österreichischen Entwurf hineingebracht hatte, für den Deutschen Bund gerettet. Denn nur drei Wochen später ward die Schlacht von Belle- Alliance geschlagen, und wie hätten die Mittelstaaten dann noch wagen dürfen dem Deutschen Bunde fern zu bleiben? Der Vorschlag Preußens entsprach auch durchaus der wohlbegründeten Rechtsansicht, welche die drei verbündeten Höfe im November den Cabinetten von Stuttgart und Carlsruhe entgegengehalten hatten -- der Ansicht, daß die Kleinstaaten durch die Accessionsverträge verpflichtet waren dem Bunde beizutreten. Jetzt aber kam an den Tag, daß jene kräftigen November-Noten für Oesterreich und Hannover nur ein diplomatischer Schachzug gewesen waren. Metternich wollte von jener strengen Rechtsansicht nichts mehr wissen. Wie schon der Wessenbergische Entwurf die deutschen Fürsten nur be- scheiden "einlud", nach Belieben in den Bund einzutreten, so erklärte jetzt der österreichische Minister: irgend ein Zwang zum Eintritt dürfe gegen die deutschen Souveräne niemals, auch nicht mittelbar angewendet werden! Was kümmerten ihn auch das Bundesgericht und die Land- stände -- diese fixen Ideen der preußischen Politik, die man in der Hof- burg halb gleichgiltig halb mißtrauisch ansah? Sollte Oesterreich wegen solcher Dinge sich die Freundschaft der Mittelstaaten verscherzen?
Metternich lehnte den preußischen Vorschlag ab, und am 29. Mai setzte man die Conferenzen in der alten chaotischen Weise fort. Die Aussichten gestalteten sich immer düsterer, denn an diesem Tage wurde Hofrath von Globig, der Gesandte des endlich wieder hergestellten Königs von Sachsen, in die Versammlung eingeführt; durch ihn erhielten die centrifugalen Kräfte eine werthvolle Verstärkung. Globig trat natürlich mit seinem alten Gönner Metternich in vertrauliche Berathungen. Man erwog insgeheim, ob Sachsen nicht einem süddeutschen Bunde unter Oesterreichs Führung beitreten solle, gab aber den Gedanken rasch wieder auf; der Oesterreicher meinte: gegenwärtig erscheine ein gesammtdeutscher Bund doch als das geeignetste Mittel um den Ehrgeiz Preußens wirksam zu beschränken! Am 30. Mai besprach die Conferenz den Artikel über die Landtage. Der lautete jetzt, nachdem Oesterreich alle die in den preußischen Entwürfen vorgeschriebenen landständischen Rechte gestrichen hatte, ganz kurz: In allen deutschen Staaten soll eine landständische Verfassung bestehen. Gagern, allezeit ein ehrlicher Liberaler, fand diese Fassung zu nackt und unbefriedigend. Anderen erschien sie zu streng und gebieterisch; wer durfte sich denn herausnehmen, souveränen Fürsten mit einem "soll" irgend etwas zu befehlen? Die Mehrheit beschloß: "In allen deutschen Staaten wird eine landständische Verfassung stattfinden" -- statt eines Befehles eine Prophezeiung! Und mancher der Abstimmen- den hoffte schon insgeheim als ein falscher Prophet erfunden zu werden.
Der 2. Juni brachte die Katastrophe, den Triumph des Particula- rismus. Die deutsche Welt sollte erfahren, was die Wiederherstellung
Die Berathungen Aller.
öſterreichiſchen Entwurf hineingebracht hatte, für den Deutſchen Bund gerettet. Denn nur drei Wochen ſpäter ward die Schlacht von Belle- Alliance geſchlagen, und wie hätten die Mittelſtaaten dann noch wagen dürfen dem Deutſchen Bunde fern zu bleiben? Der Vorſchlag Preußens entſprach auch durchaus der wohlbegründeten Rechtsanſicht, welche die drei verbündeten Höfe im November den Cabinetten von Stuttgart und Carlsruhe entgegengehalten hatten — der Anſicht, daß die Kleinſtaaten durch die Acceſſionsverträge verpflichtet waren dem Bunde beizutreten. Jetzt aber kam an den Tag, daß jene kräftigen November-Noten für Oeſterreich und Hannover nur ein diplomatiſcher Schachzug geweſen waren. Metternich wollte von jener ſtrengen Rechtsanſicht nichts mehr wiſſen. Wie ſchon der Weſſenbergiſche Entwurf die deutſchen Fürſten nur be- ſcheiden „einlud“, nach Belieben in den Bund einzutreten, ſo erklärte jetzt der öſterreichiſche Miniſter: irgend ein Zwang zum Eintritt dürfe gegen die deutſchen Souveräne niemals, auch nicht mittelbar angewendet werden! Was kümmerten ihn auch das Bundesgericht und die Land- ſtände — dieſe fixen Ideen der preußiſchen Politik, die man in der Hof- burg halb gleichgiltig halb mißtrauiſch anſah? Sollte Oeſterreich wegen ſolcher Dinge ſich die Freundſchaft der Mittelſtaaten verſcherzen?
