noch der Berliner Hof hatte schon einen bestimmten Plan für die Wieder- besetzung des französischen Thrones gefaßt; überdies stimmten die beiden Mächte unter sich keineswegs überein. Während die preußischen Staats- männer von Haus aus auf die Sicherung der deutschen Westgrenze hin- arbeiteten, gefiel sich der Czar wieder in überschwänglicher Großmuth. Den wahren Grund seiner Hochherzigkeit verrieth er einmal, als ihm der Ausruf entfuhr: entweder ich nehme Theil an diesem Kuchen, oder der Kuchen soll gar nicht gebacken werden! Rußland konnte von diesem Kriege nichts gewinnen, und was kümmerte ihn Deutschland wenn er hoffen konnte durch Freisinn und Zartgefühl den englischen Einfluß in Frankreich aus dem Felde zu schlagen? Schon am 25. Mai ließ er seinen Gesandtschaften schreiben: es besteht eine französische Nation, deren berechtigte Interessen nicht ungestraft geopfert werden dürfen; darum weder eine Herstellung der unhaltbaren alten Ordnung noch eine Demüthigung Frankreichs, das für die Wohlfahrt Europas unentbehrlich ist.
Bei dieser tiefgreifenden Meinungsverschiedenheit ließ sich eine un- zweideutige Kriegserklärung gegen Frankreich, wie sie von Hardenberg und Humboldt gewünscht wurde, nicht durchsetzen. Die Coalition beschloß auf jede weitere öffentliche Erklärung zu verzichten und beruhigte sich bei dieser Halbheit um so lieber, da ja in den Wechselfällen des Krieges sich leicht die Gelegenheit zu bestimmteren Beschlüssen bieten konnte. Alle Welt er- wartete einen langen und langweiligen Krieg; war doch die Führung der europäischen Heere wieder in Schwarzenbergs und Langenaus bewährte Hände gelegt worden. Die Mächte begannen also den Feldzug in einer überaus unklaren völkerrechtlichen Stellung. Sie hatten den Kampf gegen Buonaparte angekündigt -- denn so nannten sie den Imperator noch immer -- und nachher versichert, daß sie nicht den Zweck verfolgten die Bour- bonen wieder einzusetzen. Sie waren unbestreitbar im Zustande des Krieges gegen den französischen Staat, da das Völkerrecht nur Kriege zwischen Staaten kennt; ob sie sich aber selber als Feinde Frankreichs betrachteten, das blieb Angesichts ihrer eigenen widerspruchsvollen Erklärungen durchaus zweifelhaft. Auch die Proclamation an die Franzosen, welche Schwarzenberg beim Einmarsche der Heere erließ, lautete sehr unbestimmt; mit Mühe hatte Gagern erlangt, daß aus dem Satze "Europa will den Frieden" minde- stens der gefährliche Schluß "und nichts als den Frieden" gestrichen wurde.
Diese rechtliche Unklarheit bei der Einleitung des Krieges hat nach- her den unglücklichen Ausgang der Friedensverhandlungen zwar nicht allein verschuldet -- denn die Entscheidung gab der vereinte Widerstand, welchen das gesammte Europa den deutschen Forderungen entgegensetzte -- aber die Stellung der deutschen Unterhändler auf dem Friedenscon- gresse wesentlich erschwert. Genug, diesem vieldeutigen Bündniß "gegen Buonaparte" traten nach und nach alle Mächte zweiten Ranges bei; eine thörichte, vorzeitige Schilderhebung Murats in Italien, die rasch nieder-
Zwieſpalt der Coalition.
noch der Berliner Hof hatte ſchon einen beſtimmten Plan für die Wieder- beſetzung des franzöſiſchen Thrones gefaßt; überdies ſtimmten die beiden Mächte unter ſich keineswegs überein. Während die preußiſchen Staats- männer von Haus aus auf die Sicherung der deutſchen Weſtgrenze hin- arbeiteten, gefiel ſich der Czar wieder in überſchwänglicher Großmuth. Den wahren Grund ſeiner Hochherzigkeit verrieth er einmal, als ihm der Ausruf entfuhr: entweder ich nehme Theil an dieſem Kuchen, oder der Kuchen ſoll gar nicht gebacken werden! Rußland konnte von dieſem Kriege nichts gewinnen, und was kümmerte ihn Deutſchland wenn er hoffen konnte durch Freiſinn und Zartgefühl den engliſchen Einfluß in Frankreich aus dem Felde zu ſchlagen? Schon am 25. Mai ließ er ſeinen Geſandtſchaften ſchreiben: es beſteht eine franzöſiſche Nation, deren berechtigte Intereſſen nicht ungeſtraft geopfert werden dürfen; darum weder eine Herſtellung der unhaltbaren alten Ordnung noch eine Demüthigung Frankreichs, das für die Wohlfahrt Europas unentbehrlich iſt.
