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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 1. Der Wiener Congreß.
hineinschob: dicht über der hohen Halsbinde ein ungeheurer Mund mit
schwarzen Zähnen; kleine tiefliegende graue Augen ohne jeden Ausdruck;
abschreckend gemeine Züge, kalt und ruhig, unfähig jemals zu erröthen
oder die innere Bewegung zu verrathen. Eine durchaus mephistophelische
Erscheinung; in Hardenbergs Tagebuch heißt er stets: Talleyrand Bocks-
fuß. Die Damen lauschten ergötzt, wenn er ihnen mit faunischem Lächeln
eine zweideutige Bemerkung oder ein boshaftes Witzwort zuwarf; auf die
Fragen der Diplomaten gab er mit unverwüstlich kaltblütigem Phlegma
salbungsvolle Antworten. Unsaubere Gewohnheiten, die man bei jedem An-
deren plebejisch genannt hätte, galten bei ihm als originell; der vornehme
Herr aus dem uralten Hause der Fürsten von Perigord, das Orakel aller
Feinschmecker des Welttheils, der gründlichste Kenner der Höfe gab sich
selber die Gesetze des guten Tons. Er hatte sie Alle kommen und gehen
sehen, die Eintagshelden einer wirrenreichen Zeit; er kannte die Marquis
des alten Regimes, wie die Redner der Revolution und die Glückskinder
des Kaiserreichs. Er hatte den kleinen deutschen Souveränen bis ins
innerste Herz geblickt, als er die Ländervertauschungen der rheinbündischen
Politik besorgte, immer bereit das Gold aus Jedermanns Hand zu neh-
men, aber auch gutmüthig, ergebenen Freunden gefällig, tief durchdrungen
von der Wahrheit, daß eine Hand die andere waschen muß. So war
er fast allein von den Zeitgenossen des alten Regimes immer obenauf
geblieben auf den Speichen des Glücksrades und rühmte sich gern, die
hinkende Schildkröte sei doch schneller zum Ziele gekommen als der na-
poleonische Hase. Geschickt wußte er die Meinung zu verbreiten, als ob
er zu jedem Erfolge Napoleons geholfen, jeden Mißgriff des Kaisers wider-
rathen hätte. Er besaß jene gemessene Haltung und sichere Menschen-
kenntniß, die den hochadlichen Kirchenfürsten des achtzehnten Jahrhunderts
eigenthümlich war, und galt zudem für eingeweiht in alle persönlichen
Geheimnisse der vornehmen Welt. Jeder Partei war er dienstbar gewesen;
in dem berühmten "Wörterbuche der politischen Wetterfahnen" behauptete
sein Name unbestritten den ersten Platz. Gleichmüthig wie er einst als
Bischof für das Heil des freien Frankreichs gebetet, stand er jetzt als Ober-
kammerherr hinter dem Stuhle des legitimen Königs und schwenkte die
Oriflamme bei dem Krönungsfeste der Bourbonen; "ich habe stets die
Erfahrung gemacht, sagte er würdevoll, daß noch jedes System, von dem
ich abfiel, bald nachher zusammenbrach." Im Grunde des Herzens ist er
doch immer ein eingefleischter Aristokrat geblieben. Darum wünschte er
von jeher einen Bund mit den alten Mächten Oesterreich und England,
denn mit dem stolzen Adel dieser Länder ließ sichs leben; das Regiment
der russischen Emporkömmlinge und vollends die bürgerlich-soldatische
Schlichtheit des preußischen Staates war ihm verächtlich.

Also konnte er zu Wien mit innerem Behagen die Rolle spielen, welche
ihm durch die Interessen seines Hofes auferlegt wurde. Er trat auf als

II. 1. Der Wiener Congreß.
hineinſchob: dicht über der hohen Halsbinde ein ungeheurer Mund mit
ſchwarzen Zähnen; kleine tiefliegende graue Augen ohne jeden Ausdruck;
abſchreckend gemeine Züge, kalt und ruhig, unfähig jemals zu erröthen
oder die innere Bewegung zu verrathen. Eine durchaus mephiſtopheliſche
Erſcheinung; in Hardenbergs Tagebuch heißt er ſtets: Talleyrand Bocks-
fuß. Die Damen lauſchten ergötzt, wenn er ihnen mit fauniſchem Lächeln
eine zweideutige Bemerkung oder ein boshaftes Witzwort zuwarf; auf die
Fragen der Diplomaten gab er mit unverwüſtlich kaltblütigem Phlegma
ſalbungsvolle Antworten. Unſaubere Gewohnheiten, die man bei jedem An-
deren plebejiſch genannt hätte, galten bei ihm als originell; der vornehme
Herr aus dem uralten Hauſe der Fürſten von Perigord, das Orakel aller
Feinſchmecker des Welttheils, der gründlichſte Kenner der Höfe gab ſich
ſelber die Geſetze des guten Tons. Er hatte ſie Alle kommen und gehen
ſehen, die Eintagshelden einer wirrenreichen Zeit; er kannte die Marquis
des alten Regimes, wie die Redner der Revolution und die Glückskinder
des Kaiſerreichs. Er hatte den kleinen deutſchen Souveränen bis ins
innerſte Herz geblickt, als er die Ländervertauſchungen der rheinbündiſchen
Politik beſorgte, immer bereit das Gold aus Jedermanns Hand zu neh-
men, aber auch gutmüthig, ergebenen Freunden gefällig, tief durchdrungen
von der Wahrheit, daß eine Hand die andere waſchen muß. So war
er faſt allein von den Zeitgenoſſen des alten Regimes immer obenauf
geblieben auf den Speichen des Glücksrades und rühmte ſich gern, die
hinkende Schildkröte ſei doch ſchneller zum Ziele gekommen als der na-
poleoniſche Haſe. Geſchickt wußte er die Meinung zu verbreiten, als ob
er zu jedem Erfolge Napoleons geholfen, jeden Mißgriff des Kaiſers wider-
rathen hätte. Er beſaß jene gemeſſene Haltung und ſichere Menſchen-
kenntniß, die den hochadlichen Kirchenfürſten des achtzehnten Jahrhunderts
eigenthümlich war, und galt zudem für eingeweiht in alle perſönlichen
Geheimniſſe der vornehmen Welt. Jeder Partei war er dienſtbar geweſen;
in dem berühmten „Wörterbuche der politiſchen Wetterfahnen“ behauptete
ſein Name unbeſtritten den erſten Platz. Gleichmüthig wie er einſt als
Biſchof für das Heil des freien Frankreichs gebetet, ſtand er jetzt als Ober-
kammerherr hinter dem Stuhle des legitimen Königs und ſchwenkte die
Oriflamme bei dem Krönungsfeſte der Bourbonen; „ich habe ſtets die
Erfahrung gemacht, ſagte er würdevoll, daß noch jedes Syſtem, von dem
ich abfiel, bald nachher zuſammenbrach.“ Im Grunde des Herzens iſt er
doch immer ein eingefleiſchter Ariſtokrat geblieben. Darum wünſchte er
von jeher einen Bund mit den alten Mächten Oeſterreich und England,
denn mit dem ſtolzen Adel dieſer Länder ließ ſichs leben; das Regiment
der ruſſiſchen Emporkömmlinge und vollends die bürgerlich-ſoldatiſche
Schlichtheit des preußiſchen Staates war ihm verächtlich.

