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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 1. Der Wiener Congreß.
werbung ermöglicht durch gewandte Benutzung der wirrenreichen Streitig-
keiten, welche die skandinavische Welt erschütterten.

Um die Dänen in Güte zur Abtretung von Vorpommern zu be-
wegen, mußte man zunächst mit dem unbequemen kleinen Nachbarn wieder
in freundlichen Verkehr treten. Es bezeichnet Hardenbergs finassirende
Art, daß er ganz unbedenklich am 25. August 1814 mit Dänemark zu
Berlin Frieden schloß. Die Witzbolde bespöttelten den Hardenbergischen
Familienfrieden; der Staatskanzler unterzeichnete für Preußen, sein dem
Vater ganz entfremdeter Sohn Graf Hardenberg-Reventlow für Däne-
mark. Der Vertrag enthielt, da die beiden Mächte kaum ernstlich gegen
einander gefochten hatten, nur die einfache Bestätigung des Kieler Frie-
dens und die Wiederholung der dort gegebenen Zusage, daß Dänemark
für Norwegen, außer Schwedisch-Pommern, noch weitere Entschädigungen
erhalten sollte. Von Helgoland, das der Kieler Friede endgiltig an England
gegeben hatte, ist weder bei diesen Berliner Verhandlungen noch später
auf dem Wiener Congresse irgend die Rede gewesen. Man hatte kein
Recht, die Insel für Deutschland zu fordern, da sie nie zum alten Reiche
gehörte; die binnenländische Beschränktheit der deutschen Politik wußte den
Werth des Platzes nicht zu würdigen, der doch soeben erst, in den Tagen
der Continentalsperre, seine Bedeutung für den deutschen Handel gezeigt
hatte. Die allgemeine Begeisterung für das großmüthige Albion fand kein
Arg daran, daß sich England in aller Stille ein kleines norddeutsches
Gibraltar gründete.

Im Vertrauen auf diese Verträge kam der König von Dänemark
nach Wien und hoffte dort, außer Vorpommern auch noch Lübeck und Ham-
burg oder mindestens das Fürstenthum Lübeck zu gewinnen. Er wurde
der Bruder Lustig der erlauchten Gesellschaft, man lachte viel über seine
drolligen Matrosenspäße; doch seine Politik fand nirgends Unterstützung,
der getreue Bundesgenosse Napoleons stand unter den Staatsmännern
der Legitimität ganz vereinsamt. Lord Castlereagh meinte sich nicht ver-
pflichtet, dem kleinen Staate, welchen England zweimal räuberisch überfallen
hatte, jetzt wenigstens das gegebene Wort zu halten. Der Dänenkönig
erreichte nur den Fortbestand des Sundzolles, allerdings ein werthvolles
Zugeständniß für die dänischen Finanzen. Als ihm Metternich beim Ab-
schiede zurief: Sire, vous emportez tous les coeurs! -- gab der Be-
trogene seufzend zur Antwort: mais pas une seule ame. Währenddem
war auch Vorpommern den Dänen verloren gegangen. Die Norweger,
geführt von ihrem Statthalter, dem dänischen Prinzen Christian, hatten
sich dem Kieler Frieden widersetzt, ihrem Lande eine selbständige Verfassung
gegeben und den Statthalter zum König erwählt; darauf war Bernadotte
mit seinen Schweden eingerückt, bis nach einem Feldzuge von vierzehn
Tagen Prinz Christian in dem Vertrage von Moß (14. August 1814)
seine Ansprüche aufgab. Durch Verhandlungen zwischen der Krone Schwe-

II. 1. Der Wiener Congreß.
werbung ermöglicht durch gewandte Benutzung der wirrenreichen Streitig-
keiten, welche die ſkandinaviſche Welt erſchütterten.

Um die Dänen in Güte zur Abtretung von Vorpommern zu be-
wegen, mußte man zunächſt mit dem unbequemen kleinen Nachbarn wieder
in freundlichen Verkehr treten. Es bezeichnet Hardenbergs finaſſirende
Art, daß er ganz unbedenklich am 25. Auguſt 1814 mit Dänemark zu
Berlin Frieden ſchloß. Die Witzbolde beſpöttelten den Hardenbergiſchen
Familienfrieden; der Staatskanzler unterzeichnete für Preußen, ſein dem
Vater ganz entfremdeter Sohn Graf Hardenberg-Reventlow für Däne-
mark. Der Vertrag enthielt, da die beiden Mächte kaum ernſtlich gegen
einander gefochten hatten, nur die einfache Beſtätigung des Kieler Frie-
dens und die Wiederholung der dort gegebenen Zuſage, daß Dänemark
für Norwegen, außer Schwediſch-Pommern, noch weitere Entſchädigungen
erhalten ſollte. Von Helgoland, das der Kieler Friede endgiltig an England
gegeben hatte, iſt weder bei dieſen Berliner Verhandlungen noch ſpäter
auf dem Wiener Congreſſe irgend die Rede geweſen. Man hatte kein
Recht, die Inſel für Deutſchland zu fordern, da ſie nie zum alten Reiche
gehörte; die binnenländiſche Beſchränktheit der deutſchen Politik wußte den
Werth des Platzes nicht zu würdigen, der doch ſoeben erſt, in den Tagen
der Continentalſperre, ſeine Bedeutung für den deutſchen Handel gezeigt
hatte. Die allgemeine Begeiſterung für das großmüthige Albion fand kein
Arg daran, daß ſich England in aller Stille ein kleines norddeutſches
Gibraltar gründete.