Bei dieſer tiefgreifenden Meinungsverſchiedenheit ließ ſich eine un- zweideutige Kriegserklärung gegen Frankreich, wie ſie von Hardenberg und Humboldt gewünſcht wurde, nicht durchſetzen. Die Coalition beſchloß auf jede weitere öffentliche Erklärung zu verzichten und beruhigte ſich bei dieſer Halbheit um ſo lieber, da ja in den Wechſelfällen des Krieges ſich leicht die Gelegenheit zu beſtimmteren Beſchlüſſen bieten konnte. Alle Welt er- wartete einen langen und langweiligen Krieg; war doch die Führung der europäiſchen Heere wieder in Schwarzenbergs und Langenaus bewährte Hände gelegt worden. Die Mächte begannen alſo den Feldzug in einer überaus unklaren völkerrechtlichen Stellung. Sie hatten den Kampf gegen Buonaparte angekündigt — denn ſo nannten ſie den Imperator noch immer — und nachher verſichert, daß ſie nicht den Zweck verfolgten die Bour- bonen wieder einzuſetzen. Sie waren unbeſtreitbar im Zuſtande des Krieges gegen den franzöſiſchen Staat, da das Völkerrecht nur Kriege zwiſchen Staaten kennt; ob ſie ſich aber ſelber als Feinde Frankreichs betrachteten, das blieb Angeſichts ihrer eigenen widerſpruchsvollen Erklärungen durchaus zweifelhaft. Auch die Proclamation an die Franzoſen, welche Schwarzenberg beim Einmarſche der Heere erließ, lautete ſehr unbeſtimmt; mit Mühe hatte Gagern erlangt, daß aus dem Satze „Europa will den Frieden“ minde- ſtens der gefährliche Schluß „und nichts als den Frieden“ geſtrichen wurde.
Dieſe rechtliche Unklarheit bei der Einleitung des Krieges hat nach- her den unglücklichen Ausgang der Friedensverhandlungen zwar nicht allein verſchuldet — denn die Entſcheidung gab der vereinte Widerſtand, welchen das geſammte Europa den deutſchen Forderungen entgegenſetzte — aber die Stellung der deutſchen Unterhändler auf dem Friedenscon- greſſe weſentlich erſchwert. Genug, dieſem vieldeutigen Bündniß „gegen Buonaparte“ traten nach und nach alle Mächte zweiten Ranges bei; eine thörichte, vorzeitige Schilderhebung Murats in Italien, die raſch nieder-
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Zwieſpalt der Coalition.
noch der Berliner Hof hatte ſchon einen beſtimmten Plan für die Wieder-
beſetzung des franzöſiſchen Thrones gefaßt; überdies ſtimmten die beiden
Mächte unter ſich keineswegs überein. Während die preußiſchen Staats-
männer von Haus aus auf die Sicherung der deutſchen Weſtgrenze hin-
arbeiteten, gefiel ſich der Czar wieder in überſchwänglicher Großmuth.
Den wahren Grund ſeiner Hochherzigkeit verrieth er einmal, als ihm der
Ausruf entfuhr: entweder ich nehme Theil an dieſem Kuchen, oder der
Kuchen ſoll gar nicht gebacken werden! Rußland konnte von dieſem
Kriege nichts gewinnen, und was kümmerte ihn Deutſchland wenn er
hoffen konnte durch Freiſinn und Zartgefühl den engliſchen Einfluß in
Frankreich aus dem Felde zu ſchlagen? Schon am 25. Mai ließ er
ſeinen Geſandtſchaften ſchreiben: es beſteht eine franzöſiſche Nation, deren
berechtigte Intereſſen nicht ungeſtraft geopfert werden dürfen; darum weder
eine Herſtellung der unhaltbaren alten Ordnung noch eine Demüthigung
Frankreichs, das für die Wohlfahrt Europas unentbehrlich iſt.
Bei dieſer tiefgreifenden Meinungsverſchiedenheit ließ ſich eine un-
zweideutige Kriegserklärung gegen Frankreich, wie ſie von Hardenberg und
Humboldt gewünſcht wurde, nicht durchſetzen. Die Coalition beſchloß auf
jede weitere öffentliche Erklärung zu verzichten und beruhigte ſich bei dieſer
Halbheit um ſo lieber, da ja in den Wechſelfällen des Krieges ſich leicht
die Gelegenheit zu beſtimmteren Beſchlüſſen bieten konnte. Alle Welt er-
wartete einen langen und langweiligen Krieg; war doch die Führung der
europäiſchen Heere wieder in Schwarzenbergs und Langenaus bewährte
Hände gelegt worden. Die Mächte begannen alſo den Feldzug in einer
überaus unklaren völkerrechtlichen Stellung. Sie hatten den Kampf gegen
Buonaparte angekündigt — denn ſo nannten ſie den Imperator noch immer
— und nachher verſichert, daß ſie nicht den Zweck verfolgten die Bour-
bonen wieder einzuſetzen. Sie waren unbeſtreitbar im Zuſtande des Krieges
gegen den franzöſiſchen Staat, da das Völkerrecht nur Kriege zwiſchen
Staaten kennt; ob ſie ſich aber ſelber als Feinde Frankreichs betrachteten,
das blieb Angeſichts ihrer eigenen widerſpruchsvollen Erklärungen durchaus
zweifelhaft. Auch die Proclamation an die Franzoſen, welche Schwarzenberg
beim Einmarſche der Heere erließ, lautete ſehr unbeſtimmt; mit Mühe hatte
Gagern erlangt, daß aus dem Satze „Europa will den Frieden“ minde-
ſtens der gefährliche Schluß „und nichts als den Frieden“ geſtrichen wurde.
Dieſe rechtliche Unklarheit bei der Einleitung des Krieges hat nach-
her den unglücklichen Ausgang der Friedensverhandlungen zwar nicht
allein verſchuldet — denn die Entſcheidung gab der vereinte Widerſtand,
welchen das geſammte Europa den deutſchen Forderungen entgegenſetzte
— aber die Stellung der deutſchen Unterhändler auf dem Friedenscon-
greſſe weſentlich erſchwert. Genug, dieſem vieldeutigen Bündniß „gegen
Buonaparte“ traten nach und nach alle Mächte zweiten Ranges bei; eine
thörichte, vorzeitige Schilderhebung Murats in Italien, die raſch nieder-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 717. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/733>, abgerufen am 24.11.2024.
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