zu lassen und dem Staate Frankreich, wie er sich jetzt thatsächlich neu gestaltet hatte, den Krieg zu erklären. Aber dieser allein richtige Schluß ward nicht gezogen, da die Absichten der verbündeten Mächte sehr weit auseinander gingen.
Jene salbungsvolle Versicherung der Torys, England wolle den Fran- zosen nicht eine bestimmte Regierung aufzwingen, war keineswegs ehrlich gemeint, sondern lediglich ein parlamentarischer Schachzug. Die starr legitimistische Gesinnung des Tory-Cabinets änderte sich nicht; in seinen Augen war und blieb der König ohne Land der rechtmäßige Beherrscher von Frankreich, und Europa war selbstverständlich verpflichtet, durch einen royalistischen Kreuzzug den legitimen König wieder auf den Thron seiner Väter zurückzuführen, damit England als der hochherzige Beschützer der dankbaren Bourbonen den herrschenden Einfluß in den Tuilerien erhielte. In solchem Sinne wiederholte Wellington beständig: "Frankreich hat keine Feinde; dieser Krieg ist ein Krieg Europas, Frankreich mit eingeschlossen, gegen Buonaparte und sein Heer." Darum durfte auch Niemand irgend welche Gebietsforderungen an Frankreich stellen. Voll hoher sittlicher Entrüstung, behaglich auf ihre wohlgefüllten Taschen klopfend, sprachen die Torys über die preußische Armuth und Habgier; ihr Neid gegen Deutschland trat so gehässig hervor, daß selbst die Gutherzigkeit der preu- ßischen Patrioten jetzt endlich über den wahren Charakter der britischen Handelspolitik ins Klare kam und Mancher, der seit Jahren ein glühender Bewunderer der englischen Hochherzigkeit gewesen, nunmehr sein Urtheil berichtigte. Aber wie beschränkt, heuchlerisch, engherzig die Politik der Torys auch erschien, sie allein unter den Verbündeten wußten genau was sie wollten und verfolgten ihr Ziel mit hartnäckiger Ausdauer.
In der Hofburg fehlte es nicht an fanatischen Legitimisten, die in das englische Horn bliesen. Adam Müller fand es ganz unbestreitbar, daß Ludwig XVIII. nunmehr schon seit vierundzwanzig Jahren regiere und Buonaparte nur ein Rebell sei; sonst würde ja das göttliche Recht aller Throne geleugnet und "das lächerliche Recht der Völker, eine Art von Willen zu haben, anerkannt!" Metternich selbst dachte nüchterner, er hegte keine Vorliebe für die Bourbonen und behielt sich vor, nach den Umständen zu handeln; aber da seine ruheselige Natur jede zweifelhafte Neuerung verabscheute und die Verträge von Paris und Wien ihm als ein unantastbares Werk ausbündiger diplomatischer Weisheit erschienen, so durften die Torys hoffen, den österreichischen Freund allmählich zu ihrer Anschauung hinüberzuziehen. Czar Alexander dagegen und König Friedrich Wilhelm konnten dem Bourbonen das Kriegsbündniß vom 3. Januar nicht verzeihen. Unter den preußischen Generalen war nur eine Stimme darüber, daß dies zugleich schwache und treulos undankbare Königshaus nicht zurückkehren dürfe; der Czar sprach mit Wärme von dem liberalisirenden Herzog von Orleans. Doch weder der Petersburger
II. 2. Belle Alliance.
zu laſſen und dem Staate Frankreich, wie er ſich jetzt thatſächlich neu geſtaltet hatte, den Krieg zu erklären. Aber dieſer allein richtige Schluß ward nicht gezogen, da die Abſichten der verbündeten Mächte ſehr weit auseinander gingen.
Jene ſalbungsvolle Verſicherung der Torys, England wolle den Fran- zoſen nicht eine beſtimmte Regierung aufzwingen, war keineswegs ehrlich gemeint, ſondern lediglich ein parlamentariſcher Schachzug. Die ſtarr legitimiſtiſche Geſinnung des Tory-Cabinets änderte ſich nicht; in ſeinen Augen war und blieb der König ohne Land der rechtmäßige Beherrſcher von Frankreich, und Europa war ſelbſtverſtändlich verpflichtet, durch einen royaliſtiſchen Kreuzzug den legitimen König wieder auf den Thron ſeiner Väter zurückzuführen, damit England als der hochherzige Beſchützer der dankbaren Bourbonen den herrſchenden Einfluß in den Tuilerien erhielte. In ſolchem Sinne wiederholte Wellington beſtändig: „Frankreich hat keine Feinde; dieſer Krieg iſt ein Krieg Europas, Frankreich mit eingeſchloſſen, gegen Buonaparte und ſein Heer.“ Darum durfte auch Niemand irgend welche Gebietsforderungen an Frankreich ſtellen. Voll hoher ſittlicher Entrüſtung, behaglich auf ihre wohlgefüllten Taſchen klopfend, ſprachen die Torys über die preußiſche Armuth und Habgier; ihr Neid gegen Deutſchland trat ſo gehäſſig hervor, daß ſelbſt die Gutherzigkeit der preu- ßiſchen Patrioten jetzt endlich über den wahren Charakter der britiſchen Handelspolitik ins Klare kam und Mancher, der ſeit Jahren ein glühender Bewunderer der engliſchen Hochherzigkeit geweſen, nunmehr ſein Urtheil berichtigte. Aber wie beſchränkt, heuchleriſch, engherzig die Politik der Torys auch erſchien, ſie allein unter den Verbündeten wußten genau was ſie wollten und verfolgten ihr Ziel mit hartnäckiger Ausdauer.
