das Corps Lobaus ward zurückgedrängt, unaufhaltſam drangen die Preußen vor- wärts auf Plancenoit. Etwas ſpäter, um 6 Uhr hatte General Zieten mit der Spitze des erſten Corps Ohain erreicht und ging dann, ſobald er von der Bedrängniß des engliſchen linken Flügels unterrichtet war, raſch auf die Vorwerke La Haye und Papelotte vor, wo die Diviſion Durutte ſich ſoeben eingeniſtet hatte. Prinz Bernhard von Weimar rettete die Trümmer ſeiner Truppen, als die preußiſche Hilfe herankam, rück- wärts in den ſchützenden Wald von Soignes; ſeine tapferen Naſſauer waren durch das lange, ungleiche Gefecht völlig kampfunfähig geworden. Die Brigade Steinmetz warf nun die Franzoſen aus den beiden Vor- werken wieder hinaus, die brandenburgiſchen Dragoner hieben auf die Zurückweichenden ein, die Batterien des erſten Corps beſtrichen weithin den rechten Flügel des Feindes, und bis in das franzöſiſche Centrum
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 48
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0769"n="753"/><fwplace="top"type="header">Bülow bei Frichemont.</fw><lb/>
die beherrſchende Poſition dicht vor dem Centrum, blieb in den Händen<lb/>
des Feindes. Mittlerweile konnte auch der tapfere Bernhard von Weimar<lb/>
auf dem linken Flügel die Vorwerke La Haye und Papelotte gegen die<lb/>
Diviſion Durutte nicht mehr behaupten. Er begann zu weichen. Welling-<lb/>
tons Beſorgniß ſtieg. Schon ſeit mehreren Stunden hatte er wiederholt<lb/>
Adjutanten an Blücher geſendet mit der dringenden Bitte um Hilfe.<lb/>
Kalt und ſtreng ſtand er unter ſeinen Offizieren, die Uhr in der Hand,<lb/>
und ſagte: „Blücher oder die Nacht!“ Wenn Napoleon jetzt im Stande<lb/>
war ſeine Garde gegen Mont St. Jean oder gegen den erſchütterten linken<lb/>
Flügel der Engländer zu verwenden, ſo konnte ihm der Sieg nicht fehlen.</p><lb/><p>In dieſem verhängnißvollen Zeitpunkte begann der Angriff der Preußen.<lb/>
Bereits klang fern vom Oſten her, beiden Theilen vernehmlich, Kanonen-<lb/>
donner nach dem Schlachtfelde hinüber — die erſte Kunde von dem Ge-<lb/>
fechte, das ſich bei Wavre, im Rücken der Blücher’ſchen Armee, zwiſchen<lb/>
Thielmann und Grouchy entſpann. Um die nämliche Zeit fiel vor<lb/>
dem Walde von Frichemont der erſte Schuß. Es war ½ 5 Uhr Nach-<lb/>
mittags; grade fünf Stunden lang hatte die Armee Wellingtons den<lb/>
Kampf allein aushalten müſſen. Bülows Batterien fuhren ſtaffelförmig<lb/>
auf den Höhen vor dem Walde auf. Ein einzig ſchönes Schauſpiel, wie<lb/>
dann die Brigaden des vierten Corps mit Trommelklang und fliegenden<lb/>
Fahnen nach einander aus dem Gehölze heraustraten und zwiſchen den<lb/>
Batterien hindurch ſich in die Ebene gegen Plancenoit hinabſenkten. Gnei-<lb/>ſenau fühlte ſich in ſeinem ewig jungen Herzen wie bezaubert von der<lb/>
wilden Poeſie des Krieges und unterließ ſelbſt in ſeinem amtlichen Schlacht-<lb/>
berichte nicht zu ſchildern, wie herrlich dieſer Anblick geweſen ſei.</p><lb/><p>Der Held von Dennewitz that ſein Beſtes um die Fehler vom<lb/>
15. und 16. Juni zu ſühnen, leitete den Angriff mit beſonnener Kühn-<lb/>
heit wie in den großen Zeiten der Nordarmee. Gleich im Beginne des<lb/>
Gefechts fiel der allbeliebte Oberſt Schwerin, derſelbe, der vor einem<lb/>
Jahre der Hauptſtadt die Siegesbotſchaft gebracht hatte. Das Corps<lb/>
Lobaus ward zurückgedrängt, unaufhaltſam drangen die Preußen vor-<lb/>
wärts auf Plancenoit. Etwas ſpäter, um 6 Uhr hatte General Zieten<lb/>
mit der Spitze des erſten Corps Ohain erreicht und ging dann, ſobald<lb/>
er von der Bedrängniß des engliſchen linken Flügels unterrichtet war,<lb/>
raſch auf die Vorwerke La Haye und Papelotte vor, wo die Diviſion<lb/>
Durutte ſich ſoeben eingeniſtet hatte. Prinz Bernhard von Weimar rettete<lb/>
die Trümmer ſeiner Truppen, als die preußiſche Hilfe herankam, rück-<lb/>
wärts in den ſchützenden Wald von Soignes; ſeine tapferen Naſſauer<lb/>
waren durch das lange, ungleiche Gefecht völlig kampfunfähig geworden.<lb/>
Die Brigade Steinmetz warf nun die Franzoſen aus den beiden Vor-<lb/>
werken wieder hinaus, die brandenburgiſchen Dragoner hieben auf die<lb/>
Zurückweichenden ein, die Batterien des erſten Corps beſtrichen weithin<lb/>
den rechten Flügel des Feindes, und bis in das franzöſiſche Centrum<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Treitſchke</hi>, Deutſche Geſchichte. <hirendition="#aq">I.</hi> 48</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[753/0769]
Bülow bei Frichemont.
