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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Italien. Orient.
reits daran gewöhnt, daß alle seine großen Friedensschlüsse von den Ver-
wünschungen der Curie begleitet wurden. Dem preußischen Geschäftsträger
Piquot aber sprach der Nuntius den warmen Dank des Papstes aus
für das Wohlwollen, das der Staatskanzler der katholischen Kirche be-
wiesen habe.*)

Ueber die orientalischen Händel wurde keine Verständigung erzielt.
Nirgends zeigte sich so grell wie hier der trotz allem äußeren Glanze un-
verkennbare innere Verfall der österreichischen Monarchie. Derselbe Staat,
der einst, als die Osmanen mächtig waren, der Vorkämpfer der christlichen
Welt gegen den Islam gewesen, überließ jetzt, da die Pforte am Boden
lag, muthlos, blind für die Zeichen der Zeit, der russischen Politik die
Vollendung seines eigenen Werkes. Im Februar legte der Czar den
Mächten einen umfassenden Entwurf vor, wornach sie sich allesammt ver-
pflichten sollten für die Menschenrechte der Rajah einzutreten, Rußland
insbesondere als Protector der Orthodoxen, Oesterreich und Frankreich
als Beschützer der Lateiner. Es gebe, sagte die russische Note, ein unge-
schriebenes Gesetzbuch des Völkerrechts, das in voller Kraft bestehe und
allen Völkern Gleichheit der Rechte verbürge. Entrüstet wies Metternich
den revolutionären Vorschlag zurück. Doch ebenso wenig war der Czar
geneigt die von der Hofburg gewünschte Bürgschaft für den Bestand der
Türkei zu übernehmen; selbst England wollte sich nicht mit einer so un-
berechenbar schweren Verpflichtung belasten. So geschah es, daß in Wien
über die Türkei gar nichts beschlossen, die orientalische Frage stillschweigend
zu den vielen anderen ungelösten Aufgaben des Congresses gelegt wurde.

Gleichzeitig mit den Berathungen der Großmächte erledigte Hardenberg
noch eine überaus verwickelte diplomatische Arbeit: die Abrechnung mit
Hannover, Schweden und Dänemark. Diese durch viele Monate hinge-
zogenen dreifachen Verhandlungen zeigen in ihrem sonderbar verschlungenen
Zusammenhange sehr anschaulich, welchen weiten Horizont der Blick der
preußischen Staatsmänner umfassen mußte, wie nahe unser Staat, Dank
seiner centralen Lage, selbst durch die entlegensten Händel des Welttheils
berührt wurde; und sie haben dem Vaterlande einen bleibenden Gewinn
gebracht: die Befreiung Pommerns von den letzten Resten der Fremdherr-
schaft. Trotz des Kieler Friedens, der die Lande nördlich der Peene an
Dänemark gab, blieb der Staatskanzler unerschütterlich bei seinem Plane,
Vorpommern und Rügen für Preußen zu erwerben; jener harte Kampf,
den die Hohenzollern fast zweihundert Jahre hindurch mit der Feder und
dem Schwerte um ihr altes Erbe geführt, sollte für immer beendigt werden.
Doch wie wollte man den rechtmäßigen Eigenthümer, Dänemark, zur Ab-
tretung des Landes nöthigen, da doch Preußen von der dänischen Krone nicht
das Mindeste zu fordern hatte? Gleichwohl hat Hardenberg die wichtige Er-

*) Piquots Bericht, Wien 29. Sept. 1814.

Italien. Orient.
reits daran gewöhnt, daß alle ſeine großen Friedensſchlüſſe von den Ver-
wünſchungen der Curie begleitet wurden. Dem preußiſchen Geſchäftsträger
Piquot aber ſprach der Nuntius den warmen Dank des Papſtes aus
für das Wohlwollen, das der Staatskanzler der katholiſchen Kirche be-
wieſen habe.*)

Ueber die orientaliſchen Händel wurde keine Verſtändigung erzielt.
Nirgends zeigte ſich ſo grell wie hier der trotz allem äußeren Glanze un-
verkennbare innere Verfall der öſterreichiſchen Monarchie. Derſelbe Staat,
der einſt, als die Osmanen mächtig waren, der Vorkämpfer der chriſtlichen
Welt gegen den Islam geweſen, überließ jetzt, da die Pforte am Boden
lag, muthlos, blind für die Zeichen der Zeit, der ruſſiſchen Politik die
Vollendung ſeines eigenen Werkes. Im Februar legte der Czar den
Mächten einen umfaſſenden Entwurf vor, wornach ſie ſich alleſammt ver-
pflichten ſollten für die Menſchenrechte der Rajah einzutreten, Rußland
insbeſondere als Protector der Orthodoxen, Oeſterreich und Frankreich
als Beſchützer der Lateiner. Es gebe, ſagte die ruſſiſche Note, ein unge-
ſchriebenes Geſetzbuch des Völkerrechts, das in voller Kraft beſtehe und
allen Völkern Gleichheit der Rechte verbürge. Entrüſtet wies Metternich
den revolutionären Vorſchlag zurück. Doch ebenſo wenig war der Czar
geneigt die von der Hofburg gewünſchte Bürgſchaft für den Beſtand der
Türkei zu übernehmen; ſelbſt England wollte ſich nicht mit einer ſo un-
berechenbar ſchweren Verpflichtung belaſten. So geſchah es, daß in Wien
über die Türkei gar nichts beſchloſſen, die orientaliſche Frage ſtillſchweigend
zu den vielen anderen ungelöſten Aufgaben des Congreſſes gelegt wurde.

