verpflichten. Ueber diesem Chaos steht ein Bundestag in Wien, geleitet von dem Protector Oesterreich und dem Erzkanzler Preußen. Noch deut- licher sprach jener Gehilfe Münsters, Sartorius in einer Flugschrift, die einen Sonderbund aller Mittel- und Kleinstaaten empfahl. Das Aeußerste leistete ein in der diplomatischen Welt insgeheim verbreitetes Schriftchen "Zum Wiener Congreß", das wahrscheinlich mit La Besnardieres Beihilfe verfaßt war: hier ward ungescheut die Wiederherstellung des Rheinbundes für den Süden und Westen angerathen, der Norden mochte sich an Preußen halten. Aber auch ein wohlgemeintes patriotisches Buch ("Ideen über die Bildung eines freien germanischen Staatenbundes") verlangte die Bildung einer Foederation der Kleinstaaten unter Baierns Führung. Der Verfasser war wahrscheinlich der Leipziger Buchhändler Baumgärtner, Generalconsul des Königs von Preußen. Die unglaubliche Begriffsver- wirrung der beiden nächsten Jahrzehnte kündigte sich schon an in der charakteristischen Thatsache, daß sogleich nach dem Befreiungskriege ein wackerer, verständiger Deutscher in aller Unschuld den preußischen Staat als eine halbfremde Macht behandeln konnte!
Die altpreußischen Provinzen verhielten sich gänzlich schweigsam in diesem Federkriege. Die Natur forderte ihre Rechte nach der krampfhaften Anspannung des ungleichen Kampfes; manche der Einsichtigen fühlten wohl auch, daß der Traum des preußischen Kaiserthums, der in den Kreisen der Freiwilligen so oft besprochen worden, für jetzt ganz unmög- lich blieb. Nur in den Deutschen Blättern des wackeren Leipziger Buch- händlers F. A. Brockhaus ward einmal eine Stimme laut, die den An- sprüchen Preußens einigermaßen gerecht wurde. Ein Artikel "Tantae molis erit Germanam condere gentem" zeigte mit einer damals uner- hörten Nüchternheit: für den Einheitsstaat, der unser Ziel bleiben müsse, sei der rechte Augenblick noch nicht gekommen; von der Erneuerung der alten sogenannten freien Foederativverfassung könne man aber nichts An- deres erwarten als die Wiederkehr jener elenden Zeiten, da Deutschland "das allgemeine Wirths-, Werb- und Hurenhaus von ganz Europa war". Vorderhand bleibe den Deutschen lediglich die Aufgabe, den Ausbau der Freiheit im Innern zu sichern, und in dieser Hinsicht biete nur ein Staat Grund zur Hoffnung: Preußen. Der also schrieb wagte noch kaum zwischen den Zeilen anzudeuten, daß er von Preußen dereinst auch die Vollendung der nationalen Einheit erwartete.
Wie viel tapferer ging der Adjutant Karl Augusts, der junge Thon auf die Frage der deutschen Zukunft los -- derselbe, der späterhin als Leiter des Weimarischen Finanzwesens in der Geschichte des Zollvereins eine Rolle spielen sollte. Er hatte unter den Lützow'schen Jägern mitge- fochten und sich die stolzen patriotischen Stimmungen der Kriegszeit auch während des Congresses treu bewahrt. Als er nun das unvermeidliche Mißlingen der Wiener Verhandlungen vor Augen sah, schrieb er kurz,
Particulariſtiſche Schriften. Thon.
verpflichten. Ueber dieſem Chaos ſteht ein Bundestag in Wien, geleitet von dem Protector Oeſterreich und dem Erzkanzler Preußen. Noch deut- licher ſprach jener Gehilfe Münſters, Sartorius in einer Flugſchrift, die einen Sonderbund aller Mittel- und Kleinſtaaten empfahl. Das Aeußerſte leiſtete ein in der diplomatiſchen Welt insgeheim verbreitetes Schriftchen „Zum Wiener Congreß“, das wahrſcheinlich mit La Besnardieres Beihilfe verfaßt war: hier ward ungeſcheut die Wiederherſtellung des Rheinbundes für den Süden und Weſten angerathen, der Norden mochte ſich an Preußen halten. Aber auch ein wohlgemeintes patriotiſches Buch („Ideen über die Bildung eines freien germaniſchen Staatenbundes“) verlangte die Bildung einer Foederation der Kleinſtaaten unter Baierns Führung. Der Verfaſſer war wahrſcheinlich der Leipziger Buchhändler Baumgärtner, Generalconſul des Königs von Preußen. Die unglaubliche Begriffsver- wirrung der beiden nächſten Jahrzehnte kündigte ſich ſchon an in der charakteriſtiſchen Thatſache, daß ſogleich nach dem Befreiungskriege ein wackerer, verſtändiger Deutſcher in aller Unſchuld den preußiſchen Staat als eine halbfremde Macht behandeln konnte!
