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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Der deutsche Fünfer-Ausschuß.
der beiden Großmächte war lediglich die diplomatische Convenienz; sie
hielten für unmöglich durch eine Verhandlung mit allen deutschen Staaten
irgend ein Ergebniß zu erzielen. Der Erfolg lehrte jedoch, daß in dem
wunderbaren Wirrsal der deutschen Politik das Leichte oft schwer und das
Unwahrscheinliche möglich ist. Die Bundesverfassung kam erst zu Stande
als man den bunten Haufen der gesammten Kleinstaaten zur Berathung
heranrief. Die Verhandlungen des Fünfer-Ausschusses dagegen, die sich
in dreizehn stürmischen Sitzungen bis zum 16. November hinzogen, ver-
liefen ohne jedes Ergebniß; denn unter den auserwählten fünf Staaten
tagten die beiden boshaftesten Feinde der deutschen Einheit, Baiern und
Württemberg.

Sie hatten beide, Baiern ohne jede Bedingung, Württemberg unter
einem nichtssagenden Vorbehalt, die volle Souveränität zugesichert erhal-
ten; ermuthigt durch die unbillige Gunst, welche ihnen die Großmächte
gewährten, entfalteten sie sofort, wie Stein entrüstet sagte, ihr System
"der Vereinzelung gegen den Bund, des Ehrgeizes gegen die Kleinstaa-
ten, des Despotismus gegen das eigene Land." Ihre Absicht war, wie
die preußischen Staatsmänner sogleich erriethen, die Entscheidung der
deutschen Verfassungsfrage so lange hinauszuschieben, bis ihre eigenen
Gebietsansprüche nach Wunsch erledigt seien.*) Mit seiner gewohnten
brutalen Grobheit versicherte Wrede sofort, die europäische Macht Baiern
habe gar kein "persönliches Interesse" an dem Deutschen Bunde, sie
könne durch Anschluß an Frankreich weit größere Vortheile erlangen und
wolle nur aus freundlicher Nachgiebigkeit gegen den allgemeinen Wunsch
dem Vereine der deutschen Souveräne beitreten. Noch nach dem Congresse
gestand Montgelas dem preußischen Gesandten von Küster "seine äußerste
Gleichgiltigkeit gegen den Deutschen Bund: warum sollten denn die
deutschen Staaten nicht wie die italienischen ganz selbständig neben ein-
ander leben, verbunden nur durch gute Nachbarschaft und gegenseitige
freie Convenienz?"**)

Nichts lag den preußischen Staatsmännern ferner als eine radicale
unitarische Politik. Während in Steins Augen der Einheitsstaat immer
das Ideal blieb, theilten Hardenberg und Humboldt aus voller Ueber-
zeugung den allgemeinen Glauben an die culturfördernde Macht der
Kleinstaaterei. Knesebeck führte in seiner doctrinären Weise wiederholt
den Gedanken aus, Deutschland werde nur durch die Buntheit seiner
politischen Zustände fähig den Mittelpunkt Europas zu bilden; er wollte
"dies Centrum als Palladium für die freie Association und Erhal-
tung des Gleichgewichts auch dadurch stempeln, daß es Beides auch
in sich darstellen soll."***) Aber wie bescheiden auch die Wünsche der

*) So Humboldt in dem oben erwähnten Systematischen Verzeichniß.
**) Küsters Bericht, München 28. August 1815.
***) Knesebecks Denkschrift vom 7. Januar 1814.

Der deutſche Fünfer-Ausſchuß.
der beiden Großmächte war lediglich die diplomatiſche Convenienz; ſie
hielten für unmöglich durch eine Verhandlung mit allen deutſchen Staaten
irgend ein Ergebniß zu erzielen. Der Erfolg lehrte jedoch, daß in dem
wunderbaren Wirrſal der deutſchen Politik das Leichte oft ſchwer und das
Unwahrſcheinliche möglich iſt. Die Bundesverfaſſung kam erſt zu Stande
als man den bunten Haufen der geſammten Kleinſtaaten zur Berathung
heranrief. Die Verhandlungen des Fünfer-Ausſchuſſes dagegen, die ſich
in dreizehn ſtürmiſchen Sitzungen bis zum 16. November hinzogen, ver-
liefen ohne jedes Ergebniß; denn unter den auserwählten fünf Staaten
tagten die beiden boshafteſten Feinde der deutſchen Einheit, Baiern und
Württemberg.

Sie hatten beide, Baiern ohne jede Bedingung, Württemberg unter
einem nichtsſagenden Vorbehalt, die volle Souveränität zugeſichert erhal-
ten; ermuthigt durch die unbillige Gunſt, welche ihnen die Großmächte
gewährten, entfalteten ſie ſofort, wie Stein entrüſtet ſagte, ihr Syſtem
„der Vereinzelung gegen den Bund, des Ehrgeizes gegen die Kleinſtaa-
ten, des Despotismus gegen das eigene Land.“ Ihre Abſicht war, wie
die preußiſchen Staatsmänner ſogleich erriethen, die Entſcheidung der
deutſchen Verfaſſungsfrage ſo lange hinauszuſchieben, bis ihre eigenen
Gebietsanſprüche nach Wunſch erledigt ſeien.*) Mit ſeiner gewohnten
brutalen Grobheit verſicherte Wrede ſofort, die europäiſche Macht Baiern
habe gar kein „perſönliches Intereſſe“ an dem Deutſchen Bunde, ſie
könne durch Anſchluß an Frankreich weit größere Vortheile erlangen und
wolle nur aus freundlicher Nachgiebigkeit gegen den allgemeinen Wunſch
dem Vereine der deutſchen Souveräne beitreten. Noch nach dem Congreſſe
geſtand Montgelas dem preußiſchen Geſandten von Küſter „ſeine äußerſte
Gleichgiltigkeit gegen den Deutſchen Bund: warum ſollten denn die
deutſchen Staaten nicht wie die italieniſchen ganz ſelbſtändig neben ein-
ander leben, verbunden nur durch gute Nachbarſchaft und gegenſeitige
freie Convenienz?“**)