Im Vertrauen auf dieſe Verträge kam der König von Dänemark
nach Wien und hoffte dort, außer Vorpommern auch noch Lübeck und Ham-
burg oder mindeſtens das Fürſtenthum Lübeck zu gewinnen. Er wurde
der Bruder Luſtig der erlauchten Geſellſchaft, man lachte viel über ſeine
drolligen Matroſenſpäße; doch ſeine Politik fand nirgends Unterſtützung,
der getreue Bundesgenoſſe Napoleons ſtand unter den Staatsmännern
der Legitimität ganz vereinſamt. Lord Caſtlereagh meinte ſich nicht ver-
pflichtet, dem kleinen Staate, welchen England zweimal räuberiſch überfallen
hatte, jetzt wenigſtens das gegebene Wort zu halten. Der Dänenkönig
erreichte nur den Fortbeſtand des Sundzolles, allerdings ein werthvolles
Zugeſtändniß für die däniſchen Finanzen. Als ihm Metternich beim Ab-
ſchiede zurief: Sire, vous emportez tous les coeurs! — gab der Be-
trogene ſeufzend zur Antwort: mais pas une seule âme. Währenddem
war auch Vorpommern den Dänen verloren gegangen. Die Norweger,
geführt von ihrem Statthalter, dem däniſchen Prinzen Chriſtian, hatten
ſich dem Kieler Frieden widerſetzt, ihrem Lande eine ſelbſtändige Verfaſſung
gegeben und den Statthalter zum König erwählt; darauf war Bernadotte
mit ſeinen Schweden eingerückt, bis nach einem Feldzuge von vierzehn
Tagen Prinz Chriſtian in dem Vertrage von Moß (14. Auguſt 1814)
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[662/0678] II. 1. Der Wiener Congreß. werbung ermöglicht durch gewandte Benutzung der wirrenreichen Streitig- keiten, welche die ſkandinaviſche Welt erſchütterten. Um die Dänen in Güte zur Abtretung von Vorpommern zu be- wegen, mußte man zunächſt mit dem unbequemen kleinen Nachbarn wieder in freundlichen Verkehr treten. Es bezeichnet Hardenbergs finaſſirende Art, daß er ganz unbedenklich am 25. Auguſt 1814 mit Dänemark zu Berlin Frieden ſchloß. Die Witzbolde beſpöttelten den Hardenbergiſchen Familienfrieden; der Staatskanzler unterzeichnete für Preußen, ſein dem Vater ganz entfremdeter Sohn Graf Hardenberg-Reventlow für Däne- mark. Der Vertrag enthielt, da die beiden Mächte kaum ernſtlich gegen einander gefochten hatten, nur die einfache Beſtätigung des Kieler Frie- dens und die Wiederholung der dort gegebenen Zuſage, daß Dänemark für Norwegen, außer Schwediſch-Pommern, noch weitere Entſchädigungen erhalten ſollte. Von Helgoland, das der Kieler Friede endgiltig an England gegeben hatte, iſt weder bei dieſen Berliner Verhandlungen noch ſpäter auf dem Wiener Congreſſe irgend die Rede geweſen. Man hatte kein Recht, die Inſel für Deutſchland zu fordern, da ſie nie zum alten Reiche gehörte; die binnenländiſche Beſchränktheit der deutſchen Politik wußte den Werth des Platzes nicht zu würdigen, der doch ſoeben erſt, in den Tagen der Continentalſperre, ſeine Bedeutung für den deutſchen Handel gezeigt hatte. Die allgemeine Begeiſterung für das großmüthige Albion fand kein Arg daran, daß ſich England in aller Stille ein kleines norddeutſches Gibraltar gründete. Im Vertrauen auf dieſe Verträge kam der König von Dänemark nach Wien und hoffte dort, außer Vorpommern auch noch Lübeck und Ham- burg oder mindeſtens das Fürſtenthum Lübeck zu gewinnen. Er wurde der Bruder Luſtig der erlauchten Geſellſchaft, man lachte viel über ſeine drolligen Matroſenſpäße; doch ſeine Politik fand nirgends Unterſtützung, der getreue Bundesgenoſſe Napoleons ſtand unter den Staatsmännern der Legitimität ganz vereinſamt. Lord Caſtlereagh meinte ſich nicht ver- pflichtet, dem kleinen Staate, welchen England zweimal räuberiſch überfallen hatte, jetzt wenigſtens das gegebene Wort zu halten. Der Dänenkönig erreichte nur den Fortbeſtand des Sundzolles, allerdings ein werthvolles Zugeſtändniß für die däniſchen Finanzen. Als ihm Metternich beim Ab- ſchiede zurief: Sire, vous emportez tous les coeurs! — gab der Be- trogene ſeufzend zur Antwort: mais pas une seule âme. Währenddem war auch Vorpommern den Dänen verloren gegangen. Die Norweger, geführt von ihrem Statthalter, dem däniſchen Prinzen Chriſtian, hatten ſich dem Kieler Frieden widerſetzt, ihrem Lande eine ſelbſtändige Verfaſſung gegeben und den Statthalter zum König erwählt; darauf war Bernadotte mit ſeinen Schweden eingerückt, bis nach einem Feldzuge von vierzehn Tagen Prinz Chriſtian in dem Vertrage von Moß (14. Auguſt 1814) ſeine Anſprüche aufgab. Durch Verhandlungen zwiſchen der Krone Schwe-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 662. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/678>, abgerufen am 22.11.2024.