Die altpreußiſchen Provinzen verhielten ſich gänzlich ſchweigſam in dieſem Federkriege. Die Natur forderte ihre Rechte nach der krampfhaften Anſpannung des ungleichen Kampfes; manche der Einſichtigen fühlten wohl auch, daß der Traum des preußiſchen Kaiſerthums, der in den Kreiſen der Freiwilligen ſo oft beſprochen worden, für jetzt ganz unmög- lich blieb. Nur in den Deutſchen Blättern des wackeren Leipziger Buch- händlers F. A. Brockhaus ward einmal eine Stimme laut, die den An- ſprüchen Preußens einigermaßen gerecht wurde. Ein Artikel „Tantae molis erit Germanam condere gentem“ zeigte mit einer damals uner- hörten Nüchternheit: für den Einheitsſtaat, der unſer Ziel bleiben müſſe, ſei der rechte Augenblick noch nicht gekommen; von der Erneuerung der alten ſogenannten freien Foederativverfaſſung könne man aber nichts An- deres erwarten als die Wiederkehr jener elenden Zeiten, da Deutſchland „das allgemeine Wirths-, Werb- und Hurenhaus von ganz Europa war“. Vorderhand bleibe den Deutſchen lediglich die Aufgabe, den Ausbau der Freiheit im Innern zu ſichern, und in dieſer Hinſicht biete nur ein Staat Grund zur Hoffnung: Preußen. Der alſo ſchrieb wagte noch kaum zwiſchen den Zeilen anzudeuten, daß er von Preußen dereinſt auch die Vollendung der nationalen Einheit erwartete.
Wie viel tapferer ging der Adjutant Karl Auguſts, der junge Thon auf die Frage der deutſchen Zukunft los — derſelbe, der ſpäterhin als Leiter des Weimariſchen Finanzweſens in der Geſchichte des Zollvereins eine Rolle ſpielen ſollte. Er hatte unter den Lützow’ſchen Jägern mitge- fochten und ſich die ſtolzen patriotiſchen Stimmungen der Kriegszeit auch während des Congreſſes treu bewahrt. Als er nun das unvermeidliche Mißlingen der Wiener Verhandlungen vor Augen ſah, ſchrieb er kurz,
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Particulariſtiſche Schriften. Thon.
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von dem Protector Oeſterreich und dem Erzkanzler Preußen. Noch deut-
licher ſprach jener Gehilfe Münſters, Sartorius in einer Flugſchrift, die
einen Sonderbund aller Mittel- und Kleinſtaaten empfahl. Das Aeußerſte
leiſtete ein in der diplomatiſchen Welt insgeheim verbreitetes Schriftchen
„Zum Wiener Congreß“, das wahrſcheinlich mit La Besnardieres Beihilfe
verfaßt war: hier ward ungeſcheut die Wiederherſtellung des Rheinbundes
für den Süden und Weſten angerathen, der Norden mochte ſich an Preußen
halten. Aber auch ein wohlgemeintes patriotiſches Buch („Ideen über
die Bildung eines freien germaniſchen Staatenbundes“) verlangte die
Bildung einer Foederation der Kleinſtaaten unter Baierns Führung. Der
Verfaſſer war wahrſcheinlich der Leipziger Buchhändler Baumgärtner,
Generalconſul des Königs von Preußen. Die unglaubliche Begriffsver-
wirrung der beiden nächſten Jahrzehnte kündigte ſich ſchon an in der
charakteriſtiſchen Thatſache, daß ſogleich nach dem Befreiungskriege ein
wackerer, verſtändiger Deutſcher in aller Unſchuld den preußiſchen Staat
als eine halbfremde Macht behandeln konnte!
Die altpreußiſchen Provinzen verhielten ſich gänzlich ſchweigſam in
dieſem Federkriege. Die Natur forderte ihre Rechte nach der krampfhaften
Anſpannung des ungleichen Kampfes; manche der Einſichtigen fühlten
wohl auch, daß der Traum des preußiſchen Kaiſerthums, der in den
Kreiſen der Freiwilligen ſo oft beſprochen worden, für jetzt ganz unmög-
lich blieb. Nur in den Deutſchen Blättern des wackeren Leipziger Buch-
händlers F. A. Brockhaus ward einmal eine Stimme laut, die den An-
ſprüchen Preußens einigermaßen gerecht wurde. Ein Artikel „Tantae
molis erit Germanam condere gentem“ zeigte mit einer damals uner-
hörten Nüchternheit: für den Einheitsſtaat, der unſer Ziel bleiben müſſe,
ſei der rechte Augenblick noch nicht gekommen; von der Erneuerung der
alten ſogenannten freien Foederativverfaſſung könne man aber nichts An-
deres erwarten als die Wiederkehr jener elenden Zeiten, da Deutſchland
„das allgemeine Wirths-, Werb- und Hurenhaus von ganz Europa war“.
Vorderhand bleibe den Deutſchen lediglich die Aufgabe, den Ausbau der
Freiheit im Innern zu ſichern, und in dieſer Hinſicht biete nur ein Staat
Grund zur Hoffnung: Preußen. Der alſo ſchrieb wagte noch kaum
zwiſchen den Zeilen anzudeuten, daß er von Preußen dereinſt auch die
Vollendung der nationalen Einheit erwartete.
Wie viel tapferer ging der Adjutant Karl Auguſts, der junge Thon
auf die Frage der deutſchen Zukunft los — derſelbe, der ſpäterhin als
Leiter des Weimariſchen Finanzweſens in der Geſchichte des Zollvereins
eine Rolle ſpielen ſollte. Er hatte unter den Lützow’ſchen Jägern mitge-
fochten und ſich die ſtolzen patriotiſchen Stimmungen der Kriegszeit auch
während des Congreſſes treu bewahrt. Als er nun das unvermeidliche
Mißlingen der Wiener Verhandlungen vor Augen ſah, ſchrieb er kurz,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 677. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/693>, abgerufen am 25.11.2024.
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