In der Hofburg fehlte es nicht an fanatiſchen Legitimiſten, die in das engliſche Horn blieſen. Adam Müller fand es ganz unbeſtreitbar, daß Ludwig XVIII. nunmehr ſchon ſeit vierundzwanzig Jahren regiere und Buonaparte nur ein Rebell ſei; ſonſt würde ja das göttliche Recht aller Throne geleugnet und „das lächerliche Recht der Völker, eine Art von Willen zu haben, anerkannt!“ Metternich ſelbſt dachte nüchterner, er hegte keine Vorliebe für die Bourbonen und behielt ſich vor, nach den Umſtänden zu handeln; aber da ſeine ruheſelige Natur jede zweifelhafte Neuerung verabſcheute und die Verträge von Paris und Wien ihm als ein unantaſtbares Werk ausbündiger diplomatiſcher Weisheit erſchienen, ſo durften die Torys hoffen, den öſterreichiſchen Freund allmählich zu ihrer Anſchauung hinüberzuziehen. Czar Alexander dagegen und König Friedrich Wilhelm konnten dem Bourbonen das Kriegsbündniß vom 3. Januar nicht verzeihen. Unter den preußiſchen Generalen war nur eine Stimme darüber, daß dies zugleich ſchwache und treulos undankbare Königshaus nicht zurückkehren dürfe; der Czar ſprach mit Wärme von dem liberaliſirenden Herzog von Orleans. Doch weder der Petersburger
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II. 2. Belle Alliance.
zu laſſen und dem Staate Frankreich, wie er ſich jetzt thatſächlich neu
geſtaltet hatte, den Krieg zu erklären. Aber dieſer allein richtige Schluß
ward nicht gezogen, da die Abſichten der verbündeten Mächte ſehr weit
auseinander gingen.
Jene ſalbungsvolle Verſicherung der Torys, England wolle den Fran-
zoſen nicht eine beſtimmte Regierung aufzwingen, war keineswegs ehrlich
gemeint, ſondern lediglich ein parlamentariſcher Schachzug. Die ſtarr
legitimiſtiſche Geſinnung des Tory-Cabinets änderte ſich nicht; in ſeinen
Augen war und blieb der König ohne Land der rechtmäßige Beherrſcher
von Frankreich, und Europa war ſelbſtverſtändlich verpflichtet, durch einen
royaliſtiſchen Kreuzzug den legitimen König wieder auf den Thron ſeiner
Väter zurückzuführen, damit England als der hochherzige Beſchützer der
dankbaren Bourbonen den herrſchenden Einfluß in den Tuilerien erhielte.
In ſolchem Sinne wiederholte Wellington beſtändig: „Frankreich hat keine
Feinde; dieſer Krieg iſt ein Krieg Europas, Frankreich mit eingeſchloſſen,
gegen Buonaparte und ſein Heer.“ Darum durfte auch Niemand irgend
welche Gebietsforderungen an Frankreich ſtellen. Voll hoher ſittlicher
Entrüſtung, behaglich auf ihre wohlgefüllten Taſchen klopfend, ſprachen
die Torys über die preußiſche Armuth und Habgier; ihr Neid gegen
Deutſchland trat ſo gehäſſig hervor, daß ſelbſt die Gutherzigkeit der preu-
ßiſchen Patrioten jetzt endlich über den wahren Charakter der britiſchen
Handelspolitik ins Klare kam und Mancher, der ſeit Jahren ein glühender
Bewunderer der engliſchen Hochherzigkeit geweſen, nunmehr ſein Urtheil
berichtigte. Aber wie beſchränkt, heuchleriſch, engherzig die Politik der Torys
auch erſchien, ſie allein unter den Verbündeten wußten genau was ſie
wollten und verfolgten ihr Ziel mit hartnäckiger Ausdauer.
In der Hofburg fehlte es nicht an fanatiſchen Legitimiſten, die in
das engliſche Horn blieſen. Adam Müller fand es ganz unbeſtreitbar,
daß Ludwig XVIII. nunmehr ſchon ſeit vierundzwanzig Jahren regiere
und Buonaparte nur ein Rebell ſei; ſonſt würde ja das göttliche Recht
aller Throne geleugnet und „das lächerliche Recht der Völker, eine Art
von Willen zu haben, anerkannt!“ Metternich ſelbſt dachte nüchterner,
er hegte keine Vorliebe für die Bourbonen und behielt ſich vor, nach den
Umſtänden zu handeln; aber da ſeine ruheſelige Natur jede zweifelhafte
Neuerung verabſcheute und die Verträge von Paris und Wien ihm als
ein unantaſtbares Werk ausbündiger diplomatiſcher Weisheit erſchienen,
ſo durften die Torys hoffen, den öſterreichiſchen Freund allmählich zu
ihrer Anſchauung hinüberzuziehen. Czar Alexander dagegen und König
Friedrich Wilhelm konnten dem Bourbonen das Kriegsbündniß vom 3.
Januar nicht verzeihen. Unter den preußiſchen Generalen war nur eine
Stimme darüber, daß dies zugleich ſchwache und treulos undankbare
Königshaus nicht zurückkehren dürfe; der Czar ſprach mit Wärme von
dem liberaliſirenden Herzog von Orleans. Doch weder der Petersburger
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 716. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/732>, abgerufen am 25.11.2024.
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