Angriff der Franzosen begonnen. Ney sprengte mit vierzehn Regimentern schwerer Reiterei auf der Westseite der Landstraße gegen die Vierecke der englischen Garde und der Division Alten im Centrum heran. Lange wogte der Kampf unentschieden hin und her, aber das Fußvolk hielt un- erschütterlich aus. Endlich zurückgeworfen zog Ney auch die Cavallerie Kellermanns an sich, so daß er jetzt 26 Reiterregimenter zu erneutem Angriff heranführte, die größte Reitermasse, welche dies kriegerische Zeit- alter jemals an einer Stelle thätig gesehen hatte. Der Boden dröhnte von dem Hufschlag von zehntausend Pferden, ein Wald von Säbeln und Lanzen bedeckte die Thalmulde, stundenlang schwankte das Gefecht, zehn-, zwölfmal ward die Attake gegen einzelne Bataillone erneuert. Noch- mals behielt die Standhaftigkeit des englischen und deutschen Fußvolks die Oberhand. Auch dieser Angriff scheiterte, die Schwadronen begannen zu weichen, ein kühnes Vorgehen der englischen und hannoverschen Reserve- reiterei brachte sie vollends in Verwirrung; aber auch die Sieger fühlten sich tief erschöpft.
Auf den anderen Theilen des Schlachtfeldes gestaltete sich unter- dessen der Gang der Ereignisse weit günstiger für Napoleon. Die Divi- sion Quiot, die schon an dem großen Angriffe Erlons theilgenommen, ging von Neuem auf der Landstraße vor und bestürmte die Meierei von La Haye Sainte. Dort stand Major Baring mit einem Bataillon von der leichten Infanterie der Deutschen Legion und einigen Nassauern. Die grünen Jäger hatten schon um Mittag die Schlachthaufen Er- lons abgeschlagen; die treuen Männer hingen mit ganzem Herzen an ihren Offizieren, alle bis zum letzten Gemeinen zeigten sich entschlossen von diesem Ehrenposten nimmermehr zu weichen. Und welche Aufgabe jetzt! Schon brannten die Dächer des Gehöftes, die Einen mußten löschen, die Anderen führten aus den Fenstern, hinter den Hecken und Mauern des Gartens das Feuergefecht gegen die furchtbare Uebermacht draußen. Pulver und Blei gingen aus; vergeblich sandte Baring wiederholt seine Boten rückwärts nach Mont St. Jean mit der dringenden Bitte um Munition. Erst als fast die letzte Patrone verschossen war, räumte die tapfere kleine Schaar den Platz. Wie Rasende drangen die Franzosen hinter den Abziehenden in das Gehöfte ein, durchsuchten brüllend alle Stuben und Scheunen: "kein Pardon diesen grünen Brigands!" -- denn wie viele ihrer Kameraden waren heute Mittag und jetzt wieder den sicheren Kugeln der deutschen Jäger erlegen! Das Vorwerk des englischen Centrums war genommen, und bald ergoß sich der Strom der Angreifer weiter bis nach Mont St. Jean. Die Mitte der Schlachtlinie Wellingtons ward durchbrochen. Da führte der Herzog selber die hannoversche Brigade Kielmannsegge herbei und ihr gelang die Lücke im Centrum vorläufig zur Noth wieder auszufüllen. Aber auch nur vorläufig; denn die Reserven waren schon herangezogen bis auf den letzten Mann, und La Haye Sainte,
II. 2. Belle Alliance.
Angriff der Franzoſen begonnen. Ney ſprengte mit vierzehn Regimentern ſchwerer Reiterei auf der Weſtſeite der Landſtraße gegen die Vierecke der engliſchen Garde und der Diviſion Alten im Centrum heran. Lange wogte der Kampf unentſchieden hin und her, aber das Fußvolk hielt un- erſchütterlich aus. Endlich zurückgeworfen zog Ney auch die Cavallerie Kellermanns an ſich, ſo daß er jetzt 26 Reiterregimenter zu erneutem Angriff heranführte, die größte Reitermaſſe, welche dies kriegeriſche Zeit- alter jemals an einer Stelle thätig geſehen hatte. Der Boden dröhnte von dem Hufſchlag von zehntauſend Pferden, ein Wald von Säbeln und Lanzen bedeckte die Thalmulde, ſtundenlang ſchwankte das Gefecht, zehn-, zwölfmal ward die Attake gegen einzelne Bataillone erneuert. Noch- mals behielt die Standhaftigkeit des engliſchen und deutſchen Fußvolks die Oberhand. Auch dieſer Angriff ſcheiterte, die Schwadronen begannen zu weichen, ein kühnes Vorgehen der engliſchen und hannoverſchen Reſerve- reiterei brachte ſie vollends in Verwirrung; aber auch die Sieger fühlten ſich tief erſchöpft.