Alſo konnte er zu Wien mit innerem Behagen die Rolle ſpielen, welche
ihm durch die Intereſſen ſeines Hofes auferlegt wurde. Er trat auf als

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[614/0630] II. 1. Der Wiener Congreß. hineinſchob: dicht über der hohen Halsbinde ein ungeheurer Mund mit ſchwarzen Zähnen; kleine tiefliegende graue Augen ohne jeden Ausdruck; abſchreckend gemeine Züge, kalt und ruhig, unfähig jemals zu erröthen oder die innere Bewegung zu verrathen. Eine durchaus mephiſtopheliſche Erſcheinung; in Hardenbergs Tagebuch heißt er ſtets: Talleyrand Bocks- fuß. Die Damen lauſchten ergötzt, wenn er ihnen mit fauniſchem Lächeln eine zweideutige Bemerkung oder ein boshaftes Witzwort zuwarf; auf die Fragen der Diplomaten gab er mit unverwüſtlich kaltblütigem Phlegma ſalbungsvolle Antworten. Unſaubere Gewohnheiten, die man bei jedem An- deren plebejiſch genannt hätte, galten bei ihm als originell; der vornehme Herr aus dem uralten Hauſe der Fürſten von Perigord, das Orakel aller Feinſchmecker des Welttheils, der gründlichſte Kenner der Höfe gab ſich ſelber die Geſetze des guten Tons. Er hatte ſie Alle kommen und gehen ſehen, die Eintagshelden einer wirrenreichen Zeit; er kannte die Marquis des alten Regimes, wie die Redner der Revolution und die Glückskinder des Kaiſerreichs. Er hatte den kleinen deutſchen Souveränen bis ins innerſte Herz geblickt, als er die Ländervertauſchungen der rheinbündiſchen Politik beſorgte, immer bereit das Gold aus Jedermanns Hand zu neh- men, aber auch gutmüthig, ergebenen Freunden gefällig, tief durchdrungen von der Wahrheit, daß eine Hand die andere waſchen muß. So war er faſt allein von den Zeitgenoſſen des alten Regimes immer obenauf geblieben auf den Speichen des Glücksrades und rühmte ſich gern, die hinkende Schildkröte ſei doch ſchneller zum Ziele gekommen als der na- poleoniſche Haſe. Geſchickt wußte er die Meinung zu verbreiten, als ob er zu jedem Erfolge Napoleons geholfen, jeden Mißgriff des Kaiſers wider- rathen hätte. Er beſaß jene gemeſſene Haltung und ſichere Menſchen- kenntniß, die den hochadlichen Kirchenfürſten des achtzehnten Jahrhunderts eigenthümlich war, und galt zudem für eingeweiht in alle perſönlichen Geheimniſſe der vornehmen Welt. Jeder Partei war er dienſtbar geweſen; in dem berühmten „Wörterbuche der politiſchen Wetterfahnen“ behauptete ſein Name unbeſtritten den erſten Platz. Gleichmüthig wie er einſt als Biſchof für das Heil des freien Frankreichs gebetet, ſtand er jetzt als Ober- kammerherr hinter dem Stuhle des legitimen Königs und ſchwenkte die Oriflamme bei dem Krönungsfeſte der Bourbonen; „ich habe ſtets die Erfahrung gemacht, ſagte er würdevoll, daß noch jedes Syſtem, von dem ich abfiel, bald nachher zuſammenbrach.“ Im Grunde des Herzens iſt er doch immer ein eingefleiſchter Ariſtokrat geblieben. Darum wünſchte er von jeher einen Bund mit den alten Mächten Oeſterreich und England, denn mit dem ſtolzen Adel dieſer Länder ließ ſichs leben; das Regiment der ruſſiſchen Emporkömmlinge und vollends die bürgerlich-ſoldatiſche Schlichtheit des preußiſchen Staates war ihm verächtlich. Alſo konnte er zu Wien mit innerem Behagen die Rolle ſpielen, welche ihm durch die Intereſſen ſeines Hofes auferlegt wurde. Er trat auf als

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/630>, abgerufen am 22.11.2024.