Nichts lag den preußiſchen Staatsmännern ferner als eine radicale
unitariſche Politik. Während in Steins Augen der Einheitsſtaat immer
das Ideal blieb, theilten Hardenberg und Humboldt aus voller Ueber-
zeugung den allgemeinen Glauben an die culturfördernde Macht der
Kleinſtaaterei. Kneſebeck führte in ſeiner doctrinären Weiſe wiederholt
den Gedanken aus, Deutſchland werde nur durch die Buntheit ſeiner
politiſchen Zuſtände fähig den Mittelpunkt Europas zu bilden; er wollte
„dies Centrum als Palladium für die freie Aſſociation und Erhal-
tung des Gleichgewichts auch dadurch ſtempeln, daß es Beides auch
in ſich darſtellen ſoll.“***) Aber wie beſcheiden auch die Wünſche der

*) So Humboldt in dem oben erwähnten Syſtematiſchen Verzeichniß.
**) Küſters Bericht, München 28. Auguſt 1815.
***) Kneſebecks Denkſchrift vom 7. Januar 1814.
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[683/0699] Der deutſche Fünfer-Ausſchuß. der beiden Großmächte war lediglich die diplomatiſche Convenienz; ſie hielten für unmöglich durch eine Verhandlung mit allen deutſchen Staaten irgend ein Ergebniß zu erzielen. Der Erfolg lehrte jedoch, daß in dem wunderbaren Wirrſal der deutſchen Politik das Leichte oft ſchwer und das Unwahrſcheinliche möglich iſt. Die Bundesverfaſſung kam erſt zu Stande als man den bunten Haufen der geſammten Kleinſtaaten zur Berathung heranrief. Die Verhandlungen des Fünfer-Ausſchuſſes dagegen, die ſich in dreizehn ſtürmiſchen Sitzungen bis zum 16. November hinzogen, ver- liefen ohne jedes Ergebniß; denn unter den auserwählten fünf Staaten tagten die beiden boshafteſten Feinde der deutſchen Einheit, Baiern und Württemberg. Sie hatten beide, Baiern ohne jede Bedingung, Württemberg unter einem nichtsſagenden Vorbehalt, die volle Souveränität zugeſichert erhal- ten; ermuthigt durch die unbillige Gunſt, welche ihnen die Großmächte gewährten, entfalteten ſie ſofort, wie Stein entrüſtet ſagte, ihr Syſtem „der Vereinzelung gegen den Bund, des Ehrgeizes gegen die Kleinſtaa- ten, des Despotismus gegen das eigene Land.“ Ihre Abſicht war, wie die preußiſchen Staatsmänner ſogleich erriethen, die Entſcheidung der deutſchen Verfaſſungsfrage ſo lange hinauszuſchieben, bis ihre eigenen Gebietsanſprüche nach Wunſch erledigt ſeien. *) Mit ſeiner gewohnten brutalen Grobheit verſicherte Wrede ſofort, die europäiſche Macht Baiern habe gar kein „perſönliches Intereſſe“ an dem Deutſchen Bunde, ſie könne durch Anſchluß an Frankreich weit größere Vortheile erlangen und wolle nur aus freundlicher Nachgiebigkeit gegen den allgemeinen Wunſch dem Vereine der deutſchen Souveräne beitreten. Noch nach dem Congreſſe geſtand Montgelas dem preußiſchen Geſandten von Küſter „ſeine äußerſte Gleichgiltigkeit gegen den Deutſchen Bund: warum ſollten denn die deutſchen Staaten nicht wie die italieniſchen ganz ſelbſtändig neben ein- ander leben, verbunden nur durch gute Nachbarſchaft und gegenſeitige freie Convenienz?“ **) Nichts lag den preußiſchen Staatsmännern ferner als eine radicale unitariſche Politik. Während in Steins Augen der Einheitsſtaat immer das Ideal blieb, theilten Hardenberg und Humboldt aus voller Ueber- zeugung den allgemeinen Glauben an die culturfördernde Macht der Kleinſtaaterei. Kneſebeck führte in ſeiner doctrinären Weiſe wiederholt den Gedanken aus, Deutſchland werde nur durch die Buntheit ſeiner politiſchen Zuſtände fähig den Mittelpunkt Europas zu bilden; er wollte „dies Centrum als Palladium für die freie Aſſociation und Erhal- tung des Gleichgewichts auch dadurch ſtempeln, daß es Beides auch in ſich darſtellen ſoll.“ ***) Aber wie beſcheiden auch die Wünſche der *) So Humboldt in dem oben erwähnten Syſtematiſchen Verzeichniß. **) Küſters Bericht, München 28. Auguſt 1815. ***) Kneſebecks Denkſchrift vom 7. Januar 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/699>, abgerufen am 25.11.2024.