die beherrſchende Poſition dicht vor dem Centrum, blieb in den Händen
des Feindes. Mittlerweile konnte auch der tapfere Bernhard von Weimar
auf dem linken Flügel die Vorwerke La Haye und Papelotte gegen die
Diviſion Durutte nicht mehr behaupten. Er begann zu weichen. Welling-
tons Beſorgniß ſtieg. Schon ſeit mehreren Stunden hatte er wiederholt
Adjutanten an Blücher geſendet mit der dringenden Bitte um Hilfe.
Kalt und ſtreng ſtand er unter ſeinen Offizieren, die Uhr in der Hand,
und ſagte: „Blücher oder die Nacht!“ Wenn Napoleon jetzt im Stande
war ſeine Garde gegen Mont St. Jean oder gegen den erſchütterten linken
Flügel der Engländer zu verwenden, ſo konnte ihm der Sieg nicht fehlen.
In dieſem verhängnißvollen Zeitpunkte begann der Angriff der Preußen.
Bereits klang fern vom Oſten her, beiden Theilen vernehmlich, Kanonen-
donner nach dem Schlachtfelde hinüber — die erſte Kunde von dem Ge-
fechte, das ſich bei Wavre, im Rücken der Blücher’ſchen Armee, zwiſchen
Thielmann und Grouchy entſpann. Um die nämliche Zeit fiel vor
dem Walde von Frichemont der erſte Schuß. Es war ½ 5 Uhr Nach-
mittags; grade fünf Stunden lang hatte die Armee Wellingtons den
Kampf allein aushalten müſſen. Bülows Batterien fuhren ſtaffelförmig
auf den Höhen vor dem Walde auf. Ein einzig ſchönes Schauſpiel, wie
dann die Brigaden des vierten Corps mit Trommelklang und fliegenden
Fahnen nach einander aus dem Gehölze heraustraten und zwiſchen den
Batterien hindurch ſich in die Ebene gegen Plancenoit hinabſenkten. Gnei-
ſenau fühlte ſich in ſeinem ewig jungen Herzen wie bezaubert von der
wilden Poeſie des Krieges und unterließ ſelbſt in ſeinem amtlichen Schlacht-
berichte nicht zu ſchildern, wie herrlich dieſer Anblick geweſen ſei.
Der Held von Dennewitz that ſein Beſtes um die Fehler vom
15. und 16. Juni zu ſühnen, leitete den Angriff mit beſonnener Kühn-
heit wie in den großen Zeiten der Nordarmee. Gleich im Beginne des
Gefechts fiel der allbeliebte Oberſt Schwerin, derſelbe, der vor einem
Jahre der Hauptſtadt die Siegesbotſchaft gebracht hatte. Das Corps
Lobaus ward zurückgedrängt, unaufhaltſam drangen die Preußen vor-
wärts auf Plancenoit. Etwas ſpäter, um 6 Uhr hatte General Zieten
mit der Spitze des erſten Corps Ohain erreicht und ging dann, ſobald
er von der Bedrängniß des engliſchen linken Flügels unterrichtet war,
raſch auf die Vorwerke La Haye und Papelotte vor, wo die Diviſion
Durutte ſich ſoeben eingeniſtet hatte. Prinz Bernhard von Weimar rettete
die Trümmer ſeiner Truppen, als die preußiſche Hilfe herankam, rück-
wärts in den ſchützenden Wald von Soignes; ſeine tapferen Naſſauer
waren durch das lange, ungleiche Gefecht völlig kampfunfähig geworden.
Die Brigade Steinmetz warf nun die Franzoſen aus den beiden Vor-
werken wieder hinaus, die brandenburgiſchen Dragoner hieben auf die
Zurückweichenden ein, die Batterien des erſten Corps beſtrichen weithin
den rechten Flügel des Feindes, und bis in das franzöſiſche Centrum
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 48
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 753. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/769>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.