Gleichzeitig mit den Berathungen der Großmächte erledigte Hardenberg
noch eine überaus verwickelte diplomatiſche Arbeit: die Abrechnung mit
Hannover, Schweden und Dänemark. Dieſe durch viele Monate hinge-
zogenen dreifachen Verhandlungen zeigen in ihrem ſonderbar verſchlungenen
Zuſammenhange ſehr anſchaulich, welchen weiten Horizont der Blick der
preußiſchen Staatsmänner umfaſſen mußte, wie nahe unſer Staat, Dank
ſeiner centralen Lage, ſelbſt durch die entlegenſten Händel des Welttheils
berührt wurde; und ſie haben dem Vaterlande einen bleibenden Gewinn
gebracht: die Befreiung Pommerns von den letzten Reſten der Fremdherr-
ſchaft. Trotz des Kieler Friedens, der die Lande nördlich der Peene an
Dänemark gab, blieb der Staatskanzler unerſchütterlich bei ſeinem Plane,
Vorpommern und Rügen für Preußen zu erwerben; jener harte Kampf,
den die Hohenzollern faſt zweihundert Jahre hindurch mit der Feder und
dem Schwerte um ihr altes Erbe geführt, ſollte für immer beendigt werden.
Doch wie wollte man den rechtmäßigen Eigenthümer, Dänemark, zur Ab-
tretung des Landes nöthigen, da doch Preußen von der däniſchen Krone nicht
das Mindeſte zu fordern hatte? Gleichwohl hat Hardenberg die wichtige Er-

*) Piquots Bericht, Wien 29. Sept. 1814.
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[661/0677] Italien. Orient. reits daran gewöhnt, daß alle ſeine großen Friedensſchlüſſe von den Ver- wünſchungen der Curie begleitet wurden. Dem preußiſchen Geſchäftsträger Piquot aber ſprach der Nuntius den warmen Dank des Papſtes aus für das Wohlwollen, das der Staatskanzler der katholiſchen Kirche be- wieſen habe. *) Ueber die orientaliſchen Händel wurde keine Verſtändigung erzielt. Nirgends zeigte ſich ſo grell wie hier der trotz allem äußeren Glanze un- verkennbare innere Verfall der öſterreichiſchen Monarchie. Derſelbe Staat, der einſt, als die Osmanen mächtig waren, der Vorkämpfer der chriſtlichen Welt gegen den Islam geweſen, überließ jetzt, da die Pforte am Boden lag, muthlos, blind für die Zeichen der Zeit, der ruſſiſchen Politik die Vollendung ſeines eigenen Werkes. Im Februar legte der Czar den Mächten einen umfaſſenden Entwurf vor, wornach ſie ſich alleſammt ver- pflichten ſollten für die Menſchenrechte der Rajah einzutreten, Rußland insbeſondere als Protector der Orthodoxen, Oeſterreich und Frankreich als Beſchützer der Lateiner. Es gebe, ſagte die ruſſiſche Note, ein unge- ſchriebenes Geſetzbuch des Völkerrechts, das in voller Kraft beſtehe und allen Völkern Gleichheit der Rechte verbürge. Entrüſtet wies Metternich den revolutionären Vorſchlag zurück. Doch ebenſo wenig war der Czar geneigt die von der Hofburg gewünſchte Bürgſchaft für den Beſtand der Türkei zu übernehmen; ſelbſt England wollte ſich nicht mit einer ſo un- berechenbar ſchweren Verpflichtung belaſten. So geſchah es, daß in Wien über die Türkei gar nichts beſchloſſen, die orientaliſche Frage ſtillſchweigend zu den vielen anderen ungelöſten Aufgaben des Congreſſes gelegt wurde. Gleichzeitig mit den Berathungen der Großmächte erledigte Hardenberg noch eine überaus verwickelte diplomatiſche Arbeit: die Abrechnung mit Hannover, Schweden und Dänemark. Dieſe durch viele Monate hinge- zogenen dreifachen Verhandlungen zeigen in ihrem ſonderbar verſchlungenen Zuſammenhange ſehr anſchaulich, welchen weiten Horizont der Blick der preußiſchen Staatsmänner umfaſſen mußte, wie nahe unſer Staat, Dank ſeiner centralen Lage, ſelbſt durch die entlegenſten Händel des Welttheils berührt wurde; und ſie haben dem Vaterlande einen bleibenden Gewinn gebracht: die Befreiung Pommerns von den letzten Reſten der Fremdherr- ſchaft. Trotz des Kieler Friedens, der die Lande nördlich der Peene an Dänemark gab, blieb der Staatskanzler unerſchütterlich bei ſeinem Plane, Vorpommern und Rügen für Preußen zu erwerben; jener harte Kampf, den die Hohenzollern faſt zweihundert Jahre hindurch mit der Feder und dem Schwerte um ihr altes Erbe geführt, ſollte für immer beendigt werden. Doch wie wollte man den rechtmäßigen Eigenthümer, Dänemark, zur Ab- tretung des Landes nöthigen, da doch Preußen von der däniſchen Krone nicht das Mindeſte zu fordern hatte? Gleichwohl hat Hardenberg die wichtige Er- *) Piquots Bericht, Wien 29. Sept. 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 661. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/677>, abgerufen am 22.11.2024.