Metternich lehnte den preußiſchen Vorſchlag ab, und am 29. Mai ſetzte man die Conferenzen in der alten chaotiſchen Weiſe fort. Die Ausſichten geſtalteten ſich immer düſterer, denn an dieſem Tage wurde Hofrath von Globig, der Geſandte des endlich wieder hergeſtellten Königs von Sachſen, in die Verſammlung eingeführt; durch ihn erhielten die centrifugalen Kräfte eine werthvolle Verſtärkung. Globig trat natürlich mit ſeinem alten Gönner Metternich in vertrauliche Berathungen. Man erwog insgeheim, ob Sachſen nicht einem ſüddeutſchen Bunde unter Oeſterreichs Führung beitreten ſolle, gab aber den Gedanken raſch wieder auf; der Oeſterreicher meinte: gegenwärtig erſcheine ein geſammtdeutſcher Bund doch als das geeignetſte Mittel um den Ehrgeiz Preußens wirkſam zu beſchränken! Am 30. Mai beſprach die Conferenz den Artikel über die Landtage. Der lautete jetzt, nachdem Oeſterreich alle die in den preußiſchen Entwürfen vorgeſchriebenen landſtändiſchen Rechte geſtrichen hatte, ganz kurz: In allen deutſchen Staaten ſoll eine landſtändiſche Verfaſſung beſtehen. Gagern, allezeit ein ehrlicher Liberaler, fand dieſe Faſſung zu nackt und unbefriedigend. Anderen erſchien ſie zu ſtreng und gebieteriſch; wer durfte ſich denn herausnehmen, ſouveränen Fürſten mit einem „ſoll“ irgend etwas zu befehlen? Die Mehrheit beſchloß: „In allen deutſchen Staaten wird eine landſtändiſche Verfaſſung ſtattfinden“ — ſtatt eines Befehles eine Prophezeiung! Und mancher der Abſtimmen- den hoffte ſchon insgeheim als ein falſcher Prophet erfunden zu werden.
Der 2. Juni brachte die Kataſtrophe, den Triumph des Particula- rismus. Die deutſche Welt ſollte erfahren, was die Wiederherſtellung
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öſterreichiſchen Entwurf hineingebracht hatte, für den Deutſchen Bund
gerettet. Denn nur drei Wochen ſpäter ward die Schlacht von Belle-
Alliance geſchlagen, und wie hätten die Mittelſtaaten dann noch wagen
dürfen dem Deutſchen Bunde fern zu bleiben? Der Vorſchlag Preußens
entſprach auch durchaus der wohlbegründeten Rechtsanſicht, welche die
drei verbündeten Höfe im November den Cabinetten von Stuttgart und
Carlsruhe entgegengehalten hatten — der Anſicht, daß die Kleinſtaaten
durch die Acceſſionsverträge verpflichtet waren dem Bunde beizutreten.
Jetzt aber kam an den Tag, daß jene kräftigen November-Noten für
Oeſterreich und Hannover nur ein diplomatiſcher Schachzug geweſen waren.
Metternich wollte von jener ſtrengen Rechtsanſicht nichts mehr wiſſen.
Wie ſchon der Weſſenbergiſche Entwurf die deutſchen Fürſten nur be-
ſcheiden „einlud“, nach Belieben in den Bund einzutreten, ſo erklärte
jetzt der öſterreichiſche Miniſter: irgend ein Zwang zum Eintritt dürfe
gegen die deutſchen Souveräne niemals, auch nicht mittelbar angewendet
werden! Was kümmerten ihn auch das Bundesgericht und die Land-
ſtände — dieſe fixen Ideen der preußiſchen Politik, die man in der Hof-
burg halb gleichgiltig halb mißtrauiſch anſah? Sollte Oeſterreich wegen
ſolcher Dinge ſich die Freundſchaft der Mittelſtaaten verſcherzen?
Metternich lehnte den preußiſchen Vorſchlag ab, und am 29. Mai
ſetzte man die Conferenzen in der alten chaotiſchen Weiſe fort. Die
Ausſichten geſtalteten ſich immer düſterer, denn an dieſem Tage wurde
Hofrath von Globig, der Geſandte des endlich wieder hergeſtellten Königs
von Sachſen, in die Verſammlung eingeführt; durch ihn erhielten die
centrifugalen Kräfte eine werthvolle Verſtärkung. Globig trat natürlich
mit ſeinem alten Gönner Metternich in vertrauliche Berathungen. Man
erwog insgeheim, ob Sachſen nicht einem ſüddeutſchen Bunde unter
Oeſterreichs Führung beitreten ſolle, gab aber den Gedanken raſch wieder
auf; der Oeſterreicher meinte: gegenwärtig erſcheine ein geſammtdeutſcher
Bund doch als das geeignetſte Mittel um den Ehrgeiz Preußens wirkſam
zu beſchränken! Am 30. Mai beſprach die Conferenz den Artikel über
die Landtage. Der lautete jetzt, nachdem Oeſterreich alle die in den
preußiſchen Entwürfen vorgeſchriebenen landſtändiſchen Rechte geſtrichen
hatte, ganz kurz: In allen deutſchen Staaten ſoll eine landſtändiſche
Verfaſſung beſtehen. Gagern, allezeit ein ehrlicher Liberaler, fand dieſe
Faſſung zu nackt und unbefriedigend. Anderen erſchien ſie zu ſtreng und
gebieteriſch; wer durfte ſich denn herausnehmen, ſouveränen Fürſten mit
einem „ſoll“ irgend etwas zu befehlen? Die Mehrheit beſchloß: „In
allen deutſchen Staaten wird eine landſtändiſche Verfaſſung ſtattfinden“
— ſtatt eines Befehles eine Prophezeiung! Und mancher der Abſtimmen-
den hoffte ſchon insgeheim als ein falſcher Prophet erfunden zu werden.
Der 2. Juni brachte die Kataſtrophe, den Triumph des Particula-
rismus. Die deutſche Welt ſollte erfahren, was die Wiederherſtellung
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 699. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/715>, abgerufen am 16.02.2025.
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