Auf den anderen Theilen des Schlachtfeldes geſtaltete ſich unter- deſſen der Gang der Ereigniſſe weit günſtiger für Napoleon. Die Divi- ſion Quiot, die ſchon an dem großen Angriffe Erlons theilgenommen, ging von Neuem auf der Landſtraße vor und beſtürmte die Meierei von La Haye Sainte. Dort ſtand Major Baring mit einem Bataillon von der leichten Infanterie der Deutſchen Legion und einigen Naſſauern. Die grünen Jäger hatten ſchon um Mittag die Schlachthaufen Er- lons abgeſchlagen; die treuen Männer hingen mit ganzem Herzen an ihren Offizieren, alle bis zum letzten Gemeinen zeigten ſich entſchloſſen von dieſem Ehrenpoſten nimmermehr zu weichen. Und welche Aufgabe jetzt! Schon brannten die Dächer des Gehöftes, die Einen mußten löſchen, die Anderen führten aus den Fenſtern, hinter den Hecken und Mauern des Gartens das Feuergefecht gegen die furchtbare Uebermacht draußen. Pulver und Blei gingen aus; vergeblich ſandte Baring wiederholt ſeine Boten rückwärts nach Mont St. Jean mit der dringenden Bitte um Munition. Erſt als faſt die letzte Patrone verſchoſſen war, räumte die tapfere kleine Schaar den Platz. Wie Raſende drangen die Franzoſen hinter den Abziehenden in das Gehöfte ein, durchſuchten brüllend alle Stuben und Scheunen: „kein Pardon dieſen grünen Brigands!“ — denn wie viele ihrer Kameraden waren heute Mittag und jetzt wieder den ſicheren Kugeln der deutſchen Jäger erlegen! Das Vorwerk des engliſchen Centrums war genommen, und bald ergoß ſich der Strom der Angreifer weiter bis nach Mont St. Jean. Die Mitte der Schlachtlinie Wellingtons ward durchbrochen. Da führte der Herzog ſelber die hannoverſche Brigade Kielmannsegge herbei und ihr gelang die Lücke im Centrum vorläufig zur Noth wieder auszufüllen. Aber auch nur vorläufig; denn die Reſerven waren ſchon herangezogen bis auf den letzten Mann, und La Haye Sainte,
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[752/0768]
II. 2. Belle Alliance.
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engliſchen Garde und der Diviſion Alten im Centrum heran. Lange
wogte der Kampf unentſchieden hin und her, aber das Fußvolk hielt un-
erſchütterlich aus. Endlich zurückgeworfen zog Ney auch die Cavallerie
Kellermanns an ſich, ſo daß er jetzt 26 Reiterregimenter zu erneutem
Angriff heranführte, die größte Reitermaſſe, welche dies kriegeriſche Zeit-
alter jemals an einer Stelle thätig geſehen hatte. Der Boden dröhnte
von dem Hufſchlag von zehntauſend Pferden, ein Wald von Säbeln
und Lanzen bedeckte die Thalmulde, ſtundenlang ſchwankte das Gefecht,
zehn-, zwölfmal ward die Attake gegen einzelne Bataillone erneuert. Noch-
mals behielt die Standhaftigkeit des engliſchen und deutſchen Fußvolks die
Oberhand. Auch dieſer Angriff ſcheiterte, die Schwadronen begannen zu
weichen, ein kühnes Vorgehen der engliſchen und hannoverſchen Reſerve-
reiterei brachte ſie vollends in Verwirrung; aber auch die Sieger fühlten
ſich tief erſchöpft.
Auf den anderen Theilen des Schlachtfeldes geſtaltete ſich unter-
deſſen der Gang der Ereigniſſe weit günſtiger für Napoleon. Die Divi-
ſion Quiot, die ſchon an dem großen Angriffe Erlons theilgenommen,
ging von Neuem auf der Landſtraße vor und beſtürmte die Meierei von
La Haye Sainte. Dort ſtand Major Baring mit einem Bataillon von
der leichten Infanterie der Deutſchen Legion und einigen Naſſauern.
Die grünen Jäger hatten ſchon um Mittag die Schlachthaufen Er-
lons abgeſchlagen; die treuen Männer hingen mit ganzem Herzen an
ihren Offizieren, alle bis zum letzten Gemeinen zeigten ſich entſchloſſen
von dieſem Ehrenpoſten nimmermehr zu weichen. Und welche Aufgabe
jetzt! Schon brannten die Dächer des Gehöftes, die Einen mußten löſchen,
die Anderen führten aus den Fenſtern, hinter den Hecken und Mauern
des Gartens das Feuergefecht gegen die furchtbare Uebermacht draußen.
Pulver und Blei gingen aus; vergeblich ſandte Baring wiederholt ſeine
Boten rückwärts nach Mont St. Jean mit der dringenden Bitte um
Munition. Erſt als faſt die letzte Patrone verſchoſſen war, räumte die
tapfere kleine Schaar den Platz. Wie Raſende drangen die Franzoſen
hinter den Abziehenden in das Gehöfte ein, durchſuchten brüllend alle
Stuben und Scheunen: „kein Pardon dieſen grünen Brigands!“ — denn
wie viele ihrer Kameraden waren heute Mittag und jetzt wieder den ſicheren
Kugeln der deutſchen Jäger erlegen! Das Vorwerk des engliſchen Centrums
war genommen, und bald ergoß ſich der Strom der Angreifer weiter bis
nach Mont St. Jean. Die Mitte der Schlachtlinie Wellingtons ward
durchbrochen. Da führte der Herzog ſelber die hannoverſche Brigade
Kielmannsegge herbei und ihr gelang die Lücke im Centrum vorläufig zur
Noth wieder auszufüllen. Aber auch nur vorläufig; denn die Reſerven
waren ſchon herangezogen bis auf den letzten Mann, und La Haye Sainte,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 752. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/768>, abgerufen am 22.11.2024.
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